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Epische Kampagnen: Probleme und Chancen

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torben:
Ich habe grade schon drüben in meinem Werkstatt-Thread etwas zu Epik in unseren Kampagnen geschrieben, kopiere es hier aber nochmals rein und ergänze es vielleicht noch ein bisschen:

Ich habe es bisher immer vermieden, den Charaktern die ganz bösen Jungstm vorzusetzen, also kein Sauron, keine Nazgûl, kein Smaug. Wir spielen quasi die "2. Liga". Jetzt das ABER  ;)
Aber diese 2. Liga hat's dennoch in sich. Da sind zum einen von Sauron/dem Hexenkönig zu Schattenwesen korrumpierte Menschen (jetzt den Nazgûl gleiche Schattenwesen), die rein von den Spielwerten einem Nazgûl "locker" das Wasser reichen können. Da sind Drachen, die bei Tolkien keine wörtliche Erwähnung finden, die aber an die Spielwerte von Smaug oder Scatha kommen. Da ging es um die Entdeckung und Erkundung Belegosts die Wiederauffindung der Perle Nimphelos; um die Vernichtung eines Schergen des Hexenkönigs, welcher die eigentliche Ursache für den Langen Winter im Jahre 2758/59 3Z war, und dabei um die eigentliche Rettung Rohans; um die Suche nach König Arvedui und die Sichtung eines Palantirs und um die Rettung der Eisbucht von Forochel vor einer Armee aus untoten Eiswesen, die früher oder später über Eriador hergefallen wären, hätten nicht die Charakter die Völker des Nordens zum Kampf vereint usw.
Sprich: Bei uns haben die Charakter Kontakt und pflegen Beziehungen zur obersten Elite (Elrond, Truchsess Beregond, König Fréaláf, Saruman), spielen aber dennoch in einer Liga ein Stück darunter und fliegen so quasi "dicht unter dem Radar der gondorianischen Geschichtsschreiber", weshalb sie in den Annalen der Könige nicht namentlich genannt werden. Ihre Taten haben aber gleichwohl grossen Einfluss auf die Geschichte, wie sie bei Tolkien niedergeschrieben wurde.

Daher würde ich sagen, dass wir durchaus epische Geschichten spielen und damit dazu beitragen, dass am Ende das geschehen kann, was die Geschichtsschreiber von Gondor in den Annalen der Könige festgehalten haben. Und es ist diese "Vermischung" unserer Geschichten mit Tolkiens eigentlichem Plot, der für uns den Reiz ausmacht. Dass man nach einer Kampagne hingehen kann und sagen "Schau mal der Eintrag zum Jahr 2758/59 3Z, der Lange Winter. Da steht, der sei erst im März gebrochen. Da steht aber nicht wieso, aber wir wissen, was da wirklich geschehen ist (dabei in Erinnerung an eine grosse Kampagne schwelgend  ;D ).

Soweit mal, was ich drüben in der Werkstatt geschrieben habe.

Fazit: Ich mag sehr gerne epische Geschichten oder Geschichten mit einem mystischen Hintergrund spielen, bei denen es aber nicht immer um die Rettung der Welt gehen soll (hoffentlich nie, sondern lieber nur um partielle Untergänge, die sich aber verbinden können). Das bedeutet indessen nicht unbedingt, dass dabei auch Gegner auftauchen müssen, die von vorneherein übermächtig sind oder gegenüber den Spielern als das "deklariert" werden.

Jetzt noch ein paar Worte zu meiner These, dass ein übermächtiger Gegner den Charaktern (und vor allem auch den Spielern) ein Ohnmachtsgefühl vermitteln kann. Ich sage bewusst "kann", denn es kommt bei der Sache - wie immer - auf sehr viele Faktoren an, z.B. an welchem Punkt in der Kampagne erfahre ist, wer der "Endgegner" ist (ganz am Anfang kann es zu einem grösseren Ohnmachtsgefühl führen, als wenn man sich langsam vortastet und der Endgegner/eigentliche Plot erst mit der Zeit klar wird). Dann aber auch, wie viele "Sideplots" sind "abzuarbeiten", bis man dieses Endproblem gelöst hat? Soll es nach dem Endproblem überhaupt weitergehen? Wenn nicht, dann lässt es sich viel besser damit leben, als wenn man weiss, dass kommt "und danach müssen wir dann noch xy erledigen", usw.
Kurz, es kommt ganz drauf an, wann und wie man diese Gegner ins Spiel bringt und welche Werkzeuge man den Spielern/Charaktern an die Hand gibt.

