Autor Thema: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?  (Gelesen 1881 mal)

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Offline Skele-Surtur

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So, da hat mich Thandbar gerade auf eine Frage gebracht, die mir nun unter den Fingern juckt. In seiner Stellungnahme zu einem Buch bemängelte er die merkliche Angestrengtheit der Autorin, Atmosphäre zu erschaffen.

Generell habe ich selten ein Buch gelesen, wo ich so deutlich die Überforderung des Erzählers zu spüren meinte. In anne-rice'scher Manier meinte ich förmlich wahrzunehmen, wie die Autorin in die Hände spuckte und zu sich selber sagte: "Jetzt wird Atmosphäre geschaffen!"

Jetzt würde mich folgendes Interessieren: Wie erschafft man in einem Erzähltext Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken? Wie entwickle ich also Atmosphäre, ohne künstlich und verkrampft zu wirken? Die Kunst, so sagt man ja, besteht darin, etwas schwieriges ganz leicht aussehen zu lassen.

Meinungen, Tipps, Anregungen? Auch Positiv- und Negativbeispiele wären eine feine Sache.
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Offline Niniane

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #1 am: 8.05.2013 | 15:07 »
Wenn es dir um Atmosphäre beim Schreiben geht, würde ich deinen Beitrag in die Schreibwerkstatt verschieben.
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Offline Skele-Surtur

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #2 am: 8.05.2013 | 15:49 »
Könnte das ein Moderator tun?
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Offline Niniane

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #3 am: 8.05.2013 | 16:01 »
Wurde schon :)

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Offline Skele-Surtur

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #4 am: 8.05.2013 | 16:02 »
Wunderbar. Dann bin ich mal gespannt, ob sich noch jemand zu Wort meldet. :)
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Offline Thandbar

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #5 am: 13.05.2013 | 10:44 »
Eine interessante Frage!
Ich muss zugeben, dass ich eher Leser als Verfasser von literarischen Texten bin, und meine Antworten deshalb vermutlich auf praktischer Ebene unbefriedigend bleiben.
Die Frage, was Atmosphäre denn nun eigentlich ist, klammere ich übrigens erst einmal total aus - das wäre ja nochmal ein Riesenthema für sich. Vielleicht sollte man das tatsächlich definieren, um vernünftig diskutieren zu können, aber für den Augenblick genügt mir ein intuitiver Begriff von dem, was man bei Erzählungen "Atmosphäre" nennt.

Ich denke, man sollte nicht versuchen, "Atmosphäre" künstlich herzustellen. Jede Form von Atmosphäre sollte sich ungezwungen aus der Fiktion der Szene ableiten. Sobald der Autor beim Lesen des Manuskriptes einen "Mangel an Atmosphäre" feststellt, sollte er die Szene AN SICH überprüfen - auf Wichtigkeit, Plotvernetzung, Spannung etc. - und diese bei Bedarf lieber Streichen, als sie mit der Anfütterung durch vermeintliche Atmosphäre retten zu wollen, welche meistens nur die Lektüre klebrig und zäh macht.
Ähnlich wie der sogenannte "eigene Stil" ist Atmosphäre nichts, was ein Autor nachträglich in seine Geschichte hineintragen sollte. Das Ergebnis wirkt dann oft unbeholfen, aufgebläht, sogar unfreiwillig komisch.  

Eine Szene, die vielen Lesern vom Herrn der Ringe eindringlich im Gedächtnis geblieben ist, ist der Versuch der Gefährten, durch das Westtor nach Moria zu gelangen. Die atmosphärischen Beschreibungen und geschichtlichen Andeutungen sind so knapp wie nur möglich ausgefallen, der Zauber, der von der Erzählung ausgeht, geht ganz aus dem Aufbau der Narration hervor.
Dieses Kunststück gelingt Tolkien nicht immer. Viele Leser beschweren sich über endlose Landschaftsbeschreibungen - nicht, weil diese stilistisch schlecht verfasst wären, sondern weil sie in keinem erkennbaren Bezug zur jeweiligen Etappe der Handlung stehen.

Autoren wie Anne Rice missbrauchen regelmäßig ihr eigenes Personal, um Atmosphäre zu schaffen. Da werden Kerzen aufgestellt, Duftessenzen verbreitet, ein Bad eingelassen - als ob das mein erster Reflex wäre, wenn ich einem waschechten Knochengeist begegne!
Man vergleiche diese gezwungen wirkende Strategie mit der kunstvollen Form der Verführung, die Thomas Mann in "Wälsungenblut" am Leser vollzieht, indem die gesamte Erzählwelt mit den Parfümen und Stoffen ausgestattet ist, die das Personal von Anne Rice erst umständlich herantragen und aufstellen muss.  
Atmosphäre in Form von Requisiten heranzukarren, scheint mir ein weiterer beliebter Fehler zu sein. Ein Bösewicht, der die Totenschädel erst selber aufstellen muss, wirkt leicht lächerlich; eine Stätte, die an sich voller Gebeine ist, erzeugt auf eine weniger gezierte Art die passende Atmosphäre.

