Autor Thema: Improvisation verbessern (War: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen)  (Gelesen 4140 mal)

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Offline Koruun

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Zitat
Einen Flow kann man auch alleine erleben.
Ich würde ihn mit "Selbstvergessenheit" beschreiben. Man geht "vollkommen in einer Sache auf."
Klar, der eigentliche Begriff steht auch sicher in den meisten Fällen für Tätigkeiten, die alleine getan werden.
Ich editiere dann mal meinen Post, damit das präziser ist.
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Offline Issi

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Klar, der eigentliche Begriff steht auch sicher in den meisten Fällen für Tätigkeiten, die alleine getan werden.
Ich editiere dann mal meinen Post, damit das präziser ist.

Im Rollenspiel würde man dann wahrscheinlich von einem "Gemeinschafts Flow" sprechen.
Was glaube ich nur dann funktioniert, wenn alle SPL von der Situation genügend "gefesselt" sind.

Offline Boba Fett

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Flow beutet für mich: wenn beim Rollenspiel die Realität (man sitzt am Tisch und spielt ein Spiel) in den Hintergrund rückt und man durch die eigene Vorstellung die Bilder im Kopf sehr eindrücklich erlebt und dabei in der Lage ist spontan und intuitiv seine Rolle "in character" zu erleben und in ihr zu agieren.

Passiert mir Flow? Ja, hatte ich. In den letzten 35 Jahren entsprechend oft und auch jetzt immer noch mal.
In unterschiedlichsten Systemen, auch regelschweren. Deswegen fokussiere ich jetzt weniger auf ein System, sondern mehr auf Faktoren:

Flow hängt bei mir ganz oft von folgenden Faktoren ab:

1. möglichst wenig Metagaming. Je weniger Ressourcen (Gummipunkte, Lebenspunkte, Astralkonto, ....) ich verwalten muss, desto besser. Ganz schlimm: Ressourcen, die man sich gegenseitig zuschustern kann.
Wenn ich drüber nachdenken muss, ob ich den erspielten (erwürfelten) Vorteil einem Mitspieler (und wem) zu teilen kann/darf/muss, bin ich "raus". Battlemap, Miniaturen und taktische Überlegungen aus der "Vogelperspektive" sind oft auch eher hinderlich. Bewegungsweite und Reichweite sind ja auch Metagaming-Ressourcen in Verbindung mit der Battlemap.
(klingt so als würde ich das verteufeln. Nee, ist nicht der Fall. Ich habe auch viel Spaß mit Battlemap und Taktieren. Aber das ist dann eben eine andere Art von Rollenspiel... ich finde Gefallen an beidem)
2. der richtige Charakter (ich muss mich in meiner Rolle "wohlfühlen". Je mehr "ich" in der Rolle, desto besser. Je fremder mir die Rolle erscheint, desto weniger kann ich sie intuitiv führen/spielen.
3. der richtige Spielleiter. kurz gesagt: der muss es einfach drauf haben, muss seine Regeln beherrschen, muss für möglichst wenig Ablenkung ("ich schlage die Regel eben noch mal nach", "wie hiess der NSC noch gleich") sorgen. Je flüssiger das Spiel läuft, desto besser.
4. ich muss die Spielregeln gut beherrschen und eigentlich nicht über die Abwicklung von Proben oder so nachdenken. Und vermutlich genau da plädieren dann viele Leute für regelarme Systeme. Halte ich nicht für notwendig. Man kann auch mit regelschweren Systemen Flow erleben. Man muss nur auch da eben die Regel gut beherrschen, was eben mehr Investition erfordert.
5. die richtige Stimmung. ich mein jetzt nicht schummrige Beleuchtung und Musik (auch wenn das manchmal (!) hilft, ebenso oft stört), sondern die Gruppe, ich selbst, die Abenteuersituation, etc. muss passen
6. die richtige eigene Verfassung. Nicht zu müde, aber auch nicht zu aufgekratzt (Koffeein und Zuckerschock), nicht zu albern, nicht zu gestresst...
7. Wenn die Spielsituation spannend, bedrückend, ... intensiv wird, klappt es bei mir mit dem Flow besonders gut und oft.

Den letzten wirklich intensiven Flow hatte ich (kurz vor Corona) in einem SciFi Homebrew in dem die Charaktergruppe eine "Pitch Black" Horror Situation über 80 Tage Spielzeit überstehen musste (das ging entsprechend auch mehrere Sitzungen lang). Die Monster wurden von Energiequellen angezogen und kamen "aus dem Nichts" und waren auch nur mit wenig zu verletzen. Mit abgedunkeltem Spielraum, sehr unterschwelliger Musik und wirklich sehr tollen Szenen und Ereignissen, war das einer meiner intensivsten Situationen seit langem. Als dann die Sonne wieder "erschien" und wir mit dem Raumschiff abflogen und der Spielleiter die Beleuchtung wieder "hochdimmte" war das ein wirklich erhellendes und erleichterndes Gefühl.
Flow ist mir in dem Rollenspiel und mit diesem Spielleiter bisher ziemlich leicht gefallen. Und das Regelwerk ist kein Leichtgewicht.

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« Letzte Änderung: 7.08.2022 | 12:27 von Boba Fett »
Kopfgeldjäger? Diesen Abschaum brauchen wir hier nicht!

Offline Yney

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Ein wundervolles Thema!

Flow, wie hier bezeichnet sind für mich die Momente, die ich als „Das Spiel spielt sich selbst“ beschreibe. Wenn man nach einer Begebenheit im Spiel einander am Spieltisch anschaut und keiner so richtig erklären kann warum und wie es nun dazu kam. Für mich persönlich sind das die besten Momente. Wenn wir alle miteinander wirklich in der Welt versinken.

Wichtig scheint mir dabei zu differenzieren (was ja weiter oben bzgl. Alkohol schon angedeutet wurde): Man hat sehr wohl noch die Kontrolle. D.h. es ist kein suchtähnlicher oder deliriumartiger Zustand, sondern einer, in dem man sich mit den anderen treiben lassen kann, aus dem man aber bei Bedarf auftauchen kann. Insofern stimme ich auch obigen Anmerkungen zu: Ohne Vertrauen kann das nur schwerlich klappen.

