Autor Thema: Sternenstaub  (Gelesen 606 mal)

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Offline sturmkind

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Sternenstaub
« am: 15.04.2016 | 20:04 »
Diese Geschichte habe ich als Fingerübung für ein anderes Forum geschrieben. Thema war: warum liegen eigentlich manchmal Schuhe auf der Straße?
Als Auflösung waren nicht die offensichtlichen Dinge wie verloren, Unfall, etc. gewünscht.

Ich hoffe, der eine oder andere hat Spaß beim Lesen.




Sternenstaub

Sie stand im Schatten.
Das Licht der Straßenlampe kam nicht bis unter die Brücke der Straßenbahn, unter die sie sich geflüchtet hatte. Seit Stunden regnete es in Strömen, und vom Vollmond war nichts zu sehen.
Er hatte gesehen, wie sie dorthin gehastet war, krampfhaft bemüht, nicht zu weinen, ihr kleines Mädchen mit einem Arm fest an sich gedrückt, während sie mit der anderen Hand den Babysitz trug.
Ihre Schuhe waren zerschlissen und ihr Mantel längst abgetragen und selbst für die Heilsarmee zu schäbig. Die mausbraunen Haare klebten nass an ihrem Schädel und in ihren Augen war das Licht verloschen.
Er wischte sich geduldig den Regen aus den Augen und starrte weiter zu ihr hinüber.
Sie zog ihren Mantel über ihr Baby, das leise zu weinen begonnen hatte vor Kälte.
Langsam und behutsam ging er in ihre Richtung.
Er wusste, dass sie ihn noch nicht gesehen hatte, denn auch er bewegte sich am Rand des Schattens.
Als er sie erreichte, berührte er sie sanft am Arm.
Sie zuckte zusammen und sah in sein Gesicht, voller Furcht.
Doch er lächelte nur freundlich und sie entspannte sich wieder.
„Kommen Sie.“, sagte er mit seiner tiefen, ruhigen Stimme.
Sie nickte und folgte ihm wortlos.
Er führte sie in einen schäbigen kleinen Imbiss, in dem ein paar nackte Glühbirnen an der Decke hingen und eine alternde Bedienung missmutig am Tresen herumlungerte.
Aber es war warm und trocken und außer ihnen waren nur ein oder zwei Gäste an der Theke.
Hier waren sie ungestört.
Er gab der Bedienung zu verstehen, dass er gerne etwas bestellen wollte.
Er orderte zwei Tassen heißen Tee und beachtete sie dann nicht weiter, was ihm eine Grimasse hinter seinem Rücken einhandelte.
„Danke.“, hauchte die Frau vor ihm und zog ihrer Tochter ein paar nasse Sachen aus, um sie dann in die Babytrage zu legen, wo sie dank der Wärme fast augenblicklich einschlief.
Interessiert betrachtete er sie, wie sie die Tischplatte anstarrte und gelegentlich die Nase hochzog. Sie war so dünn…
„Sie wirken, als hätten Sie einen harten Tag gehabt.“, stellte er fest.
Ihre Augen richteten sich erstaunt einen Moment lang auf ihn, bevor sie wieder die Tischplatte anstarrte.
Ein zaghaftes Nicken war ihre Antwort.
„Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein?“
Ihr Gesicht wurde fast augenblicklich rot.
„So eine bin ich nicht. Tut mir leid, da müssen Sie sich schon eine andere suchen…“
Er runzelte die Stirn.
„So war das auch nicht gemeint.“
Wieder huschte ihr Blick einen Moment lang zu ihm, verweilte kurz und richtete sich dann wieder auf den Tisch.
„Ich habe Sie aus der Arztpraxis kommen sehen. Eigentlich haben Sie mich fast umgerannt.“, erklärte er ihr.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Er griff nach ihrer Hand und drückte sie leicht. Erschrocken zog sie ihre Hand weg.
