Autor Thema: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?  (Gelesen 2162 mal)

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Offline D. Athair

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Kreative Prozesse und ich würde behaupten Rollenspiel ist ein solcher (mindestens konkret am Spieltisch aber auch schon bei der Vorbereitung durch die Spielleitung) leben vom Austausch. Auf Fragen (regel- oder settingseitiger Art oder auch in Bezug auf Abenteuer) werden verschiedentlich Antworten und Lösungen gesucht.

Meiner Wahrnehmung nach findet der (im Netz) zunehmend weniger statt.
Wenn man in die Foren schaut, wenn man sich das Fan-Site-Sterben vor Augen hält oder auch auf Blogs nach konkretem Spielmaterial Ausschau hält, dann liegt jedenfalls der Schluss nahe.

Eine andere Sache, die auf beiden Seiten meiner Überlegungen steht sind 3PP. Anbieter wie Raging Swan Press verkaufen viel weniger Stückzahlen ihrer Produkte für Pathfinder, obwohl die (inhaltlich) keineswegs schlechter sind als die offiziellen PF-Sachen von Paizo. Sie sind halt nur nicht DER Pathfinder-Verlag, dem die Marke gehört.
Warum das so ist? Meine Antwort wäre: Gerade im Casual-Bereich (aber nicht nur da) ist die Wahrnehmung Pathfinder = Paizo = gutes Material.

Diese (angenommene) Sicht der Dinge hilft dem kreativen Spiel und dem Austausch gar nicht. Insbesondere dann nicht, wenn die Lösungen auf einen Großteil der Fragen vom Verlag erwartet werden. Was nach meiner Wahrnehmung (siehe Entwicklungen im Netz) auch der Fall ist. Aus Selbermachern werden so Konsumenten, die das Verlagswesen am Leben erhalten.
An der Stelle wechseln die 3PP, die quasi auf der "Bastler-Ebene" Alternativen zum Originalverlag anbieten - was grundsätzlich eine größere Vielfalt bedeutet, dann auch auf die Verlagswesen-Seite. Heißt: Auch bei den Sachen wird etwas Fertiges angeboten, das eigene Überlegungen/Bemühungen substituieren kann. Und Sachen wie DrivethruRPG, LULU oder Kickstarter & Co. treiben den Effekt aus Rollenspielbastlern Konsumenten zu machen nur noch voran. Gerade wenn die Sachen nicht OGL oder creative commons sind.


Meine (ad-hoc) Aufstellung:

Verlage (+) :
  • In einem gewissen Maß können deren (Werbe-)Bemühungen - dazu zähle ich auch organized play oder die Supporter-Systeme - neue Leute ins Hobby bringen.
  • Man mag es gut finden oder nicht: Marken/IPs haben eine gewisse Ausstrahlungskraft. Und die können nur von Verlagen realisiert werden.
  • Neue Veröffentlichungen halten das Interesse an einem Spiel wach.

Verlage (-) :
  • In aller Regel wird da vorgekautes Material abgeliefert. Bastelbücher, die als kreative Hilfen funktionieren sind - selbst bei Verlagen, die solche Produkte vermehrt anbieten (wie Goodman Games) - selten.
  • Das offizielle Verlags-Logo verkommt mehr und mehr zu einem Qualitätssigel, was es letztlich nicht ist.
  • Über Abo-Modelle (faktisch oder in den Köpfen der Spieler) wird Rollenspielmaterial mit Verlagsmaterial gleichgesetzt.


Was sind euere Pro- und Contra-Argumente in Bezug auf das kommerzielle Verlagswesen im RSP-Bereich?
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Offline blut_und_glas

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #1 am: 2.04.2015 | 02:13 »
Kritischer als das klassische Verlagswesen empfinde ich in diesem Zusammenhang eigentlich eher die immer geringere Hürde zum - vor allem Crowd Funding-getriebenen - Eigenverlag, da ich dort das Gefühl habe, dass "ehemals" in den freien kreativen Austausch wandernde Energien und Ideen nun in eine (semi-)kommerzielle Zone umgelenkt werden, die eben auch mit den angezählten Nachteilen behaftet ist (und nebenher auch noch einen Teil der Energie für Marketingaktivitäten absaugen muss).