Zu meinem großen Glück passieren mir mit meinen Spielern solche Momente immer wieder mal (mehr oder weniger intensiv – mal länger mal kürzer, aber nie eine ganze Sitzung lang). Viele dieser Momente sind zutiefst persönlich auf ihre ganz eigene Art und daher kein Stoff, den ich hier erzählen möchte, aber eine Situation kann ich herausgreifen, die uns alle berührt hat, aber nicht so privat ist:

Einmal standen meine Spieler einem Werwolf gegenüber, damals einem solchen Wesen haushoch unterlegen. Die Kreatur holte sie im Mondschein auf einem Feld ein und die Frage war eigentlich - wie kommt man mit einer geschickten Flucht doch noch aus der Sache heraus. Der Zwerg in der Gruppe war schwer durch den Werwolf verletzt – die Möglichkeiten damit begrenzt. Auf einmal stellt sich sein halbelfischer Freund dem Biest entgegen und liest ihm die Leviten, die Hände in die Hüften gestemmt. Und der Werwolf … zieht Leine.
In dieser Welt* ist das Werwolfdasein ein Fluch und selbst in Werwolfgestalt ist die Persönlichkeit des Menschen im Tier nicht vollkommen abgeschaltet. Diese Kreatur hatte eine Hintergrundgeschichte und einen Grund für ihren Zorn, der sich eben in Wolfsgestalt manifestierte.
Irgendwie traf jener Halbelf den genau richtigen Ton und das Monstrum reagierte „wie von selbst“, trollte sich und beging nach einigen weiteren Ereignissen Selbstmord.

Warum es dazu kam? Wie der Halbelf das hinbekommen hat?
Ich habe das Biest gespielt, ja, aber ich habe nicht die geringste Ahnung – es ist einfach passiert.

Harte Regeln können diesem Flow im Weg stehen, denke ich. Das ist einer der Gründe, warum für die Art Rollenspiel die ich gerne betreibe die Regeln Leitplanke und Orientierung sein sollen und nicht in Beton gegossene Wände. Die Möglichkeit für Momente wie diese erklären vielleicht, warum ich mit solchen Mechaniken wie Prüfwürfen auf Überreden o.ä. nichts anfangen kann (keine Kritik, sondern persönliche Präferenz).

*Bei Interesse:
Das geschah in einer älteren Version von Feenlicht - nach der großen Überarbeitung zu dem, was es heute ist, wären Werwölfe undenkbar. Aber damals war Feenlicht noch ein (sehr entfernter) Verwandter von D&D und Midgard.

Online Zed

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Flow, wie hier bezeichnet sind für mich die Momente, die ich als „Das Spiel spielt sich selbst“ beschreibe.
Genau, und auch Koruuns Beschreibung deckt sich mit dem, was ich "Flow" nennen würde. Immersion ist etwas, dass jede/r Spieler/in für sich haben kann, auch unabhängig von anderen aus der Gruppe, aber Flow im Rollenspiel geht nur mit anderen Menschen gemeinsam. Über die Voraussetzung "Vertrauen" habe ich bislang nicht nachgedacht, aber stimmt, Flow mit Fremden oder Arschlöchern ist eher unwahrscheinlich.

Yney, ja, aufgrund hervorragender Plädoyers Gegenspiel-Figuren zu bekehren, die ich als SL für so-gut-wie-unbelehrbar gehalten habe - das ist meiner Gruppe und mir auch schon passiert  :) - unvergessliche Momente.

Boba, Deine Punkte würde ich als sehr hilfreich für Flow sehen, aber nicht alle als notwendige Voraussetzung.

Regelleicht und regelschwer: Als DnD-3.5 Spielleiter erlebe ich Flowmomente mit der Gruppe eigentlich nur in Nicht-Kampfsituationen. Ich kann mir gut vorstellen, dass in regelleichteren Systemen die Chance größer ist, Flow auch in Kampfsituationen zu erleben.

Offline Issi

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Dann beschreibt die Definition der Psychologie( Flow -höchster Zustand der Konzentration und Versunkenheit in eine Tätigkeit) vermutlich nicht ausreichend genug, was in diesem Strang gemeint ist.

Ich würde es wahrscheinlich eher "Verbindung" nennen. Vielleicht sogar "Auflösung."
(Wahrscheinlich beides gleichzeitig)

Man lässt sich quasi spielen.
Ist mehr oder weniger Zuschauer seiner eigenen Figur, und wird selbst überrascht, von dem was sie macht?

Kenne ich auch von anderen kreativen Tätigkeiten.
(Klappt auch mit Problemspielern  ~;D)
« Letzte Änderung: 7.08.2022 | 14:12 von Issi »

Offline Olibino

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Erlebt ihr Rollenspiel-"Flow" nur am Spieltisch, also in persona, oder auch bei Onlinerunden?

Diesen "Zustand" beobachte ich nämlich, wenn, dann nur offline. Würde mich interessieren, ob ich da der einzige bin.
Ich habe den Flow-Zustand auch schon ein paar mal erlebt, und das waren auch bei mir fast immer Onlinerunden.

Ich denke da gibt es 2 Gründe:
a) Es gibt objektiv weniger Ablenkungen. Keine Kindergeräusche aus dem Nachbarzimmer. Keine Chipstüten auf dem Tisch. Man hört durch die Kopfhörer und schaut auf den Monitor und kann alles andere leichter ausblenden

b) Es müssen viele Dinge zusammenkommen (Boba hat ja eine schöne Liste erstellt). Insbesondere denke ich die richtigen Leute. Und direkt am Spieltisch ist die Anzahl in Frage kommender Menschen sehr begrenzt, da geht man dann Kompromisse ein. Dann hat man vielleicht jemanden in der Runde der gerne über Regeln diskutiert. Und schon gibt es keinen Flow. Online dagegen hat man alleine schon über das Spielsystem (Stichwort Regelleicht) die Möglichkeit Leute zu finden wo es einfach gut paßt.

