Was ist eigentlich "modaler Jazz"? Ich brauchte eine Weile, um das zu verstehen. Als Fingerübung hier der Versuch einer komprimierten Kurzerklärung:
Das Wort stammt von mittelalterlichen Kirchentonarten, die auch "Modi" genannt werden. Das sind Tonleitern, die auf den Stammtönen basieren (quasi "weiße Tasten" auf dem Klavier), aber unterschiedliche Grundtöne besitzen (alle weißen Tasten von d bis d heißt dorisch, alle weißen Tasten von e bis e heißt phrygisch, etc.). Im Jazz kann man diese Tonleitern natürlich auch auf andere Tonstufen verschieben (= "transponieren"). Entscheidend ist, dass diese Tonleitern an anderen Stellen Halbtonschritte aufweisen, als es die allseits bekannten Dur- und Moll-Tonleitern tun. Dadurch klingen sie oft spannend.
Im modalen Jazz (entwickelt in den 50er Jahren) werden diese Tonleitern als Tonmaterial für die Improvisation verwendet. Der wichtigste Unterschied zum traditionellen Jazz besteht darin, dass nicht mehr über Akkordfolgen improvisiert wird. Im Extremfall besteht ein Track nur aus einem einzigen Akkord, über den dann eine Improvisation in einem Modus erfolgt. Oft genug wird das Konzept aber etwas erweitert: Es gibt Stücke, die aus mehreren Akkorden bestehen, über alle diese Akkorde wird aber nur mittels eines Modus´ improvisiert. Es gibt auch Stücke, in denen mehrere Modi hintereinander zum Einsatz kommen, der Wechsel zwischen ihnen wird aber nicht durch Akkordwechsel in der Begleitung motiviert, sondern ist ein frei verfügbares Gestaltungsmittel des Solisten.
Grundsätzlich jedenfalls werden in Stücken im modalen Jazzstil eher wenige Akkorde verwendet und weil der Solist keine Rücksicht auf die selten wechselnden Akkorde nehmen muss, gerät sein Spiel oft entspannter und relaxter (als beispielsweise beim hektischen, von rasanten Akkordwechseln geprägtem Bebop).
Die Improvisation ohne Rücksicht auf Harmonien schafft neue Freiheiten. Von daher lässt sich der modale Jazz auch als Bindeglied zwischen traditionellem Jazz und Free Jazz verstehen.
Die berühmteste Platte in dem Stil ist wohl Miles Davis´ "Kind of Blue" von 1959 (angeblich die meistverkaufte Jazzplatte überhaupt). Als Beispiel sei "Flamenco Sketches" verlinkt, ein Stück ohne Thema, das auf dem spanisch klingenden Modus "phrygisch" basiert, letztlich aber aus fünf Tonleitern besteht, die nacheinander jeweils so lange verwendet werden, bis ein Solist die Serie durchgespielt hat. Das ruhige Stück beinhaltet tolle Soli - besonders das Saxophonsolo von John Coltrane finde ich zum Niederknien.
Miles Davis: Flamenco Sketches