Trotzdem liegt die eigentliche Frage, denke ich, noch mindestens einen Schritt davor: Findet diese "Verarmung" des kreativen Austauschs zu/mit Material überhaupt wirklich statt (oder sorgt vielleicht einfach nur das Mehr an Verlagsmaterial dafür, dass uns das Gleichviel an freiem Material plötzlich weniger vorkommt)? Und falls sie es tut, findet dann auch eine kreative Verarmung statt (oder wird immernoch gleich gerne und viel gebastelt, aber eben nicht mehr so viel darüber geredet)?

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Offline D. Athair

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #2 am: 2.04.2015 | 04:15 »
Wie gesagt: Ich finde Eigenverlag & DriveThru/Kickstarter/LULU hat zwei Seiten.

Das ist die Eine:
[...] da ich dort das Gefühl habe, dass "ehemals" in den freien kreativen Austausch wandernde Energien und Ideen nun in eine (semi-)kommerzielle Zone umgelenkt werden, die eben auch mit den angezählten Nachteilen behaftet ist (und nebenher auch noch einen Teil der Energie für Marketingaktivitäten absaugen muss).

Die Andere ist:
Dass z.B. über D101 Games Sachen veröffentlicht werden, wie Crypts & Things oder OpenQuest/River of Heaven, die es sonst vielleicht nur als "lose Ideensammlungen" auf irgendeinem Blog/einer HP hätte geben können. Jedoch sind das wirklich tolle Spiele, bei denen es ewig schade gewesen wäre, wenn die nicht hätten entstehen können und stattdessen Fragmente und Hausregelsammlungen hätten bleiben müssen.


[...] eigentliche Frage [...]
Das war der Teil den ich nur zwischen den Zeilen untergebracht habe. Danke fürs Sichtbarmachen!

Ob weniger gebastelt wird, lässt sich schwer beurteilen. Was ich aber festgestellt habe ist, dass halbwegs vorzeigbare Sachen zum einen schnell als Kauf-PDF enden und zum anderen v.a. auf privaten Blogs verstreut sind. Soll heißen systemische Fan-Seiten, die Materialien unterschiedlicher Autoren/Bastler sammeln, gibt es kaum mehr. Das Verschwinden systemübergreifender Fanzines (zuletzt Abenteuer!), die ja (z.B. in zugehörigen Foren) auch eine Art von Austausch befeuern, mag da auch zu beitragen.

@ kreative Verarmung: Die würde ich nicht feststellen wollen. Das was an Basteleien in schriftlicher Form vorliegt ist auf viele Orte und Systeme zerstreut. Und: Auch Verlagsprodukte, wie die Pathfindersachen, können die Imagination in der konkreten Gruppe stärken.

Oder: Um bei Pathfinder (wegen seines irren Produktausstoßes) zu bleiben: Der Verlagsprodukte liefern ihre Ideen "an einem Ort". Auf der Verlagsseite kann ich mich umschauen, was ich brauchen kann und dann das kaufen, was mir gerade taugt. Heißt: Die Verlage werden zu Orientierungsmarken in einem unübersichtlich gewordenen Markt. Genau das aber wiederum produziert vielleicht eine "kreative Limitierung". Orientierung um den Preis des Vorgekauten.

Im Verlagswesen selbst sehe ich zwei Tendenzen: Einerseits weichen "Veteranen" - wenn sie es sich zeitlich leisten wollen - mehr und mehr auf Alternativen aus (Zersplitterung der "Szene"). Neulinge und Casual Gamer dagegen orientieren sich mehr an den Verlagen.

Für gemeinsames Überlegen und Basteln sind die Räume in den letzten 5-7 Jahren mMn kleiner geworden.
Nicht, weil es keine Möglichkeiten gäbe, sondern weil sowas wie eine gemeinsame Sprache zunehmend fehlt.
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Belphégor

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #3 am: 2.04.2015 | 13:43 »
Das Verlagswesen hilft, denn die großen Verlage mit ihren großen Systeme sorgen für eine gemeinsame Sprache. In Deutschland kann fast jeder irgendwie bei DSA mitreden, weil er zumindest schonmal davon gehört hat. Ulisses bietet mit seinem Verlagsforum (neben dem DSA4Forum) einen gemeinsamen Anlaufpunkt. Dort wird miteinander gesprochen. Dort wird auch munter vor sich hinentwickelt. Und mit dem Orkenspalter gibt es sogar eine große Fanseite, wo man gesammelt Material findet. Ähnliches gilt für D&D.

