Autor Thema: Ist das Geheimhalten von Charakterwissen überhaupt realistisch?  (Gelesen 2208 mal)

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Taschenschieber

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Moin,

weil ich keine Lust habe, den Thread nebenan damit vollzuspammen, das Thema mich aber durchaus interessiert:

Wie weit ist es realistisch betrachtet überhaupt möglich, den Spielern nur Charakterwissen zu geben?

Meine These ist: Eine konsequente Geheimhaltung von OT-Wissen ("Spielerwissen" klingt etwas holprig, wenn es um Dinge geht, die die Spieler eben nicht wissen ;) ) ist genau so unweigerlich zum Scheitern verurteilt wie mein Vorhaben, einen passenden Vergleich für diesen Satz zu finden. Warum? Ganz einfach: Weil es dazu erforderlich ist,

a) sämtliche Regelmechaniken vom SL handzuhaben, damit bloß keine Spielwerte oder auch nur Regeln geschlussfolgert werden können,
b) das Spiel immer wieder zu unterbrechen, um einzelnen Spielern Infos zu geben, die die Charaktere der anderen Spieler nicht wissen und
c) vollständig auf dramaturgische Erwägungen (Dauer einer Sitzung vs. Dauer eines "Kapitels", Handlungsaufbau, Charakterarchetypen) zu verzichten, da auch diese OT-Wissen schaffen.

Gerade Punkt b - der imho der kritischste der drei ist, gerade wenn die SCs nicht aus Meta-Erwägungen aufeinander abgestimmt wurden - ist meiner Erfahrung nach ein gigantischer Spielzeitkiller, der noch dazu immer wieder massiv mit der Immersion bricht, weil das Spiel unterbrochen werden muss. In geringerem Maße gilt das natürlich auch für Punkt a.  Wenn Immersion gerade das Ziel dieser Geheimhaltung ist, ist das glattweg kontraproduktiv.

Allerdings habe ich mit diesem Spielstil als Buttkicker/Storyteller auch deutlich weniger Erfahrung (die meine Thesen allerdings bisher eher bestätigt) als die hier anwesenden Method Actors und würde gerne auch empirischen Input dazu haben. Also, wie sieht das in der Praxis aus- machbar oder für die Immersion lieber drauf verzichten?

[Darum, ob Immersion überhaupt wünschenswert ist, soll es hier bitte nicht gehen. In meinen Augen ist sie das nicht, aber ich denke, we agree to disagree.]

Gruß,
Stephan

El God

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Gab es hier nicht einen Thread mit einer Zombie-Kampagne, in der der SL es genau so gehandhabt hat? Ich finde den Ansatz ja auch ziemlich extrem und für mich persönlich unpraktikabel und will dir nur ungern in den Rücken fallen... wenn die Gruppe das will, sollte es schon irgendwie gehen...

Taschenschieber

  • Gast
Gab es hier nicht einen Thread mit einer Zombie-Kampagne, in der der SL es genau so gehandhabt hat?

Gab es. Da ich aber von Einzelpersonen aber schon öfter gehört habe, dass ihre Trainwrecks perfekt funktionieren, hätte ich doch lieber eine etwas breitere Basis für eine empirische Diskussion.

Mir geht es auch weniger darum, ob die Extremform überhaupt machbar ist, sondern wie weit man sich dem Ideal mit wie viel "Reibungsverlusten" annähern kann.

El God

  • Gast
Ok. Ich behaupte mal: Es geht, aber nur, wenn die ganze Gruppe mitzieht. Tendenziell eher mit unerfahrenen/frischen Spielern als mit erfahreneren.

Eulenspiegel

  • Gast
Also ich denke, Sachen, die keine Entsprechung in der Spielwelt haben, können die Spieler schon wissen, ohne dass es zu Überschneidungen kommt. Problematisch wird es halt nur bei Wissen, das eine Entsprechung in der Spieltwelt hat.

Mal als Beispiel:
Beispiel: unproblematisches OT-Wissen:
Regel: Es wird ein aktiver Angriff gewürfelt, der von einer aktiven Parade gekontert werden kann.

Dieses Wissen hat keinerlei Entsprechung ingame. Daher kann der Spieler dieses Wissen jetzt durchaus kennen, ohne dass es zu Problemen mit möglichem Charakterwissen kommt.

