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[Deadlands] Savage West Solo Play

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May B. hat in der Zwischenzeit das Warten aufgegeben. Shadrack der Ochsenkopp muss in die falsche Richtung gedackelt sein, vielleicht hat er das Wäldchen zwischen den Dünen nicht mal gesehen. Ihren Erkundungsflug über der Wüste zu machen hat sie sich mittlerweile doch getraut, aber längst zu spät, der Zeitgenosse scheint vom Wüstensand verschluckt.

Sie überdauert seit vielen Tagen dank der EXFOR-Konserven in dieser Wildnis. Sie weiß nicht einmal, seit wie vielen Tagen, denn sie hat versäumt, mit ihrer Machete eine Strichliste in das Holz zu ritzen, als sie‘s noch wusste.
Sie hatte viel Zeit zum Nachdenken.
Tagsüber überkommt sie zwischendurch immer wieder eine meditative Stimmung, während die wundersamen Geräusche dieser fremden Welt sie umgeben. Hexen wie sie waren schließlich ursprünglich in Europa Anhängerinnen von Naturreligionen; Mina Devlin hat das alles nur korrumpiert mit ihrer Teufelsanbetung und ihren Wirtschaftsinteressen. Hier ist May B. frei von dem allen, hier kriegt Black River sie nicht mehr.

Zweimal donnern schreckliche Sandstürme über die Wüste hinweg, und May B. kauert bibbernd unter ihrer Militär-Schutzplane mit ihrer Einweg-Atemmaske auf, und spürt, wie sie langsam im Sand eingegraben wird. Aber sie überlebt jedes Mal, das Wäldchen bietet genügend Schutz vor den Winden.

Ein paarmal heult sie sich beim Gedanken an Joycelyn und an ihre Freunde im irdischen Kalifornien in den Schlaf: Die sind nicht nur unvorstellbar weit weg, sie haben auch längst bereits Kinder bekommen, und die haben wiederum ihre Leben gelebt, und immer so weiter, Generation für Generation, ganz bis zu dem Punkt, bis die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist …

Sie ist leider ziemlich abhängig von den künstlichen Nahrungsvorräten in ihrem Versteck. Selber jagen kann sie nämlich nur ein paar der außerirdischen Spezies, welche weit unten in der Nahrungskette rangieren. Alles hier scheint äußerlich mit irdischen Reptilien vergleichbar zu sein, allerdings warmblütig — Säugetiere, die wie Echsen aussehen. Egal, wie profund ihre Wildnis-Fähigkeiten daheim im Weird West geworden sind: Hier auf diesem Stern taugt das alles fast nichts. Die kleinen lurch- und affenartigen Biester, die sie erjagt bekommt, sind alles andere als fette Beute. So wie ihr ferner Pardner Shadrack entgeht sie der Kotzeritis nur durch den Einsatz der Digestiv-Pillen, die Rakesh in die Marschrucksäcke gepackt hatte. Immerhin hat sie (das sagen dankenswerter Weise die Orakelwürfel) ein kleines Wasserloch im silbrigen Dickicht gefunden, wo sie ihre Plastikflaschen auffüllen und sich waschen kann.

Der Soldat Rakesh ist jedenfalls dran, das ist mal klar, sollte er wiederkommen. Scheiß auf seine wahren Gefühle und seinen freien Willen, er muss ihr neuen EXFOR-Fraß zuspielen, damit sie hier draußen weiterhin überdauern kann, also wird er kontinuierlich weiter behext werden. Solcherlei Hexenkünste sind in dieser neuen Situation plötzlich kein nützlicher Trick mehr, wie damals im Eisenbahnkrieg, denkt May B. — sie sind jetzt überlebenswichtig. Diese neue Welt, betörend, aber grausam, wird sie nicht kleinkriegen.


