Morton Feldman war beeindruckt von Samuel Beckett. Klarer Fall, es gibt niemanden sonst, der so kunstvoll mit vielen Worten eine ganz bestimmte Atmosphäre erschaffen kann, ohne dass seine Texte irgend so etwas wie Handlung im traditionellen Sinne aufweisen würden. Das hat Feldman auf seiner Suche nach Abstraktion imponiert.
Von Beckett gibt es auch ein paar interessante Bühnenwerke. Sie bestehen aus Anweisungen, wie sich irgendwelche verhüllten Gestalten auf der Bühne in symmetrischen Mustern zu bewegen haben. Keine Handlung, noch nicht mal Worte. Auch das dürfte Feldman gefallen haben.
Anfang der 70er Jahre trafen die beiden zusammen und Feldman hätte sich gern irgendeine Kooperation mit Beckett gewünscht. Alles, was ihm einfiel, war "Oper". Aber Beckett sagte ihm, dass er keine Opern möge. Klarer Fall, da geht´s um konkrete Inhalte, um Liebe, Hass und Rache. Das hatte Beckett weit hinter sich gelassen. Das Lustige ist: Feldman mochte im Prinzip auch keine Opern. Aus einem ähnlichen Grund. Und das sagte er Beckett auch: "Wissen Sie, eigentlich mag ich gar keine Opern." Beckett antwortete ihm: "Aha. Und was wollen sie jetzt?" Dann sind die beiden auseinander gegangen.
Was dann geschehen ist, weiß niemand. Vielleicht fand Beckett die Begegnung immerhin interessant genug, dass er ´mal nachgeschaut hat, was dieser seltsame Amerikaner eigentlich so produziert. Und vielleicht war er ganz angetan von dem, was Feldman bisher so abgeliefert hatte. Jedenfalls schickte er Feldman ein paar Wochen später einen Text. Kein Operntext natürlich... eher ein Beckett Text. Ein Text mit ganz vielen Leerstellen. Niemand weiß so genau, was die Worte bedeuten. Aber eine Stimmung ist präsent. Sehr sogar.
Samuel Beckett: Neither
to and fro in shadow from inner to outer shadow
from impenetrable self to impenetrable unself
by way of neither
as between two lit refuges whose doors once
neared gently close, once away turned from
gently part again
beckoned back and forth and turned away
heedless of the way, intent on the one gleam
or the other
unheard footfalls only sound
till at last halt for good, absent for good
from self and other
then no sound
then gently light unfading on that unheeded
neither
unspeakable home
Tja. Das war´s. Nicht gerade ein Libretto, würde ich sagen. Feldman machte jedenfalls Musik dazu. Er nannte das Oper. Aber bis auf die Tatsache, dass da etwas auf einer Bühne stattfindet, hat das nicht viel mit Oper zu tun. Eine einzige Sängerin steht dort und singt Becketts Text zu einem Instrumentalensemble, was dazu Feldman-Musik spielt. Keine Bewegung. Keine Handlung. 50 Minuten, dann ist die Oper vorbei.
Feldman schreibt: "Ich beschäftige mich mit Schatten. Und darum geht es auch in der Beckett-Oper. Das Thema der Oper ist, dass unser Leben von allen Seiten von Schatten umgeben ist. Wir können nicht in den Schatten hineinsehen. Da wir aber nicht in den Schatten hineinsehen können, geht unsere Existenz nur bis dorthin und wir schwanken zwischen den Schatten des Lebens und des Todes."
Ich habe eine ausführliche Analyse des Stückes gelesen, in der gezeigt wird, dass die verschiedenen Abschnitte des Werkes doch ein paar Bezüge zum Genre Oper aufweisen. Sie sind aber nur auf einer sehr abstrakten Ebene aufzufinden... in den Schatten, sozusagen.
Leider gibt es keine Kompletteinspielung im Netz, bei der man die Musik als reines Bühnenstück erleben kann. Es gibt aber eine recht schöne Einspielung ohne Bild. Und dann gibt es interessanterweise noch eine Version, in der jemand eine Aufführung zu einem Film montiert hat. Auch da geschieht nicht viel und ich denke, die Ästhetik ist getroffen. Ob das Ergebnis Feldman gutgeheißen hätte, weiß ich aber nicht. Ich bin etwas skeptisch. Außerdem ist das Ding bei Youtube leider in fünf Häppchen hinterlegt. Hier also:
Morton Feldman: Neither (Audio)Morton Feldman: Neither (verfilmt)