Beispiel: problematisches OT-Wissen:
Der Gegner hat eine Parade von 16.

Das ist OT-Wissen, das aber auch eine Entsprechung ingame hat. Wenn der Spieler also erfährt, dass der Gegner PA 16 hat, dann könnte der SC einschätzen, wie gut der Gegner ingame parieren kann. Daher könnte hier das OT-Wissen zu Problemen mit dem Charakterwissen führen.

a) sämtliche Regelmechaniken vom SL handzuhaben, damit bloß keine Spielwerte oder auch nur Regeln geschlussfolgert werden können,
b) das Spiel immer wieder zu unterbrechen, um einzelnen Spielern Infos zu geben, die die Charaktere der anderen Spieler nicht wissen und
c) vollständig auf dramaturgische Erwägungen (Dauer einer Sitzung vs. Dauer eines "Kapitels", Handlungsaufbau, Charakterarchetypen) zu verzichten, da auch diese OT-Wissen schaffen.
a) Ist aus den oben genannten Gründen nicht nötig.
b) und c) ist problemlos möglich.

Wobei wir b) nur bei wichtigen Sachen machen und wenn der SC das evtl. vor den anderen geheimhalten will. Wenn es total unwichtig ist oder wenn der SC es anschließend eh erzählt, dann können die anderen Spieler ruhig zuhören.

c) Hier findet bei uns schon deshalb keine Trennung statt, weil wir im Vorfeld häufig nciht wissen, ob wir heute 4 Stunden oder 10 Stunden spielen. Und weil ein "Kapitel" bei uns nicht immer 1 Spielabend dauert. (Manche Kapitel dauern einen halben Spielabend. Andere Kapitel gehen 3-4 Spielabende lang.)

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« Letzte Änderung: 14.11.2012 | 14:42 von Eulenspiegel »

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Solche Runden kenne ich als 1zu1-Runden. Diese Runden hatten sogar jede Menge Zuschauer.
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Offline Jandalf

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a) sämtliche Regelmechaniken vom SL handzuhaben, damit bloß keine Spielwerte oder auch nur Regeln geschlussfolgert werden können,
b) das Spiel immer wieder zu unterbrechen, um einzelnen Spielern Infos zu geben, die die Charaktere der anderen Spieler nicht wissen
Plötzlich habe ich Lust auf eine Runde Paranoia. Das einzige System das ich kenne wo genau das regeltechnisch umgesetzt ist. Der SL kennt als Einziger die Regeln und die Spieler haben auch ein Interesse daran dass die anderen Spieler nichts über die eigenen Fähigkeiten wissen. Da allerdings das ganze System als Parodie zu verstehen ist wüsste ich auch gerne ob es Leute gibt die das auch im "normalen" Rollenspiel so umsetzen.

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Plötzlich habe ich Lust auf eine Runde Paranoia. Das einzige System das ich kenne wo genau das regeltechnisch umgesetzt ist. Der SL kennt als Einziger die Regeln und die Spieler haben auch ein Interesse daran dass die anderen Spieler nichts über die eigenen Fähigkeiten wissen. Da allerdings das ganze System als Parodie zu verstehen ist wüsste ich auch gerne ob es Leute gibt die das auch im "normalen" Rollenspiel so umsetzen.
Im "normalen" Rollenspiel haben wir das nicht gemacht. In Paranoia haben wir allerdings schon so gespielt. (Der Zettelblock, der für persönliche Infos verwendet wurde, war nach der Runde leer!)
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

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Wie weit ist es realistisch betrachtet überhaupt möglich, den Spielern nur Charakterwissen zu geben?

Es ist sehr gut möglich. Ich habe vor einigen Jahren eine mehrere Jahre lang dauernde Kampagne (würfellos, Amber) so geleitet. Sie gehört immer noch zu den besten Rollenspielerfahrungen, die ich jemals machen durfte.

Was du als SL den Spielern vielleicht zugestehen mußt, sind etwas mehr Freiheiten als traditionell. Erick Wujcick hat das mal als "lazy GM style" bezeichnet:

- Meine Spieler hatten die Freiheit, selbst "auf Tour" zu gehen, ohne mich als SL. Sie spielleiteten dann untereinander. Sobald sich irgendwas in ihren Augen Relevantes ergab, teilten sie mir das mit, und ich baute es dann ins Spiel ein.

