Autor Thema: Dein Charakter existiert nicht!?  (Gelesen 11283 mal)

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Offline Praion

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Dein Charakter existiert nicht!?
« am: 27.10.2012 | 20:07 »
Gerade von Luke Crane wird gerne postuliert, dass die rollenspielcharaktere nicht existieren. Jede Handlung wird ja IMMER vom Spieler geführt und gesetzt, das ist nichts neues. "Mein Charakter würde das nie tun" ist ja keine Ausrede. Trotzdem trifft die These gerne mal auf widerstand da gerade in Momenten von "totaler immersion" Entscheidungen getroffen werden über die man als Spieler sich nachher wundert(ich könnte jetzt mit George herberd mead kommen aber lassen wir das mal weg) aber man wird ja nicht auf einmal von der fiktionalen Gestalt übernommen. Jede Entscheidung am Rollenspiel trifft immer noch Max (oder die Würfel) selber.
Gibt es irgendetwas, das gegen die Aussage spricht? Ist die einfachnnur zu gemein zu Leuten die ihre fiktionalen Freunde einfach zu lieb haben?
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Jason Corley

Eulenspiegel

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #1 am: 27.10.2012 | 20:14 »
Existiert Liebe oder Hass? Oder sind das einfach nur Fiktionen, die in unserem Köpfen sind?

Und "Mein Charakter würde das nie tun" ist eigentlich nur die Kurzform für: "Wenn ich meinen SC anders handeln lasse, dann empfinde ich meinen SC nicht mehr als glaubwürdig und mein Suspension of Disbelief wird über alle Maße strapaziert, was mir als realen Spieler den Spielspaß versaut."

Aber weil dieser Satz halt etwas lang ist, kürzt man den ganzen Satz halt gerne ab zu  "Mein Charakter würde das nie tun." (Aber gemeint ist eigentlich oberer Bandwurmsatz.)

ErikErikson

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #2 am: 27.10.2012 | 20:17 »
naja, man kann von einem menschen sagen: "Er ist tot, lebt aber in meiner Erinnerung weiter. Und wenn ich Probleme habe, überlege ich mir, was er mir geraten hätte."
Ein imaginärer Mensch kann durchaus Auswirkung auf das Verhalten haben und existiert somit in einer gewissen Form.  

Online Maarzan

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #3 am: 27.10.2012 | 20:18 »
Charaktere existieren nicht als Personen, aber als Konstrukte. Und Teil der Betätigung und wenn er dem Wert zuweist wohl auch des Spielspaßes von Max ist eben damit die selbstgewählte Beschränkung auf die Natur dieses Konstruktes, da mit dieser Beschränkung das Ganze dann erst Bedeutung erlangt. Der Bauer im Schach ist auch nicht physisch an 1 Feld vor gebunden, aber wenn jeder die Figur hinsteleln könnte wo er will, ist es eben kein Schach mit den daran gebundenen Reizen mehr.

Ich werte solche Aussagen als Versuch durch bewußtes Missverstehen die Position des gegenüber auf ein absurdes Exterm zu schieben, um dann dagegen anzugehen statt sich mit der eigentlichen Aussage auseinander zusetzen- und damit als unredlich.
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Offline Skele-Surtur

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #4 am: 27.10.2012 | 20:21 »
Existiert Liebe oder Hass? Oder sind das einfach nur Fiktionen, die in unserem Köpfen sind?

Und "Mein Charakter würde das nie tun" ist eigentlich nur die Kurzform für: "Wenn ich meinen SC anders handeln lasse, dann empfinde ich meinen SC nicht mehr als glaubwürdig und mein Suspension of Disbelief wird über alle Maße strapaziert, was mir als realen Spieler den Spielspaß versaut."

