Autor Thema: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?  (Gelesen 5432 mal)

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Offline Agent_Orange

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #25 am: 27.04.2012 | 09:29 »
Hallo.

"1984" + Mensch-Maschine (+ Matrix/Cyberspace/Das Netzwerk) = Cyberpunk?

AO
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Persönliche Anmerkung: Es ist ein erstinstanzliches Landgerichts-Urteil. Hinsichtlich einzelner Fragen beschränkt sich das Urteil auf Verweise; der Kläger hat "schlampig" gearbeitet. Fraglich ist deshalb, ob einzelne Urteilsaspekte in höherer Instanz anders bewertet worden wären.

Offline Waldviech

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #26 am: 27.04.2012 | 09:49 »
Würde ich so nicht sagen. Ich würde eher "Raubtierkapitalismus + Menschmaschine" sagen, da 1984 ja im Grunde voll auf den totalitären, sozialistischen Überwachungsstaat abzielt. Cyberpunk spielt aber, trotz moderner Überwachungstechnik, meist nicht in solchen Regimen.
Was "Der Cyberpunk ist tot" (bzw. überholt) angeht: Mag sein, mag aber auch nicht sein. Ich finds reichlich irrelevant - und unter Umständen können Anachronismen ja auch Spaß machen.
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Offline Agent_Orange

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #27 am: 27.04.2012 | 10:38 »
Mh. Ok.
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Persönliche Anmerkung: Es ist ein erstinstanzliches Landgerichts-Urteil. Hinsichtlich einzelner Fragen beschränkt sich das Urteil auf Verweise; der Kläger hat "schlampig" gearbeitet. Fraglich ist deshalb, ob einzelne Urteilsaspekte in höherer Instanz anders bewertet worden wären.

Offline WeepingElf

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #28 am: 27.04.2012 | 18:46 »
Würde ich so nicht sagen. Ich würde eher "Raubtierkapitalismus + Menschmaschine" sagen, da 1984 ja im Grunde voll auf den totalitären, sozialistischen Überwachungsstaat abzielt.

Richtig.

Zitat
Cyberpunk spielt aber, trotz moderner Überwachungstechnik, meist nicht in solchen Regimen.
Was "Der Cyberpunk ist tot" (bzw. überholt) angeht: Mag sein, mag aber auch nicht sein. Ich finds reichlich irrelevant - und unter Umständen können Anachronismen ja auch Spaß machen.

Zweifellos können sie das.  Man kann auch heute noch Neuromancer lesen und Spaß daran haben, und auch heute noch CP-Rollenspiele spielen, obwohl der Cyberpunk heute in vieler Hinsicht "überholt" ist und man als Autor damit keinen Blumentopf mehr gewinnen kann ;)

Aber was Arkam zu den regeltechnischen Problemen des CP-Rollenspiels (Stichwort: Cyberware kaufen, Stichwort: Hacking) sagt, stimmt schon.  In der CP2020-Runde, wo ich '90 mal mitspielte, hatten die anderen Spieler immer wieder Pause, wenn die Hackerin ihren Netrun abzog.  Das funktionierte spieltechnisch nicht so besonders.
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schwarzkaeppchen

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #29 am: 27.04.2012 | 20:16 »
Zitat
hatten die anderen Spieler immer wieder Pause, wenn die Hackerin ihren Netrun abzog.  Das funktionierte spieltechnisch nicht so besonders.

Was da gut klappt ist die anderen einzubinden ... Inception macht als Film zB ganz gut vor wie - da wird das Hacken einfach ein weiterer Run für die ganze Gruppe. :)

Offline anachronist

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #30 am: 27.04.2012 | 23:42 »
Ich glaube, dass Cyberpunk aus der Stimmung der 80er heraus zu verstehen ist. Es geht gar nicht um Unterdrückerstaaten, sondern um den Verlust eines Konzeptes wo in der Welt rechts und links sind. In den 80ern war die Welt sehr klar zwischen zwei Seiten aufgeteilt Ost und West. Was Gibson getan hat, war die Frage zu stellen, was, wenn es den Schlagabtausch zwischen den beiden Seiten nicht geben wird, wenn all die Hysterie sich totläuft. Wie würde sich die Gesellschaft entwickeln, die so orientiert ist auf diesen Konflikt, bewaffnet, idealisiert, panisch? Seine These war, dass sich die Menschen der westlichen Welt in immer absurderem Maße dem Zeitgeist hingeben würden, der sich zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem dritten herausgebildet hat. Und weil der dritte eben nie kam, treibt das Verhalten eben heftigste Blüten. Also zerbröckelt alles langsam und an die Stelle von Staat und Nationaler Identität treten Betriebszugehörigkeit, Subkultur, Parallelwelten. Diese bieten jedoch keine echten Identitäten mehr und so versinken die Protagonisten der Cyberpunkgeschichten in einsamer Beliebigkeit.