Viele Grüsse
torben

Tele:
In meiner sehr epischen Warhammer 40k Kampagne ist der Antagonist nicht viel stärker als die Charaktere. Sie wissen nur nicht, wer es ist, sondern haben nur einen Namen. Auf dem Weg müssen sie unterschiedlich starke Handlanger beseitigen. Vor allem ist für sie schwer seine Pläne zu entschlüsseln.

Hotzenplot:
Ich mag es auch episch. Das bedeutet natürlich viel Arbeit. Groß, breit und lang :). Wobei das größte Problem m. E. die Kontinuität ist und die hängt von der Gruppe ab. Dafür braucht man KampagnenspielerInnen, zumindest einige in der Gruppe. Viele von uns können ein Liedchen davon trällern, wie solche groß angelegten Kampagnen dann am Ende scheitern, weil Leute wegziehen, das Interesse verlieren, aus familiären Gründen keine Zeit mehr haben und dergleichen.

Die Chance im Spiel sehe ich vor allem darin, einen langen Charakterausbau auszuspielen. Je nach System mehr oder weniger Wertefrickelei (im positiven Sinne)), vor allem aber auch die charakterliche, storyrelevante Entwicklung der SC. Außerdem möchte ich, dass die SC im Rahmen von so einer Kampagne irgendwie die Welt (mehr oder weniger stark) beeinflussen und verändern. Für die SpielerInnen muss am Ende das Gefühl entstehen, etwas Großes geschaffen zu haben.

Risiken sehe ich in den o. g. Problematiken, die eher outgame sind. Ansonsten: Ermüdung bei zu langen (aka langweiligen) Kampagnen. Vielleicht aber auch einfach die mangelnde Abwechslung, wenn man immer nur an einer Kampagne spielt und nichts anderes zwischendurch. Dann könnte es natürlich noch passieren, dass sich SpielerInnen mit ihren SC irgendwie verrennen. Vielleicht haben sie sich verskillt (je nach System ist das denkbar) oder die dramatische Entwicklung ihrer Charaktere gefällt ihnen nicht (mehr). Charaktertod wäre auch ein möglicher Bruch für manche.

Zed:
Das 2.-Reihe-Kampagne, wie Du sie beschreibst, torben, wäre durch die Interaktion mit legendären NSCs und den Kampf um "den Osten" für mich auf jeden Fall auch schon episch.

"Ohnmachtsgefühle": In dem Gefühlsmix eines Spielers stecken sicher mal Größenwahn, mal Ohnmacht. Schwierig wird es, wenn das Ohnmachtsgefühl andauert und überwiegt. Das hängt weniger vom absoluten Machtlevel der Gegner ab, als vielmehr vom Verhältnis der Sterblichkeit zu den Gegnern. Beispiel:

In meiner Kampagne starteten wir mit einem microliteartigen Homebrewsystem, einem s e h r reduzierten D&D. Mit steigenden Stufen schien mir das zu ausausgereift, also transformierten wir die Kampagne zu einem etablierten System, zu RuneQuest. Doch RuneQuest ist tödlicher: Plötzlich verkrochen sich die SCs in Erdlöchern und versuchten über Tage hinweg mit Magie aus Entfernung einen Harpyenschwarm zu dezimieren. Das war nicht die Art von Helden, die ich mir vorstellte, aber meine Spieler sagten, dass sie einfach zuviel Schiss hatten, dass ihre SCs sterben. Also wechselten wir zu D&D3.5, und die SCs konnten sich wieder wie epische Helden benehmen.

Also: Ohnmachtsgefühle hängen sehr von der Tödlichkeit des Systems ab, und erst in zweiter Linie von den Machtleveln der Gegner.

torben:
@Zed

--- Zitat ---Also: Ohnmachtsgefühle hängen sehr von der Tödlichkeit des Systems ab, und erst in zweiter Linie von den Machtleveln der Gegner.
--- Ende Zitat ---

Ja, die Tödlichkeit und damit die Angst um den eigenen Charakter ist oft ein Faktor, wenn es um das Ohnmachtsgefühl angesichts eines übermächtigen Gegners geht.