Störend finde ich atmosphärische Beschreibungen, wenn sie dem Genre der Erzählung widersprechen. Das jüngste Beispiel hierfür ist für mich "Das erste Horn" von Richard Schwartz, worin der Autor zahlreiche Stilbrüche begeht, um das unterzubringen, was er für "atmosphärisch" hält.
So soll der Held des Abenteuers vom Krieg gezeichnet sein, und es fehlt nicht an Rückschauen und inneren Monologen, die den Krieg als erschütternde, traumatische Erfahrung darstellen - überhöht durch die Eigenschaft des Helden, nicht sterben zu können.
Unvermittelt aber wünscht sich derselbe Mensch - angesichts von Weibergezänk, wenn ich mich recht erinnere - wieder in eine echte Schlacht zurück, da diese "einfacher" sei. Vermittels dieser flapsigen und herrenwitzigen Bemerkung werden die bemühten Versuche, dem altgedienten, ausgelaugten Krieger Charakter abzutrotzen, mit einem Schlag desavouiert.
Überhaupt macht die Dialogführung wie auch die Beschreibung des Personals klar, dass wir es mit einem Pulp-Abenteuer zu tun haben - jählings aber wird die Erzählung durch eine pseudopoetische Passage unterbrochen, worin Schnee und vereiste Gebäudeteile beschrieben würden, als hätten wir uns in die Welt von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" verirrt.
Atmosphärische Beschreibungen müssen also immer zur Gesamtanlage der Erzählung passen, und dürfen nicht wahllos zusammengestoppelt werden. Gerade der Impuls, durch eine besonders raffiniert verfasste Landschaftsbeschreibung oder dramatische Seelenschau "Anspruch" in ein ansonsten bloß unterhaltsames Werk hineinzuschaufeln, ist unbedingt zu unterdrücken.
Man sollte zu seiner Geschichte stehen und diese nicht durch gekünstelte E-Literatur-Anleihen zu pimpen versuchen. Wenn ein Charakter nicht interessant ist und nicht auf interessante Weise in die Handlung eingebunden ist, helfen auch theatralische Rückblenden und afterphilosophische Reflexionen nichts.

Oftmals wichtiger, als eine Atmosphäre zu schaffen, ist das Kunststück, sie nicht zu brechen. Ein falsches Wort - das zum Beispiel nicht in die Zeit der Erzählung passt - kann ein Leseerlebnis derart nachhaltig ruinieren, dass man gar nicht genug Beschreibungen aufhäufen kann, um diesen Lapsus wieder gerade zu bügeln.
Dazu gehört für mich eine gewisse Zurückhaltung bei Adjektiven und Adverbien, deren strotzender Gebrauch oftmals Atmosphäre erzeugen soll, dem Leser aber nur klarmacht, dass hinter der Erzählung ein Erzähler schwitzt. In den allermeisten empfiehlt es sich nach wie vor, dass der Autor nicht auf seine anstrengende Arbeit aufmerksam macht - jede Mühseligkeit gilt es zu verschleiern.


Natürlich haben unterschiedliche Leser auch unterschiedliche Auffassungen und Toleranzgrenzen, was Atmosphäre und ihre Erzeugung anlangt. Ich erinnere mich an den Essay eines italienischen Literaturwissenschaftlers, der Lovecraft gegen den Vorwurf in Schutz nahm, auf billige Weise eine gruselige Stimmung erzielen zu wollen. Das Aneinanderreihen von Schlagwörtern "ekelhaft, widerlich, faulig, verrottet, verdorben, bizarr, entsetzlich" sei schlechter Stil und bewirke beim Leser das Gegenteil - so die Kritik. Der Essayist hingegen meinte, dass Lovecraft ganz bewusst eine Wortmagie in Stellung bringe, die durch das hypnotische Wiederholen der immerselben Begriffe des Grauens gerade ihre besondere Wirkung entfalte.

Daran angrenzend ist das weite Feld des "Kitsch". Während Nabokov selber über nichts lieber wetterte als über den "poschlost" anderer Autoren, wird er wiederum von Michael Maar dafür geziehen, eine verhängnisvolle Schwäche für Zirkus und Zuckerwatte zu besitzen - für einen Gaukler- und Artistenkitsch also, der durch seine Süßlichkeit vielen Erzählungen Nabokovs die Stringenz nehme.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass Atmosphäre immer aus der Erzählung heraus entwickelt werden sollte. Wenn man glaubt, eine Szene durch eine Atmosphärenbeschreibung aufwerten oder gar retten zu müssen, sollte man lieber die Prämisse der Szene selber hinterfragen und sie zur Not ganz streichen.
Man sollte sich bewusst sein, welche Art von Literatur man verfassen will, und diesem Grundsatz treu bleiben.
Dann entsteht die Atmosphäre, die man erzielen möchte, oft ganz von selbst.
    
« Letzte Änderung: 13.05.2013 | 11:03 von Thandbar »
"Du wirst direkt in diesem Moment von einer Zilliarde grünkarierter Kakerlakeneinhörner in Tweedanzügen umzingelt, die mit Fallschirmen aus gebeiztem Vanillepudding aus der nächstgelegenen Dattelpalme springen und dich zu ihrer Avonberaterin krönen - und die Krone ist aus Dr. Frankensteins bösartig mutiertem Killernougat! Streich dir 78000 Hirnschadenspunkte ab und mach sofort eine Jodelimprovisation!"