Die Auflösung der Identität erfolgt jedoch nicht nur auf sozialer und psychischer Ebene sondern auch auf der physischen. Körperteile verlieren ihre Relevanz, werden verändert oder modifiziert, oder auch zum Instrument einer Identitätsstiftung benutzt. Doch auch dies bleibt hoffnungslos. Der Mensch hat sich in der selbst konstruierten Welt unrettbar verloren und ist ein Fremdling.

Diese Trostlosigkeit kann ein Rollenspiel ja gar nicht auffangen, weil es im Cyberpunk schon gar keine Gruppen geben kann. Es gibt ja keine echten Beziehungen mehr. Die einzigen dichten menschlichen Verbindungen sind Glaubengemeinschaften, die irgendwie realitätsfern und verrückt wirken.

Cyberpunk ist letztendlich die Absage an den Kapitalismus als befriedigende Gesellschaftsform, weil er ihn konsequent zuende denkt. Alles was vermarktbar gemacht werden kann, wird vermarktet, alles was nicht vermarktbar ist wird vollständig entwertet. Zurück bleibt aber nicht eine wundervolle glückbringende Warenwelt, sondern die Erkenntnis, dass es das irgendwie auch nicht war.

Spielercharaktere aber sind megakapitalistische Konzepte. Man investiert Zeit und Energie und das setzt sich um in Wachstum und Machtgewinn. Virtuell natürlich. Viel Geld einzunehmen ist gut, weil man mehr Cyberware oder Waffen kaufen kann wodurch man Aufträge annehmen kann für die man dann noch mehr Geld einnehmen kann. Das ist Kapitalismus. Ich habe mich übrigens schon damals bei SR1 gefragt, warum mein Charakter so blöde ist, sich für 400.000 Creds Cyberware zu kaufen, statt eine Hacienda in Belize, wo er dann den Rest seines Lebens Daiquiris schlürfen kann.

Postcyberpunk und Transhumanismus stehen auf einem ganz anderen Blatt Papier und sind wesentlich aktueller. Ich glaube nicht, dass man die im Zusammenhang mit Cyberpunk sehen kann. Das wäre genauso wir die Moderne und die Postmoderne in einen Topf zu werfen.


schwarzkaeppchen

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #31 am: 28.04.2012 | 10:04 »
Interessante Interpretation des Genres. Meine ist davon in vielen Punkten grundverschieden. :D

Aber eine Diskussion darüber was denn "echte Identitäten" (nationale Identität als weniger artifiziell??? nee, nee, is klar ;D ) oder "echte Beziehungen" sein sollen, warum zB Protagonist*innen in Gruppenform nicht denkbar sind (Armitage, Molly, Case, Dixie Flatline, Maelcum und Riviera sind doch eigentlich ne echt formidable RPG-Truppe) und wieso Spielchraktere zwangsläufig megakapitalistische Konzepte sein sollen (System matters?) geht hier noch mehr vom Schuss ab.

Postcyberpunk und Transhumanismus sind genauso vergebliche Versuche viele verschiedenste literarische Werke in einen Topf zu werfen wie "Cyberpunk". Die Grenze ist wie immer extrem liquide.
Der Vergleich "Moderne" - "Postmoderne" geht mir da ein bisschen zu weit. Wenn ich jetzt die Werke die in den 7 Jährchen von Neuromancer bis Snowcrash erschienen sind als den "Cyberpunk-Kanon" fasse definiere ich das Genre ohnehin besser über New Wave Frisuren und Rockmusik. Ich kann sagen "Da ist der Startpunkt des Genres und jetzt fächert es weiter auf." Ein Todesdatum festzustellen wird dagegen nicht gelingen. Ist letztendlich aber wie Waldviech schon anmerkte total irrelevant, weil extremst subjektiv. Und daher ist ein Tonfall der "endgültige Wahrheiten" verkündet hier wohl auch falsch am Platz. ;)

Offline anachronist

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #32 am: 28.04.2012 | 10:42 »
Nur eine schnelle Antwort vom Telefon- bezüglich der Identität. Natürlich ist eine nationale Identität ein reines Konstrukt und in sich auch überhaupt nicht schlüssig. Aber es ist eine tradierte Identität, derer sich viele Leute bedienen und die ein Vakuum zurücklässt, das schwer zu füllen ist.

Und was den Tonfall angeht, sollte es völlig klar sein, dass das was ich geschrieben habe, meine Meinung ist und weder gedacht noch geeignet ist, andere Meinungen zu korrigieren. Und das haut ja auch hin, was man daran erkennt, dass du deine behältst. Alles andere wäre schrecklich.
« Letzte Änderung: 28.04.2012 | 12:07 von anachronist »

Offline Agent_Orange

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #33 am: 28.04.2012 | 20:32 »
Hi.