Aber weil dieser Satz halt etwas lang ist, kürzt man den ganzen Satz halt gerne ab zu  "Mein Charakter würde das nie tun." (Aber gemeint ist eigentlich oberer Bandwurmsatz.)
I totally second this. Außerdem existieren Rollenspielercharaktere natürlich in unseren Gedanken durchaus. Das ist nicht zu vergleichen mit einer realen, greifbaren Existenz. Aber es ist dennoch eine Existenz. Gedanken existieren schließlich auch.

Und manch einer meiner Charaktere hatte größeren Einfluss auf mein Leben, als viele reale Personen, die irgendwo auf der Weltkugel vorsichhinexistieren. Da gabs auch mal eine echt witzige Southparkfolge zu. ;)
« Letzte Änderung: 27.10.2012 | 20:24 von Surtur »
Doomstone ist die Einheit in der schlechte Rollenspiele gemessen werden.

Korrigiert meine Rechtschreibfehler!

Offline Praion

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #5 am: 27.10.2012 | 20:22 »
Das funktioniert aber doch nur, wenn man ein sehr sehr fertiges Bild von seinem Charackter hat und sich weder vom Spiel noch von seinen eigenen Entscheidungen da zu irgendwas überraschen lassen. Sprich Entscheidungen die man trifft und die nicht zu vorher gesetzten Sachen passen müssen nicht falsch sein. Sie können genauso eine Veränderung oder neue Fassete zeigen. Genausomglsube ich aber auch, dass der Charakter eh nicht nur dem Spieler alleine gehört sondern allen am Tisch ein wenig und seinem Spieler am meisten. Wenn X auf einmal die Knarre aufhebt und anfängt Wild rumzuballern muss das kein bruch (in Charakterisierung oder SoD) sein sondern einfach das Ergebniss der Umstände. Kann man sich als Spieler dann fragen was das jetzt weiterhin bedeutet. Allerdings klingt das gerade sehr danach als Sage ich der Charakter existiert doch. Seltsam seltsam...
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El God

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #6 am: 27.10.2012 | 20:28 »
Der Charakter existiert nicht. Die Eigenschaften und Attribute, die dem Charakter zugeschrieben werden, sind nur ein Vehikel, die der Spieler benutzt, um in einer bestimmten Weise Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen. Wer sich einen starken Kämpfer bauen will, will Ärsche treten, wer sich einen weisen Gelehrten baut, will einen Grund haben, altklug zu schwätzen, wer sich einen absonderlichen Exoten baut, will einen Grund haben, sich daneben zu benehmen.

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #7 am: 27.10.2012 | 20:42 »
Zwischen erstarrtem Charakter und beliebigem Chaos liegt ein sehr breites Feld an Möglichkeiten.
Und wenn da dann eine Entwickjung / Veränderung kommt, haben für meinen Geschmack dann bitte auch die Umstände entsprechend zu sein, und zwar nicht auf dem Niveau "Es könnten auch Marsmännchen ihn gedankenkontrolliert haben" ... .   
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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #8 am: 27.10.2012 | 20:43 »
Die einzige Erklärung, warum ein Charakter im Rollenspiel auf eine bestimmte Weise handelt ist und bleibt: Der Spieler will es so. Alles andere ist nachträglich hinzu erzählt.

Offline Praion

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #9 am: 27.10.2012 | 20:50 »
Die einzige Erklärung, warum ein Charakter im Rollenspiel auf eine bestimmte Weise handelt ist und bleibt: Der Spieler will es so. Alles andere ist nachträglich hinzu erzählt.

Oder der SL/die Würfel wollen das so. Die Möglichkeit gibt es auch immer noch.
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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #10 am: 27.10.2012 | 20:53 »
Die Frage ist dann aber : Warum will der Spieler dass? Damit sind wir wieder beim: Weil der erdachte Charakter das so machen würde.
Und warum hat der Spieler den Charakter so erschaffen, dass er das so machen würde: Weil er sich davon entsprechenden Spielspaß verspricht!


Und damit sind wir wieder bei Eulenspiegel.
 

