Ich habe mir mal wieder Captain Beefhearts "Trout Mask Replica" vorgenommen, die ja an dieser Stelle auch schon ein paarmal erwähnt wurde. Mich hat interessiert, inwieweit sich bei der Musik eine kompositorische Absicht erkennen lässt. Ich habe mir einfach irgendeinen Track vorgeknöpft, der noch ein wenig Struktur aufzuweisen scheint:
Captain Beefheart: My Human Gets Me BluesDann habe ich den Text gelesen.
I saw you baby dancin' in your x-ray gingham dress
I knew you were under duress
I knew you were under yer dress
Just keep comin', Jesus, you're the best dressed
You look dandy in the sky but you don't scare me
'Cause I got you here in my eye
In this lifetime you got my human gets me blues
With your jaw hangin' slack and your hair's curlin'
Like an ole navy fork stickin' in the sunset
The way you were dancin' I knew you'd never come back
You were strainin' to keep your old black cracked patent shoes
In this lifetime you got my human gets me blues
Well, the way you been, old lady, I could see the fear in your windows
Under your furry crawlin' brow a silver bow rings up in inches
You were afraid you'd be the devil's red wife
But it's all right, God dug your dance
And would have you young and in his harem
Dress you the way he wants cause he never had a doll
'Cause everybody made him a boy
And God didn't think to ask his preference
You can bring your dress and your favorite dog
And your husband's cane, and your old spotted hog
'Cause in this lifetime you got my human gets me blues
Puuh. Ich finde den Text sehr assoziativ und vom Sinn her schwer zu verstehen. Immerhin lässt sich aber erkennen, dass auf surrealistische Weise eine Tänzerin beschrieben wird. Der Tanz der Frau hat göttliches Wohlgefallen erregt, sie wird aber auch von einer (eifersüchtigen?) menschlichen Bezugsperson überwacht oder zumindest beobachtet. Die Beziehung zu diesem Menschen scheint angespannt zu sein (denn sie erzeugt den "Blues", von dem im Titel (und
Refrain) die Rede ist).
Die Musik verwendet durchgehend einen ganz normalen 4/4-Takt, der in der Regel durch Synkopen gebrochen wird. Ein paar Instrumente spielen dabei synchron (meist eine Gitarre, Bass und Schlagzeug) und verfolgen denselben Groove, die Klänge sind allerdings dissonant und weisen größere Sprünge auf. Dennoch ist das die Schicht in diesem Song, die sich am ehesten noch als "tanzbar" bezeichnen lässt... und um eine seltsame Tänzerin geht es ja auch. Die Beschreibung der Person ist so schillernd und widersprüchlich, dass mir auch die Dissonanzen in den Begleitfiguren passend vorkommen.
Im Verlauf des Songs geschieht es immer wieder, dass eine Begleitfigur endet und nach kurzer Pause eine etwas andere Begleitfigur einsetzt. Wer darauf achtet und den Text mitliest, kann erkennen, dass die unterschiedlichen Begleitfiguren schlicht und einfach ein Gliederungsmittel sind. Die Wechsel ereignen sich immer dann, wenn sich auch im Text die Darstellung auf irgendeine Art verändert.
Spannend ist aber, dass zusätzlich zum bisherigen Geschehen immer noch ein oder zwei weitere Instrumente zu hören sind, die sich nicht in die Begleitfiguren einordnen lassen. Manchmal spielen sie irgendwelche Gegenstimmen zur Begleitung, manchmal daddeln sie auch völlig unabhängig von den sonstigen Begleitfiguren vor sich hin.
Interpretationsversuch: Wenn die in mehreren Stimmen synchron verlaufenden Begleitfiguren den Tanz darstellen, dann stellen die beziehungslos dazu vor sich hindaddelnden Instrumente etwas anderes dar (oder sogar "das Andere!"). Die beiden zentralen Elemente des Textes, die über den Tanz und die Frau hinausgehen, sind Gott und die Person, die im Titel aus der Perspektive der Frau als "My human" bezeichnet wird... der Sänger? Captain Beefheart? Möglich. Da Gott im Text ausdrücklich als Mann bezeichnet wird, dürfte es sich in beiden Fällen um einen männlichen Blick oder männliches Begehren handeln, das hier auf die mysteriöse Tänzerin gerichtet ist.
Die Spannung zwischen Tanzrhythmus und zusätzlichem Daddeln könnte also in gewisser Weise die begehrenswerte Frau und den sie begehrenden Mann und/oder Gott symbolisieren.
Mag ich den Song jetzt lieber?
Ein bisschen schon.