Offline Yney

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Nachtrag (nach deinen Worten, Olibino):
Bei mir geschah das immer am Spieltisch (schlicht weil ich nie wirklich effektiv online gespielt habe) und hat dort meiner Ansicht nach genau deswegen funktioniert.
Das ist aber nun kein Widerspruch, denn wir haben fast immer sehr "konzentriert" (das Wort passt bei einem Freizeitvergnügen nicht ganz) gespielt und Ablenkung hielt sich in Grenzen. Und ich denke die Tatsache, dass meine Gruppen immer klein waren (2-4 Spieler) war dem sicherlich zuträglich. Und die unisono hier genannte Eigenschaft war immer gegeben: Es waren immer gute Freunde, mit denen so etwas geklappt hat.

Und dein b), Olibino weckt bei mir den Gedanken an eine stark anwachsende Kurve. Je mehr Personen, um so mehr Interaktionskanäle und damit um so mehr Chancen für Ablenkung. Dass bei sechs Spielern plus Spielleitung der Flow aufkommt ist denke ich recht unwahrscheinlich.
Dazu erweiternd fällt mir auch gerade rückblickend auf: Es waren in all diesen Momenten Spieler, die einander problemlos diese Momente gegönnt haben (Spotlight trifft es nicht wirklich), wenn sie evtl. gerade mal nicht direkt beteiligt waren. Da war dann jemand auch vollkommen zufrieden damit, den anderen beiden oder dreien zuzusehen, wie sie miteinander unbewusst eine Geschichte weben. Wenn in so einem Moment jemand auch nur ungeduldig auf seinem Stuhl hin und herwackelt, platzt die Seifenbalse ganz schnell.

Online Zed

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Ich würde gerne hier noch einmal einhaken:

Die Definition von Yney für Flow ist kurz und knapp und stimmt auch für mich:
Zitat
Flow, wie hier bezeichnet sind für mich die Momente, die ich als „Das Spiel spielt sich selbst“ beschreibe.

Ausführlicher würde ich sagen, dass ich als Spielleitung in den Flow-Momenten das Gefühl habe, als würde ich "nur" beschreiben, wie die Akteure der Spielwelt handeln, als kämen sie "ganz alleine" auf ihre Ideen, Argumente, Strategien. Und das Ganze findet im Spiel natürlich nur im Austausch mit der Gruppe statt.

Ich möchte nicht über das verwandte Thema "Immersion" sprechen, sondern die Beziehung zur "Improvisation"  ausloten: Inwieweit ist sie Voraussetzung des Flows? Ist Flow immer auch Improvisation?

Ich kann mich nur an diplomatische Situationen erinnern, in denen ich Flow erlebt habe. Gibt es Flow auch in Kampf- oder anderen Situationen?

Offline Yney

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #34 am: 11.05.2025 | 22:15 »
Deine zusätzliche Ausführung gefällt mir, Zed. In meiner Erfahrung war das ähnlich: ich habe nicht mehr bewusst agiert, sondern die Figuren haben sich verselbstständigt. Und ich denke den Spielern ging es ähnlich. Im Flow ist man wirklich in den Figuren drin und betrachtet nicht mehr von außen.

Zur Improvisation: Ich würde vermuten, dass zum Flow wie oben beschrieben nur dann kommen kann, wenn man sich traut, die Zügel fahren zu lassen. Wenn man bewusst lenkt und steuert, dann kommt es nicht dazu. Also: Ja, ich denke Improvisation ist Voraussetzung.
Vielleicht ein wenig so, wie wenn man im Gespräch mit einem Freund, der Schwierigkeiten hat, nicht bewusst oder gezielt denkt, sondern ausspricht, was einem durchs Herz geht. Direkt und ohne jedes Wort abzuwägen. Insofern würde ich eine entscheidende zweite Zutat vermuten: Vertrauen.

In kritischen und spannenden Situationen habe ich Flow erlebt (siehe mein Beispiel oben) im Kampf oder Actionszenen nie. Aber ich spiele weniger kampflastig. Eine Abwesenheit eines Beweises ist kein Beweis der Abwesenheit.

Offline felixs

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #35 am: 11.05.2025 | 23:07 »
In kritischen und spannenden Situationen habe ich Flow erlebt (siehe mein Beispiel oben) im Kampf oder Actionszenen nie. Aber ich spiele weniger kampflastig. Eine Abwesenheit eines Beweises ist kein Beweis der Abwesenheit.

Könnte das mit den Regeln zusammenhängen?
These dazu: Flow bricht ab, wenn die Regeln zwischen Horizont und Spieler treten.
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Online Zed

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #36 am: 11.05.2025 | 23:39 »
Könnte das mit den Regeln zusammenhängen?
These dazu: Flow bricht ab, wenn die Regeln zwischen Horizont und Spieler treten.

Wir würfeln Diplomatie nicht aus, und ich erinnere mich nur dort an Flow-Momente. Kann also sein...

Online Haukrinn

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #37 am: 12.05.2025 | 07:56 »
Ich versuche mich da mal zu verorten, bin damit aber denke ich tatsächlich eher an der psychologischen Definition dran. Flow ist für mich, wenn gemeinsame Schaffenskraft hoch ist ohne dass es jemanden direkt signifikant erschöpft, langweilt oder überfordert.

Ich würde sagen, dass ist bei mir äußerst selten der Fall, da wo es aber passiert, kommt es vorher zu einer sinnigen, inspirierenden Kette von Entscheidungen durch die Spielenden. Es ergibt sich quasi von selbst, was das nächste Element in der Kette ist, alles fügt sich.

An Regeln oder Online/Offline scheint das bei mir nicht gebunden zu sein.
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Online Zed

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #38 am: 12.05.2025 | 08:10 »
Und wie ordnest Du Improvisation bei Deinen Flowerlebnissen ein, Haukrinn? Unterbricht das Würfeln den Flow bei Dir?