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Offline GIGiovanni

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #11 am: 27.10.2012 | 21:02 »
man könnte auch fragen was war zu erst da;

das Huhn oder das Ei  ~;D

Offline D. Athair

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #12 am: 27.10.2012 | 21:09 »
Was Maarzan in seinem ersten Beitrag schrieb.
Andererseits kann man auch Crane und seine Provokation ad absurdum führen, indem man ihm mit gewissen Erkenntnistheoretikern antwortet, dass unsere "Realität" Konstrukt ist, deren Existenz sich objektiv nicht belegen lässt.

Wie dem auch sei: Weder Cranes bloße Behauptung noch eine schlüssige Verurteilung oder Bestätigung derselben hat für mich einen Mehrwert. Einfach deshalb, weil man niemandem mehr erzählen muss, dass sein SC mehr als eine fiktive Gestalt ist. Was das - gerade im Zusammenhang mit Spielen - bedeutet, ist wohl jedem klar.

Spätestens seit er zum ersten Mal was von Theater gehört hat.
« Letzte Änderung: 27.10.2012 | 21:11 von Athair »
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El God

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #13 am: 27.10.2012 | 21:13 »
Zitat
Einfach deshalb, weil man niemandem mehr erzählen muss, dass sein SC mehr als eine fiktive Gestalt ist. Was das - gerade im Zusammenhang mit Spielen - bedeutet, ist wohl jedem klar.

Na ganz offensichtlich haben einige Leute da wohl doch nicht die richtigen Schlüsse draus gezogen. Sonst würde doch niemand auf die Idee kommen, sich im Spiel wie ein Arschloch zu benehmen und dann den fiktiven Charakter als Erklärung vorzuschieben.

Edit: Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, das absichtlich falsch zu verstehen: Das bezieht sich wirklich ausschließlich auf Arschloch-Aktionen. Method-Acting, das immer dann unterbrochen wird, wenn es den Spielfluss stört bzw. das Spielerlebnis zerstört, zählt für mich noch lange nicht unter die Fraktion "Mein Charakter ist halt so."
« Letzte Änderung: 27.10.2012 | 21:15 von La Dolge Vita »

Offline D. Athair

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #14 am: 27.10.2012 | 21:26 »
Bei mein "Charakter ist halt so" geht es um die alleinige, sakrosankte Kontrolle der Spielfigur durch den entsprechenden Spieler.
Das hat noch nicht mal was mit Method Acting zu tun, sondern mit dem Vorschieben einer falschen Spielprämisse.

(Der Storyteller zieht sich auf das Argument zurück, wenn sein SC ständig Streit anfängt, um tolle neue Plothooks und Wendungen ins Spiel zu bringen. Der Buttkicker tut das, um sein NSC-Schnetzeln zu rechtfertigen. Usw.)

Ich denke, dass das Problem von "Mein Charakter ist halt so!" von den Regelwerken kommt, die erklären man könne sein/eine Figur spielen wie Frodo, nur, dass man selbst - als Spieler in Gestalt der Spielfigur - tun und lassen könnte, was man will. Dass RSP unter einem derartigen SC-Rollenverständnis schief gehen muss, ist klar. Schließlich handelt es sich beim RSP um eine solziale Aktivität und nicht um Solospiel.



Mit Crane hat das aber eigentlich gar nix zu tun.
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Eulenspiegel

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #15 am: 27.10.2012 | 21:30 »
Das funktioniert aber doch nur, wenn man ein sehr sehr fertiges Bild von seinem Charackter hat und sich weder vom Spiel noch von seinen eigenen Entscheidungen da zu irgendwas überraschen lassen.
Es muss nichtmal ein fertiges Bild sein. Angenommen, ich habe eine vage Vorstellung davon, dass ich eine Art Robin Hood, Kämpfer für die Entrechteten spielen will. Keine genaue Vorstellung, nur so eine vage Idee in diese Richtung.

