Autor Thema: SL-Willkür&Railroading  (Gelesen 2180 mal)

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Offline Blizzard

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SL-Willkür&Railroading
« am: 10.09.2009 | 15:36 »
In den vergangenen Tagen ist ja hier im Forum viel und oft über diese beiden Themen diskutiert worden. Abgesehen davon, dass beide Begriffe ein Definitionsproblem haben- weil sie jeder anders für sich definiert- ist mir aufgefallen, dass beide Begriffe doch sehr negativ vorbelastet sind, und man das in den Diskussionen um diese Themen dem Diskussionstil und Sprachgebrauch dort doch anmerkt.

Ich gebe zu, dass ich früher auch einer von diesen Moralaposteln war, die entweder schreiend davon gerannt sind oder drohend mit dem erhobenen Zeigefinger kamen, wenn es eine Diskussion um eines dieser beiden oder um beide ging. Für mich waren bislang SL-Willkür &Railraoding schlecht, ein Unding, ein Markenzeichen eines schlechten Spielleiterstm. Das war wie gesagt lange Zeit so.

Doch durch einige interessante Gespräche und auch durch die Diskussionen hier im Forum habe ich nochmal drüber nachgedacht, ob diese beiden Begriffe wirklich so schlecht sind, wie viele Leute sie schimpfen. Ich möchte hier keine Lanze für diese beiden Begriffe brechen, dennoch möchte ich mal dazu anregen, darüber nachzudenken, welche positiven Eigenschaften SL-Willkür &Railroading haben (können).

Nach langer Überlegung bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass die Willkür und das Railroading eigentlich in erster Linie nur Hilfsmittel für den SL sind, das Abenteuer zu gestalten, ihm einen Rahmen zu geben, nach den Vorstellungen des SL abgesteckt. Klar ist auch, dass eben jener Rahmen nicht zu eng abgesteckt sein darf, damit sich die Chars so frei wie möglich darin bewegen können. Der Rahmen muss aber dennoch abgesteckt sein, damit sich die Chars so eng wie nötig darin bewegen. Das ist schon deshalb notwendig, damit der SL aber auch die Spieler die Kontrolle über das Abenteuer & die Charaktere nicht verlieren. Natürlich ist es schwer, da ein gesundes Maß zu finden. Es soll ein Rahmen sein, den der SL vorgibt, und kein Gefägnis, in dem sich die Charaktere keine zwei Meter bewegen können. Nun könnte man sagen: Den Rahmen, den der SL vorgibt, ist ja auch schon Willkür. Ja, sicher. Ist es. Nur handelt es sich hierbei um eine notwendige Willkür im Dienste des Abenteuers. Und genau so verhält es sich imho auch mit dem Railroading. In gewissen Situationen ist es einfach erforderlich, um das Abenteuer respektive den Spielspaß zu wahren oder aufrecht zu erhalten.

Von daher denke ich, dass es gar nicht ohne SL-Willkür & Railroading geht. Ich denke, manchmal bauen wir als SL diese beiden Hilfsmittel in unser Abenteuer ein, ohne (selbst) zu merken, dass wir da grade haben Willkür oder Railroading walten lassen. Und somit kann man es drehen&wenden wie man will: SL-Willkür &Railroading gehören (auch wenn das vermutlich viele verneinen)-wenn vielleicht auch unbewusst- zu den Hilfsmitteln eines SLs, die er in einem Abenteuer einsetzt. Wie gesagt: Ich möchte keine Lanze für diese beiden Begriffe brechen, ich möchte lediglich dazu anregen-wie bei der Kehrseite einer Medaille- auch mal über die positiven Eigenschaften dieser beiden Begriffe nachzudenken. Imho sind sie nämlich gar nicht so negativ, wie viele behaupten oder wie der Ruf ihnen vorauseilt.

Für mich sind zudem diese beiden Begriffe fast unzertrennbar miteinander verbunden; ich denke das Eine kommt nicht ohne das Andere aus. Sprich: Wenn SL-Willkür im Spiel ist, dann ist es Railroading auch. Oder wie seht ihr das? Gibt es auch SL-Willkür ohne RR bzw. andersherum?
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Offline Merlin Emrys