Online Haukrinn

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #39 am: 12.05.2025 | 08:19 »
Flow und Improvisation gehen Hand in Hand bei mir. Wenn eh schon alles in die richtige Bahn fällt, dann ist improvisieren leicht.

Würfeln stört da auch überhaupt nicht, im Gegenteil. Das liefert zusätzliche Information für Entscheidungen. Ich finde auch sehr regellastige Spielanteile können Flow aufbauen, wie ein komplexer taktischer Kampf zum Beispiel, in dem Aktionen nahtlos ineinander greifen.

Ich geb auch nochmal dazu, dass Immersion wie es hier gerne definiert wird für mich absolut unwichtig ist. Ich denke das ist ein Faktor bei dieser Betrachtung. Ich betrachte fast alles was passiert immer aus einem externen "Stance", in-character zu sein fällt mir nicht nur schwer, es ist mir zuwider.
« Letzte Änderung: 12.05.2025 | 09:04 von Haukrinn »
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Offline Namo

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #40 am: 12.05.2025 | 09:00 »
Flow und Immersion gehören für mich zusammen. Beides sind allerdings Sachverhalte die nur in meinem Kopf stattfinden. Sobald Regeln bzw. würfeln in den Vordergrund rücken, sinken sie bei mir wieder.

Im Flow bin ich meistens wenn ich entweder einen NSC intensiv ausspiele und wir im Kollektiv nur in dieser Szene sind. Dann wird der NSC lebendig. Ich merke das z.B. daran, dass ich als recht akribischer SL, der auch gerne Mal intensiv Stichworte zu Gesprächsthemen etc. vornotiert, plötzlich Dinge sage die ich so nie vorbereitet hatte, die aber perfekt in die Situation passen. Oder beim beschreiben einer Situation, einer Szene, auf die sich alle einlassen können. Ich glaube diese Momente spüren und in den Augen der Spieler sehen zu können, wenn es ihnen gelingt sich auch mal total auf eine Szene oder Ortschaft einlassen zu können. Also passiv ein Bild in unseren aller Köpfen entsteht. Manchmal beschreibt man ja vor sich als SL z.B. ein Gebäude vor sich hin mit drei vier Sätzen und hat ein Bild. Aber die Spieler nehmen die Fakten wahr, haben aber kein Bild. Wobei das dann schon eher in Richtung Immersion für mich geht. Flow in dem Zusammenhang wäre schon gemeinsam die Szene wahrnehmen und in ihr wandeln.

Tatsächlich bin ich der Meinung, dass alles was dann mit würfeln zu tun hat eher schädlich für den Flow ist. Man wandelt dann nicht mehr traumwandlerisch in der Szene bzw. dem Dialog mit dem NSC, sondern tätigt aktiv eine mechanische Handlung, die meistens auch noch zu Kopfrechnen führt (wir spielen rein offline ohne nennenswerte Hilfsmittel). Diese Handlung verdrängt dann doch das Bild.

So kann ich mich auch nicht wirklich an einen Kampfflow im Sinne von Immersion erinnern. Natürlich gab es da eine andere Form von Flow. Wenn die Gruppe gut zusammengearbeitet hat, gute Ideen für den Kampf hatte. Ich weiß aber nicht ob ich das für mich als Flow definieren würde wie ich es meine. Vom laufen her würde ich damit für mich persönlich immer eine "außerkörperliche" Erfahrung bezeichnen. Als wäre ich eher Beisitzer einer Szene und nicht selbst aktiver Spieler. Wobei sich Kämpfe und Rollenspiel innerhalb nahezu jeden Systems ohnehin immer wie zwei getrennte Teile angefühlt haben. Selten homogen. Da ist schon immer das Feeling: Jetzt wird gekämpft! Oder jetzt wird was anderes gemacht! Je nachdem wie ausufernd die Kämpferei ist, empfinde ich das auch mehr wie ein Brettspiel wie ein Rollenspiel im eigentlichen Sinne. Aber das ist jetzt nicht so ganz das Thema hier.
« Letzte Änderung: 12.05.2025 | 12:47 von Namo »

Offline chad vader

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #41 am: 12.05.2025 | 09:27 »
Issis Beschreibung kann ich mich sehr gut anschließen.

Ansonsten hab ich ein Unterscheidungsproblem. Als ADS'ler nehme ich meinen eigenen "Flow" im Rollenspiel eigentlich mehr als eine Form meiner Hyperfokussierung wahr, die mir praktisch Überall im Alltag begegnen kann und bestimmendes Element im Spielen meiner Kindheit war. Rollenspiel ist tatsächlich aber eine der Aktivitäten, in welchen ich am leichtesten diesen Zustand erreiche.

Den Unterschied zum Flow anderer merke ich v.a. dann, wenn meine Mitspielenden Erschöpfung erfahren und mich mit ihren Bitten um Pausen erst wieder an die Existenz von Ermüdung (in der Realwelt) als Konzept erinnern. ;D
« Letzte Änderung: 12.05.2025 | 10:21 von chad vader »

Offline felixs

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #42 am: 12.05.2025 | 10:02 »
Tatsächlich bin ich der Meinung, dass alles was dann mit würfeln zu tun hat eher schädlich für den Flow ist. Man wandelt dann nicht mehr traumwandlerisch in der Szene bzw. dem Dialog mit dem NSC, sondern tätigt aktiv eine mechanische Handlung, die meistens auch noch zu Kopfrechnen führt (wir spielen rein offline ohne nennenswerte Hilfsmittel). Diese Handlung verdrängt dann doch das Bild.

Grundsätzlich verträgt sich das gut mit meiner Einschätzung. Auch für mich liegen Immersion und "Flow" nah beieinander und bedingen sich.

Allerdings finde ich es auch vorstellbar, dass jemand ein Flow-Erlebnis hat, wenn die Regeln richtig flutschen, alles an seinem richtigen Platz zu sein scheint, wenn Regeln und Spielwelt lückenlos verschmelzen.