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #6 am: 14.05.2013 | 12:22 »
Danke schon mal für die Antwort.

Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du also, Atmosphäre bzw. das, was wir ohne Vordefinition intuitiv dafür nehmen, ergibt sich nicht bzw. nur begrenzt aus Beschreibung und explizit zu diesem Zweck verwendeten Stilmitteln, mithin dem Versuch, die Stimmung dem Leser ästhetisch greifbar zu machen, sondern entsteht vornehmlich aus der Plotrelevanz der Szenen, bzw. setzt diese zwingend voraus.
Welche Rolle spielt also das Sprachspiel beim erschaffen von Atmosphäre in einem Lesetext?
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Offline Thandbar

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #7 am: 14.05.2013 | 14:05 »
Ich habe mich offenbar schlecht ausgedrückt. Und es tut mir leid, wenn ich jetzt wieder zu viel schreibe - aber das Thema ist auch ganz schön komplex.

Natürlich kann Atmosphäre durch eine kunstvolle Sprache, ausführliche Schilderung von scheinbar Unwichtigem oder geistvollen Reflexionen bestehen. Nicht umsonst ist "der Zauberberg" eines meiner Lieblingsbücher.
In Kafkas "Das Schloss" sind die topographischen Beschreibungen voller perspektivischer "Fehler", die dazu führen, dass man beim Nachzeichnen gewissermaßen M.C.-Escher-ähnliche Unmöglichkeiten konstruieren müsste.
Bisweilen gelingt es einem Autor auch durch ein einziges Wort - wie Tieck mit seinem berühmten "Waldeinsamkeit" - eine unglaubliche Atmosphäre heraufzubeschwören und eine ganze Gattung zu beeinflussen.

Wichtig ist für mich, dass die Schilderungen von Atmosphäre, wie sie in solchen Werken auftauchen, immer in das Gesamtkonzept des Stoffs eingebunden sind. Sie sind niemals Selbstzweck oder Verlegenheitslösung. Die sprachliche Gestaltung ist natürlich ein Teil des Gelungenseins dieser handwerklichen Mittel, man vergleiche nur die Sonnenuntergänge von "Der Tod in Venedig" mit denen von "Das Schwert von Shannara". Durch Rhythmus, Wortwahl, Klang und Satzbau kann derselbe Gegenstand mit einem ganz anderen, tieferen Effekt beleuchtet werden. Das ästhetische Vergnügen, das der Leser bei der Lektüre einer derart gelungenen Schilderung erfährt, ist nichts, was ich gerne unterschlagen sähe. Die Magie, die durch die besondere elektrische Verbindung zweier bestimmter Wörter entstehen kann, ist auch das, was ich an Poesie so faszinierend finde.

Ich finde nur - besonders in der Fantasy-Literatur - selten wirklich Beispiele, wo dies wirklich überzeugend gelingt. Meine "Kritik" bezieht sich auf Autoren, die aus einem Fundus aus vermeintlichen Atmosphäre-Erzeugern immer dann eine Technik hervorkramen, wenn es irgendwo hapert oder sie generell nicht wissen, was sie nun mit ihrer Geschichte machen sollen.
Zu diesen - meist grauslich zu lesenden - Kniffen gehören Träume, Rückblenden, innere Monologe, äußere Beschreibungen und eingebaute Lieder und Gedichte.
Ein häufiger Anfängerfehler von Fantasy-Autoren ist die Fehleinschätzung in Bezug auf diese Mittel. Da wird man schon auf Seite 1 mit ökologischen Beschreibungen erschlagen, jede Zimmerwirtin bekommt einen Flashback in ihre Kindheit verpasst, und der Hauptheld erfährt bei seiner ersten Übernachtung den schicksalsvollen Albtraum.

Mein "Rat" (als ich überhaupt so etwas geben dürfte, hihi ...) bezieht sich allein auf Schreibanfänger, die in Versuchung stehen, ihr Manuskript mit Beschreibungen aufzumotzen, um dem Ganzen etwas mehr "Atmosphäre" zu verleihen. Das geht - denke ich - in der Weise meist schief, zumal nicht jedes Mittel, Atmosphäre herzustellen, in jedem Genre gleich möglich ist.
Patricia McKilip gelingt es - meiner Meinung nach - durch ihre lyrische, bildhafte Sprache eine ganz besondere Atmosphäre zu erschaffen. Aber sie schlägt diese Saite gleich von Beginn ihrer "Erdzauber"-Trilogie an und wechselt nicht plötzlich in ein poetisches Register, weil sie meint, etwas kompensieren zu müssen - wie eine ansonsten etwas cheesige Handlung.
Was also ein wirkungsvolles Mittel zur Steigerung der Atmosphäre darstellt, ist stark vom Gesamtkonzept der Erzählung abhängig.
Eine Abenteuergeschichte wird auch nicht dadurch atmosphärisch gehaltvoller, indem man den Gang herausnimmt und eine Ennui-Passage einflicht. Für den beginnenden Autor gilt meiner Meinung nach der Leitspruch: "Kenne dein Genre!"