- Das Zurseitenehmen eines Spielers, um ihm Dinge mitzuteilen, die nur sein Charakter wissen konnte, klappte hervorragend -- eben, weil ich alle Spieler immer und immer wieder ermunterte, selbst aktiv zu werden und auch dann weiterzuspielen, wenn ich nicht am Tisch war.

Einzige dringende Voraussetzung: Du brauchst "erwachsene" Spieler.
Mein DSA: das Aventurien der Erstauflage. KEIN METAPLOT. Das Aventurien eines Andreas Brandhorst und eines Bryan Talbot. Mit einem ordentlichen Schuß Yüce-Schnauzbartaction. Take that, Hartwurstfraktion.
Mein Shadowrun: Erstauflage ist König. 2050er go! Mit FKR/Freeform-Regeln.
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Pyromancer

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Ich hab das neulich auf dem :T:reffen gemacht, allerdings, ohne das Spiel zu unterbrechen, um den Spielern geheime Informationen zu geben. Dazu noch in Echtzeit. Das war anstrengend, aber richtig gut, definitiv nichts für meine regelmäßige Runde, aber als Besonderheit ab und zu behalte ich das auf jeden Fall im Hinterkopf.

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Jetzt wo der Mann ohne Zähne es erwähnt: Ich habe ähnliche Erfahrungen wie er mit Amber gemacht.
Darüber hinaus habe ich mal eine Kampagne geleitet, bei der ich die Stammspieler mit Con-Spielern (die mehr von der aktuellen Welt und von den eigentlichen Charakteren der Stammspieler wussten als die Stammspieler!) gemischt. Die Stammspieler mussten versuchen sich so sehr wie möglich in ihre Rolle zu finden, ohne dass die Charaktere der Con-Spieler bemerkten, dass da was nicht stimmte. Das war eine ziemlich interessante Spielerfahrung gewesen. :)
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Offline Hróđvitnir (Carcharoths Ausbilder)

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Gab es. Da ich aber von Einzelpersonen aber schon öfter gehört habe, dass ihre Trainwrecks perfekt funktionieren, hätte ich doch lieber eine etwas breitere Basis für eine empirische Diskussion.

Dann geb ich meine Facette. Ich war (und bin) ein großer Freund von Trennung, aber sie ist nur sehr begrenzt machbar. Als ich (so 1985 etwa) mal versucht habe, das in Reinform durchzuziehen, war es ein grauenvolles Erlebnis für alle inkl. meiner einer. Ein Zugunglück fürwahr, ein sehr häßliches dazu. Ich beschränke mich mittlerweile auf das Machbare und die Runde macht aktiv mit. Klappt wunderbar mit schönen Ergebnissen.

Von daher:

Zitat
Meine These ist: Eine konsequente Geheimhaltung von OT-Wissen ("Spielerwissen" klingt etwas holprig, wenn es um Dinge geht, die die Spieler eben nicht wissen  ) ist genau so unweigerlich zum Scheitern verurteilt

Stimmt.
I'm not nice. I'm on medication.

Butt-Kicker 75% / Tactician 75% / Method Actor 67% / Specialist 67% / Power Gamer 67% / Storyteller 58% / Casual 0% (Schubladen)

Zitat von: korknadel
Rollenspiele sollen bei Dir im besten Fall eine gewisse Schwermut, Resignation und Melancholie hervorrufen.

Zitat von: Dolge
Auf Diskussionen, was im Rollenspiel realistisch ist und was nicht, sollte man sich nie unter gar keinen Umständen absolut gar überhaupt vollständig nicht einlassen.

ErikErikson

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Die Krisensitzung gibt den Spielern keinerlei Regelwissen und die Spieler haben auch keinerlei OT-Wissen. Das kann etwas knatschig werden, wenn die Spieler durch ihre handlungen nicht das bekommen, was sie wollen, klappt aber im Allgemeinen hervorragend.