Und der Plot sieht jetzt vor, dass wir eine vom König ausgesandte Strafexpedition gegen einen Bauernaufstand unterstützen. Da würde ich auch sagen, dass mein SC das nie tun würde. Ich habe keine genaue Vorstellung vom Char. Aber, dass er DAS nicht tun würde, weiß ich auch so.

Die einzige Erklärung, warum ein Charakter im Rollenspiel auf eine bestimmte Weise handelt ist und bleibt: Der Spieler will es so. Alles andere ist nachträglich hinzu erzählt.
Bestreitet ja auch keiner. Die Frage ist: WARUM will der Spieler das so?

Offline Bad Horse

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #16 am: 27.10.2012 | 21:39 »
Das Problem taucht doch dann auf, wenn es auf der Spielerebene irgendwo Ärger gibt, weil im Spiel irgendein Charakter einen anderen Charakter in nicht vorhergesehener und nicht erwünschter Art und Weise an den Karren gefahren ist.

Das Problem existiert aber auf Spielerebene, weil einer der Spieler das Gefühl hat, der andere Spieler hätte mit seiner Aktion gegen eine explizite ("wir spielen kein PvP") oder implizite ("im Rollenspiel spielt man doch immer in einer Gruppe und geht nicht gegeneinander vor") Abmachung verstoßen.

Die Entschuldigung "Mein Charakter ist halt so" schiebt aber die Spielebene als Ausrede vor für den gefühlten Verstoß vor. Richtiger wäre es in dem Fall, sich auf die Abmachung zu beziehen ("ich habe das noch nicht als PvP gesehen" oder "wir spielen zwei völlig entgegengesetzte Charakterkonzepte; ich dachte, dir wäre klar und du wärst einverstanden, dass es da zu Konflikten kommt").

Deswegen ist "Dein Charakter existiert nicht" eine ziemlich sinnvolle Erwiderung - der verärgerte Spieler ärgert sich ja nicht über den Charakter, sondern über seinen Mitspieler.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity.

Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

Ein Pao ist eine nachbarschaftsgroße Arztdose, die explodiert, wenn man darauf tanzt. Und: Hast du einen Kraftsnack rückwärts geraucht?

Offline D. Athair

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #17 am: 27.10.2012 | 21:43 »
Deswegen ist "Dein Charakter existiert nicht" eine ziemlich sinnvolle Erwiderung - der verärgerte Spieler ärgert sich ja nicht über den Charakter, sondern über seinen Mitspieler.
Nicht wirklich.
Richtigerweise müsste man sagen: "Dein Charakter existiert nur auf dem Papier! Rede mit mir, wenn dich was stört!"

(Hätte auch den Vorteil, dass die Entgegnung nicht darauf beruht jemandem sein Spielzeug wegzunehmen, sondern auf einer Realität.)
« Letzte Änderung: 27.10.2012 | 21:44 von Athair »
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El God

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #18 am: 27.10.2012 | 21:44 »
Für mich käme das aufs Gleiche hinaus. Ich hatte so eine Situation bisher ein einziges Mal, da habe ich allerdings auch nicht gesagt "Dein Charakter existiert nicht" sondern "Dein Charakter macht nur das, was du willst".

Shield Warden

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #19 am: 27.10.2012 | 21:47 »
Der Charakter existiert nicht. Die Eigenschaften und Attribute, die dem Charakter zugeschrieben werden, sind nur ein Vehikel, die der Spieler benutzt, um in einer bestimmten Weise Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen. Wer sich einen starken Kämpfer bauen will, will Ärsche treten, wer sich einen weisen Gelehrten baut, will einen Grund haben, altklug zu schwätzen, wer sich einen absonderlichen Exoten baut, will einen Grund haben, sich daneben zu benehmen.