Bei kleinen Spielen funktioniert das hingegen nicht, weil dort nie eine ausreichend große Menge an Fans zusammenkommt, um überhaupt Diskussionen zu ermöglichen. Du brauchst halt mindestens 50 Leute, die sich aktiv an so etwas beteiligen, wenn so eine Aktion zum Selbstläufer werden soll. Kleinere Gruppen sind dafür zu instabil. Ich würde daher vermute, der wahrgenommene Mangel an Spielmaterial liegt an der stärkeren Zersplitterung. Vermutlich noch verstärkt, weil besonders aktive Spieler sich oft für Nischensysteme interessieren, wo sie eben keinen Resonanzkörper finden.

Offline Blechpirat

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #4 am: 2.04.2015 | 13:50 »
Für mich steht ein Verlag - jedenfalls, wenn er sich eine Weile bewährt hat - auch für eine bestimmte Qualität. Was dort erscheint, ist dann lektoriert und korrekturgelesen worden und damit i.d.R. besser als "freies" Material. Außerdem gäbe es ohne Verlage keine Rollenspielläden, damit keine Anlaufpunke für die Szene und Neuspieler und die Rollenspieler würden langsam aussterben.

Offline D. Athair

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #5 am: 2.04.2015 | 14:40 »
Für mich steht ein Verlag - jedenfalls, wenn er sich eine Weile bewährt hat - auch für eine bestimmte Qualität.
Kommt darauf an.
Bei WFRP finden sich gerade im Fan-Bereich sehr viele gute Sachen, die z.T. besser oder on par mit offiziellen Sachen sind.

Das mag auch daran liegen, dass Hogshead und Black Industries die Fanszene - wahrscheinlich auch ob des schon Vorhandenen - gefördert haben. Warpstone wurde zeitweise sogar von Hogshead vertrieben. Autoren die für Black Industries schrieben, waren auch an Fan-Sachen beteiligt. Ich denke da besonders an Steve Darlington, Jude Hornburg oder Andy Law.

Mag sein, dass WFRP - auch wegen der wechselhaften Geschichte des Spiels - da eine Ausnahme ist.
Es zeigt aber zwei Dinge: 1) Fan-Sachen sind nicht automatisch schlechter als Verlagssachen und 2) Ein Verlag kann auch gerade wegen der Förderung der Fans überleben.

Das bedeutet: Eigentlich braucht es gar nicht das Modell der Verlagsdominanz. Nur weil Paizo das so macht, heißt das noch lange nicht, dass das gut oder gar notwendig ist. FFG schwimmt leider im selben Fahrwasser.
Kann sein, dass es das ist, was mich eigentlich nervt.
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Offline Bad Horse

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #6 am: 2.04.2015 | 18:04 »
Bei WFRP finden sich gerade im Fan-Bereich sehr viele gute Sachen, die z.T. besser oder on par mit offiziellen Sachen sind.

Die finden sich vielleicht, aber dafür muss man danach suchen. Es hat nicht jeder die Zeit oder die Lust, da Spreu vom Weizen zu trennen.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

Ein Pao ist eine nachbarschaftsgroße Arztdose, die explodiert, wenn man darauf tanzt. Und: Hast du einen Kraftsnack rückwärts geraucht?

Offline D. Athair

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Re: Verlagswesen ... Hemmschuh oder Hilfe für's Rollenspiel?
« Antwort #7 am: 2.04.2015 | 18:41 »
Die finden sich vielleicht, aber dafür muss man danach suchen. Es hat nicht jeder die Zeit oder die Lust, da Spreu vom Weizen zu trennen.
Die Verlags-HP von Black Industries war damals auch mit die wichtigste Fan-Site. Da wurde ein großer Teil der verfügbaren Sachen gehostet. Und was die Trennung der Spreu vom Weizen angeht: Das Problem habe ich doch bei Verlagsmaterial gleichermaßen.
Die Inhalte werden ja nicht mit der Aufmachung besser.

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