Was hält der Planet Banshee denn für unsere Gestrandete bereit? Erwürfeln wir uns mal einen Abenteuereinstieg á la One Page Solo Engine. Das wird, Save an Ally in Peril from Outlaws, to gain the Support of an Ally. Sehr geradlinig, wunderbar. Diese angekündigten Outlaws sind natürlich dieselben Reapers, welche auch ganz in der Nähe im Clinch mit Shadracks Anouk-Clan sind. Mein Wurf für Set the Scene ergibt, an Obstacle Blocks the Way, und es gibt außerdem eine Scene Complication, und zwar, a Major Detail of the Scene is Enhanced or Somehow Worse.
Letzteres ist leicht zu beantworten: Der Dreh- und Angelpunkt für May B.s derzeitige Situation ist ihr Nahrungsversteck. Dank der Scene Complication kann sie jetzt bye-bye dazu sagen!

In weiter Ferne waren heute Staubfahnen über den Dünen aufgestiegen, vielleicht mal wieder ausgelöst von plötzlichen Winden, aber vielleicht ja diesmal auch von einem Treck von Menschen! Aus der Richtung von Rakeshs Basis kamen die nicht … also vielleicht andere Menschen, nicht die Weltraum-Soldaten?

Als die Hexe jedenfalls in der Abenddämmerung von ihrem Routine-Erkundungsgang zurück kehrt (welche sie oft macht, um auszuschließen, dass EXFOR-Scouts sich über Land nähern), hört sie mit ihren scharfen Sinnen etwas Alarmierendes. Ein Knurren und Schmatzen! Scharfe Krallen auf Metall … jemand hat ihre vergrabene Alu-Box entdeckt, mit ihren letzten Nahrungsvorräten, denn genau aus dieser Richtung dringen die Geräusche! Mit heftig pochendem Herzen pirscht sie sich näher. Zwischen den eisenartigen Baumstämmen kauern zwei massige, gepardenähnliche Außerirdische, und verschlingen gerade gemächlich die Reste ihrer Nahrungsklötze!



Es sind Cat Beasts (Lost-Colony-Regelbuch, Seite 181)!
„… Wie der verdammte Xerbo-Xor, nur mit einem einzigen Katzenkopf jeweils, und als verdammte Reptilien!“, flüstert May B. wütend, während sie langsam ihren einen Colt Army auf die Raubtiere anlegt. Ihren Furcht-Wurf hat sie locker bestanden.
Aber kommen ihre Patronen durch die dicke Schuppenhaut? Und was gewinnt sie überhaupt, wenn sie die Fremdwesen abknallt? Auch ihre Munitionsreserven sind im Verlauf der letzten Tage bereits geschrumpft. Ihre lebenswichtigen Vorräte kommen durch derlei Rache jedenfalls nicht wieder! Und dass sie diese beiden Außerirdischen schlachten und essen kann, bezweifelt sie stark.
Ihren Marschrucksack hat sie auf, die Wasserflaschen darin sind noch größtenteils gefüllt. Sie haut einfach wieder ab in die Wüste, und nimmt sich vor, erst zurück zu ihrem Unterschlupf zu kommen, wenn die wilden Tiere weit weg sind.

Die Orakelwürfel erlauben, dass unsere Heldin ungesehen davon kommt, ohne dass die Cat Beasts sie anfallen.

Binnen einer Stunde draußen zwischen den kühler werdenden Dünen erscheint auch die Staubwolke wieder, im letzten Licht des Tages ist sie am Horizont zu sehen. Diesmal ist die Hexe sich sicher: Das sind Reiter, oder Kutschen. Sie scheinen auch näher zu kommen. Das könnte ihre Rettung aus dieser Wüste sein … wenn‘s nicht die gottserbärmliche EXFOR ist.

Ist sie nicht. Die Armee kommt aber sehr wohl auch ins Spiel! Der Abenteuereinstieg hat ja gesagt, An Obstacle Blocks the Way. Dementsprechend:

Während May B. sich geduckt zwischen den Dünen auf den nahenden Treck zu arbeitet, flammen Schiffsantriebe am Abendhimmel auf! Das ist nichts Neues, denn Frachtraumschiffe überqueren diese Wüste alle paar Tage … dieses hier ist aber bereits in den Tiefflug gesunken, und landet dann, genau zwischen der Hexe und ihrem Ziel! Das Ding sieht dem Bergungsschiff der EXFOR, bei dem sie an Bord war, verdächtig ähnlich, und es hat auch die blaue Weltkugel mit dem Lorbeerkranz aufgeprägt, das Zeichen dieser sogenannten UN.