„Entschuldigen Sie, das war unangemessen.“
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:
„Manchmal wird eine Last leichter, wenn man sie mit jemandem teilt, wissen Sie?“
Sie lachte bitter auf.
„Diese nicht.“, flüsterte sie und die Tränen liefen ihr über die Wangen.
Eine Weile sagte keiner von beiden ein Wort. Er lehnte sich zurück und streckte seine Beine bequem neben dem Tisch aus.
Sie sah ab und an den Fremden an, der vor ihr am Tisch saß.
Die dunklen kurzen Haare, die irritierend blassblauen Augen.
Den altmodischen braunen Mantel, den er trug. Und die blauen, ausgelatschten Turnschuhe, die ihr vorhin schon aufgefallen waren.
Sie gab sich einen Ruck.
„Meine Kleine ist krank.“, flüsterte sie.
Er sah sie nur weiter aus seinen verstörenden Augen aufmerksam an, schwieg aber.
„Sie hat Krebs oder sowas in der Art… der Arzt sagt, sie wird sterben. Es gibt kein Heilmittel.“
Sein Blick richtete sich auf das schlafende Kind.
Wie alt war es? Drei Monate? Vier?
So klein. So zart. So zerbrechlich.
Die Bedienung brachte den dampfenden Tee.
Augenblicklich schloss sie ihre kalten Hände um ihre Tasse, um sie aufzuwärmen.
„Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen?“, fragte er unvermittelt.
Sie schien verwirrt.
„Was?“
Er kratzte sich verlegen am Kopf.
„Eine Geschichte. Ein Märchen, wenn Sie so wollen. Ich kann Ihnen und Ihrem Kind nicht mehr Gutes tun. Aber vielleicht denken Sie ein paar Minuten an etwas anderes, während Sie Ihren Tee trinken und ich Ihnen die Geschichte erzähle.“
Sie zuckte mutlos mit den Schultern.
„Haben Sie sich schon jemals gefragt, warum auf Straßen und Kreuzungen so oft einzelne Schuhe liegen?“, fragte er.
Sie schüttelte leicht den Kopf.
„Ist mir nie aufgefallen.“, flüsterte sie.
„Doch doch. Immer wieder liegen einzelne Schuhe, manchmal auch Paare, auf der Straße. Die gehörten einem Engel.“
Sie zog ungläubig eine Augenbraue nach oben.
„Wirklich. Es ist so, dass Engel von Dämonen nicht gesehen werden können, wenn sie unter Menschen wandeln. Nur im Licht von Lampen enthüllen sie einem Dämon, was sie sind. Und nur im Licht des Mondes, auf einer Straße oder noch besser auf einer Kreuzung, kann der Dämon den Engel stellen und töten.“
Sie starrte ihn an.
„Dämonen und Engel sind seit jeher verfeindet. Je weniger Engel es auf der Erde gibt, umso leichteres Spiel haben die Dämonen.“
Ihre Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet.
„Warum halten sie sich dann nicht von den Straßen und Kreuzungen fern? Die Engel, meine ich.“
Er war verdutzt.
„Naja, sie müssen auch über Straßen gehen.“
„Und warum ausgerechnet Straßen?“, hakte sie nach.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“, gab er schulterzuckend zu.
„Sie sind ein grauenhafter Geschichtenerzähler.“
Er lächelte.
„Das stimmt leider.“
„Warum bleiben die Schuhe zurück? Und warum nur die Schuhe?“, fragte sie.
Er strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
„Weil sie noch am deutlichsten der Erde und damit dem Weltlichen verhaftet sind, würde ich schätzen. Außerdem bleibt noch etwas anderes zurück. Eine Hand voll Sternenstaub.“
Sie runzelte die Stirn.
„Sternenstaub?“
„Nun, sie sind immerhin Geschöpfe des Himmels.“