"Du wirst direkt in diesem Moment von einer Zilliarde grünkarierter Kakerlakeneinhörner in Tweedanzügen umzingelt, die mit Fallschirmen aus gebeiztem Vanillepudding aus der nächstgelegenen Dattelpalme springen und dich zu ihrer Avonberaterin krönen - und die Krone ist aus Dr. Frankensteins bösartig mutiertem Killernougat! Streich dir 78000 Hirnschadenspunkte ab und mach sofort eine Jodelimprovisation!"

Offline Skele-Surtur

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #8 am: 14.05.2013 | 14:36 »
Zitat
Wichtig ist für mich, dass die Schilderungen von Atmosphäre, wie sie in solchen Werken auftauchen, immer in das Gesamtkonzept des Stoffs eingebunden sind. Sie sind niemals Selbstzweck oder Verlegenheitslösung.
Das habe ich mit "setzt plottrelevanz zwingend voraus" gemeint. Eine exzessive Beschreibung von Trivialitäten ist eben nicht Atmosphäre fördernd. Da hattest du dich schon beim erstenmal richtig ausgedrückt. :)

Also würde ich als vorläufige Konsequenz die Faustformel ziehen, dass je wichtiger etwas für den Geschichtsverlauf ist, desto mehr und detaillierter darf - muss aber nicht - die Beschreibung ausfallen. Je nebensächlicher eine Person, ein Ereignis, ein Ort etc.pp. ist, desto weniger detailliert sollte man die Beschreibung handhaben.
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Offline Thandbar

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #9 am: 14.05.2013 | 15:08 »
Mit dem Wort "Plot" bin ich nur angesichts von Werken wie eben dem Zauberberg vorsichtig, und würde lieber Stoff, Konzept, Thema oder Gesamtstimmung sagen. Das Hauptmotiv eines sehr guten Romans kann ja gerade ein Fehlen von Handlung und Antrieb sein, und die Geschichte in einem Schwebezustand verharren.
Das ist dann natürlich ein ganz anderes Gebilde als der typische Fantasy-Schmöker.

Das "Plotten" ist ja in der deutschsprachigen Hochliteratur immer ein wenig verschrien geblieben, weil das raffinierte Anheizen von Spannung von der sprachlichen Gestaltung ablenken kann - durch die Erhöhung des Lesetempos - und der Genuss an der ästhetischen Wirkung des Sprachgebildes Vorrang habe vor einem besonders kunstvoll zusammengesetzten Plot.
(In meiner Wahrnehmung schließt beides einander nicht aus; aber die Vorbehalte gegen den Plot höre ich noch heute recht oft in deutschsprachigen Diskussionen über Literatur etc.)

Umgekehrt rät man ja unerfahrenen Autoren oft, möglichst "spannend" zu schreiben und sich auf eine möglichst packende Handlung zu konzentrieren, damit die sprachlichen Mängel, die einem Neuling nun einmal unterlaufen, vom Rezipienten möglichst "überlesen" werden.
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Offline Fat Duck

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #10 am: 14.05.2013 | 18:56 »
Das habe ich mit "setzt plottrelevanz zwingend voraus" gemeint. Eine exzessive Beschreibung von Trivialitäten ist eben nicht Atmosphäre fördernd. Da hattest du dich schon beim erstenmal richtig ausgedrückt. :)
Würde ich auch so sagen. Ich bin da überhaupt sehr minimalistisch und möchte am liebsten jeden Satz rausstreichen, der nichts mit der Handlung zu tun hat. Für Atmosphäre gibt es Adjektive und Nebensätze und vielleicht eine Handvoll einleitende Sätze zur Szenenbeschreibung.
Wobei ich natürlich bereit bin, Autoren einiges zu vergeben, wenn sie dafür mit tollen Plots, Ideen, Dialogen und anderem aufwarten.
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Offline Blechpirat

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #11 am: 14.05.2013 | 19:16 »
Ich mag es als Leser sehr, wenn die Stimmung durch Handlung erzählt wird.

Also nicht:

Zitat
X betrat eine Grabkammer voller Gebeine. Der Lichlord sitzt auf einem Thron aus... blas

Sondern:

Zitat
Der Lichlord hebt den Totenschädel an, der die Armlehne seines Thrones aus Gebeinen darstellt - und nimmt ein rotes Fläschchen heraus.

In letztem Satz sind die Stimmungs-Infos in der Handlung "versteckt" - wirken weniger bemüht und interessant, weil sie zur Handlung gehören und da erzählt werden, wo es hingehört.

Offline Bad Horse

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #12 am: 17.05.2013 | 19:19 »
Sehr schönes Beispiel, Blechpirat, und ein prompter Aufhänger für eine kleine Randanmerkung. :)

Denn die Tatsache, dass ich statt "Lichlord" die ganze Zeit "Lichtlord" gelesen habe, gibt der Szene ein ganz anderes Gewicht.

