Autor Thema: Mechanik in Rollenspielen - Oder: Zum Anspruch und Kunstbegriff von RPGs  (Gelesen 10150 mal)

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Wellentänzer

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Heute habe ich einen Satz gelesen, der bei mir ein paar Glöcklein des Verständnisses geläutet hat bezüglich eines schon lange vor sich hingärenden Themenkreises:

Gibt es nun "anspruchsvolle" Rollenspiele und wie sehen die aus?

Können Rollenspiele "Kunst" sein?

Kann man Rollenspiele bewerten im Hinblick auf den Anspruch bzw. auf deren künstlerischen Gehalt?

Diese Fragen werden und wurden ja schon vielfach mit großem Eifer und einer mitunter abstoßenden Heftigkeit diskutiert. Der Satz, welcher meinem Verständnis diesbezüglich auf die Sprünge geholfen hat, hat auf den ersten Blick gar nichts mit diesen Fragen zu tun und stammt aus dem Tanelorn:

Zitat
Manche Leute denken mechanisch, also einzig und allein in Spielmechaniken; das hat mit Rollenspiel eigentlich recht wenig zu tun.
*

Dazu fallen mir zwei Dinge ein, die mir in dieser Form noch nicht klar waren und die ich auch noch nirgends gelesen habe.

1. Der Satz beinhaltet eine enorm wichtige Unterscheidung in der Herangehensweise an Rollenspiele(rn), die bislang so noch nicht angedacht wurde.

Es gab schon diverse Versuche, Rollenspieler zu klassifizieren. Das funktioniert natürlich immer nur teilweise. Es gibt schlicht zu viele Facetten im Rollenspiel und bei Rollenspielern, wodurch immer ein bisschen Information auf der Strecke und damit unerfasst bleibt. Andererseits ergeben Teile solcher Typologien oftmals auch Sinn und helfen durch ihre Vereinfachung beim Verständnis einiger Phänomene am Spieltisch.

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Die gemeinsame Klammer ist nun, und damit kommen wir zum Kern des ersten Punktes und zugleich zurück zum Zitat, die Mechanik bzw. das der Mechanik beigemessene Gewicht. Damit meine ich das Ausmaß und die Wichtigkeit, welche Spieler und deren Runden der Mechanik im Rollenspiel beimessen. Man kann das meinetwegen mit Begrifflichkeiten wie Mechanik, Mechanikorientierung oder Mechanikpräferenz bezeichnen. Ich machs mir im Folgenden mal leicht und rede da von "Mechanik".

Es ist nach meiner Auffassung diese so definierte Mechanik, welche (z.B. über Charakteroptimierung) das herausforderungsorientierte Spiel und das (z.B. über Handlungsmaschinen) auf Weltsimulation getrimmte Spiel vereinigt.

Es ist auch die Mechanik, an der sich die größten Diskussionen zwischen nWoD und oWoD entzünden. Einige Beitragende halten die Verbesserungen des Regelkerns der nWoD für so wesentlich, dass ein Relaunch gerechtfertigt ist, während andere kopfschüttelnd mit der regeltechnisch schlechter gestellten, aber settingtechnisch voll etablierten oWoD weitermachen.

Es ist die Mechanik, welche einige Leute Contests über die Effizienz von Charakteren veranstalten und andere Leute den Kopf darüber schütteln lässt.

Es ist die Mechanik, welche die 4E und die D&DNext („rulings, not rules“) ganz fundamental voneinander trennt.

Es ist die Mechanik, welche einige Leute ihre Charaktere mit großer Freude optimieren und andere für derlei Zeitvertreib dazu wenig erfreuliche Bezeichnungen (Powergamer, Munchkin) finden lässt.

Es ist umgekehrt die (fehlende) Mechanik, welche einige Leute ihre Charaktere auch abseits von Werten und Spielabenden liebevoll ausgestalten und andere für derlei Zeitvertreib dazu wenig erfreuliche Bezeichnungen (Barbiespieler) finden lässt.

Es ist auch die Mechanik, welche einige Leute mit Begeisterung einen Partipationismus inklusive aller Konsequenzen (Railroading, Dramaturgie, Rule of Cool etc.) praktizieren lässt, der in anderen die blanke Abscheu vor so wenig „Spiel im Spiel“ entstehen lässt.

Es ist die Mechanik, welche einige Beitragende eine generelle Abbildbarkeit von NSC durch die Regeln fordern lässt, während andere Leute das mit Kopfschütteln quittieren, weil dadurch einer Spielwelt womöglich der mystische Reiz abhandenkommt.

Und so weiter.

Kurzum: es ist die Mechanik, welche viele der fundamentalen Fragen rund um Rollenspiele entscheidend beeinflusst.
 
Es ist somit auch die Mechanik, welche viele der maßgeblichsten Unterschiede von Spielern und Spielrunden erklärlich macht. Die Mechanik ist quasi ein Maßstab zum Verständnis und Verhältnis der beiden Komponenten unseres Hobbies: des (üblicher Weise qualitativ orientierten) Agierens in einer Rolle (roleplaying) und des (üblicher Weise quantitativ verregelten) spielerischen Anteils (game).

Der typische Rollenspieler wird durchaus an beiden Komponenten Spaß haben, weil er sich sonst vermutlich schlicht für ein anderes Hobby begeistern würde. Zu wichtig sind beide Komponenten in Rollenspielen, um auf eine davon komplett verzichten zu können. Jedoch können natürlich die Ausprägungen und Gewichtungen der beiden Facetten über Spieler, Spielrunden und sogar Spielabende innerhalb der gleichen Spielrunde vollkommen unterschiedlich sein.

Sicherlich gibt es auch Spieler, und zu denen zähle ich mich, die keine klar definierten und schon gar nicht zeitstabile Präferenzstrukturen haben. Das könnte sogar gut und gerne die Mehrheit der Rollenspieler umfassen. Diese Leute spielen dann je nach Runde, aktueller Situation und dem jeweiligen System gerne unterschiedliche Mischungen aus dem Agieren in einer Rolle und den spielerisch verregelten Teilen.

 

2. Der Satz ist ganz grundsätzlich richtig.

Ich halte den Satz für richtig, weil es sich bei Mechanik zwar um eine für Rollenspiele sehr wesentliche Komponente handelt. Ohne Mechanik bleibt nur freies Agieren in einer Rolle übrig. Das ist Improtheater. Ohne freies Agieren in einer Rolle bleibt hingegen die Verregelung von Aktionen übrig. Das sind reine Brettspiele. Nur die parallele Existenz beider Komponenten ist meiner Ansicht nach konstitutiv für Rollenspiele. So definiert sind dann übrigens auch Erzählspiele klarer Weise Rollenspiele. Und so Klamotten wie die Werwölfe aus dem Düsterwald. Oder Räuber und Gendarm. Etc. Finde ich in Ordnung. Darum gehts mir an dieser Stelle aber nicht in erster Linie. **


 
Und was hat das alles nun mit dem Anspruch und Kunstbegriff eines Rollenspiels zu tun?

Die Mechanik erklärt, wie spezifisch beziehungsweise ganzheitlich die Rollenspieler einer Runde beansprucht werden. In Runden mit hoher Mechanik sind vor allem logisch-mathematische Fähigkeiten gefragt. Es geht um das Erkennen von Mustern, um die Entwicklung und Umsetzung von Taktiken, um die strategische Ausrichtung des Charakters, um die abstrakte Erfassung von Beziehungen zwischen Stakeholdern etc. Das kann alle Beteiligten beliebig fordern und geht von einer typischen Bier&Bretzel-Runde mit viel Alkohol und deren mehr oder weniger zielorientierten Würfeleien bis hin zu maximal ausgefuchsten und anforderungsintensiven Runden höchster Ambition.

In Runden mit geringer Mechanik werden die Beteiligten auch abseits der logisch-mathematischen Fähigkeiten gefordert. Dennoch besteht je nach Ambition der Gruppe womöglich eine höhere Belastung der Beteiligten. Denn eine solche Runde benötigt einerseits logisch-mathematischen Fähigkeiten, welche für das Erfassen von Situationen unerlässlich ist. Das geschieht vermutlich in einem geringeren Ausmaß als in Gruppen mit hoher Mechanik. Hinzu kommen im Falle von geringer Mechanik jedoch erheblich stärkere Anforderungen an sprachlich-linguistische, körperlich-kinästhetische, interpersonale und auch intrapersonale Aspekte der Intelligenz.

Dadurch ist meiner Ansicht nach die Auffassung begründbar, dass in Runden mit geringer Mechanik durchaus ein höherer Anspruch im Sinne einer ganzheitlicheren Belastung der Beteiligten einhergehen kann. Auch kann in Runden mit enorm geringer Mechanik durchaus einmal etwas entstehen, was die Beteiligten als „Kunst“ auffassen. Das wiederum lässt sich in Runden mit hoher Mechanik schwerlich nachvollziehen.***

Soweit erst mal meine Gedanken. Muss gleich los, deshalb ist das alles noch etwas ungeordnet.  Bin gespannt auf Eure Kommentare, werde aber nur sehr wenig dazu kommen, den Thread zu moderieren oder inhaltlich zu begleiten.

Wichtig ist mir, dass eine konstruktive, inhaltlich geführte Diskussion zustandekommt. Das ist angesichts des Themas und seiner Implikationen geboten. Bitte haltet Euch daran. Herzlichen Dank.

Und nun viel Spaß beim Diskutieren. Ich bin gespannt auf Eure Gedanken.

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Offline Auribiel

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Vielen Dank für den Denkanstoß.

Unbewusst war mir die Differenzierung "Mechanik-Liebhaber" und "Rollenspiel-Liebhaber" schon bewusst, allerdings haben deine Beispiele es in die Bewusstheit gerückt und deutlich vor Augen zu führen gewusst.

Und ähnlich wie du kann ich mich nicht klar einer der beiden Fraktionen zuordnen. Ja, ich kann völlig frei spielen, nutze dann aber trotzdem Entscheidungswürfel. Andererseits mag ich auch klar strukturierte "Mechanik" (und fühle mich entsprechend gerade hin und her gerissen zwischen SaWo und Fate).

Zitat
Dadurch ist meiner Ansicht nach die Auffassung begründbar, dass in Runden mit geringer Mechanik durchaus ein höherer Anspruch im Sinne einer ganzheitlicheren Belastung der Beteiligten einhergehen kann. Auch kann in Runden mit enorm geringer Mechanik durchaus einmal etwas entstehen, was die Beteiligten als „Kunst“ auffassen. Das wiederum lässt sich in Runden mit hoher Mechanik schwerlich nachvollziehen.***

Interessanter Gedanke. Wäre die Frage, ob denn ein Anspruch besteht, "Kunst" zu erstellen? Vermutlich lässt sich das in Runden mit hoher Mechanik nicht nachvollziehen, weil sie nie auf eben diesen Anspruch kämen und stattdessen eher die Verfeinerung von Taktik im Vordergrund steht?
Feuersänger:
Direkt-Gold? Frisch erpresst, nicht aus Konzentrat?

Eulenspiegel

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Ohne Mechanik bleibt nur freies Agieren in einer Rolle übrig. Das ist Improtheater. Ohne freies Agieren in einer Rolle bleibt hingegen die Verregelung von Aktionen übrig.
Das sehe ich anders. Sowohl beim Pen&Paper als auch beim LARP gibt es auch 100% Freeforming.

Es gibt zum Beispiel die beiden folgenden Prinzipien, die in manchen LARPs umgesetzt werden:
- You can what you can.
- You can what you can show.

Und im Pen&Paper gibt es auch einige Runden, wo auf Regeln vollkommen verzichtet wird und rein auf Plausibilitätsabwägungen entschieden wird.

Das fühlt sich jeweils komplett anders an als Improtheater.

Offline Chiarina

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Um ehrlich zu sein: Das Fass, das du hier aufmachst, ist mir zu groß.

Ich kann deine Abgrenzungen nachvollziehen, diese Kunstdebatte ist in meinen Augen aber indiskutabel - und zwar deshalb, weil Kunst so vielfältig ist. Es gibt eben auch Kunst, in der eine bestimmte mechanistische Herangehensweise wichtig ist. Denke mal an Konzeptkunst oder gewisse Phänomene in der Minimal Art: Die Produkte können hier auch einfach Ideen sein, die mittels einer bestimmten Mechanik umgesetzt und dann zur Kunst erklärt werden...

Was ich sagen will: Der Kunstbegriff ist zu allgemein, die konkreten Phänomene zu vielfältig um in dieser Diskussion sinnvoll verwendet werden zu können. Wenn der Bezugsrahmen konkreter gewählt würde, wäre die Diskussion in meinen Augen eventuell sinnvoll.

Chiarina.

Drei Beispiele für Kunst, in der mechanistische Herangehensweisen eine größere Rolle spielen:

Sol Le Witt (Minimal Art): http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.printed-editions.com%2Fupload%2Fstandard%2FSol_Lewitt_Stars___Light_Center__314.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.printed-editions.com%2Fartwork%2Fsol-lewitt-stars---light-center--7211&h=340&w=600&tbnid=YXtKxHL-Y8M7gM%3A&zoom=1&q=sol%20lewitt&docid=NA2QjzYB1rhFOM&ei=wzsxVPeiNYH2O_uJgLAI&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=1613&page=3&start=137&ndsp=75&ved=0CKYCEK0DMGA4ZA)

On Kawara (Konzeptkunst): http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fupload.wikimedia.org%2Fwikipedia%2Fcommons%2F5%2F53%2FOn_Kawara%2C_June_19%2C_1967_from_Today_Series%2C_No._108%2C_1966_-_Black_Power_in_the_United_States_%2C_1967_%283785168562%29.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fde.wikipedia.org%2Fwiki%2FOn_Kawara&h=1475&w=1894&tbnid=sbnQvFFwvpaP4M%3A&zoom=1&q=konzeptkunst%20On%20Kawara&docid=F7yndjpjV_LcWM&ei=3j4xVK7uF8e3OPCEgfAO&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=478&page=1&start=0&ndsp=60&ved=0CCwQrQMwBA

Andy Warhol (Pop Art): http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2F4.bp.blogspot.com%2F-K7uzvqc6oAM%2FTiwGxHU5ooI%2FAAAAAAAABNk%2FOgWz5TSb1CE%2Fs1600%2F1farbwahn.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Ffarbwahn.blogspot.com%2F2011%2F08%2Fbildbeschreibung-andy-wahrol-campbells.html&h=493&w=812&tbnid=b503TYxgHefIVM%3A&zoom=1&q=andy%20warhol%20campbell%C2%B4s&docid=XkH-PEl8IvbK9M&ei=_UAxVM2rG4LvOY7fgIAN&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=649&page=1&start=0&ndsp=70&ved=0CCUQrQMwAQ
[...] the real world has an ongoing metaplot (Night´s Black Agents, The Edom Files, S. 178)

Offline Slayn

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@Wellentänzer:

Für mich persönlich ist das irgendwie ein bizarrer Beitrag. Ich kenne das wirklich nur so das man sich gemeinsam entscheidet wo das Primat liegen soll, Regeln oder Erzählung und dann mehr oder weniger konsequent dabei bleibt. Ich für meinen Teil komme mit den beiden Extrempolen am besten klar, da hier die implizierten und expliziten Regeln am eindeutigsten sind, bekomme aber Probleme mit den Mischformen.
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Online 1of3

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Ja, das ist schwierig. Du fragst:

Zitat
Können Rollenspiele "Kunst" sein?

Da ist nun zunächst mal die Frage: was heißt in diesem Satz "Rollenspiel"? In deinen weiteren Ausführungen wird klar, dass du dich nicht auf Rollenspiele als Produkte, nicht auf die Bücher, beziehst, sondern auf "Play", also das Tun am Spieltisch.

Jetzt kommt ein Problem auf, denn Kunst definiert sich immer als Tun in einem bestimmten Medium. Es gibt z.B. Bildhauerei, Schauspiel, Musik oder Literatur. Wenn wir jetzt Play als Kunst verstehen wollen, müssen wir erst einmal wissen, was das für ein Medium ist. Begreifen wir Play als Form als Schauspiel und wenden zur Bewertung des künstlerischen Anspruchs den des Schauspiels an? Betrachten wir es als Erzählung und wenden Kriterien der Narratologie an? Ist es eine Mischform?

Und wenn wir schon nicht klar sagen können, dass es Schauspiel oder Erzählung ist, wieso exkludierst du dann direkt jenen anderen Bereich? Wieso ist es nicht Teil der Kunst des Rollenspiels einen Charakter mit allen mechanischen Kniffen zu bauen, wenn wir unseren Kunstbegriff sowieso schon neu ziehen müssen?

Offline Crimson King

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Ich persönlich halte den Aspekt, dass die Stärke der Verregelung die Form von Kreativität, die im Rollenspiel gefragt ist, maßgeblich beeinflusst und das Spiel bzw. das Ergebnis in Bezug auf erzählerische und darstellerische Qualität sowie emotionalen Impact höheren Ansprüchen genügt. Den Kunstbegriff würde ich dabei aber außen vor lassen. Es gibt keine allgemein anerkannte Definition von Kunst. Von daher stehe ich auf dem Standpunkt, dass Rollenspiel bzw. das Ergebnis des Spiels genau dann Kunst ist, wenn die Mitspieler es als Kunst ansehen.

Davon abgesehen halte ich es für sehr relevant, den Blick auf die Art der verwendeten Mechaniken zu richten. Diverse Indies sind z.B. sehr stark verregelt. Die Art der Regeln ist aber eine völlig andere als bei DnD oder GURPS/Rolemaster. Auf der Seite der Gamisten und Weltensimulierer werden Regeln üblicherweise direkt darauf angewandt, ob eine Handlung erfolgreich ist oder nicht. Auf der anderen Seite stehen Regeln, die vornehmlich die Auswirkungen der Handlung auf die Story betrachten oder die nicht die Auswirkungen der Handlung, sondern die Erzähl- und Entscheidungsrechte verregeln.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Offline blut_und_glas

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In Runden mit hoher Mechanik sind vor allem logisch-mathematische Fähigkeiten gefragt.

Zitat
In Runden mit geringer Mechanik werden die Beteiligten auch abseits der logisch-mathematischen Fähigkeiten gefordert.

Das halte ich, wie andernorts schon einmal angemerkt, für eine fragwürdige, eigentlich sogar schon fast patent falsche Zuschreibung von bestimmten Fähigkeiten als mechanisch/nicht-mechanisch.

Richtig ist sicher, dass extrem viele Spiele in ihrer Mechanik ausgerechnet der logisch-mathematisch-orientierten Linie folgen, aber Mechanik kann auch andere Fähigkeiten abfragen/Herausforderungen können anderen Bereichen entstammen.

Auf den Kunstbegriff bezogen stellt sich zudem die Frage, ob nicht auch die Mechanik selbst (beziehungsweise deren Anwendung/Ergebnis) als Kunst begriffen werden kann.

Die Überlegungen zum Rollenspiel als unbedingt aus mechanischen und nicht-mechanischen Anteilen bestehend passen für mich damit so nicht mehr recht zusammen mit der Frage nach dem Kunstbegriff (und dem Versuch diese Anteile auf verschiedene Fähigkeiten zu beziehen).

mfG
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Online Arldwulf

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Es läuft am Ende darauf hinaus was man von Regeln erwartet. Wenn man von ihnen Inspiration und Hilfe, Umsetzungsvorschläge erwartet, dann sind sie ein Mittel um Kreativität zu fördern. Und in diesem Fall hat die Mechanik natürlich sehr viel mit dem Rollenspiel zu tun, und Archoangels Satz wäre falsch.

Man kann Regeln aber auch als ein Parallelspiel zum Rollenspiel sehen, als etwas das mit den eigentlichen Charakteren und ihren Abenteuern nichts zu tun hat. Und dann wird der Satz wieder richtig.

Ich mag den ersten Ansatz deutlich lieber, und würde deshalb auch sagen: Gute Regeln für die einzelnen Aspekte des Spiels zu haben ist wichtig.

Offline Fredi der Elch

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Wer heute noch eine klare Trennung zwischen "Rollplay" und "Roleplay" bzw. zwischen "Mechanik" und "freiem Ausspielen" (was immer das beides heißen mag, da gibt es längst bessere Begriffe und Konzepte) sieht, hat offensichtlich die letzten 10 Jahre Rollenspieltheorie verpasst. Und dann noch an der Trennung eine implizite Wertung festmachen (Roleplaying könnte Kunst sein, Rollplaying auf keinen Fall) - nein danke. Das ist eine überflüssige bis schädliche Diskussion.

Edit: Hey, der nächste Post von Rumpel sagt das viel besser, was ich sagen wollte. :)
« Letzte Änderung: 5.10.2014 | 17:38 von Fredi der Elch »
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Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.

Achamanian

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Ich würde Slayn, 1 of 3 und blut_und_glas da zustimmen: Ich halte es erstens für Unsinn, überhaupt den erzählerischen Aspekt prinzipiell vom spielmechanischen trennen zu wollen; dieser Ansatz wird ja von der reinen Existenz einer ganzen Reihe von Indie-Systemen, die mittels einer Mechanik Story herauskitzeln (Fiasko, Polaris, Monsterhearts, ansatzweise auch FATE ...), Lügen gestraft.

Zweitens gibt es überhaupt keinen Grund, dass Erzählerische gegenüber dem Mechanischen als "künstlerisch" zu privilegieren. Warum sollte die Entwicklung und/oder Verwendung einer mehr oder weniger ausgefeilten Mechanik nichts Künstlerisches an sich haben können? Und andererseits: warum sollte gerade der Erzählaspekt des Rollenspiels, der sich ja in aller Regel wegen der Spontaneität im Rollenspiel doch eher in Klischees erschöpft, das "Kunstschaffende" daran sein? Die erzählerischen Inhalte einer Rollenspielrunde würden ja normalerweise bestenfalls den erfordernissen eines Groschenromans genügen und damit gerade nicht unter den allgemein anerkannten Kunstbegriff fallen (ob dieser Ausschluss gerechtfertigt ist, darüber könnte man sich natürlich auch wieder streiten, aber das ist noch ein Fass).

Letztlich halte ich glaube ich vor allem die scharfe Trennung von Mechanismen und erzählerischen Aspekten für Unfug; das lässt das außen vor, was ich als best practice im Rollenspiel empfinde, nämlich Mechanismen auszuwählen und zu nutzen, die in Wechselwirkung mit der Kreativität der Spieler treten und dabei neue Anstöße für die Interaktion geben. Wenn man schon unbedingt den Kunstbegriff auf das Rollenspiel als Praxis anwenden will, dann würde ich genau dort ansetzen - denn da findet tatsächlich in dem Sinne ein künstlerischer Prozess statt, dass die Künstler (also Spieler) sich mit einem Material (in diesem Fall einem Regelwerk) auseinandersetzen und dabei sowohl dessen Eigengesetzmäßigkeiten achten als auch es an seine Grenzen und streckenweise darüber hinaus zu entwickeln - etwa analog zur Dichtkunst, wo der dichter ja auch nicht nur eine Geschichte erzählt oder etwas Beschreibt, sondern sich - durchaus mechanistisch - mit dem Material der Sprache auseinandersetzt, mit ihrer abstrakten Klanglichkeit und Rhythmik.

Offline D. Athair

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+1 zu Rumpel
Wobei ich der Meinung bin, dass für die Widerlegung der These vom Schisma (z.B. eines Florian Berger) die Auseinandersetzung mit den Spielen der Chaosium-Crew (RQ, Cthulhu, Pendragon, Prince Valiant, Ghostbusters) schon ausreicht. Kurz: Ich vertrete die Auffassung, dass die These nicht erst seit neueren Tagen (vgl. Ferdi) verkehrt ist, sondern spätestens seit Ende der 80er.

Deswegen betrachte ich die oWoD mit ihrem "künsterlischen" Anspruch auch als Nebelkerze.
Oder: In gewisser Hinsicht waren die 90er tatsächlich die "Dark Ages" des Rollenspiels.

Es ist nach meiner Auffassung diese so definierte Mechanik, welche (z.B. über Charakteroptimierung) das herausforderungsorientierte Spiel und das (z.B. über Handlungsmaschinen) auf Weltsimulation getrimmte Spiel vereinigt.
Interessanterweise lässt sich an der Stelle (Rules vs. Rulings) auch eine Spaltung proklamieren. Und in die beiden entstehenden Kategorien lässt sich ein große Teil von Rollenspielen einsortieren. Und trotz Grabenkämpfen funktioniert das bei genauerem Hinsehen genauso wenig wie "mechanics vs. telling".
« Letzte Änderung: 5.10.2014 | 18:35 von Strohmann-Hipster »
"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan

Offline D. Athair

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@ Kunst: Ist sowas oder auch was Rumpel schrieb.
Kunst hat mMn zwei wesentliche Aspekte: Die Selbstaussage des Kunstwerks und die Spiegelung des Betrachters.
Wenn eines von beidem fehlt, dann ist es für mich keine Kunst. Klassische Rollenspiele (auch Indies wie Fiasko) sind gut darin das erste zu produzieren: Abenteuer, ein Erlebnis, eine Geschichte, ... Indies (wie Montsegur) machen v.a. das letztere.

Damit Rollenspiel Kunst wird muss es aber beide Funktionen erfüllen. Und dafür muss es einen gestalterischen Prozess durchlaufen. Ich habe den mal in 3 Schritte aufgeteilt:

1. Die Metaebene (in der Form der von Rumpel beschriebenen Wahl und Benutzung von Erzählung und Mechanismen als Methode). Das wäre quasi die Werkzeugebene.

2. Dann den Stoff. Das wäre das konkrete Abenteuer, das sich mit - für das jeweilige Genre - relevanten Themen auseinandersetzt. Oder so ähnlich. Meine Gedanken sind dazu noch nicht fertig ausgebrütet. Wichtig scheint mir jedenfalls, dass die Themen offen sind und nicht "von außen" hineingelegt - vgl. Montsegur, Dogs, ... Wenn das der Fall ist, ist das Prozesshafte des künstlerischen Handelns erstens eingeschränkt (vorgefertigtes Ziel) und zweitens ist das Ergebnis v.a. als Spiegelbild, nicht aber als eigenständiges Werk interessant. Das wäre die Materialebene. Erzählung und Mechanismen treten hier als Content-Produzenten auf.

3. Investment. Flow. Man könnte es auch die Gestaltung des künstlerischen Arbeitsprozesses nennen. Hier tritt mMn der Wunsch nach Immersion zu tage. Ich glaube, dass hier der Verzicht oder das Ausblenden der "Audience-Funktion" im Sinne der "Kritiker-Funktion" und generell das Verlassen der Metaebene hilfreich sind. Erzählung und Mechanismen haben ihr ausführendes Element.

... soweit mal mein systematischer Versuch "Rollenspiel als Kunstform" zu fassen. Die Gedanken dazu sind noch nicht wirklich ausgereift.


Das Ergebnis kann dann, wenn es diese 3 Schritte durchlaufen hat Kunst sein. Dafür muss es aber als Aussage und Spiegelung des Betrachters bestehen können.
« Letzte Änderung: 5.10.2014 | 18:40 von Strohmann-Hipster »
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Offline Fredi der Elch

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Bestimmte kreative Constraints schließen Kunst nicht aus, sonden können den produzierten Inhalten sogar förderlich sein. Wenn jemand nach der Vorgabe "SF-Roman über Transhumanismus, soll die Frage nach der Natur des Menschen beleuchten" ein Werk verfasst, kann dies natürlich Kunst sein. Viele der größten Werke der Kunstgeschichte waren Auftragsarbeiten mit Vorgaben. Und dementsprechend können Rollenspiele mit kreativen Vorgaben natürlich auch Kunst produzieren (müssen sie natürlich nicht, können sie aber). Die Vorstellung, Spiele wie Dogs oder Montsegur könnten prinzipiell keine Kunst schaffen, ist völlig daneben.
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Zitat von: 1of3
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Offline Archoangel

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Wow ... mir war nicht klar, dass ich bisher quasi der Einzige war, der zu dieser Schlussfolgerung gekommen ist. Ehrlich gesagt dachte ich immer DAS wäre der Grundgedanke der Rollo-Theorie: Mechanik versus Storytelling (bzw. die Grade der vermengung der Beiden, bzw. die verhältnismäßigen Anteile). Vielleicht sollte ich mich doch mal mit dem Rollenspieltheorieteil auseinandersetzen, der mich bisher so gar nicht interessiert hat ... vielleicht hat er mich auch interessiert, aber ich habe mir etwas anderes (falsches) darunter vorgestellt. Ich finde es auf jeden Fall spannend fortan hier mitzulesen.
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Offline Archoangel

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Ja, das ist schwierig. Du fragst:

Da ist nun zunächst mal die Frage: was heißt in diesem Satz "Rollenspiel"? In deinen weiteren Ausführungen wird klar, dass du dich nicht auf Rollenspiele als Produkte, nicht auf die Bücher, beziehst, sondern auf "Play", also das Tun am Spieltisch.

Jetzt kommt ein Problem auf, denn Kunst definiert sich immer als Tun in einem bestimmten Medium. Es gibt z.B. Bildhauerei, Schauspiel, Musik oder Literatur. Wenn wir jetzt Play als Kunst verstehen wollen, müssen wir erst einmal wissen, was das für ein Medium ist. Begreifen wir Play als Form als Schauspiel und wenden zur Bewertung des künstlerischen Anspruchs den des Schauspiels an? Betrachten wir es als Erzählung und wenden Kriterien der Narratologie an? Ist es eine Mischform?

Und wenn wir schon nicht klar sagen können, dass es Schauspiel oder Erzählung ist, wieso exkludierst du dann direkt jenen anderen Bereich? Wieso ist es nicht Teil der Kunst des Rollenspiels einen Charakter mit allen mechanischen Kniffen zu bauen, wenn wir unseren Kunstbegriff sowieso schon neu ziehen müssen?

Erst einmal vorneweg: Rollenspiel ist Erzählkunst, letztlich also eine Fortführung einer der ältesten Kunstformen der menschlichen Rasse, nämlich des Geschichtenerzählens (am Lagerfeuer). Normalerweiße ist der aktive Künstler hier der Erzähler/Spielleiter, der eine Welt vor dem geistigen Auge entstehen lässt in der die Spieler jedoch - abweichend vom Original - agieren können, wodurch sie (mehr oder weniger) die Erzählung mitgestalten können. In perfekten Runden entsteht so aus einer Grunderzählung (SL) und 1W6 Visionen (SC) eine gemeinsame Vision - eine Erzählung, die mehr ist als die Summe der Einzelerzählungen. Somit handelt es sich zunächst um personalisierte Kunst, also eine zeitlich begrenzte Kunst, die im Moment erlebt (und selten geteilt) wird - sich also ganz gemäß dem vorgänger auf eine Art "Lagerfeueratmosphäre" begrenzt.

Die Mechanik die hier verwendet wird ist letztlich nur "Mittel zum Zweck" - ähnlich einem Maler, der auf verschiedene erlernte und intuitive Techniken zurückgreift werden auch hier techniken (Mechaniken) verwendet um die gemeinsam erzählte Geschichte zu formen. Will sagen: ob ich mit verschiedenen Spachteln (Werkzeugen) Muster in eine Tonschale schäle, oder ob ich mit realitäts-simulierenden Werkzeugen (Regelbüchern) Handlungsmuster in einer Spielwelt verändere/einbringe/darbiete ist letztlich (künstlerisch betrachtet) genau das selbe.

Insofern betrachte ich mich als GameMaster auch schon immer als Künstler. Nur ist mein Kunstmedium eben das Erzählen, welches im kreativen Prozess genauso erlernte Techniken und Fantasie fordert, welches über Werkzeuge verfügt, die zur Kunst gehören etc. pp.
4E Archoangel - Love me or leave me!

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Offline D. Athair

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"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan

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@Arldwulf: McLuhan lehrt uns, dass das Medium nicht nur "Mittel zum Zweck" ist.

Und die Annahme, dass die SL in irgendeiner Weise eher Kunst betreibt als andere Leute am Tisch, betrachte ich gelinde gesagt als Beleidigung.

Achamanian

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Die Mechanik die hier verwendet wird ist letztlich nur "Mittel zum Zweck"

In Bezug auf Kunst ist die Vorstellung, dass etwas "nur Mittel zum Zweck" sei, bestenfalls problematisch ... (s.o.)

Offline Fredi der Elch

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Die Vorstellung, Spiele wie Dogs oder Montsegur könnten prinzipiell keine Kunst schaffen, ist völlig daneben.
Hat wer behauptet?
Du hast die beiden Spiele als Beispiel für Spiele mit offenen Themen verwendet? Sorry, hatte ich falsch verstanden. Dann reduziere ich meine Aussage auf: Die Vorstellung, dass Spiele, bei denen die Themen nicht "offen" also "von außen hineingelegt" sind, keine Kunst schaffen können, ist völlig daneben. :)
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Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.

Online Arldwulf

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@Arldwulf: McLuhan lehrt uns, dass das Medium nicht nur "Mittel zum Zweck" ist.

Und die Annahme, dass die SL in irgendeiner Weise eher Kunst betreibt als andere Leute am Tisch, betrachte ich gelinde gesagt als Beleidigung.

Huch, wie kommst du darauf? Ist doch was ganz anderes als das von mir gesagte? (Bei dem das Medium, bzw. Regeln, Setting und Mechanik Inspiration sind)

Oder sollte dies an Archoangel gehen?

Offline D. Athair

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Dann reduziere ich meine Aussage auf: Die Vorstellung, dass Spiele, bei denen die Themen nicht "offen" also "von außen hineingelegt" sind, keine Kunst schaffen können, ist völlig daneben. :)
Du liest das zu wörtlich.

Natürlich können Dogs oder Montsegur Kunst (auch in einem Sinn jenseits der alten Meister) erschaffen.
Die thematische Vorgabe KANN für eine Runde insofern ein Hindernis sein, als dass die Erwartung eines fixen Ziels oder die Vorstellung, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema unbedingt auf diese oder jene Weise passieren muss, den künstlerisch-kreativen Prozess behindert. Kurz: Wenn es v.a. um die Auseinandersetzung mit dem Thema um des Themas willen geht und kaum mehr um das Spielerleben und die damit verbundenen kreativen Prozesse.
Dann ist man nämlich wieder beim White-Wolf- oder DSA-Kaufabenteuer-Zirkelschluss: Die Spieler reproduzieren Ergebnisse und Inhalte, die schon als "Fiktion" (im Regelbuch oder Abenteuer) vorhanden sind. Der schöpferische Akt entfällt.
(Ich glaube ja, dass weder Dogs noch Montsegur so gedacht sind, aber sie werden faktisch leicht als diese Art von One-Trick-Ponys verstanden. Und dann, NUR dann, ist es nicht möglich mit den Spielen Kunst zu erzeugen.)


Wenn man nicht in diese Falle tappt, da stimme ich dir zu Fredi, dann können >>kreative Constraints<< sehr förderlich sein. Einfach, weil sie den Prozess künsterlischen Schaffens mit anstoßen können. Ein Verzetteln verhindern, ...


Was ich damit sagen will: "Von außen hineingelegt" heißt, dass Thema und Rollenspiel weder ein Ganzes ergeben noch eine spannungsvolle Beziehung zueinander aufbauen, sondern dass man das eine neben dem anderen her behandelt. Oder aber das Ganze zu einer eingleisigen Sache macht, die nur in eine Richtung fährt.
Was Kunst letztlich verhindert sind also letztlich (falsche) Erwartungen und Vorstellungen von Spielern.
« Letzte Änderung: 5.10.2014 | 21:04 von Strohmann-Hipster »
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Offline Slayn

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Da ist nun zunächst mal die Frage: was heißt in diesem Satz "Rollenspiel"? In deinen weiteren Ausführungen wird klar, dass du dich nicht auf Rollenspiele als Produkte, nicht auf die Bücher, beziehst, sondern auf "Play", also das Tun am Spieltisch.

Jetzt kommt ein Problem auf, denn Kunst definiert sich immer als Tun in einem bestimmten Medium. Es gibt z.B. Bildhauerei, Schauspiel, Musik oder Literatur. Wenn wir jetzt Play als Kunst verstehen wollen, müssen wir erst einmal wissen, was das für ein Medium ist. Begreifen wir Play als Form als Schauspiel und wenden zur Bewertung des künstlerischen Anspruchs den des Schauspiels an? Betrachten wir es als Erzählung und wenden Kriterien der Narratologie an? Ist es eine Mischform?

Und wenn wir schon nicht klar sagen können, dass es Schauspiel oder Erzählung ist, wieso exkludierst du dann direkt jenen anderen Bereich? Wieso ist es nicht Teil der Kunst des Rollenspiels einen Charakter mit allen mechanischen Kniffen zu bauen, wenn wir unseren Kunstbegriff sowieso schon neu ziehen müssen?

Finde ich gar nicht mal unwichtig, genau so wie Archoangels Antwort darauf das er RSP strikt als Fortführung der Erzähltradition sieht. Beide Beiträge geben sich da die Hand.

An der Stelle finde ich es nämlich erwähnenswert das RSP das Bastardkind von verschiedenen Traditionen ist und sich vieler entlehnter Mittel aus eben diesen Traditionen bedient.
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Offline Fredi der Elch

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Kurz: Wenn es v.a. um die Auseinandersetzung mit dem Thema um des Themas willen geht und kaum mehr um das Spielerleben und die damit verbundenen kreativen Prozesse.
Dann ist man nämlich wieder beim White-Wolf- oder DSA-Kaufabenteuer-Zirkelschluss: Die Spieler reproduzieren Ergebnisse und Inhalte, die schon als "Fiktion" (im Regelbuch oder Abenteuer) vorhanden sind. Der schöpferische Akt entfällt.
Ich glaube, dass du den völlig falschen Schluss ziehst, dass externe Vorgaben automatisch (oder auch nur sehr leicht) zu Reproduktion statt Kreativität führen. Das ist aber grudlegend falsch. Bei der Schauspielerei z.B. steht der gesprochene Text im Regelfall vollkommen fest. Dennoch findet ein schöpferischer Prozess statt - nur eben außerhalb der Vorgaben (grob gesagt im "Ausdruck"). Wichtig ist bei Vorgaben nur, dass sie genug Raum für Kreativität lassen - oder sich die Schaffenden den Raum einfach nehmen. Dieser Raum kann dabei ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. So kann auch das "Nachspielen" eines DSA-Kaufabenteuers kreativ (und damit ggf. auch Kunst) sein - nur halt nicht auf der Ebene der übergeordneten Story, sofern die feststeht. Aber auf einer anderen Storyebene, auf der Charakterdarstellungsebene, von der Situationskomik her, usw. usf. hat Kreativität hier jede Menge Platz. Der Punkt "Vorgaben" ist aus meiner Sicht also ein Holzweg.

Viel wichtiger scheint mir dein anderer weiter oben genannter Punkt zu sein: Kunst muss sich in gewissem Maß ihrer selbst bewusst sein. Wenn niemandem auffällt, dass etwas Kunst ist, ist es auch keine. Eine gewisse Metaebene mit Reflektion muss sein. Das muss nicht im Spiel stattfinden, aber irgendwann muss mal irgendjemand den künstlerischen Aspekt reflektieren. Sonst isses aus meiner Sicht keine Kunst.
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Offline Slayn

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Ich glaube, dass du den völlig falschen Schluss ziehst, dass externe Vorgaben automatisch (oder auch nur sehr leicht) zu Reproduktion statt Kreativität führen. Das ist aber grudlegend falsch. Bei der Schauspielerei z.B. steht der gesprochene Text im Regelfall vollkommen fest. Dennoch findet ein schöpferischer Prozess statt - nur eben außerhalb der Vorgaben (grob gesagt im "Ausdruck"). Wichtig ist bei Vorgaben nur, dass sie genug Raum für Kreativität lassen - oder sich die Schaffenden den Raum einfach nehmen. Dieser Raum kann dabei ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. So kann auch das "Nachspielen" eines DSA-Kaufabenteuers kreativ (und damit ggf. auch Kunst) sein - nur halt nicht auf der Ebene der übergeordneten Story, sofern die feststeht. Aber auf einer anderen Storyebene, auf der Charakterdarstellungsebene, von der Situationskomik her, usw. usf. hat Kreativität hier jede Menge Platz. Der Punkt "Vorgaben" ist aus meiner Sicht also ein Holzweg.

Viel wichtiger scheint mir dein anderer weiter oben genannter Punkt zu sein: Kunst muss sich in gewissem Maß ihrer selbst bewusst sein. Wenn niemandem auffällt, dass etwas Kunst ist, ist es auch keine. Eine gewisse Metaebene mit Reflektion muss sein. Das muss nicht im Spiel stattfinden, aber irgendwann muss mal irgendjemand den künstlerischen Aspekt reflektieren. Sonst isses aus meiner Sicht keine Kunst.

Dem kann man nur entnehmen das man im Rollenspiel mehrere Arten von Kunst finden kann, wenn man denn nach ihnen sucht.
Die konkrete Frage die Strohmann hier aber stellt, bleibt damit unbeantwortet. Wenn es hier um "Erzählkunst" geht, also das kreative Erfinden von Geschichten und genau der Aspekt des kreativen Prozesses entfällt dabei, ist es dann noch "Erzählkunst"?
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