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Re: SL-Willkür&Railroading
« Antwort #1 am: 10.09.2009 | 16:01 »
Wie gesagt: Ich möchte keine Lanze für diese beiden Begriffe brechen, ich möchte lediglich dazu anregen-wie bei der Kehrseite einer Medaille- auch mal über die positiven Eigenschaften dieser beiden Begriffe nachzudenken. Imho sind sie nämlich gar nicht so negativ, wie viele behaupten oder wie der Ruf ihnen vorauseilt.
Das ist jetzt eine Frage des Sprachgebrauchs. ich würde sagen: Doch, beide Begriffe bezeichnen etwas, das vom Sprecher rein negativ aufgefasst wurde. Aber eben: "aufgefasst wurde"! Beides sind "Kampfbegriffe" bzw. "Schlagworte", und wo sie eingesetzt werden, ist das rein Negative bereits die Voraussetzung beim Sprecher.
Aber das, was so bezeichnet werden kann, ist vielfältig und meist "gar nicht schlimm", zuweilen sogar für andere Menschen "gut" bis "perfekt". Es hat nur halt, solange alles in bester Ordnung ist, keinen gebräuchlichen Namen; es braucht abseits von Theoriedebatten aller Art wohl auch keinen.

In Theoriedebatten hat man dann zwei Möglichkeiten:
- Man weitet den Begriff auf und versteht ihn auch positiv. (So wie Du vorgeschlagen hast, wenn ich Dich richtig verstanden habe).
- Man verwendet einen "neutral" (oder eher positiv) besetzten Begriff und überläßt die "Schlagworte" denen, die ihn brauchen, als "Kampfbegriff". (Das ist das, was ich machen würde. Mir scheint, daß das die Version ist, bei der weniger Verwechslungsgefahr besteht.)

Online JohnBoy

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Re: SL-Willkür&Railroading
« Antwort #2 am: 10.09.2009 | 16:25 »
Ich habe es bei meiner letzten Runde gemerkt: Bei ganz frischem Rollenspielnachwuchs raidroade ich gerne mal. So bringt man sie schneller zu "tollen" Szenen wenn es generell noch mit dem Selbstvertrauen happert. Zudem macht sie es ein wenig freier, sie wissen indirekt das der SL quasi wie ein Auffangnetz fungiert.

Ich selbst habe als Spieler nicht gegen Raidroading... ich will nur wissen nicht wissen wenn es passiert ;) Jemand hier im Forum hatte es schonmal sehr treffend zum Thema Sterblichkeit geschrieben: Ich mag die glaubhafte Illusion von Tödlichkeit ohne jemals zu Sterben.

Offline Arkam

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Re: SL-Willkür&Railroading
« Antwort #3 am: 10.09.2009 | 16:43 »
Hallo Blizzard,

bei der derzeitigen Schwemme an Diskussionen über Willkür zeichnen sich aus meiner Sicht zwei Fraktionen ab.
Die eine ist der Meinung der überwiegende Teil spielleiterlichen Handelns wäre Willkür das es eben für die meisten Entscheidungen keine klare Regelbasis gibt. Das passt zwar nicht in meine Begrifflichkeit von Willkür aber mit dieser Art eines Spielleiters zu handeln kann ich leben.
Ich meine aber das jede Runde ja mehr oder weniger klar aufgestellt ein Regelnetz erstellt indem der Spielleiter sich orientiert.
Wenn die Runde storyorientiert spielt kann der Spielleiter meinen Charakter etwa in eine Situation hinein erzählen. Aber diese Situation sollte dann auch eine interessante Story liefern und nicht einfach nur Resscourcen kosten ohne eine interesante Story zu liefern, möglichst nicht nur für die Mehrheit der Spieler sondern auch für mich als dem Spieler mit dem betroffenen Charakter.
Wenn die Runde sich darauf geeinigt hat streng nach den vorgegebenen Regeln zu spielen sollte der Spielleiter dann nicht irgendwelche Kombinationen von Vorteilen nicht zulassen.
Das Problem ist das die meisten Regeln in diesem Regelnetz nicht festgehalten werden sondern gerade in Runden die lange existieren als selbstverständlich gelten. Wenn Probleme auftauchen die als Spielleiter Willkür beschrieben werden lohnt es sich immer nach dem Einzelfall zu fragen.