Offline Grey

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@Schieber: Mein erklärter Lieblings-SL hat das immer so gemacht, jedenfalls in hohem Maße. Er hat uns zwar nicht ausdrücklich daran gehindert, uns untereinander über die Werte auf dem Charakterbogen auszutauschen; sein Stil hat es aber ermutigt, die Werte der anderen im Grunde gar nicht wissen zu wollen, sondern lieber auf Grundlage dessen zu handeln, was man von den Aktionen her so mitbekommt. Und ja, er hat sehr viel verdeckt gewürfelt, und es war geil! Das gab so manchen Kinnlade-Runterklapp-Effekt, den ich nicht hätte missen wollen. :)
Ich werd' euch lehren, ehrbaren Kaufleuten die Zitrusfrucht zu gurgeln!
--
Lust auf ein gutes Buch oder ein packendes Rollenspiel? Schaut mal rein! ;)

Offline Naldantis

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Es gibt IMHO eine Hierarchie von 'Geheimhaltungsbedeutung':
- die Agenten, Maulwürfe, Strippenzieher, Chef-Antagonist und Hintergründe in einer längeren Kampagne um Verrat und Politik ist Top-Secret: er nervt so sehr, versehentlich etwas zu wissen und dieses Wissen nicht eingehen lassen zu dürfen, daß ich vom SL erwarte, das Modul mit auf's Klo zu nehmen und Abends zu sichern und unten in die Kiste zu packen, so daß man nicht eben mal versehentlich nach der zweiten Flaschen Rotwein am Abend aus Langeweile beim 'in Regellwerken blättern' sich die Spannung für die nächsten Monate verdirbt.
- eine Liebschaft mit der Agentin der Gegenseite zu haben ist etwas, was man mit dem SL solo im Nebenraum während einer Pause durchspielt.
- ein paar Stasi-Spells nur für sich rauszukloppen oder von Truheninhalt nicht alles an die Öffentlichkeit rauszurücken ist leicht mit hin- und hergereichten Zetteln zu machen.
- Befragungen und Belohnungsabsprachen können in vielen Gruppen auch öffentlich vor den Spielern der abwesenden Chars gemacht werden, auch wenn diese dabei über den Tisch gezogen werden; daß läßt sich leicht vom Charakterwissen trennen.

Offline Rattendämon

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Ich persönlich halte es für hochgradig sinnvoll sehr genau zu schauen, welches Wissen und vor allem welche Spielwerte man den Spielern zugänglich macht. Gar nicht so sehr der Immersion wegen sondern der Spannung und des Belohnungseffekts wegen.

Es gibt Spielern vermutlich sehr viel mehr Spannung, zu erfahren dass "die zerlumpte Gestalt mit einem schmutzigen Grinsen auf die Helden zukommt, und keine Angst vorm bevorstehenden Kampf zu haben scheint", als direkt zu sagen, dass ein Level 17 Schurke vor den Spielern steht, was in Essenz ähnliche Informationen über die Art und Stärke des Charakters gibt, aber es zu plump rausposaunt, so dass die Spieler Informationen in die Hand gelegt bekommen, anstatt sie heraus zu finden und selbst Schlüsse zu ziehen.

Ein anderer Aspekt ist, dass all die passiven Talente, die Helden so haben viel relevanter gemacht werden können. Wenn man sonst kaum jemals die Schwierigkeitswerte von Proben oder Charakterwerte von NPCs erfährt, dann freut sich der Spieler um so mehr, wenn der Spielleiter nach einer Probe auf eine der zahlreichen Fertigkeiten dem Spieler bekannt gibt, dass der Charakter mit seinen Fähigkeiten die Kampfkompetenz eines Gegners ausgespäht hat; mit seiner Schlosserkunde von vorne herein sagen kann, wie die Wahrscheinlichkeit steht ein Schloss zu öffnen, ohne das Werkzeug zu beschädigen; oder anhand seiner Menschenkenntnis feststellt, dass ein Händler besonders gerissen ist und die Heldengruppe vermutlich ausnehmen wird.
Jede Zahl die der Spielleiter so rausgibt ist eine Belohnung für den Spieler, die ihn darin bestätigt, dass es sinnvoll ist, seine Punkte in gewisse Talente und Fertigkeiten zu investieren. Gerade bei Supportcharakteren, die nicht die mächtigsten Zauberer und stärksten Krieger sind, macht das denke ich doch viel aus, wie wohl sie sich mit dem Charakter fühlen.