Für mich spielt auch noch ein anderer Aspekt mit rein, der allerdings nicht primär mit der Übermächtigkeit des Gegners zu tun hat/davon abhängt: Wenn man schon ganz zu Beginn der Kampagne erkennt, dass man es mit einem übermächtigen Gegner zu tun bekommt und weiss, dass man - falls überhaupt - nur eine Chance hat, wenn erst die Sideplots X, Y, Z und auch noch A und B erledigt/erfüllt sind, damit man z.B. die allesvernichtende Waffe zusammenbauen kann usw. Ich habe da so ein Bild vor Augen: Frodo steht in den Emyn Muil auf der Kante und blickt über die Totensümpfe hinweg zum Morannon (ich weiss gar nicht, ob er im Film das Tor von dort aus sehen kann... egal, es geht um das Bild). Also er guckt und sieht am Ende dieses riesige Tor und hat keinen Plan, wie der da reinkommen soll. Das ist aber nicht sein einziges Problem, sondern er sieht auch noch den ganzen Weg bis dorthin, also zuerst die Totensümpfe, dann da noch ein bisschen Hügel und dort noch ein bisschen tralala... und dann denkt er sich "Sch*** wie soll ich denn reinkommen? Und wie soll ich überhaupt erst mal da hinkommen? Da verlauf ich mich unterwegs doch gleich drölfzig Mal und dann kommt sicher noch so ein blödes Totenlicht und will mich zum Baden animieren und ich habe doch nur meinen Boratanzug dabei... (ich gleite ab  ~;D ).
Langer Rede kurze These: Das frühe Wissen darum, was man auf dem Weg zum Ziel alles "abhaken" muss (und dass man all diese "Posten" ablaufen muss und daher gar nicht soooo frei in seinen Entscheidungen ist), um dann schliesslich überhaupt erst eine Chance zu bekommen, kann ein weiterer "Ohnmachtsfaktor" sein, weil man die ganze Kampagne über eigentlich schon weiss, worauf es hinauslaufen wird und man einfach Ewigkeiten benötigt, um endlich an das Ziel zu kommen.
Kennt man hingegen das Ziel am Anfang noch nicht und erkennt es erst im Verlauf der Kampagne, kann das auch motivationssteigernd sein, z. B. weil man sich sagt "Hej und guckt mal, wir sind schon so weit gekommen, da werden wir bald mal 'ne Chance haben, dem Obermotz, der sich da grade geoutet hat, eins auf den Döns zu geben."
Königsweg könnte vielleicht sein, den Obermotz am Anfang mal zu erwähnen, den Spielern aber noch nicht klarmachen, dass es am Ende dann auch wirklich gegen den gehen wird. Dann können sie am Ende sagen "Ach guck, das ist doch der Hoschi von ganz am Anfang, na der kann jetzt aber mal was erleben."

Schliesslich muss ich sagen, dass die Spieler in meinen Kampagnen bis jetzt eigentlich sehr selten wirkliche Ohnmachtsgefühle hatten, dass aber die lange Kenntnis schon mal dazu führte, dass sie sich zwischendurch auch mal ein anderes Ziel gewünscht hätten... so àla "ach es wäre doch auch mal schön, wenn wir nur einfach ein paar Trolle verkloppen müssten (statt jetzt hier dieses diplomatische Klimbims durchzuziehen, um dann etwas in der Hand zu haben, um damit xy zu tun...)". Natürlch sind die Charakter/Spieler grundsätzlich jederzeit frei, wie sie sich im Lauf der Kampagne entscheiden, aber manchmal sind die verschiedenen Wege halt unterschiedlich sinnvoll... und natürlich komme ich solchen Wünschen auch immer wieder mal nach, um sie nach getaner Klopperei (oder was auch immer) wieder frohen Mutes zurück auf die eigentliche Kampagne zu schubsen, vielleicht sogar mit einem auf dem Seitenweg gefundenen Bonus  :)
Die Kampagne haben sie bis jetzt jedenfalls immer sehr engagiert und interessiert vorangetrieben und ich denke, das Problem der "Übermacht" des Gegners ist vielleicht auch eines, das sich eher beim SL stellt, der sich dann ebenfalls mögliche Lösungen überlegen sollte, damit der Plot am Ende nicht wegen "nicht schaffbar" an die Wand gefahren wird.

Viele Grüsse
torben

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