Und da schon Kleinigkeiten die Atmosphäre stören können, plädiere ich dafür, fremdartige Worte oder Eigenname auf Herz und Nieren zu testen - ruhig mal laut vor sich hin sagen. Geschrieben sieht "Khôt der Harte" ganz okay für einen Kriegsgott aus, aber wenn man das Wort mal hört...
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Offline Thandbar

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #13 am: 17.05.2013 | 19:43 »
Es ist zwar ein Beispiel aus dem Bereich "Film", funktioniert aber so ähnlich:

Der Anfang von dem neuen James-Bond-Film "Casino Royal". (Ich hörte neulich ein Loblied über diese Stelle und habe sie mir deswegen noch einmal neu angeschaut.)
Da verfolgt Daniel Craigs Bond einen sehr athletischen Sprengstoffexperten, der von seinem Hobby sichtlich lädiert ist (allein die Brandnarben deuten schon eine Geschichte im Hintergrund an, die nie direkt erzählt wird.)
Der Sprengstoffexperte hüpft und klettert so elegant und leichtfüßig über die Hindernisse hinweg, als gelte es, einen Parkour-Wettbewerb zu gewinnen.
Und Bond? Der bricht einfach durch alles hindurch, schnappt sich einen Bulldozer, wenn ihm der Weg zu hakelig wird - kurz: Er setzt voll auf Kraft und Brutalität. Dass der neue Bond kein smarter, feiner Typ ist, sondern ein harter, kompromissloser Kerl, muss nie von einer dritten Person "berichtet" werden. Die Verfolgungsjagd verrät uns über Bond schon alles, was wir wissen müssen.

Im Gegensatz dazu fand ich es total unbefriedigend, wie in dem letzten Teil von Nolans Batman-Trilogie Alfred immer als Geschichtenerzähler und Hintergrundinformationslieferant herhalten muss. Anstatt bildwirksam diesen Hintergrund zu inszenieren, wird man in nüchternen Sätzen einfach darüber informiert - das fand ich eher schwach.
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Offline Fat Duck

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #14 am: 18.05.2013 | 03:59 »
Es ist zwar ein Beispiel aus dem Bereich "Film", funktioniert aber so ähnlich:

Der Anfang von dem neuen James-Bond-Film "Casino Royal". (Ich hörte neulich ein Loblied über diese Stelle und habe sie mir deswegen noch einmal neu angeschaut.)
Da verfolgt Daniel Craigs Bond einen sehr athletischen Sprengstoffexperten, der von seinem Hobby sichtlich lädiert ist (allein die Brandnarben deuten schon eine Geschichte im Hintergrund an, die nie direkt erzählt wird.)
Der Sprengstoffexperte hüpft und klettert so elegant und leichtfüßig über die Hindernisse hinweg, als gelte es, einen Parkour-Wettbewerb zu gewinnen.
Und Bond? Der bricht einfach durch alles hindurch, schnappt sich einen Bulldozer, wenn ihm der Weg zu hakelig wird - kurz: Er setzt voll auf Kraft und Brutalität. Dass der neue Bond kein smarter, feiner Typ ist, sondern ein harter, kompromissloser Kerl, muss nie von einer dritten Person "berichtet" werden. Die Verfolgungsjagd verrät uns über Bond schon alles, was wir wissen müssen.

Im Gegensatz dazu fand ich es total unbefriedigend, wie in dem letzten Teil von Nolans Batman-Trilogie Alfred immer als Geschichtenerzähler und Hintergrundinformationslieferant herhalten muss. Anstatt bildwirksam diesen Hintergrund zu inszenieren, wird man in nüchternen Sätzen einfach darüber informiert - das fand ich eher schwach.

Gut, das fällt unter die literarische Regel: Show, don't tell.
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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #15 am: 18.05.2013 | 06:17 »
Gut, das fällt unter die literarische Regel: Show, don't tell.

Du hast recht. Wobei ich allerdings auch Schwierigkeiten mit der Verallgemeinerung von solchen Regeln habe.
Ein Beispiel aus dem Bereich Film, wo ich ein simples "Tell" sehr wirkungsvoll fand, war zum Beispiel in "Matrix" der Hinweis von Morpheus, dass bislang jeder, der sich mit einem Agenten angelegt habe, gestorben sei.
Die Art und Weise, wie diese Aussage dargebracht wurde, hat meiner Meinung nach viel zur Atmosphäre des Films beitragen.
Es wurde also nicht nur gezeigt, dass Agenten brandgefährlich sind, sondern durch ein Erzählen über sie ihre Gefährlichkeit fast schon ins Mythische übergesteigert.

Fantasy-Romane halte ja oft inne, um das Magiesystem zu "erklären". Auch hier kann das bloße "Erzählen" sehr wirkungsvoll sein, ohne dass man gleich alles "zeigen" müsste.
Momentan lese ich gerade den ersten Band der sehr vergnüglichen "Skulduggery Pleasant"-Reihe. Darin demonstriert der skelettierte Elementarmagier S.P. seine eigene Zauberei zwar mit der Darbietung dieser Kunst, lässt es bei den Möglichkeiten der Alchemie aber bei kurzen Andeutungen bewenden, die beim Leser die Erwartung erzeugen, so etwas auch einmal in Aktion erleben zu wollen.
Die Tatsache, dass hier die Alchemie eben gerade NICHT gezeigt, sondern nur vorgestellt wird, erweist sich hier als sehr nützliches Element, um die Spannung zu erhöhen.

Überhaupt finde ich auch das Thema "Magiesysteme" interessant, weil die bei einem Fantasy-Roman doch auch zur Atmosphäre dazugehören.
Die Art und Weise, wie die Eine Macht - und deren Besudelung - im "Rad der Zeit"-Zyklus beschrieben wird, fand ich zum Beispiel immer sehr stimmungsvoll. 
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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #16 am: 18.05.2013 | 17:35 »
Klar lässt sich die Regel nicht stur anwenden. Wenn ich mich richtig an z.B. Thomas Mann oder auch Lovecraft erinnere (ist beides eine Weile her), dann haben die hauptsächlich das Gegenteil gemacht.