Vermutlich hängt es vom Spielstil ab und vermutlich gibt es mehr als eine Art von Flow.
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Offline chad vader

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #43 am: 12.05.2025 | 10:03 »
Was spielt Ihr während des Flows?
Actionszenen - gerne auch solche, die völlig eskalieren und maximal Schief gehen. Oft geht viel zu Bruch und NSCs reagieren mit Überforderung XD.
  • Ich erinnere mich an eine Szene in Tomb of Annihilation, in welcher wir ein komplettes Dschungelfort mit lustiger Tattergreis-Verkleidung, vorgetäuschtem Dünnpfiff, Dinostall-Panik und ein paar clever plazierten Brandsätzen und Zaubersprüchen vollständig zerstörten. ;D
  • EDIT: Ich erinner mich an eine Eskalation im Badehaus, als der weltfremde Elfenmagier erst mit 2 Eimer Dreck im Zuber und dann mit Wand- und Nebelzaubern "verheimlichen" wollte, dass  die von der Gruppe eskortierte Person darin Tierfüße bekommt und die Gruppe dann sehr viel größeren Ärger schlichten mussten. ::)
Dialogszenen gab es auch schon einige, wo spannende und inspirierende Gedanken/Sichtweisen ausgetauscht wurden. Da ist dann aber meistens nur ein Teil der Gruppe aktiv beteiligt.

Eine etwas leisere Szene, die mir auch sehr in Erinnerung geblieben ist, war vorletztes Jahr eine Panikattacke meines Warforged. Nicht alle Spielenden kamen gleich rein, aber die liebevolle Art wie die Gruppe dann improvisierte und ausspielte, wie die sehr viel kleineren Gefährten diesen riesenhaften Koloss zur Ruhe brachten, trieb mir die Tränen in die Augen.

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« Letzte Änderung: 12.05.2025 | 14:59 von chad vader »

Online Zed

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #44 am: 12.05.2025 | 12:06 »
Das trifft meine Flow-Erfahrung auch sehr gut:

Im Flow bin ich meistens wenn ich entweder einen NSC intensiv ausspiele und wir im Kollektiv nur in dieser Szene sind.

Du hast anderswo geschrieben, dass Improvistion Dir nicht so leicht fällt, meine ich. Ist Flow nicht auch "leicht gewordene Improvistion", Namo?

@chad
Sehr schönes Beispiel. Ja, solche Momente kenne und meine ich.

Vermutlich hängt es vom Spielstil ab und vermutlich gibt es mehr als eine Art von Flow.

So wird es sein.

Offline Yney

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #45 am: 12.05.2025 | 17:43 »
Bei der Frage, ob Regeln und/oder Würfeln den Flow unterbricht, würde ich persönlich klar mit „ja“ antworten. Das ist aber natürlich aus dem Bauch heraus und rein anekdotisch. Ähnliches gilt für mich bezüglich Immersion. Flow, diese Momente, wenn das Spiel sich selbst spielt, das sind zugleich Momente, in denen man die Rolle nicht nur spielt, sondern auch fühlt.

Insgesamt ist das aber sicherlich immer auch vom Spielstil abhängig, wie man an den anderen Ausführungen oben ja auch sieht. Und sicherlich ist Flow nicht gleich Flow (muss ja auch nicht sein).

Online Zed

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #46 am: Heute um 09:25 »
Improvisation wurde auch als Wachstumsbereich von Spielleitung genannt.

Ich habe den Titel dieses Threads umbenannt, weil ich auch einen starken Zusammenhang zwischen Improvisation und Flow sehe, und ich gerne das Thema Improvisation näher beleuchten (lassen) würde.

Offline tartex

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Re: Flow-Erlebnisse beim Rollenspielen
« Antwort #47 am: Heute um 11:08 »
Improvisation wurde auch als Wachstumsbereich von Spielleitung genannt.

Ich habe den Titel dieses Threads umbenannt, weil ich auch einen starken Zusammenhang zwischen Improvisation und Flow sehe, und ich gerne das Thema Improvisation näher beleuchten (lassen) würde.

Der Zusammenhang wäre wohl, dass man Improvisationsarbeit gut portionieren soll, damit man sich nicht verausgabt.

Mein persönlicher Trick: im improvisiere meist, was die SCs gerade wahrnehmen, ich improvisiere tiefere Zusammenhänge so gut wie nie. Darüber mache ich mir dann nach der Session (und auch nicht gleich) Gedanken.

Was anderes was mir extrem hilft: die Sessions, die ich leite, sind nur 3, maximal 4 Stunden lang. Dadurch muss ich nicht zu viel auf einmal daherfabulieren, sondern habe eben viel Zeit mir Gedanken zu den Verbindunge zu machen - obwohl ich letztens auch 2 unzusammenhängende Abenteuerelemente durch Improvisation verkettet habe. Da war ich dann sehr stolz auf mich. Zu oft will ich das aber auch nicht, weil es in dem Fall mal sehr simple wurde. Schadet aber auch nicht.
Die Zwillingsseen: Der Tanelorn Hexcrawl
Im Youtube-Kanal: Meine PnP-Let's-Plays
Kumpel von Raven c.s. McCracken

Online Zed

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Ich bin sicher kein Improvisationsmeister, aber ab und zu gelingt es mir, meine Gruppe und mich selbst (<- das empfinde ich dann als Flow) zu überraschen, auf welch sinnvolle wie auch "spontane" Ideen die bespielte Welt kommt. (Dieser Beitrag hat ein wenig Werkstattcharakter zu meiner eigenen Kampagne, aus ihr schöpfe ich meine Beispiele.)

Was für mich zur Improvisation dazugehört, zusammengefasst
Es wird ja häufig gesagt, dass eine gute Vorbereitung Improvisation fördert. Dem würde ich zustimmen. Dabei würde ich den Aspekt "Durchdringung" der gespielten Welt hervorheben, also wie vertraut Du mit den Verknüpfungen innerhalb der gespielten Welt, ihren Charakteren und ihrer Haltung und ihren Zielen bist. Mein wichtigster Filter ist dabei die Konsistenz der Spielwelt und zugleich eine Offenheit für das, was geschehen wird, und mein zweiter Filter ist dramaturgisch.