Das gleiche Spiel gibt es beim Railroading.
Das der Spielleiter einem Charakter nur eine Handlungsmöglichkeit lässt kommt ja besonders häufig beim Abenteuereinstieg vor.
In der einfachsten Fassung ist das nur der schnelle Abenteuereinstieg mit "Ihr seid in die Stadt X gekommen weil dort ein Tunier statt findet. Sprechen ansonsten keine Gründe dagegen, wird also der Charakter in Stadt X nicht gesucht oder wird seine Rasse dort nicht diskreminiert oder Ähnliches, spricht nichts gegen einen solchen Einstieg.
Railroading im negativen Sinne gibt es aus meiner Sicht in zweierlei Hinsicht.
Das sind ein Mal Abenteuerbestandteile die einen Resscourcen kosten ohne das diese Handlungen irgendwas am, Spielverlauf ändern. Gerade in größeren kommerziellen Kampagnen passiert es immer wieder das gewisse Szenen einfach so geschehen müssen damit die Kampagne wie beschrieben weiter geht. Statt hier klare Schnitte zu setzen und die Spieler vorher darüber zu informieren das solche Szenen vorkommen brechen Spielleiter da gerne schon Mal vereinbarte Regeln oder führen Dinge in den Hintergrund ein die vorher nicht da waren.
Auch ärgerlich ist wenn bestimmte in den Regeln beschriebene Möglichkeiten nicht wie gewohnt funktionieren weil sich der Spielleiter keine Gedanken gemacht hat mit welchen Charakteren er das Abenteuer spielt.
Unsere Runde hatte etwa die Aufgabe einen Gefangenen zu befreien der offen in einer Grube auf dem Marktplatz ausgestellt wurde. Mein Magier schlug vor sich erst in die Grube zu teleportieren und sich dann mit dem Gefangenen zum Auftraggeber zu teleportieren. Die vom Spielleiter als gefährliche Aufgabe beschriebene Aufgabe wäre so innerhalb von Minuten gelöst gewesen. Natürlich war die Grube dann magisch gegen Teleportation gesichert. Eine Möglichkeit die es im bespielten Hintergrund nicht gab.
Diese Art von Railroading spricht aus meiner Sicht eher für eine mangelhafte Vorbereitung des Spielleiters die so wieder wett gemacht werden soll.

Gruß Jochen
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Offline Tudor the Traveller

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Re: SL-Willkür&Railroading
« Antwort #4 am: 10.09.2009 | 16:55 »
Ich stimme Blizzard prinzipiell zu. Sowohl Railroading als auch SL-Willkür werden überbewertet. Das Problem ist, dass beide Begriffe als Totschlagargumente in Diskussionen eingebracht werden. Das war auch der Stein des Anstoßes, wie man in Bobas Eröffnungsbeitrag lesen kann. Diese Argumente sind eben keine Argumente, weil sie in ihrer Bedeutung viel zu unpräzise sind bzw. gehandhabt werden. Dennoch erwarten die Verfasser, dass damit alles gesagt wäre. Das ist auf der Gegenseite frustrierend und bringt eine Diskussion nicht im Geringsten weiter.

Wie es sehr oft geschieht, wenn man etwas als Fehlerquelle bzw. als "schlecht" identifiziert hat, hat man sich dem Gegenteil zugewendet und ist dabei m.E. übers Ziel hinausgeschossen, weil die vermeintlich falschen Ansätze nicht durch und durch falsch waren, sondern nur in ihren Extremen.

Z.B. wird jetzt viel Sandbox, Playerempowerment, Ergebnissoffenheit etc. gefordert; alles Ansätze, die sich von Railroading abwenden und gegenteilige Wege suchen. Dass dabei aber die Extremvarianten bzw. die "Reinvarianten" nicht unbedingt bessere Ergebnisse liefern als das ungeliebte Vorherige, scheint in dem Eifer übersehen zu werden.

Ich denke, die Mischung machts bzw. der beste Weg liegt wie immer irgendwo in der Mitte.
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"Da ist es mit dem Klima und der Umweltzerstörung nämlich wie mit Corona: Wenn man zu lange wartet, ist es einfach zu spät. Dann ist die Katastrophe da."

This town isn’t big enough for two supervillains!
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Offline Merlin Emrys

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Re: SL-Willkür&Railroading
« Antwort #5 am: 10.09.2009 | 17:21 »
Diese Argumente sind eben keine Argumente, weil sie in ihrer Bedeutung viel zu unpräzise sind bzw. gehandhabt werden. Dennoch erwarten die Verfasser, dass damit alles gesagt wäre. Das ist auf der Gegenseite frustrierend und bringt eine Diskussion nicht im Geringsten weiter.
Dazu noch einmal:
Die perfekte Basis für perfekte Diskussionen wäre eher so etwas wie eine Programmiersprache, gesprochen von so etwas wie Robotern. Ich vermute allerdings, es hat gute Gründe, weswegen im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelte Sprachen so auffällig anders als Programmiersprachen sind.