Ein Beispiel aus dem Bereich Film, wo ich ein simples "Tell" sehr wirkungsvoll fand, war zum Beispiel in "Matrix" der Hinweis von Morpheus, dass bislang jeder, der sich mit einem Agenten angelegt habe, gestorben sei.
Wobei auch da gezeigt wird, wie mächtig Agenten sind ... kurz nachdem man sieht, wie gut ihre Gegner sind.

Zitat
Fantasy-Romane halte ja oft inne, um das Magiesystem zu "erklären". Auch hier kann das bloße "Erzählen" sehr wirkungsvoll sein, ohne dass man gleich alles "zeigen" müsste.
Also für mich vermiest das in der Regel die Stimmung. Interne Logik bringt zwar vielen Settings und Geschichten was (Hard SF als Extrembeispiel), aber als Leser muss und möchte ich oft davon gar nicht so genau wissen. Im Vergleich dazu haben z.B. Sagen und Märchen außer als Metaphern und auf dramaturgischer Ebene oft keine erkennbare interne Logik und das macht sie meiner Meinung nach nur interessanter.
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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #17 am: 18.05.2013 | 18:02 »
Also für mich vermiest das in der Regel die Stimmung. Interne Logik bringt zwar vielen Settings und Geschichten was (Hard SF als Extrembeispiel), aber als Leser muss und möchte ich oft davon gar nicht so genau wissen.

Anmerkung dazu:
Ich halte es fast immer für die Ideallösung, ein stimmiges Gesamtkonzept zu haben, dieses aber nicht haarklein zu erläutern.
Wenn sich dann ein Leser/Zuschauer/etc. die Arbeit machen will, kann er es nachvollziehen, aber es wird nicht jedem aufgezwungen.

Und wenn man es erklärt, dann lieber nur so viel wie jeweils nötig und somit auf eine längere "Strecke" verteilt als ziemlich am Anfang mit dem großen Hammer.
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #18 am: 22.05.2013 | 21:53 »
Was haltet ihr davon, bestimmte Details bewusst geheim zu halten und eben nicht zu erklären?
Doomstone ist die Einheit in der schlechte Rollenspiele gemessen werden.

Korrigiert meine Rechtschreibfehler!

Offline Thandbar

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #19 am: 22.05.2013 | 22:08 »
In einem Interview ließ sich China Miéville einmal über die Kunst der Andeutung aus. Das fand ich sehr interessant.
Während eines Gesprächs in "Perdido Street Station" tauschen sich einmal zwei Charaktere über einen Sachverhalt aus, der beim näheren Lesen zu dem Gedanken einlädt, dass beinahe alle Rassen in der Erzählwelt irgendwann einmal künstlich erzeugt worden waren.
Dass das Personal selber diesen Gedanken - wer waren die Schöpfer? - überhaupt nicht weiter verfolgt und der Leser den Faden selber weiterspinnen muss, fand ich sehr wirkungsvoll.

Rätsel wirken fast immer anregend. Vollständige Erklärungen beruhigen einen eher und sorgen eher dafür, dass man nicht weiter über einen Sachverhalt nachdenkt. Stephen King sagte einmal, dass es in der Literatur - anders als beim Film - möglich sei, Dinge nicht weiter zu erläutern und das Geheimnis wirken zu lassen. 
 
"Du wirst direkt in diesem Moment von einer Zilliarde grünkarierter Kakerlakeneinhörner in Tweedanzügen umzingelt, die mit Fallschirmen aus gebeiztem Vanillepudding aus der nächstgelegenen Dattelpalme springen und dich zu ihrer Avonberaterin krönen - und die Krone ist aus Dr. Frankensteins bösartig mutiertem Killernougat! Streich dir 78000 Hirnschadenspunkte ab und mach sofort eine Jodelimprovisation!"

Offline Fat Duck

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #20 am: 22.05.2013 | 23:09 »
Hm, so allgemein gesagt? Also es gibt Gründe, Dinge nicht zu erklären.

Ein Aspekt ist die Interpretationshoheit bzw. der Interpretationszwang des Lesers. Erklärt man Dinge, dann gibt man Interpretationen zu einem gewissen Grad vor. Stellt man sie hin und erklärt gar nicht, muss der Leser mehr Interpretationsarbeit leisten, womit er dann mehr in die Geschichte hineinprojeziert. Ein klassisches Beispiel ist die Frage, ob der Leser die Gedanken des Protagonisten lesen kann oder nicht. Werden einfach nur dessen Handlungen beschrieben, dann muss der Leser die Gründe dafür finden, womit er dann auch eventuell mehr von sich auf die Figur überträgt.