"Durchdringung" der gespielten Welt als Vorbereitung
Improvisation ist in meinen Augen  n i c h t, beliebige, viele, spontane Einfälle einwerfen zu können. "Beliebig" ist hier das Problem. Für mich ist die Konsistenz der Spielwelt, ihre innere Logik und theoretische Nachvollziehbarkeit, das, womit ich mit in der "Off-Session" am häufigsten beschäftige, sie halte ich für am wichtigsten. Die Welt durchdrungen zu haben lässt für mich überhaupt erst zu, improvisieren zu können.

Die  g a n z e  Welt immer präsent, durchdrungen haben? Nein, das meine ich nicht. Ich sehe Aufmerksamkeitsfokus immer wie ein "Feld der Gegenwart, jüngeren Vergangenheit und sehr nahen Zukunft", weiter zurück und weiter voraus zu schauen, wäre ein Fehler: Ja, die Grundzüge der Kampagne sind mir zwar immer klar, aber ich achte aktuell nur auf den Ort und die Charaktere, die zur Zeit gebraucht werden.

Beispiel, frisch gespielt
Sorry für die Länge, aber es braucht den Kontext: Unser Spieler Tim spielt den mächtigsten 3.5e-Charakter der Gruppe, einen Cerebremancer, effektiv Magier 13. / Psion 17 namens Aranik. Tim spielt Aranik heute noch genau so egoman wie mit 13 Jahren, als er Aranik angelegt hatte: Stell Dir vor, ein irrer, machthungriger, schräger Mad Scientist hat das Herz des Imperators Palpatine, traut sich aber nicht, konsequent dazu zu stehen. Tim ordnet Aranik als "chaotic neutral" ein. Aber seine guten strategischen Vorschläge kommen immer erstmal kalt und brutal aus seinem Imperatorherz. Seine einzige "Familie", die ihn die letzten Jahrzehnte auch immer zuverlässig moralisch eingefangen hat, sind die drei anderen in der Gruppe, und sie modifizieren seine strategischen Vorschläge so, dass nicht immer zuerst eine brutale Auslöschung der Gegner das Ziel ist. Seine Gruppe würde ihn als "chaotic evil" einordnen.

Nun hatte Aranik vor vielen Sessions einen magischen Unfall: Er wurde verdoppelt. Plötzlich gab es zwei identische Araniks. Man einigte sich auf eine Trennung, und "den anderen Aranik" nannte die Gruppe zur deutlicheren Unterscheidung "Baranik". Wir ahnten, dass eines Tages die zwei Araniks gegeneinander antreten würden.

Fast forward: Eine gewaltige Invasionsflotte auf psionischer Reisebasis trifft auf unserer Welt ein. Überraschung: Das Volk, das die Heimatwelt meiner Gruppe erobern will, sind Aranti, das Volk, dem Aranik und Baranik angehören. Sie nennen sich Bestar. Baranik schließt sich den Invasoren an und wird zu einem Bestar, Aranik und die Gruppe wollen die Invasion aufhalten. (Die ausführliche Geschichte um die Aranti hatte ich hier aufgeschrieben.)

Am letzten Samstag kam es zu einer kämpferischen Auseinandersetzung. Baranik hatte fünf andere Bestar mit herbei teleportiert, Kampf lag in der Luft.

Ich hatte mich die letzten Wochen regeltechnisch intensiv mit Psionik auseinander gesetzt, weil ich als SL sie jetzt zum ersten Mal wirklich, sehr offensiv und gleich hochstufig einsetzen musste. Freitag und Samstag früh, direkt vor dem Spiel, habe ich mich dann in die kommende Begegnung hineingedacht.

Typische Fragen, die ich an mich stelle: Was wollen die NSCs? Was ist ihre Motivationslage? Wie kann ich Baranik, der ja ein charakterliches Abbild des widersprüchlichen Aranik ist, und sein Gefolge noch lebendiger darstellen? Was würden die Implikationen unterschiedlicher Ausgänge des Konfliktes sein?

Was wollen Baranik und seine Schergen?
• Erstes Ziel: Aranik gefangen nehmen, und versuchen, ihn später auf die Seite der Bestar zu ziehen. (<- Details denke ich hier im Moment nicht weiter, das lasse ich auch für mich noch in der Schwebe.) Nebenziel: Den Pilothelm konfiszieren, mit dem sich die Insel fliegen lässt.
• Samthandschuhfaktor beim Vorgehen: Null. Aranik (und also auch Baranik) vertritt gerne die Strategie: "Erst töten, dann verhören, dazwischen wiederbeleben." Aranaik wird dann immer zuverlässig von seiner Gruppe zu einem weniger blutigen Ansatz überstimmt. Aber sein Zwilling Baranik hat die abmildernde Gruppe nicht um sich herum, also ist dies seine enthemmte Strategie.

Wie ist ihre Motivationslage?
• Baraniks Motivationslage: Nimmt er den Tod seiner alten Familie wirklich in Kauf? Ja, weil er Tod und Wiederbelebung als normale Strategie sieht. Aber Baranik würde keine Freude haben und vielleicht sogar einschreiten, wenn seine alte Gruppe von seinen Schergen gequält würde oder desintegriert, was eine Wiederbelebung schwieriger machen würde.
• Baranik ist hier der Boss des Kommandos, und seine fünf Schergen wollen ihn mit Geschwindigkeit und Präzision beeindrucken. Die Bestarin "Raht" ist die zweitmächtigste im Kommando, und sie ist von Baranik schwer angetan. 1. Ziel: Baranik schützen. 2. Ziel: Auftrag ausführen. Die eigene Sicherheit ist den Schergen egal.