Das klingt jetzt sehr danach, dass Charaktere nur Mittel zum Zweck sind. Als alleinige Vehikel würde ich sie nicht begreifen. Wenn ich ein Videospiel betrachte, ist die Figur, der "Avatar" tatsächlich oft (meist) nur Mittel für den Spieler, stellvertretend durch seine Augen in die Spielwelt zu gelangen. Beim Rollenspiel würde ich das nicht behaupten, bzw. nicht immer. Wenn ich einen Charakter erschaffe, der durch eine gewisse Erfahrenswelt geht und Emotionen empfindet (die ich ihm zuspreche) wird das ein durchaus existentes Konstrukt, wie es auch genannt wurde. Wenn ich dann anfange, Entscheidungen basierend auf dem zu treffen, was die Figur aufgrund meiner Plausibilität machen oder tun würde, wird die Figur mehr als nur eine Puppe, an deren Fäden ich ziehe. Die Puppe selbst gewinnt Motivationen und der Wille, den ich als Spieler führend einbringe, ist letztlich der zur Plausibilität. Ich finde, das sollte man nicht verwechseln. Wie soll sich eine Emotion zum Geschehen aufbauen, wenn ich es letztlich nicht auf die Figur, sondern auf mich beziehe, da die Spielfigur ja nur ein Vehikel ist? Letztlich spiele ich mich dann ja "nur" selbst im Kostüm. Das machen sicher viele, einige finden das auch besser als eine andere Herangehensweise - aber es ist nicht Einzige, würde ich behaupten.

Die einzige Erklärung, warum ein Charakter im Rollenspiel auf eine bestimmte Weise handelt ist und bleibt: Der Spieler will es so. Alles andere ist nachträglich hinzu erzählt.

"Der Spieler will es so" reicht mir hier aber nicht unbedingt als Erklärung, weil es missverstanden werden kann. Eulenspiegel hat es schon angesprochen: warum will er das? Weil er auf der Meta-Ebene ein Ziel erreichen will oder weil er findet, dass es plausibel für den Charakter ist, selbst wenn es dem Ziel entgegenläuft? Bei letzterem Punkt kommen wir natürlich schnell in die Falle der Spieler, die hier häufig (meiner Meinung nach) zurecht kritisieren und die der Figur ein Eigenleben zusprechen, um sich von der Verantwortung freizusprechen. Und ich denke, darauf wolltest du letztlich auch hinaus: die Verantwortung für die Handlungen der Figur hat immer der Spieler, ganz egal wie sehr er sich reindenkt, er entscheidet. Er kann sich ja theoretisch auch dagegen entscheiden, im Zuge der Figur plausibel zu handeln, wenn es für das Spiel und die anderen Mitspieler zuträglich ist. Und letztlich ist es ja auch diese Erwartung, die man hier vielerlei (auch zurecht) rausliest. Man spielt eben nicht alleine und es geht um den Spielspaß aller.
« Letzte Änderung: 27.10.2012 | 21:49 von Shield Warden »

El God

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #20 am: 27.10.2012 | 21:59 »
Im Grunde kann ich dir zustimmen. Wie Bad Horse schon dargelegt hat, stellt man die hier angeführten Überlegungen ohnehin nur im Extremfall an - wenn man eine Aktion eines Mitspielers als extrem spielstörend empfindet. Bis zu diesem Punkt ist es mir offiziell völlig wurscht, aus welcher Motivation heraus sich Handlungen ergeben.

Offline Arkam

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #21 am: 27.10.2012 | 22:46 »
Hallo zusammen,

natürlich existiert kein Rollenspiel Charakter in der Realität.
Aber ich habe Charaktere gespielt bei denen ich immer wieder auf das Charakterdatenblatt schauen musste oder mir überlegen musste wie der Charakter wohl handeln würde.
Und ich habe Rollenspiel Charaktere gespielt die sich fast von alleine gespielt haben. Das hat sich weniger bei Entscheidungen im Kampf gezeigt sondern in Gesprächen in denen es auch schon Mal um Dinge ging die eben nicht auf dem Charakter Datenblatt stehen.
In den radikalsten Fällen war es fast so als würde der Charakter mich bespielen und nicht umgekehrt, ist mir ein Mal in 25+ Jahren Rollenspiel passiert.