Ein anderer Aspekt ist Rationalität versus ... Romantik? Gerade im Fantasy Genre ein Thema. Will ich Magie oder die Welt als eher unbegreiflich erfahren bzw. dem Leser präsentieren, dann ist Schritt 1 erstmal, dass ich sie nicht erkläre. Das kann dann z.b. den Effekt haben, dass sie zum Dauerrätsel (was dann wieder mit dem ersten Aspekt zu tun hat) wird oder aber dass der Leser einfach seine Erwartungshaltung auf "Jetzt kann alles passieren" stellt.
Der Plot kann es natürlich notwendig machen, dass das Unerklärbare dann doch erklärt wird (zentral für viele Plots), aber dann ist spätestens am Ende halt auch der Zauber verflogen.

@Andeutungen:
Die sind auch eine interessante Sache, weil sie irgendwo zwischen Erklären und Nicht-Erlären stehen. So können etwa die Namen der Figuren oder Kapitelüberschriften Hinweise geben oder es gibt Anspielungen auf andere Werke oder Konventionen. Damit wird für eingeweihte bzw. aufmerksame Leser ein Kontext hergestellt, der ihre Interpretationsarbeit beeinflussen kann/soll, ohne sie ihnen komplett vorwegzunehmen.

Ein weitere interessante Alternative ist der unzuverlässige Erzähler, der, einmal entlarvt, sämtliche Erklärungen in Frage stellt.

Rätsel wirken fast immer anregend. Vollständige Erklärungen beruhigen einen eher und sorgen eher dafür, dass man nicht weiter über einen Sachverhalt nachdenkt. Stephen King sagte einmal, dass es in der Literatur - anders als beim Film - möglich sei, Dinge nicht weiter zu erläutern und das Geheimnis wirken zu lassen. 

Echt? Also ich finde, der Film ist noch eher dazu geeignet oder eher aus Zeitmangel genötigt, Dinge unerklärt zu lassen.

Fantasy-Romane halte ja oft inne, um das Magiesystem zu "erklären". Auch hier kann das bloße "Erzählen" sehr wirkungsvoll sein, ohne dass man gleich alles "zeigen" müsste.
Momentan lese ich gerade den ersten Band der sehr vergnüglichen "Skulduggery Pleasant"-Reihe. Darin demonstriert der skelettierte Elementarmagier S.P. seine eigene Zauberei zwar mit der Darbietung dieser Kunst, lässt es bei den Möglichkeiten der Alchemie aber bei kurzen Andeutungen bewenden, die beim Leser die Erwartung erzeugen, so etwas auch einmal in Aktion erleben zu wollen.

So jetzt nochmal drübergelesen, klingt das für mich eher nach einer Art Chekhov's Gun, was ein sehr nettes Spannungselement ist.
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Offline Thandbar

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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #21 am: 24.05.2013 | 14:39 »
Echt? Also ich finde, der Film ist noch eher dazu geeignet oder eher aus Zeitmangel genötigt, Dinge unerklärt zu lassen.

Eigentlich ein einleuchtender Einwand. Stephen King bezog sich allerdings auf seine Erfahrung mit Produzenten von Filmen, die jede Leerstelle massentauglich ausfüllen möchten, wenn ein Buch zum Drehbuch wird.
Natürlich wäre es im Film möglich, Uneindeutiges, Geheimnisse und Nicht-Aufgeklärtes mit hineinzubringen; der Grund dagegen ist einfach nur Tradition. Gerade das große Kino ist ja oft ein Medium der Unterforderung. Gut zu sehen ist das an diversen und an sich total unterschiedlichen Umsetzungen wie "The Ring", "Buddenbrooks" oder auch "Herr der Ringe".

Was die Märchenthematik angeht, so empfehle ich Lüthis "Das europäische Volksmärchen", das mir erst richtig klargemacht hat, was an dieser Erzählform so besonders ist.
Der 'normale' Fantasy-Roman ist in diesem strengen Sinne eigentlich fast nie märchenhaft und schließt eher an die Muster des Heimatromans an.
Problematisch fand ich als Leser (obwohl ich da vermutlich eine Ausnahme bin) übrigens den Spagat zwischen Detektivgeschichte und Märchenstruktur in Harry Potter: Während den Figuren auf der einen Seite abverlangt wird, ihre grauen Zellen anzustrengen und Zusammenhänge vermittels logischer Verfahren zu ermitteln, ist es ihnen verboten, über alles Zauberische innerhalb ihrer Welt genauer nachzudenken bzw. rational zu hinterfragen, um die märchenhafte Anmutung des magischen Elements nicht zu zerstören.  
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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #22 am: 24.05.2013 | 15:51 »
Eigentlich ein einleuchtender Einwand. Stephen King bezog sich allerdings auf seine Erfahrung mit Produzenten von Filmen, die jede Leerstelle massentauglich ausfüllen möchten, wenn ein Buch zum Drehbuch wird.
Natürlich wäre es im Film möglich, Uneindeutiges, Geheimnisse und Nicht-Aufgeklärtes mit hineinzubringen; der Grund dagegen ist einfach nur Tradition. Gerade das große Kino ist ja oft ein Medium der Unterforderung. Gut zu sehen ist das an diversen und an sich total unterschiedlichen Umsetzungen wie "The Ring", "Buddenbrooks" oder auch "Herr der Ringe".
Jain. Das würde ich eher als ein Phänomen ansehen, das gerade für Massenunterhaltung bezeichnend ist, nicht für Filme im Allgemeinen (bzw. im Speziellen gegegnüber anderen Medien). Und selbst da wird sehr viel Erklärung durch Konventionen / Stereotypen ersetzt.