Diesen kleinen Ausritt in die Einschätzung, wo denn mögliche Grenzen oder Themenschwerpunkte für CP zu finden sind, befeuert die Antwort auf die Ausgangsfrage. Meine Zwischenthese wäre jetzt vorerst diese:

Wenn ich ein Cyberpunk-Rollenspiel spielen wollte, würde es zum einen auf das Produkt ankommen, welches zumindest einen, aber dafür den entscheidenden Teil meines Verständnisses von CP erfüllt. ich treffe eine Produktwahl, die mich in meiner vorgefasten oder sogar kaum vorhandenen Vorstellung von Cyberpunk bestätigt und durch sein Setting dann meine Vorstellung von Cyberpunk sogar maßgeblich prägt. Insofern scheint es wohl eher die Ausnahme zu sein, dass sich jemand für ein Cyberpunk-Rollenspiel wegen des Settings entscheided.
Die Ausnahme hier ist eben, dass jemand eine eigene, von Rollenspielen weit-, weitestgehend bis vielleicht sogar völlig unabhängige Vorstellung von Cyberpunk pflegt, die er dann spielerisch zu lösen versucht. In diesem Fall findet dann eine Auswahl nach dem Spielsystem, und eben nicht nach Produktart bzw. Setting statt.

Das ist zumindest das, was ich bisher hier aus diesem Thread insgesamt herauslese.

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Offline WeepingElf

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #34 am: 28.04.2012 | 21:05 »
Hi.

Diesen kleinen Ausritt in die Einschätzung, wo denn mögliche Grenzen oder Themenschwerpunkte für CP zu finden sind, befeuert die Antwort auf die Ausgangsfrage. Meine Zwischenthese wäre jetzt vorerst diese:

Wenn ich ein Cyberpunk-Rollenspiel spielen wollte, würde es zum einen auf das Produkt ankommen, welches zumindest einen, aber dafür den entscheidenden Teil meines Verständnisses von CP erfüllt. ich treffe eine Produktwahl, die mich in meiner vorgefasten oder sogar kaum vorhandenen Vorstellung von Cyberpunk bestätigt und durch sein Setting dann meine Vorstellung von Cyberpunk sogar maßgeblich prägt. Insofern scheint es wohl eher die Ausnahme zu sein, dass sich jemand für ein Cyberpunk-Rollenspiel wegen des Settings entscheided.

Hmmm.  Ich denke, das kann man nicht verallgemeinern.  Es gibt sicher Leute, die sagen, "Ich will so was wie Gibsons Neuromancer-Trilogie spielen", und sich nach diesem Kriterium ein System aussuchen (und dann wahrscheinlich bei GURPS mit einer selbstgebastelten Welt landen ;) ).  Aber es gibt wahrscheinlich noch mehr Leute, die ein RPG sehen und sagen "Hey, cool, das wär mal was!" und deshalb Shadowrun, CP2020 oder weiß der Geier was spielen, ganz egal, was die Autoren des "Cyberpunk-Kanons" (die man eh nicht über einen Kamm scheren kann) geschrieben haben.  Insofern hast Du nicht ganz unrecht.

Ich habe vor vielen Jahren mal in einer Rollenspielzeitschrift einen Artikel über Cyberpunk (das literarische Genre) gelesen, der unpassenderweise mit Bildern aus dem Shadowrun-Grundregelwerk illustriert war, auf denen dann Elfenmagier und Trolle mit dicken Schießen zu sehen waren - was ja nun nicht zum eigentlichen Cyberpunk gehört!

Zitat
Die Ausnahme hier ist eben, dass jemand eine eigene, von Rollenspielen weit-, weitestgehend bis vielleicht sogar völlig unabhängige Vorstellung von Cyberpunk pflegt, die er dann spielerisch zu lösen versucht. In diesem Fall findet dann eine Auswahl nach dem Spielsystem, und eben nicht nach Produktart bzw. Setting statt.

Ja.  Er wird ein System auswählen, das seiner subjektiven Vorstellung von Cyberpunk am ehesten entspricht.  In den meisten Fällen wird das wohl nicht das "fantasyverseuchte" Shadowrun sein (dass dieses dennoch Marktführer ist, zeigt, dass die hier angesprochene Sorte von Cyberpunk-Rollenspieler eine Minderheit darstellt), sondern eher CP2020 oder GURPS Cyberpunk.  Vor allem letzteres lässt sich ja schön auf jede beliebige Spielart des Cyberpunk zurechtfrickeln.
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Offline Jiba

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Re: Ist "Cyberpunk" eine Systemfrage?
« Antwort #35 am: 28.04.2012 | 21:08 »
(und dann wahrscheinlich bei GURPS mit einer selbstgebastelten Welt landen ;) )

Netter Versuch...  >;D
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini