Das Tanelorn spielt > [Cthulhu] Spawn of Azathoth
[SoA 1. Akt] Tot & begraben - Fr., 16.09.1927
Joran:
VOR DEM HAUS DER VON EISENSTEINS / IM WOHNZIMMER
Ich zögere einen Moment und sehe mich reflexartig um. Aber da sind keine Sanitäter hinter mir, die routiniert nach ihrer Ausrüstung greifen. Und auch auf der Straße ist niemand. "Einen Arzt? Verflucht, ich bin kein Arzt!", murmele ich, steige dann aber doch aus und begebe mich in zum Hauseingang.
"Hat hier in der Nachbarschaft irgendjemand Telefon?", frage ich die Frau in Filzpantoffeln im vorbeigehen. "Dann gehen Sie hin und rufen Sie einen Arzt. Vorerst sehe ich einmal nach der von Eisenstein." "... Und beim nächsten mal machste gefälligst den Lieferanteneingang auf, wenn man keinen Hund nich vor die Tür schicken würd!"
Hinter der Eingangstür trete ich mir sorgsam die Schuhe ab und lausche. Aufgeregte Stimmen weisen mir die Richtung. Nichts von dem, was ich auf meinem Weg sehe, lässt mich annehmen, die Außenfassade gäbe nicht zutreffend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bewohner wieder. "Dieses Haus ist so tot wie sein Besitzer!", drängt sich mir der Eindruck auf. Zunächst ist es nur eine nüchterne Feststellung. Zuviel Tot habe ich schon gesehen, als dass mich der Gang durch ein bewohntes Mausoleum so leicht aus der Ruhe bringen könnte.
In dem Raum mit dem Leichenschmaus lasse ich meinen Blick seufzend über die Speisen streichen und merke, dass ich Hunger habe. "Du hast doch immer Hunger!", tadele ich mich selbst, indem ich meine Mutter zitiere, bevor ich resigniert weitergehe. Vor einem Zimmer drängen sich die Trauergäste und versuchen einen Blick durch die breite, zweiflüglige Tür zu werfen. "Was ist denn passiert?", frage ich laut, um auf mich aufmerksam zu machen und mir einen Weg durch die Menschen zu bahnen. Meine Statur und die Resonanz meines Brustkorbs ... vermutlich auch mein Gesicht ... können in solchen Momenten äußerst effektiv sein.
Als sich eine Gasse bildet und nicke ich dem Professor im Vorbeigehen zu. Die Frau Professor hockt neben der Frau "von und zu" und hält deren Kopf in ihrem Schoß. Die Haut der Hausherrin wirkt blass. Die Wangen eingefallen und glänzen feucht. Die Augen sind stark gerötet. Neben den beiden Frauen liege eine kleine Schatulle und Packpapier auf dem Boden.
"Wollen sehen, was wir hier haben!", sage ich ruhig, als ich neben die Frau Professor auf die Knie gehe. Ich sehe keine Grund, Aufregung zu heucheln. Dieses blasse Geschöpf am Boden vor mir bedeutet mir nichts. "Entweder ich kann ihr helfen oder sie passt perfekt in diese Gruft, die sie ihr Haus nennt, weil sie den Geruch nach Mottenkugeln und Tod schon lange nicht mehr wahrnimmt."
Ich entledige mich meiner Lederhandschuhe und fühle nach dem Puls der Dame. Zuerst an den Knöcheln ... dann am Hals. Nichts! "Verdammte Hände!", fluche ich in mich hinein. Doch mein ernstes Gesicht veranlasst irgendjemanden zu einem lauten Schluchzer. Ich frage die Frau Professor nach einem Taschenspiegel, den sie mir unverzüglich reicht. "Gold ... oder Silber vergoldet?", überlege ich, während ich das Glas unter die Nase der Frau von Eisenstein halte. ... ... ... Es dauert eine Weile, dann bildet sich ein schwacher Nebel auf dem kalten Spiegel.
"Sie atmet ...", sage ich laut "... noch", beende ich den Satz still für mich.
Ich setze alles auf eine Karte: Blutarmut ... Aufregung ... Trauerkleidung, die vermutlich aus jüngeren Tagen stammt. "Sie braucht Luft!", sage ich zu den Umstehenden. Öffnen Sie ein Fenster. Dann greife ich mir eine Fußbank und lege die Beine "meiner" Patientin darauf.
"Nun ... vielleicht ... es wäre hilfreich ...", stammele ich etwas unschlüssig. Das wäre nicht die erste Bluse, die ich öffne, allerdings nicht vor solchem Publikum. Wären ich alleine mit dieser Frau, so hätte ich mir nicht erst die Mühe gemacht, diese kleinen, perlenförmigen Knöpfe aufzunesteln ... Aber so wie die Dinge stehen. "Das schwarze Band um den Hals, der Kragen ... es ist alles etwas ... eng!", setze ich vorsichtig nach und blicke Agathe aus unziemlicher Nähe in die Augen, während deren Parfüm, der Geruch von Mottenkugeln, der dem Kostüm der Witwe entströmt, und ein dritter undefinierbarer Geruch eine verstörende nekrophile Verbindung von Leidenschaft und Verfall eingehen. ... Ein Gefühl von Beklemmung und Ekel ergreift mich unerwartet mit eiserner Hand. Es zwingt mich, den Kopf für einen Augenblick abzuwenden. Mit meinem erprobt ausdruckslosem Gesicht des dummen Riesen versuche ich meinen Widerwillen zu verbergen.
"Wenn Du jetzt auf die Witwe reiherst, kannst Du Dir gleich eine neue Stelle suchen! ... Atme durch den Mund!" Mein Blick streift flüchtig Portraitzeichnungen an den Wänden. Grau wie Geister in diesem sterbenden Haus verharrt der Reigen der farblosen Verwandten in gespannter Erwartung und beobachtet körperlos an der Tapete baumelnd das Geschehen. Gesicht für Gesicht ein Spektrum von Emotionen: Schadenfreude, Tadel, geifernde Lüsternheit, Mitleid, Kälte, ... Jedes Gesicht scheint das Geschehen auf eine eigene Weise zu bewerten.
"Vielleicht könnten Sie ... wenn wir den Raum verlassen ...?", zwinge ich mich erneut, Agathe anzublicken.
"Hat vielleicht eine der Damen Riechsalz?", frage ich laut in die Runde und blicke mich dabei zu den Gästen um. "Dir selbst täte auch eine Prise gut!"
Katharina:
IM WOHNZIMMER
"Was machen Sie hier?", rufe ich irritiert aus, als ich Anton erblicke, "Wir brauchen hier einen Arzt! Oder wollen Sie die Dame gleich in Spiel bringen?"
Rasche merke ich jedoch, dass ich Anton offenbar unterschätzt hatte. So deplaziert er in dieser Umgebung auch wirkt, er scheint zu wissen, was er tut. Ohne groß zu zögern, raffe ich meinen Rock und knie mich neben die alte Dame, um Anton zur Hand zu gehen, damit er nicht mit seinen rauen, dreckigen Fingern an der Kleidung der Dame herumnäseln muss. "Sie ist wohl nur ohnmächtig, kein Grund zur Sorge, erkläre ich derweil den umstehenden Personen. Da erblicke ich Trudi, die immer noch ganz nervös zu sein scheint. "Trudi, wenn sie uns bitte noch ein feuchtes Tuch und einen Polster bringen?", fordere ich sie auf, in der Hoffnung, das die Arbeit sie ablenkt.
Ich gebe wohl ein völlig lächerliches Bild ab, wie ich hier am Boden herumkrieche. Hoffentlich schadet das Hans nicht . Aber man muss doch der armen Dame helfen? Und vielleicht erzählt sie dann ja sogar noch mehr, über dieses merkwürdige Päckchen?
Joran:
IM WOHNZIMMER
Agathe Lohenstein stellt meine Selbstbeherrschung auf die Probe, als sie mich zunächst zur Rede stellt. Gelassenheit gehört nicht zu meinen Stärken ... eher im Gegenteil: Kleinigkeiten können mich zu unangemessenen Reaktionen verleiten. Doch hier gelingt es mir, mich auf ein Schnaufen beim Niederknien neben Frau von Eisenstein zu beschränken. Und während der Behandlung schwindet die kritische Haltung der Frau Professorin, was mein Gemüt beruhigt.
Ihr kritischer Blick auf meine Hände entgeht mir allerdings nicht. Ich schwanke zwischen dem Impuls, meine Hände hinter meinem Rücken zu verstecken, und der Neigung, Scham in Wut zu wandeln. Stattdessen nutze ich den Moment, um dem betäubenden Gemisch an Gerüchen zu entgehen, indem ich nach meinen Lederhandschuhen greife und ein paar Schritte zurückweiche, um mit der Gruppe gaffender Trauergäste zu verschmelzen.
Nun stehen wieder Agathe Lohenstein und Frau von Eisenstein im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Intensität, mit der die feinen Herrschaften mich von diesem Moment an NICHT mehr zur Kenntnis nehmen, scheint förmlich mit Fingern auf mich zu zeigen. Vermutlich erwartet man, dass ich nun gefälligst einen stillen Abgang mache.
"Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, ... . Nee, ihr feinen Pinkel! So nich' mit mir. So leicht mache ich es Euch nich' und trete einfach von der Bühne ab! Wollen erst sehen, ob ich zu hoch gepokert oder ins Schwarze getroffen habe. Vielleicht springt etwas für mich dabei heraus? Kannste nich' wissen!" Und so bleibe ich mit Unschuldsmiene am Rande der Gäste stehen ... mit dem Selbstverständnis eines Hotelpagen, der auf sein übliches Trinkgeld wartet, nur ohne geöffnete Hand. Stattdessen streife ich die Handschuhe sorgsam über: Die Erfahrung zeigt, dass Trinkgelder leichter fließen, wenn man nicht Gefahr läuft, den niedriger Gestellten direkt zu berühren. Meine Handschuhe sind nicht weiß, wie die eines Pagen, aber besser als nichts.
Den festen Willen der Umstehenden, mich keines Blickes zu würdigen, nutze ich für mich, um mein Umfeld zu mustern und mir ein Bild von den Anwesenden und dem Raum zu machen. Erneut betrachte ich die Zeichnungen an den Wänden, die nun - nachdem ich den Gerüchen entkommen bin - unschuldig wirken. Und doch erscheint mir der unbeteiligte Eindruck, den die Geister nun erwecken, trügerisch, nachdem ich einen kurzen Moment hinter die Fassade blicken konnte: hinterlistige, boshafte Geschöpfe, die durch gerahmte Fenster in den Raum blicken und die Lebenden gekonnt über ihre wahre Natur täuschen. Ich fühle mich belauert, als kauere irgendwo verborgen in den Schatten ein Raubtier bereit zum Sprung ... bereit die Beute zu verteidigen, die mitten im Zimmer verendend am Boden liegt.
trondetreublatt:
VOR DEM HAUS DER VON EISENSTEINS
Um mir nach stundenlangem Stehen am OP-Tisch wenigstens noch kurz die Beine zu vertreten, habe ich mich ein paar Blöcke entfernt von der Waldseebrücke absetzen lassen und marschiere nun mit schnellen Schritten durch den Regen. Den Regenschirm erhoben, darauf bedacht, meine polierten schwarzen Schuhe nicht von all den Pfützen durchnässen zu lassen. Ein aussichtsloses Unterfangen.
Trotzdem, Bewegung tut gut. Regen hin oder her. Ich hauche warme Luft in meine kühle Hand und stecke sie tief in die Tasche meines dunklen Wollmantels. Geburtstage, Taufen, Hochzeiten und nun auch Beerdigungen. Verpasst, zu spät gekommen, leider keine Zeit gehabt. Jaja, das Leben ist kurz, die Kunst ist lang... und die Pflicht geht immer vor. Zum dutzendsten Mal muss ich in Gedanken zurück zur Magenoperation, deren Beendigung ich meinem jungen Assistenzarzt überlassen habe. Ich hoffe nur, dieser Schwachkopf Müller hat alles ordentlich zu Ende gebracht. Er musste ja nur noch zunähen, aber trotzdem, dem ist alles zuzutrauen... schon im zweiten Jahr und das war das erste Mal, dass er bei einer Billroth II dabei war. Unglaublich! Ich wette, in München muss man sich nicht mit solchen unfähigen Assistenten rumschlagen. Wo Sauerbruch das Regiment führt, herrscht eine ganz andere Zucht, da bin ich mir sicher. Wenn der nur mal an die Charité käme als neuer Chef, das wäre was! So, Moment, hier war es doch irgendwo... Ich blicke auf und wundere mich wie schon beim letzten Besuch über das ziemlich vernachlässigte Gebäude, dass so gar nicht zum stets gepflegten Prof. von Eisenstein passen will. Schon seltsam, bevor ich das Haus zum ersten Mal gesehen habe, hätte ich nie gedacht, dass es von Eisenstein an Geld mangelt... oder vielleicht nur am Willen, sich angemessen um seinen Besitz zu kümmern? So gern ich ihn auch mochte, es war ja schon einiges seltsam an ihm. Nicht zuletzt sein plötzlicher Tod natürlich. Ein bitteres Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht. Ich wüsste wirklich gern, woran er gestorben ist. Gab es eigentlich eine Obduktion? Wenn, dann ist er hoffentlich nicht bei diesem Idioten Weber gelandet. Wenn der obduziert, weiß man am Ende weniger als man vorher wusste. Im besten Fall.
Mit diesen Gedanken gehe ich auf die Haustür zu, als diese sich plötzlich öffnet und Trudi herausgerauscht kommt. Ganz unzeremoniell packt sie mich am Arm und zieht mich ins Haus, während sie die ganze Zeit plappert: "Dr. Degebach, Gott sei Dank, dass Sie da sind. Ich habe Sie vom Fenster aus gesehen. Nun kommen Sie doch. Die Frau Professor ist umgekippt. Tot, womöglich! Können Sie da was machen? Ogottogott..."
Obwohl sie mich ziemlich überrumpelt hat, entgeht mir die Komik ihrer letzten Bemerkung nicht. "Man hält ja schon große Stücke auf meine Fähigkeiten, aber von den Toten habe ich bisher noch niemanden zurückgeholt," necke ich sie, während ich meinen Mantel an den Haken hänge und ihr sodann mit regennassen Schuhen in Richtung Wohnzimmer zur Patientin folge. "Wie? Was?" fragt Trudi verwirrt und wird dann unversehens rot: "Also wie können Sie in so einem Moment solche Scherze machen? Der Frau Professor geht es wirklich schlecht!"
"Das sehen wir ja gleich," sage ich ruhig und schiebe mich an den Trauergästen vorbei, die immer noch in der breiten zweiflügligen Tür zum Wohnzimmer stehen. Diese Frauenzimmer, die müssen immer gleich hysterisch werden. Wahrscheinlich hat die Frau Professor auch bloß hyperventiliert. Bei ihr ist es ja wenigstens verständlich. Aber wenn Trudi auch so weiter macht, habe ich hier gleich noch eine zweite Patientin.
Frau Prof. von Eisenstein liegt auf dem Boden, die Beine auf eine Fußbank hochgelegt. Eine jüngere Frau kniet neben ihr und scheint sich um sie zu kümmern. Ich werfe zunächst einen Blick in die Runde der Trauergäste im Wohnzimmer. Manche kenne ich, zumindest flüchtig, andere wiederum habe ich noch nie gesehen. "Guten Tag die Herrschaften. Für diejenigen unter Ihnen die mich noch nicht kennen, mein Name ist Dr. Degebach, ich bin Arzt. Ich werde mich jetzt um Frau von Eisenstein kümmern. Als erstes möchte ich Sie alle bitten, den Raum zu verlassen," lasse ich meine befehlsgewohnte Stimme ertönen. Beim Heer, im Krankenhaus, oder sonstwo in der Welt: einer befiehlt, die anderen gehorchen. Man muss nur aufpassen, dass man möglichst der ist, der befiehlt. "Bleiben Sie bitte zunächst hier," fahre ich an Trudi gewandt fort. "Außerdem könnte ich einen Helfer gebrauchen..." mein Blick schweift noch einmal über das Grüppchen, das soeben dabei ist, den Raum zu verlassen. "Sie. Bleiben Sie doch bitte noch einen Moment, ja?" wende ich mich an den großen, kräftig aussehenden Kerl, der sich zuvor im Hintergrund gehalten hatte. Der sieht aus, als würde er tun, was man ihm sagt und sich dabei auch nicht zu blöd anstellen.
Nun wende ich mich dann doch endlich der Patientin zu, ohne der Dame, die sich bisher scheinbar um sie gekümmert hatte, Beachtung zu schenken.
Ja, jetzt einen Arztkoffer da zu haben, das würde schon helfen...naja, mal sehen. "Guten Tag Frau Professor, können Sie mich hören?" rüttle ich die Bewusstlose unsanft. Keine Reaktion. Ich beuge mein Ohr über den offenen Mund der Frau. Hören, Sehen, Fühlen. Höre ich ihren Atem? Fühle ich ihn auf der Wange? Hebt sich der Brustkorb unter der weißen Spitze, die das Aufknöpfen der Trauerkleidung zutage gefördert hat? Dreimal ja, dreimal ganz leicht. Dabei nehme ich noch den Puls. Auch dieser eher schwach, aber spürbar und regelmäßig. Als nächstes schaue ich mir die Pupillen der Patientin an. Gleichmäßig, rund. Na, die müsste man doch wachbekommen. Einen entsprechenden Schmerzreiz vorausgesetzt... Ein kräftiger Kniff in den Unterarm hat hoffentlich den erwünschten Effekt.
Joran:
IM WOHNZIMMER
"Der hat mir ja nun gerade noch gefehlt! ... Der Arzt betritt die Bühne und ich bin Nebensache. ... Egal ob der Mohr nun abtritt oder nicht, ab jetzt werden die feinen Herren mich nicht einmal mehr bemerken. ... Schönen Dank auch und adé Trinkgeld! ... Na toll, jetzt kneift er sie auch noch ... das hätte ich mir mal herausnehmen sollen!"
Unzufrieden bleibe ich im Raum, als die Gäste das Wohnzimmer verlassen.
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