„Aber dann müssten sie irgendwann ausgerottet sein und die Dämonen würden die Welt regieren?“
Wieder lächelte er.
„Sehr guter Einwand. Es kommen Engel nach. Sie werden nicht geboren, aber es kommen Engel nach. So lange es Dämonen gibt, wird es niemals keine Engel geben.“
„Sie lassen also ihre Schuhe zurück und… Sternenstaub?“
Er nickte.
„Man sagt diesem Sternenstaub besondere Kräfte nach.“, sagte er leise.
Sie sah ihn zweifelnd an und sein durchdringender Blick richtete sich auf ihre Tochter.
„Es heißt, wenn man einem Kind etwas Sternenstaub in den Mund gibt, erwirbt es sich die Gunst des Schicksals, für den Rest seines Lebens.“, raunte er, ohne den Blick von dem Kind zu nehmen.
„Ich glaube nicht an Engel.“, sagte sie nüchtern.
Sein Blick glitt zurück zu ihrem Gesicht.
„Vielleicht glauben die Engel aber an Sie?“
Vor dem Fenster hinter ihm sah sie draußen einen Menschen vorbei gehen.
Die Lampen flackerten eine Sekunde lang, bevor sie wieder aufleuchteten.
Ein Schauder lief ihm über den Rücken.
„Warum sollten sie das denn tun?“
Er nahm erneut ihre Hand und drückte sie.
„Weil Sie sie berühren.“
Dieses Mal zuckte sie nicht zurück.
„Wie dem auch sei… Sie haben Recht, ich bin ein grauenhafter Geschichtenerzähler.“
Ein spitzbübisches Grinsen huschte über seine Züge.
„Ich muss Sie leider verlassen, ich habe noch etwas Wichtiges vor. Aber seien Sie sicher: ich wünsche Ihnen und Ihrer Tochter nur das Beste. Verzagen Sie nicht.“
Er legte einen viel zu großen Geldbetrag auf den Tisch.
„Würden Sie so nett sein und bezahlen? Ich habe es ein wenig eilig. Den Rest dürfen Sie gerne behalten. Vielleicht reicht es für eine neue Winterjacke.“
Sie sah ungläubig den Geldschein an.
Hektisch winkte sie der Bedienung und ließ sich das Restgeld geben.
„Warten Sie!“, rief sie ihm nach, während er zur Tür ging und sie eilig ihre Sachen zusammen suchte.
„Warten Sie doch!“
Er zögerte, blieb einen Wimpernschlag lang stehen.
„Was?“, fragte er angespannt über seine Schulter, ohne sich umzudrehen.
„Wo wollen Sie denn hin? Ich kenne nicht mal Ihren Namen!“
Beinahe hatte sie ihre Tochter schon wieder in ihr Jäckchen gesteckt.
„Mein Name ist Remiel.“
Er drehte sich nun doch ein Stück weit um und sah sie liebevoll an.
„Sehen Sie nur, der Himmel hat aufgeklart.“, meinte er abwesend, während er zur Tür ging.
Leise fiel sie hinter ihm ins Schloß.
Einen Augenblick später flackerten die Lampen erneut.
 
Als sie draußen auf der Straße ankam, sah sie im Mondlicht nur einen einzigen Menschen, der von der Statur her auf keinen Fall Remiel sein konnte, eilig von der Straße rennen.
Dort lag, mitten auf der Kreuzung im Mondschein, ein einzelner, ausgelatschter blauer Turnschuh.
Chaotic stupid is NOT an alignment!

Verwirr mich nicht mit Fakten, ich hab schon eine Meinung.

Offline Conan der Barbier

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Re: Sternenstaub
« Antwort #1 am: 16.04.2016 | 11:13 »
Das Ende an sich ist natürlich vorhersehbar. Aber ich habe seine Bedeutung erst mit ein paar Sekunden Verzögerung nach dem Lesen erfasst - meiner Meinung nach kein schlechtes Zeichen für die Geschichte ;)
Furztrocken!

Mein neuer Favorit der Reihe "Freud im Rollenspiel": "Nur ein toter Zombie ist ein guter Zombie!" - "...wart mal. ALLE Zombies sind tot..."