In dem Moment erheben sich von weiter hinten, bei dem Wüstentreck, leise Stimmen: Das sind Hilfeschreie!
„Haben die armen Schweine solche Angst vor der EXFOR?“, denkt May laut, dann begreift sie, „Nee, die wollen, dass die Soldaten ihnen helfen!“
Sie selber kann nicht ohne weiteres zur Hilfe eilen, das Armee-Aufklärungsschiff hat sich zufällig genau zwischen sie und die nahende Staubwolke gebracht. Jetzt blockieren die Klotzköpfe ihren Weg.

GM Move! Wir kriegen, Foreshadow Trouble:

Leider hat May B. keinen Plan davon, was so ein Aufklärungsschiff für Technik an Bord hat, und dass sowas wie Wärmescanner 2094 die leichteste Übung sind, welche ihr Körperwärme-Muster ratz-fatz in der abkühlenden Wüste entdecken! Eine Handvoll Soldaten schwärmt aus dem Schiffsbauch aus, aber wundersamer Weise nicht in Richtung der Staubwolke und der Hilfeschreie, sondern im Gegenteil, direkt auf sie zu! Sie schmeißt sich erschrocken in den Sand und hält die Luft an. Die leisen Schritte nähern sich trotzdem, in unvermindertem Tempo! Hektisch fischt May B. ihre Flugsalbe aus einer Gürteltasche, und haut sich eine Portion an den Hals, ins Dekolleté, und auf die Handgelenke! Atmet die Dämpfe tief ein!

Da wäre jetzt ein Raise bei Spellcasting schick, denn mit der Fly-Kraft hat die Hexe eine Bewegungsrate von 12, oder eben gleich 24 mit Raise. Das Landungsschiff der Marines ist natürlich in jedem Fall viel schneller, aber das Teil parkt ja gerade, und ist ja eigentlich auch wegen der Karawane hier; auf May B.s Wärmemuster sind sie eben nur zufällig gestoßen, und wollen ausschließen, dass sie ein Scout der Reaper ist. Also muss sie nur Fußsoldaten abhängen. Leider kommt sie nur auf einen einfachen Erfolg, aber das sollte reichen. Mit unsicherem Trudeln erhebt sie sich zwischen den Dünen, fliegt dicht über dem Boden, und beschreibt einen Bogen, um die nahenden Soldaten und ihr Landungsschiff herum.

Die Orakelwürfel sagen, der Trupp ist zu verdutzt, um das Feuer zu eröffnen oder etwas anderes zu unternehmen:

Wahrscheinlich glauben sie einfach, ihre Wärmescanner spinnen, viel Equipment der EXFOR ist schließlich seit dreizehn Jahren kaum noch gewartet worden. Damit wäre das Hindernis schon mal überwunden. May B. steigt im dunkel gewordenen Himmel höher, und späht neugierig herunter auf den Wagentreck, von dem das Geschrei erklingt …

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Aus luftiger Höhe sieht May B., was für Vehikel es sind, aus denen der Treck besteht: Es sind natürlich keine Fuhrwerke und Planwagen, sondern selbstangetriebene Lastenfahrzeuge (was der gemeine Kolonist im übrigen einen ‚Cargo Crawler‘ nennen würde), und kleine Wüstenbuggies. Alle haben einen schwarzen oder dunkelblauen Anstrich erhalten, aber die Farbschicht ist stark zerkratzt und blättert teilweise ab. Signalrote Totenkopf-Flaggen wehen zerfleddert im Wüstenwind. Scheinbar futuristische Varianten vom Hellstromme‘schen Dampfwagen von damals, es stinkt nicht mal nach brennendem Ghost Rock. Die Hilfeschreie kommen von der Außenhülle eines der Lastenkriecher, dort wurden nämlich ein paar arme Trottel mit Ketten befestigt, als so eine Art teuflische Außendekoration, oder sadistische Bestrafung (in guter, alter ‚Mad Max‘- Manier). Die fliegende May B. wird etwas blass um die Nase, mit derlei Zuständen hätte sie auf diesem Planeten nicht gerechnet … andererseits gibt’s draußen im Weltraum auch Schiffe, die nur noch von Skeletten und Manitous bemannt sind, da ist ein bisschen anarchistische Barbarei hier unten eigentlich nicht so verwunderlich …

