Johann Sebastian Bach: Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit, BWV 106Diese Kantate beginnt mit einem einleitenden Instrumentalstück. Zu einer weichen Begleitung erklingen fast immer, aber nicht durchgehend parallel laufende Blockflöten. Gerade der dadurch entstehende leicht verschwommene Klangeindruck (bei den Wechselnoten) beeindruckt mich sehr.
Der erste Chor steht in bewegterem Tempo. Ausgedeutet wird das „Weben“, die Geschäftigkeit des menschlichen Daseins einerseits, zum anderen aber auch die Begrenztheit der Existenz, die dem göttlichen Willen unterliegt. „...so lange er will“ deutet durch die auffällig gehaltenen Töne (zum Wörtchen „lange“) auf einen Gott hin, der dem irdischen Dasein positiv gegenüber steht. Dann aber wird das Tempo aus dem Stück wieder heraus genommen. Spannungsvolle Akkorde unterliegen den Worten „In ihm sterben wir zur rechten Zeit“ und reflektieren auch die Möglichkeit eines leidvollen Lebensendes.
In der darauf folgenden Tenorarie tauchen die beiden Blockflöten vom Anfang wieder auf. Ich mag besonders die kleinen seufzerartigen Bebungen auf „ach herr, LEHre UNS beDENken“, die nachdrücklich zeigen, dass der Mensch hinsichtlich der Vorgänge zwischen Himmel und Erde unwissend und lernbedürftig ist.
Es folgt eine kleine, aber virtuose Koloraturpassage für den Bass, der an unsere Sterblichkeit und damit die Bedeutung eines bewussten Lebens gemahnt.
Am Ende des ersten Teils erklingt eine tolle, polyphone Passage. Wieder wird die Sterblichkeit des Menschen betont, diesmal aber immer wieder unterbrochen von einer Sopranstimme, die das mit dem Tod verbundene Nahen Jesu ausdrücklich begrüßt. Der Sopran übernimmt hier Motive der Blockflöten und verdeutlicht letztlich, dass alle Musik dieser Kantate im Dienst der Textaussage zu verstehen ist. Der Schluss dieser Passage ist ein kleiner Geniestreich. Die Musik setzt aus, der Sopran aber singt einfach unbegleitet weiter und begrüßt in einer besonders emotionalen Passage ein letztes Mal Jesu Kommen (11:07 – 11:22): hier ist der Tod ebenso einfach wie wirkungsvoll auskomponiert.
Der zweite Teil der Kantate beginnt mit einer reduzierten Altarie, in der der Erlösungsgedanke eine größere Rolle spielt. Daraufhin folgt eine (zu Beginn) erstaunlich hoch gesetzte Bassarie, in der wohl Jesus zu Wort kommt und dem Sterbenden die Gewissheit auf sein Leben im Jenseits verkündet. Der Alt stimmt in diesem Moment in langgestreckten Tönen die Melodie des Chorals „Mit Fried und Freud fahr ich dahin“ an. Für die beiden letzten Verse („...wie Gott mir verheißen hat; der Tod ist mein Schlaf worden“) bleibt er allein übrig und führt die Kantate zu einem trostreichen Schluss.
Die Kantate endet mit einem frohlockenden, choralartigen Gesang („Glorie, Lob, Ehr und Herrlichkeit“). Die Blockflöten spielen mit den anderen Instrumenten zusammen einige virtuose Ornamente und schon glaubt sich der Hörer am Schluss, da wird ein deutlich flotteres Tempo angeschlagen, in dem ein durch Koloraturen gebildetes kunstvoll polyphones „Amen“ ertönt.
Von den Kantaten, die ich kennengelernt habe, ist das sicherlich meine liebste. Es ist deshalb auch vorerst die letzte, die ich hier einstelle. Das musikalische Geschehen dieser 20 Minuten ist dicht gepackt, bleibt aber trotzdem jederzeit unmittelbar anschaulich. Bach war angeblich 22 Jahre alt, als er das geschrieben hat. Das finde ich schon erstaunlich. Man braucht weder Theologe noch Musikwissenschaftler zu sein, um mitzubekommen, worum es hier geht. Der Text könnte allerdings hilfreich sein:
Chor:
Gottes Zeit,
ist die allerbeste Zeit
In ihm leben, weben und sind wir,
solange er will.
in ihm sterben wir zur rechten Zeit,
wenn er will.
Tenor:
Ach Herr,
lehre uns bedenken,
daß wir sterben müssen,
auf daß wir klug werden.
Bass:
Bestelle dein Haus;
denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben!
Chor:
Es ist der alte Bund: Mensch,
du mußt sterben!
Sopran:
Ja, komm, Herr Jesu!
Alt:
In deine Hände befehl ich meinen Geist;
du hast mich erlöset,
Herr, du getreuer Gott.
Bass:
Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Alt:
Mit Fried und Freud ich fahr dahin
in Gottes Willen,
getrost ist mir mein Herz und Sinn,
sanft und stille.
Wie Gott mir verheißen hat:
der Tod ist mein Schlaf worden.
Chor:
Glorie, Lob, Ehr und Herrlichkeit
sei dir, Gott Vater und Sohn bereit',
dem heilgen Geist mit Namen!
Die göttlich Kraft
macht uns sieghaft
durch Jesum Christum, Amen.
Wenn es um Oratorien und Kantaten von Bach geht, gibt es in meinen Ohren einige gut hörbare Interpreten. Verlinkt ist der beseelte Philippe Herreweghe, der stets auf historischen Instrumenten spielen lässt (und mit der Abbildung nichts zu tun hat).