Zitat
Was die Märchenthematik angeht, so empfehle ich Lüthis "Das europäische Volksmärchen", das mir erst richtig klargemacht hat, was an dieser Erzählform so besonders ist.
Direkt mal bei der Bibliothek bestellt.  :)

Zitat
Der 'normale' Fantasy-Roman ist in diesem strengen Sinne eigentlich fast nie märchenhaft und schließt eher an die Muster des Heimatromans an.
Das stimmt, aber afaik spielt im Heimatroman dieser romantische Grundgedanke des Nicht-Rationalen genauso eine Rolle. Und dieses romantische ist mMn immer noch, wenn auch nach ... 75 Jahren EDO Fantasy und x Jahrzehnten Sword and Sorcery wohl nicht (mehr?) so stark, eines der Angebote des Fantasygenres an seine Leser/Rezipienten. Besonders auffällig finde ich das immer bei den Landschaftsbeschreibungen und ihren Visualisierungen in Filmen und Computerspielen, die mich sehr stark an die epischen Landschaftsmalerein und künstlichen Ruinen der Romantik erinnern.

Zitat
Problematisch fand ich als Leser (obwohl ich da vermutlich eine Ausnahme bin) übrigens den Spagat zwischen Detektivgeschichte und Märchenstruktur in Harry Potter: Während den Figuren auf der einen Seite abverlangt wird, ihre grauen Zellen anzustrengen und Zusammenhänge vermittels logischer Verfahren zu ermitteln, ist es ihnen verboten, über alles Zauberische innerhalb ihrer Welt genauer nachzudenken bzw. rational zu hinterfragen, um die märchenhafte Anmutung des magischen Elements nicht zu zerstören.   
Habe Harry Potter immer noch nicht gelesen (irgendwann mal hol ich das nach), aber das kann ich mir sehr gut vorstellen. Kann das Absicht sein? Die Protagonisten in Harry Potter sind ja Kinder/Jugendliche und Konflikte zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen über den Zustand der Welt werden ja gern per Autorität + Tautologie ("Das ist so, weil isso. Punkt.") gelöst entschieden.
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Re: Wie erzeuge ich Atmosphäre, ohne angestrengt zu wirken?
« Antwort #23 am: 24.05.2013 | 16:24 »
Jain. Das würde ich eher als ein Phänomen ansehen, das gerade für Massenunterhaltung bezeichnend ist, nicht für Filme im Allgemeinen (bzw. im Speziellen gegegnüber anderen Medien). Und selbst da wird sehr viel Erklärung durch Konventionen / Stereotypen ersetzt.

Da gebe ich Dir Recht. Gerade Stephen Kings "The Shining" bzw. dessen Kubrick'sche Verfilmung zeigt, dass die Romanverlage der Bearbeitung hinsichtlich künstlerischer Komplexität, Mut zur Mehrdeutigkeit und Anspielungsreichtum durchaus unterlegen sein kann.

Zitat
Besonders auffällig finde ich das immer bei den Landschaftsbeschreibungen und ihren Visualisierungen in Filmen und Computerspielen, die mich sehr stark an die epischen Landschaftsmalerein und künstlichen Ruinen der Romantik erinnern.

Absolut. Der romantische Eskapismus ist ironischerweise in der Mitte des Philistertums angekommen und mithin voll massentauglich geworden.

Zitat
Habe Harry Potter immer noch nicht gelesen (irgendwann mal hol ich das nach), aber das kann ich mir sehr gut vorstellen. Kann das Absicht sein? Die Protagonisten in Harry Potter sind ja Kinder/Jugendliche und Konflikte zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen über den Zustand der Welt werden ja gern per Autorität + Tautologie ("Das ist so, weil isso. Punkt.") gelöst entschieden.

Autoritäten werden bei HP allesamt desavouiert oder, um im Bild zu bleiben: entzaubert. (Aber ich verrate lieber nicht zu viel, wenn Du die Bücher noch lesen willst. ;))
Eine der wichtigsten Bezugsquellen für die Autorin war - meiner Einschätzung nach - interessanterweise ein Film: "Das Geheimnis des verborgenes Tempels (Young Sherlock Holmes)", dessen Drehbuch von Chris Columbus stammt.
Diese Internats-Detektiv-Welt vermählt JKR mit dem fantasytypischen Plotmuster  eines 'auserwählten' Zauberlehrlings, der letztlich durch Selbsterkenntnis die Welt vor einem Sendling des Bösen, seinem dunklen Zwilling, bewahren muss.
Die Amalgamierung beider Systeme geht allerdings eben nicht ganz nahtlos vonstatten. Der rationale Riss, der durch die Figuren geht, ist meiner Meinung nach ein Kompromiss, den die Autorin eingehen musste, um beide Genres gleichzeitig bedienen zu können.
Genauer gesagt: Man kann kriminaltechnisch gesehen miträtseln, wer der Täter gewesen sein könnte. UND man kann sich von der Schilderung der sehr charmanten magischen Welt bezaubern lassen. Das Gemisch beider Eigenarten hat ja nicht zuletzt zum Erfolg der Romanreihe beigetragen.  
« Letzte Änderung: 24.05.2013 | 16:30 von Thandbar »
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