Was generelles Wissen über die aktuelle Kampagne und "geheime" Machenschaften anderer Charaktere angeht, kommt es ein bisschen auf die Spielgruppe an. Es gibt Leute, die können damit einfach nicht umgehen, und nicht ihre Charaktere unbeeinflusst von ihrem eigenen Spielerwissen spielen, aber dann gibt es wieder Gruppen, wo jeder Spieler ein bisschen was als Schreiber der Geschichte beiträgt und gerade mit solchen Informationen besonders gut in die Hände des Spielleiters und der Geschichte spielen kann.

Offline Nocturama

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Ich behaupte mal: Kommt auf die Runde an. Sowas wie Pyros Krisensitzung funktioniert gut, weil die Spieler sich völlig klar darüber sind, dass ihr Charaktere nicht alles mitkriegen können und weil es nicht viel an Regeln zu verwalten gibt. Amber ist afaik auch regelarm. Bei Paranoia wissen die Spieler ebenso, worauf sie sich einlassen.

Mal ehrlich, wenn ich bei einem Regelkoloss wie DSA oder DnD als SL alles verwalten müsste, inklusive der Werte und Würfe der Charaktere, da drehe ich doch durch...

Probleme können auftreten, wenn die Spieler gar nicht wissen, dass sie bestimmte Dinge nicht erfahren. Supersupergeheimplots bleiben dann gerne mal geheim (SL: "Aber ich habe das doch sooo deutlich gemacht!") oder Spieler sind sauer, weil sie keinen Bock auf PvP hatten und der Gruppenschurke ein Verräter war (durch Zettelkommunikation mit dem SL ausgekaspert).

Also alle drauf vorbereiten und passendes System wählen, dann könnte das funktionieren.
You're here for two things: to fucking ruin someone's shit, and to play a friendly game of make-believe.

AND YOU'RE ALL OUT OF IMAGINATION.

alexandro

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Was die selektive Bestückung der Spieler mit Informationen angeht, so habe ich die folgenden Erfahrungen gemacht:

1. Wie wichtig ist es?
Ist die Geheimhaltung wirklich wichtig? Ist die Information ein streng gehütetes Geheimnis, oder etwas was der Rest der Gruppe sowieso in der nächsten Szene herausfindet? Wenn letzteres der Fall ist, dann kann man es ruhig jetzt allen offenlegen, obwohl die restlichen Charaktere nicht anwesend sind. Geheimniskrämerei zu betreiben, nur um das was man vorher einem Spieler erklärt hat nochmal den restlichen zu verklickern, ist nur verschwendete Lebenszeit.
Korollar: Je weniger Spieler über eine Information verfügen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese unwissentlich verdreht und entstellt wird (besonders peinlich, wenn ingame nur wenige Stunden vergangen sind, der Spieler die Info aber fehlerhaft wiedergibt, weil outgame die letzte Session vor einem Monat war).

2. Spielwerte sind Abstrakta.
Die Würfe der Charaktere und die Werte auf ihrem Charakterbogen haben keine direkte Entsprechung in der Spielwelt. Es liegt an den Spielern, diese in Spielweltbegriffe zu übersetzen ("Mein Krieger ist stark wie ein Bär", statt "Er hat Stärke 19"). Soviel kann man seinen Spielern schon zutrauen. Wenn man Gegnerwerte nicht gleich enthüllt ist das vollkommen OK (da die Übersetzung dieser Werte idR nicht möglich und damit überflüssig ist), allerdings kann man, nachdem die Charaktere ihren Gegner in Aktion gesehen haben, den Spielern schon verraten, dass er "Parade 16" hat (wenn sie es nicht schon sowieso herausgefunden haben, weil sie ihn mit 16 getroffen haben, mit 15 aber nicht). Unnötig umständliche Formulierungen ("Er scheint irgendwie besser als du zu sein, aber nicht viel") schaden dem gemeinsamen Zusammenspiel und beleidigen die Intelligenz der Mitspieler.

3. Das Gesetz von der Erhaltung der narrativen Relevanz (r=i*s^2).
bedeutet, dass die Dauer für die eine Szene aus Spielersicht relevant (r) bleibt (also bevor sie in OT-Diskussionen abgleitet oder die Spieler Bücher lesen, Videospiele spielen etc.) sich aus dem Produkt des Spielerinputs "i" (d.h. den Grad der Gestaltung der Charaktergeschichte, Persönlichkeit etc.) und dem Quadrat des Situationsinputs "s" (d.h. offene Plotfäden,  Kosten-Nutzen-Entscheidungen, moralische Abwägungen...) ergibt. Ist die narrative Relevanz groß genug, spielen die Spieler auch noch weiter, während der SL mit einem anderen Spieler mal aus dem Raum geht. Ist sie es nicht, fällt den Spielern schnell nichts mehr ein, worüber sie IT reden könnten und machen anderen Kram.