Noch grotesker: Die Fahrzeuge werden begleitet von Reitern auf großen, außerirdischen Tieren, die aussehen wie Mischungen aus Leguan und Löwe, und die Reiter erinnern die entsetzte Hexe an die Tommyknockers in den Tiefen der Erde, nur massiger, muskelbepackt, und lilahäutig! Ich lasse sie einen Furcht-Wurf machen, aber der Gedanke an Angst kommt ihr offensichtlich gar nicht, sie hat zwei Raises. Die hiesige Tommyknocker-Variante scheint offen mit den Menschen zusammenzuarbeiten, und sie weckt nur ihre Neugier.

Hoch in der Luft auf der Stelle schwebend muss May B. beobachten, wie der barbarische Wagenzug sein Tempo verlangsamt, und dann eine Art Schlachtenlinie bildet, die Echsenreiter an einer der Flanken. Die Lastenfahrzeuge und Buggies haben Bewaffnung an Bord, ganz so, wie sie das noch aus den Eisenbahnkriegen kennt, aber hier sind es keine Gatlinggeschütze, sondern Maschinengewehre, Laserkanonen, und Bazookas, alles mehr oder weniger einsatzbereit.



Vom Landungsschiff der Marines her erschallt eine elektronisch verstärkte Durchsage über die nächtliche Wüste: „Haben wir Euch, Ihr gottverschissenen Reapers! Eure Aktivitäten sind sofort einzustellen auf Befehl von General Warfield! Runter mit den Kanonen, und lasst Eure Gefangenen laufen! Dies ist die einzige Warnung, die Ihr verdammten Coorachas kriegt! Unsere Verstärkung ist bereits im Anflug hierher!“

Als Antwort gleißt ein Licht an einem der Cargo Crawler, und fährt mit einem Zischen und einer Rauchfahne auf eine der Gruppen von Soldaten in den Dünen zu, wo es mit ohrenbetäubendem Krach zu einer Feuerkugel wird. May B. zuckt erneut zusammen. Beide Seiten tauschen Salven aus, der Wüstensand wird zerpflügt von Trommelfeuer, weitere, einzelne Explosionen erhellen die Nacht.

Wer gewinnt diesen Standoff? Das sollen uns die Orakelwürfel sagen:

Das Landungsschiff kassiert mehrere schwere Treffer, und hebt dann dröhnend ab. Scheinbar wollen sie manövrieren, um sich in Sicherheit zu bringen. Von der angedrohten Verstärkung keine Spur, vermutlich war das auch nur ein Bluff von dem Funker! Die abgesetzten Trupps rennen durch die Dünen, mit ihren MGs feuernd, um den feindlichen Reaper-Wagenzug einzukesseln. Dabei schnellt eine einzelne Gestalt aus der Traube der wilden Echsenreiter, wird von einer unsichtbaren Kraft in die Luft katapultiert. Unter einem flatternden, zerfransten Kapuzenmantel sind die Gliedmaßen eines der violetten Außerirdischen zu erahnen, aber dieses Exemplar ist rappeldürr. Das Ungeheuer verlangsamt seinen Flug auf Höhe des aufgestiegenen Dropship, und reckt seine Klauenhände danach aus. Psychokinetische Irrlichter flammen spektakulär auf, überall um es herum.