Wie kann ich die NSCs lebendiger darstellen?
• Baranik wird einsam sein. Im Gegensatz zu Aranik hat er keine "Familie" mehr, er hat nur die militarisierten Bestar um sich herum. Wie geht ein Mad Scientist damit um? Ich kam auf den Gedanken, dass Baranik als Einsatzbezeichnungen seines Kommandos angepasste Namen der Gruppe nutzt. In der Gruppe gibt es zB "Leyna" die Hochelbin, und - schwupps - ist eine weitere Schergen-Bestar weiblich, und Baranik gibt ihr den Kommandonamen "Beyna". Dasselbe macht er mit den drei weiteren Bestar, die er als Einsatzkämpfende und "Deplorables" dabei hat.
• Die Nummer zwei im Kommando, Raht, empfindet mindestens große Hingabe zu Baranik und setzt Baraniks Sicherheit auf ihre höchste Priorität. Sie ist die am wenigsten nüchterne Bestar des Kommandos. (Spoiler: Sie überlebte den Kampf nicht und kam dazu, nur ein Wort zu sprechen.)
• Wie kommunizieren die militarisierten Bestar wohl untereinander? Sicher knapp und effizient. Mir kam auf der Anfahrt zur Spielsession eine Art Code in den Sinn, der auch als Grundgerüst der Bestarsprache gelten könnte. Also die Sprache noch schnell notiert als kleines "Rätsel", für so kleine, zur Atmosphäre beitragende, leichte Denkaufgaben haben meine Leute immer einen Sinn. (Spoiler: Im Laufe der Session gab es keine Gelegenheit, die Sprache einzusetzen.)

Was würden die Implikationen unterschiedlicher Ausgänge des Konfliktes sein?
Die "Anti-Schummel-und Ergebnisoffenheits"-Fraktion mag sich wundern: Ich war für  j e d e n  Ausgang der Session offen.
• Es hätte sein können, dass meine Gruppe sich einfach wegteleportiert, und es gar keinen Kampf gibt.
• Einen TPK hielt ich für sehr unwahrscheinlich (20. Stufe, alle magiekundig), und für den TPK-Fall habe ich einen für die Gruppe überraschenden, aber lange schon gesäten und auch schon hier und da "angedeuteten" Twist in der Tasche, der die Gruppe einmal zurückbringen wird, aber von dem die Gruppe nichts weiß.
• Eine weitere Möglichkeit war, dass Baranik von der Gruppe getötet wird und zukünftig als Antagonist wegfällt. Wär dann so, es gibt genügend andere Antagonisten.
   -> Ich wäre mit allen Ausgängen fein gewesen. Ich habe keinen Ausgang forciert.

Voraussetzung für Improvisation erfüllt: Vorbereitung abgeschlossen, Zukunft offen...
All diese (und sicher viele weitere denkbare Möglichkeiten) habe ich absichtlich nicht weiter durchdacht. Ich fühlte mich sicher in dem Detailreichtum, mit dem ich die jüngste Vergangenheit, die Gegenwart und die ganz nahe Zukunft durchdrungen habe. Ich habe mich zugleich frei gemacht von Erwartungen: Ich will nicht durchdrücken, was ich mir für Raht, Baranik und die anderen Bestar ausgedacht habe. Die "Durchdringung" dient nur mir als Vorbereitung, und ich muss mich davor hüten, all das auch ausspielen zu wollen. (Wie ich schon andeutete: Die Bestar-Kommandosprache konnte im stattfindenden Kampf gar nicht eingesetzt werden, so schnell war er vorbei, und Rahts emotionale Bindung zu Baranik hatte ebenso keine Chance, sichtbar zu werden, so schnell war sie tot.) Diese Offenheit möglicher Verläufe schafft für mich den Raum für Improvisation.

...Improvisationen der Spielsession
Jetzt nicht wundern: Viele Improhighlights hatte ich letzten Samstag dann gar nicht. Ich beschreibe die Spielsession trotzdem so ausführlich, weil ich mit frischer Erinnerung die Voraussetzungen zur Improvisation erklären möchte, die ich für wichtig halte.

Also: Als die erste Bestar-Schergin fiel, rief die emotionalere Raht "Beyna!!!". Meine Spielerin verstand sofort die Ähnlichkeit des Namens ihrer Figur "Leyna". "Baranil hat seine Leute wie uns benannt" war sogleich ihre korrekte Vermutung. Der Kampf endete nach einer Runde, und alle Schergen waren tot, und Baranik hatte sich mit wenig Lebenspunkten noch wegteleportieren können. Die Gruppe durchsuchte die Schergen. Über die Farbe von deren Kleidung hatte ich mir bis zu dem Zeitpunkt keine Gedanken gemacht, aber ich wollte (spontan) auch anhand der Leichen darstellen, wie Baranik zu diesen Schergen gestanden hat. Also fragte ich meine Gruppe, welche Kleidungshauptfarbe ihre Figuren tragen. Und dann sagte ich, dass außer bei "Raht" die Hauptfarbe der Kleidung der vier Unterschergen dieselben Farben haben, wie die Gruppe sie trägt. Plus dass die Unterschergenfrau, die "Beyna" gerufen worden war, diese Kleidungsfarbe wie Leyna trägt. Leynas Spielerin analysierte daraufhin "Baranik vermisst uns. Der macht seine Leute zu einem traurigen Ersatz für uns." und traf den Nagel damit auf den Kopf.

Ja, die spontane Kleidungsfarbfrage war jetzt kein Mindblowing-Beispiel für Improvisation. Aber sie zeigt, wie "Durchdringung" der gespielten Welt ermöglichst, spontan auf die passenden (im Gegensatz zu "beliebigen") Ideen zu kommen.

Dramaturgische Einfälle
Wenn es in die Konsistenz der Welt passt (1. Priorität) und unterschiedliche Ausgänge auch für mich als SL offen sind, dann "nutze" ich nicht selten dramaturgisch interessante (Re-)Aktionen der gespielten Welt. Beispiel: Hätte die Gruppe Baranik erledigt und wäre Raht noch am Leben gewesen, hätte ich wohl, abhängig von dem Zeitfenster, das sie zur Verfügung gehabt hätte, ihre emotionale Überwältigung aufgrund Baraniks Dahinscheiden ausgespielt. Das hätte die Gruppe sicher beeindruckt, weil sie es schätzt, wenn die Antagonisten auch eigene Persönlichkeiten sind. Mit mehr Zeit für Raht hätte ich vielleicht ihren Hass auf die Gruppe, die Baranik getötet hätte, deutlich gemacht. A new antagonist would have been born - und die Gruppe wäre live dabei und auch die Ursache gewesen.