Gruß Jochen
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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #22 am: 27.10.2012 | 23:50 »
Halle,

als Eröffnung mal ein Zitat, das mir gestern zwei Autoren zum Schreiben von Büchern gesagt haben:

Die Figuren in einem Buch tun manchmal Dinge von selber, der Autor schreibt sie nur nieder ohne drüber nachzudenken.

Zu den Thema. "Mein Charakter würde das nie tun" ist IMHO eine unglaubliche Verkürzung von einem schwierigen Sachverhalt.

Ich spiele Rollenspiel, um in die andere Welt abzutauchen und diese Welt zu erleben.

Das heißt natürlich, das die Figur so denkt und handelt, wie es ein Bewohner der Welt tun würde. Sie ist so religiös wie es ein Bewohner der Welt tun würde, auch wenn ich Atheist bin. Sie handelt ritterlich und Ehrenhaft wie es normal ist, auch wenn ich das für dumm halte. Sie ist so hinterlistig und intrigant, auch wenn ich das nicht bin. Oder sie ist brutal und grausam, auch wenn ich das nicht bin.

In dm Sinne gilt für mich: Mein Charakter handelt so, wie es es halt tun würde.

Das heißt aber NICHT, das ich nicht trotzdem auf die Gruppe achten kann und auf sie Rücksicht nehmen würde (abgesehen davon, bei der Charaktererstellung gleich drauf zu achten oder sich abzusprechen, was denn so genehm ist) und meine Handlungen innerhalb eines gewissen Rahmens anpassen kann.

Die Auflistung weiter oben mit Buttkicker, Exot etc. halte ich für Blödsinn. Einen Exoten spiele ich, weil es mich reizt, etwas fremdes zu spielen. Das hat nichts mit daneben benehmen zu tun, denn ich kann mich exotisch verhalten, ohne asozial zu sein.



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Offline ArneBab

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #23 am: 28.10.2012 | 00:12 »
Die Figuren in einem Buch tun manchmal Dinge von selber, der Autor schreibt sie nur nieder ohne drüber nachzudenken.
Das wollte ich auch gerade schreiben :)

Ein Autor muss manchmal die Geschichte ändern, damit seine Figuren tun, was notwendig ist - und manchmal auch die Geschichte ändern, weil die Figuren nicht wollen.

Vielleicht sind das Konstrukte, aber macht sie das weniger real? Was ist meine eigene Persönlichkeit anderes als ein Konstrukt meiner Erziehung, meiner sozialen Prägung und meiner eigenen Arbeit an meiner Psyche?

Was unterscheidet mein eigenes Selbst von dem meines Charakters - abgesehen davon, dass mein eigenes Selbst viel mehr Zeit hatte, sich zu festigen?

Aber auch ich kann gegen einige meiner Überzeugungen handeln, wenn ich es aus irgendwelchen Gründen für das Beste halte (logischerweise nicht gegen alle, denn welchen Grund sollte ich haben gegen alles zu handeln, das mir einen Grund gibt zu handeln?).
« Letzte Änderung: 28.10.2012 | 00:15 von ArneBab »
1w6 – Ein-Würfel-System — konkret und direkt, einfach saubere Regeln.
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Flyerbücher — Steampunk trifft Fantasy — auf einem Handzettel.
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El God

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Re: Dein Charakter existiert nicht!?
« Antwort #24 am: 28.10.2012 | 00:17 »
Zitat
Was unterscheidet mein eigenes Selbst von dem meines Charakters

Eeehm. Mal ehrlich unter uns Psychiatern: Wenn du das nicht weißt, bin ich mir nicht sicher, ob du Rollenspiel überhaupt spielen solltest... das könnte für dich gefährlich sein.