Der außerirdische Psioniker ballert ohne Rücksicht auf Verluste die Power Modifiers Armor Piercing und Heavy Weapon in seine Blast-Kraft, Powerpunkte sind dieser Brut egal, sie haben nämlich derer 75! Er würfelt seinen Psionics-Würfel von W12+2, erzielt ein Raise, und zerreißt mit unfassbarer, telekinetischer Macht das Raumschiff in Fetzen aus verzogenem Metall! Die kreischenden Geräusche dabei sind unbeschreiblich. May B. schwebt immer noch tatenlos auf der Stelle, und beobachtet mit offenem Mund. Einen neuerlichen Furcht-Wurf besteht sie gerade so dank ihrem Brave-Vorteil. Es regnet Schrott, Elektrik, und Hüllen-Teile, und Crewmitglieder. Einer der Leiber wird von einer der Reitechsen am Boden geschnappt, und von mahlenden Fängen vor dem Aufprall gerettet. Die dürre, vermummte Gestalt sinkt wieder tiefer, reglos, nur ihr Mantel flattert wie wild im Nachtwind ...

Zwischen dem Wagenzug und den vereinzelten Marines in den Dünen werden noch verzweifelte Salven ausgetauscht, aber von dort unten dringt zu der Beobachterin hinauf: „Rückzug! Rückzug, sie haben einen Skinny!“

Unserer Heldin wird klar, dass sie durch das rundenlange Aufrechterhalten von Fly mittlerweile ziemlich viel ihrer mentalen Reserven verbraucht hat, ohne überhaupt einzugreifen. Die durchdringenden Dämpfe ihrer Flugsalbe lassen ihr die Augen tränen und beginnen sie schwindelig zu machen. Sie sollte irgendwo landen. Bei dem Schusswechsel zu versuchen, die Angeketteten zu befreien, ist sowieso unmöglich!

Wir fragen also mal die Orakelwürfel: Gibt es vielleicht auf dem Wagenzug der Reaper ein Versteck, in dem die Hexe einfach „schwarzfahren“ kann? Trotz geringer Wahrscheinlichkeit sagen diese, ‚ja, und außerdem‘! Sauber:

May B. sinkt in der Luft herab, und macht eine Ladefläche auf dem Dach eines der Cargo Crawler aus. Hier sind Alu- und Plastikkisten festgezurrt, teilweise unter Planen — wahrscheinlich erbeutetes Diebesgut der Gang. Noch praktischer: Dazwischen liegt ein Erschossener mit zerfleddertem, schwarzen Ledermantel und rotem Kopftuch. Die Hexe wirft sich hastig in seinen Mantel und bindet sich das Kopftuch als breites Stirnband um, dann kickt sie den toten Outlaw angewidert hinab in den Wüstenstaub, gibt ihm ihren schönsten Stiefeltritt mit auf die letzte Reise! Sollte man sie nun hier oben sehen, ist sie jetzt auch noch incognito!



Sie kauert sich zitterig zwischen die Ladung, und späht hinab. Die Outlaws sichten den erlittenen Schaden; zwei der Buggies sind explodiert, einer der Lastenkriecher ist beschädigt, aber sonst sind sie ganz gut aus dem Feuergefecht hervor gegangen. Umgehend machen sie sich zur Weiterfahrt bereit. May schaut zu den violetten Reitern herüber, und kann es nicht fassen: Tommyknockers, die offen mit Menschen zusammenarbeiten! … Bei näherem Hinsehen gehören diese Gestalten jedoch in diese Wüste: Sie ähneln den vielen anderen reptiloiden Außerirdischen, die May B. hier beobachtet hat. Nur, dass sie eben anthropromorph sind. Sie wirken grimmig, brutal, und wortkarg. Erschaudernd versucht sie, das verhungerte Exemplar in dem grauen Überwurf wieder zu entdecken in deren Mitte. Solche arkanen Kräfte hat sie noch nie gesehen! Nicht einmal bei den Lehrmeisterinnen an Mina Devlins Mädchenschule in Wichita. Aber kaum hat sie ein paar Augenblicke lang ihre Aufmerksamkeit auf die Reitergruppe gerichtet, hat sie den grauenvollen Eindruck, eine unsichtbare, augenlose Aufmerksamkeit würde sich sofort auch auf sie richten, nach ihrem Verstand tasten, wie sonst nur die Manitous in den Ewigen Jagdgründen es tun! Sie keucht erschrocken auf. Schnell wendet sie sich ab, kauert sich zwischen den Kanistern zusammen, schiebt ihren Cowboyhut tief in die Stirn, und versucht, an nichts zu denken. Mit einem Stampfen und Rattern setzt sich dabei das Raupenfahrzeug unter ihr in Bewegung, auf sein unbekanntes Ziel zu.