4. Das wahre Problem ist oft nicht Spielerwissen/Charakterwissen, sondern Spielleiterwissen/NSC-Wissen.
Ich denke die paar Sachen die Spieler mitkriegen (und ihre Charaktere nicht) sind nicht wirklich problematisch. Ich denke das wahre Problem ist, dass nur wenige Spielleiter es wirklich drauf haben, ihre NSCs wirklich "unbelastet" zu spielen. Das fängt oft schon bei Sozialfertigkeiten an: der Spieler muss ansagen, ob er auf "Motiv erkennen" oder eine vergleichbare Fertigkeit würfelt, oder ob er die Aussage des NSCs vorbehaltslos glaubt. Aber der SL lässt den Spieler jedes Mal auf "Lügen" würfeln, wenn er eine Lüge erzählt. Richtig störend ist das in magiearmen Settings mit Magier-SCs: hier werden die Reaktionen der NSCs im Kampf nur selten dem "Schockwert" der Magie angepasst (maximal kommt noch ein "Tötet die Hexe!" und alle kloppen auf den Magier ein) - da kommt nicht gerade das Gefühl auf, dass man den Anwender einer mächtigen, geheimnisvollen Zunft spielt.
Bevor man also seine Spieler der mangelnden Wissenstrennung beschuldigt, sollte man sich als SL mal an die eigene Nase fassen.

Addendum: "Don't go in there!"
In narrativ geprägten Spielrunden kann die Offenlegung von nicht-Charakterwissen sogar als dramatisches Instrument verwendet werden, weil sich die Mitspieler vielleicht schon einmal die dramatisch wirkungsvollste Reaktion ihrer Figur überlegen wollen, wenn sie die Info dann wirklich erfährt (bzw. die Enthüllung solange herauszögern können, bis sie ein bestimmtes dramatisches Moment erreicht).

Online Maarzan

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Bloß weil ein extremes Ideal nicht erreichbar ist, heißt ja noch lange nicht, dass es Blödsinn wäre zu versuchen dem trotzdem so nahe wie möglich zu kommen (natürlich nur wenn man dieses Ideal teilt). Wie viel man dann an Aufwaned reinsteckt ist dann auch wieder Geschmack und individuell anzusetzen. 
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Eulenspiegel

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1) Ist ein komplettes "Spielerwissen = Charakterwissen" möglich? Ja.
Ist es praktikabel? Nein.

2) Zwischen den beiden Extremen "Spielerwissen = Charakterwissen" und "Trennung von Spieler- und Charakterwissen" gibt es aber auch noch dutzende von Zwischenformen.

Ich bevorzuge zum Beispiel einen Spielstil, wo möglichst viel Spielerwissen auf Charakterwissen beruht. Das heißt, natürlich gibt es bei uns Spielerwissen, das dem Charakter nicht zur Verfügung steht. Aber dieser Anteil ist halt verdammt gering verglichen mit anderen Gruppen.

Offline Hans

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  • Username: Hans
1) Ist ein komplettes "Spielerwissen = Charakterwissen" möglich? Ja.
Ist es praktikabel? Nein.
Ist die andere Gleichsetzung "Characterwissen = Spielerwissen" möglich? Also, der Character weiß alles, was der Spieler weiß, inklusive des Fakts, dass das ein Spiel und der Character die Figur darin ist.
Ich kenne ein paar Varianten des Themas, dass die Spieler so wie sie sind in eine fremde Welt geschmissen werden. Doch zumindest diesen letzten Wissensvorsprung haben die Spieler immer. Geht es ganz ohne?

Taschenschieber

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Ist die andere Gleichsetzung "Characterwissen = Spielerwissen" möglich? Also, der Character weiß alles, was der Spieler weiß, inklusive des Fakts, dass das ein Spiel und der Character die Figur darin ist.

Nennt sich dann "die vierte Wand durchbrechen".