Lebendige, improvisierte NSC-Reaktionen muss man sicher nicht gleich einen "dramaturgischen Einfall" nennen. Dramaturgische Effekte können Überraschungen und Suspense sein, das Auspielen innerer Konflikte, Zuspitzen von Konflikt (evtl durch Zeitdruck), das Erfüllen von Erwartungen wie das Brechen von Erwartungen. Wann immer es spontan in die Konsistenz der gespielten Welt passt, nehme ich gerne eins davon, denn es schafft Abwechslung, Lebendigkeit, Spannung und führt zu Player-Engagement.

Die Kurzfassung: Der "Schrödinger-Oger" als Kern gelingender Improvisation
Was, wenn Baranik in Wirklichkeit eine Tarnung als Bestar aufbaut, um in Wahrheit gegen die Bestar zu arbeiten? Wenn sein Herz also doch nicht so schwarz wie das von Imperator Palpatine ist, sondern nur sehr dunkelgrau? Wenn er eher eine Art "Luthen" (SW:Andor) ist? Wenn seine Rücksichtslosigkeit, die er seinen alten Gefährten gegenüber ausspielt, seine Glaubwürdigkeit als loyaler Bestar stärken soll?

Angenommen, Baranik bleibt als (scheinbarer?) Antagonist noch etwas länger leben, und irgendwann, beim großen Showdown, stellt er sich überraschend auf die Seite der Gruppe und gegen die Bestar, wie geil wäre das denn, dramaturgisch gesprochen?

Bei Schrödingers Katze ist das Gegenteil gleich wahr: Seine Gedankenexperiment-Katze ist tot und lebendig zugleich, und erst wenn es drauf ankommt (man nachsieht), fällt die Entscheidung, ob die Katze schon tot war oder nicht.

Ich habe in diesem Beitrag mal den Begriff "offen halten" genutzt. Aber genauer wäre, dass ich bei der "Durchdringung" der gespielten Welt einiges gerne und bewusst in einem "Schrödinger Katze"-Zustand halte. Das öffnet die Tür für gut improviserte und auch dramaturgisch interessante Reaktionen.

Schrödinger-Baranik "zugleich" als Feind der Gruppe und "zugleich" als Teil der Rebellion: Ist das nicht eine Art Betrug?
Ja, unter Umständen (die ich vermeide) würde ich es Betrug nennen: Sobald eine der beiden Rollen Baraniks zur gespielten Realität geworden sind, ist die eine Rolle festgelegt. Konsistenz der gespielten Welt und so. (Was nicht heißt, dass er wie Darth Vader nicht doch noch einmal einen Gewissensschub bekommen kann, zu Anakin wird und den Sturz des Imperiums unterstützen kann - aber für eine solche Umkehr muss es für mich nachvollziehbare Gründe geben.)

Solange aber können beide potentielle "Realitäten" wahr sein - und das ist dann kein "Betrug": Dass er für die Invasoren arbeitet oder dass er heimlich gegen die Invasoren arbeitet, und seine Taten im Sinne der Bestar nur seiner Tarnung dienen. Ob ein Schrödinger-Oger Betrug ist, hängt also davon ab, ab wo die Realität beginnt. Und für mich beginnt sie ab dem Moment, wo die Realität sich durch Ausspielen manifestiert hat.

Es macht mir große Freude, einige Dinge/Figuren für mich in Schrödinger-Schwebezustand zu halten und dann zu sehen, was sich entwickelt, wie es sich ausspielt. Den Moment des Ausspielens, des Festlegens, würde ich die einfachste, weil gut vorbereitete, und zugleich spannendste und erfüllendste Improvisation nennen.

Wie ging nach Baraniks Flucht per Teleport weiterging und hätte gehen können.

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Schrödinger-Baranik "zugleich" als Feind der Gruppe und "zugleich" als Teil der Rebellion: Ist das nicht eine Art Betrug?
Ja, unter Umständen (die ich vermeide) würde ich es Betrug nennen: Sobald eine der beiden Rollen Baraniks zur gespielten Realität geworden sind, ist die eine Rolle festgelegt.
ich könnte es nicht Betrug nennen, denn das würde gar nicht stimmen können.
Es kann immer Möglichkeiten geben, wie man das (später) auslegen könnte. (Als Beispiel eignet sich Snap in Harry Potter, erst durch seine Erinnerung wird klar, auf welcher Seite er stand.) Und dein Beispiel ist gerade das, was ich an RPG liebe.
Die Angreifer waren zu schnell vernichtet? Baranik hat quasi die gleiche Gruppe mitgenommen? Wunsch "Familie" zu haben? Oder leicht schwächere Gruppe als die Helden genommen, damit die Helden lernen gegen den Feind vorzugehen und sich mit deren Strategie bekannt machen? (Das ging nicht auf, die Code-Sprache konnte nicht erfolgreich vorgeführt werden.) Es gibt so viele offene Möglichkeiten, die in der Schwebe (eben Schrödingers-Zustand) sind, dass Alles Mögliche™ kommen kann. Deshalb versuche ich auch nicht wirklich, zu viel von der Zukunft festzulegen. Die ist noch nicht erzählt worden. Und so lange die Geschichte nicht auf dem Tisch ist, ist sie nur eine diffuse Möglichkeit.
Ich liebe in den Fällen sogar mit Prophezeihungen zu arbeiten, die auf den ersten Blick etwas implizieren, was sich im Nachhinein entweder dem Wortlaut nach eigentlich zu einem Gegenteil umdrehen kann - oder die angenommene Bedeutung noch vertieft. Es wäre ja langweilig, wenn es jedesmal gleich funktionieren würde.
Ich bin der letzte Schrei der Evolution, als sie mich erschaffen hatte, schrie sie: "Oh Gott, was habe ich denn gemacht?!"