Ich habe eine kleine Miles Davis Phase und erzähle ein paar persönliche Dinge.
Als Teenager war ich Posaunist in einer BigBand. Ich kam völlig unverhofft zu der Band. Meine musikalischen Fähigkeiten allgemein erlaubten mir mitzuhalten, was die Kunst der Improvisation anging, hatte ich allerdings schweren Nachholbedarf.
Ich hatte auch noch andere Interessen (Rollenspiel beispielsweise), aber ein wenig beschäftigte ich mich auch damals schon mit Jazz. Als ich mit 28 ein zweites Musikstudium in Frankfurt ansteuerte, beendete ich meine Mitgliedschaft bei der BigBand. Bis dahin war ich immerhin soweit, dass ich mit Ach und Krach ein halbwegs passables Solo abliefern konnte.
Mein vielleicht nachhaltigstes Erlebnis mit der Band war eine kleine Tournee nach Südfrankreich, bei der ich die Jazzfachsimpelei der älteren Bandmitglieder hautnah miterleben konnte. Ich begann gerade einen Jazzgeschmack zu entwickeln und entdeckte Chick Corea und ein paar FreeJazzer (immer auf der Suche nach ungewohnten Sounds, egal in welchem Genre), da wurde in den Gesprächen "der Kenner" Miles Davis thematisiert. Mich beeindruckten erst einmal vergleichende Berichte: Louis Armstrong habe ja handfesten Jazz gespielt, auf der anderen Seite aber auch immer den netten "Nigger" gegeben, Miles Davis´ Verständnis von Jazzharmonik sei irgendwie weniger gut zu durchschauen, dafür sei er aber irgendwie Teil der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gewesen. Ich erinnere mich noch genau, wie berichtet wurde, dass er bei bestimmten Auftritten dem Publikum den Rücken zuwandte. Man kann sich leicht vorstellen, welchen der Jazzer ich als Teenager faszinierender fand.
Miles Davis war der erste Jazzer, den ich verstehen wollte (heute muss ich über diesen Wunsch ein wenig lächeln). Ich kaufte viele Platten, las Biographien und Discographien und nahm mit, was mir möglich war. Ein paar Dinge verstand ich, andere nicht. Aber immerhin: viele Tracks von Miles Davis mochte ich.
1991 war ich als 23-Jähriger auf einem der letzten Miles Davis Konzerte in Hamburg. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich das sehen konnte. Ich sah einen Miles Davis, der relativ wenig selbst spielte. Wenn er sich dann doch zu Wort meldete, erklangen passable Soli, oft aber auch nichts Spektakuläres. Seine Band, der ganz hervorragende Musiker angehörten, war hingegen auf der Höhe der Zeit. Miles ließ sich Zeit, auf die Bühne zu kommen. Seine Band spielte schon eine Weile. Dann hielt er für den zentralen Part des Konzerts die Zügel auf der Bühne in der Hand - machte Zeichen, gab Anweisungen und spielte hin und wieder mal eine Skala. Schließlich verabschiedete er sich wieder als erster. Miles Davis Superstar? Ich war etwas ratlos. Erst später verstand ich, dass das seine Art war, mit dem Alter umzugehen: Förderer der nachkommenden Generation, Berater und Trainer sein, sich hin und wieder zu Wort melden, so gut wie möglich Up-to-date bleiben. Als ich´s durchschaut hatte, hatte ich gleich ein Vorbild für meine Lehrer-Existenz. Der späte Miles Davis ist für mich der perfekte Lehrer... und er wird immer wichtiger für mich, je älter ich selbst werde. War er 1991 noch ein relevanter Künstler? Nicht so wichtig, würde ich sagen. Er hat bewiesen, dass er zu allen möglichen Phasen des Jazz´ relevante Beiträge liefern kann und seine Saat für die Zukunft gelegt.
Miles Davis´ Verhalten als alternder Jazzer war für mich immer ein Vorbild. Ich habe schon die Lehrerausbildung als spannende Angelegenheit empfunden... (und nicht zwangsläufig als Sprungbrett für eine mögliche Künstlerkarriere, die sich dann in vielen Fällen doch nicht ergibt). Jetzt, wo ich selber alt werde, erkenne ich immer mehr, wie vorbildlich sich der Mann verhalten hat.
Und jetzt fange ich mal mit der ersten wirklich relevanten Aufnahme von Miles Davis unter eigenem Namen an: "Birth of the Cool" von 1949/50. Mich hat schon immer der seltsame Sound interessiert. Waldhörner? Eine Tuba (obwohl außerdem noch ein Bass vorhanden war)? In der Tat! Irgendwie orchestral... und dazu kommt die Polyphonie: da gibts nicht ein Thema oder einen Solisten und Akkorde... sondern echte Mehrstimmigkeit. Mein liebster Track ist "Israel" (keine Ahnung, warum das Ding so heißt). Wenn ich mich beim Zuhören konzentriere, kann es passieren, dass mir der Schädel auf angenehme Weise zu schwirren beginnt. Ich liebe dieses Durcheinander!
Miles Davis: Israel