Der kleine Convoy rattert durch die Wüstennacht.

Nächster GM Move: Es ist mal wieder Advance a Threat! Alles andere als unpassend, in May B.s Situation.

Eine der beiden runden Dachluken des Raupenfahrzeugs wird rumpelnd aufgeworfen. Ein schwarz gekleideter Outlaw stellt sich breitbeinig auf das dahinzuckelnde Fahrzeug, und setzt eine Art futuristisches Fernglas an die Augen, schaut nach hinten, direkt über May B. hinweg, die auf der Ladefläche zwischen ihren Kisten kauert. Sie hält den Atem an. Der bärtige Kerl scheint auch nicht nach ihr zu suchen, sondern nach den Buggies Ausschau zu halten. Die sind zurückgeblieben, um eilig die Wrackteile nach Brauchbarem zu durchkämmen, die der sogenannte Skinny hernieder regnen lassen hat. Ein Mucks, und er hat May B. gesehen, er braucht ja nur das Fernglas zu senken. Sie würfelt Stealth, hat da aber mittlerweile einen W10, und erzielt auch gleich mal eine neun. Der Kerl lungert aber noch eine Weile rum, raucht eine billig stinkende Zigarette. Wahrscheinlich ist ihm langweilig, das bedeutet, dass er vielleicht aufmerksam ist. Der Erdling muss aber früher oder später an seiner Luke vorbei kriechen, um zur Front des Fahrzeuges zu kommen, wo die bemitleidenswerten Gefangenen festgekettet sind. Nicht, dass er gerade dann wieder seine bärtige Schnauze da raus steckt!


Eine Stunde später hat der Convoy Halt gemacht, in einer felsigen Klamm, am Rande der Wüste. Hier haben die Gesetzlosen Deckung, sollte doch noch die angebliche Verstärkung aus Richtung der EXFOR-Basis auftauchen, vielleicht in Form von Luftaufklärung. Die Buggies sind immer noch nicht wieder zum restlichen Wagenzug aufgeschlossen, offenbar will man ihnen Gelegenheit dazu geben. Lagerfeuer werden zwischen den Fahrzeugen gemacht, Reparaturen begonnen, Nachtwachen eingeteilt.

May hat mittlerweile wieder 12 Powerpunkte, das ist nicht schlecht. Sie robbt bäuchlings über das Dach des Lastenkriechers, passiert beide Panzerluken erneut mit einem Raise bei Stealth. Rasselnde Atemgeräusche kommen von der Fahrzeugfront. Ein mittelgroßer, kräftiger Kerl mit Bierbauch und fettiger Haarmähne ist hier festgekettet. Er ist sonnenverbrannt, schweißüberzogen, und scheinbar mittlerweile deliriös.
„Diese Schweine!“, entfährt es der Hexe als wütendes Zischen.

May B. und ihre verflixte Impulsivität! Wacht der Typ davon auf? Die Orakelwürfel sagen, gerade so, ja. Immerhin schreit er nicht auf.

„Das is‘ all‘s ein bissch‘n zu ‘eavy, Ihr Scheiß‘r“, krächzt er aus seiner ausgetrockneten Kehle, kraftlos, aber immer noch irgendwie bockig.
May B. fummelt wortlos ihre eine Plastikpulle hervor, und gibt der armen Sau was zu trinken.
„Macht mich jetz‘ mal ab! Die an‘nern beiden hat das schon zerrumpelt …! Das‘ doch ein Scheiß-Ende … wenn ich sterbe, dann im Weltraum … wie‘n echter Spacer eben …“
„Halt mal Deine Fresse, Du echter Spacer!“, flüstert May B., „sonst hören die uns noch! Wo sind die Schlüssel für die verfackten Ketten?“

Gute Frage, sind die vielleicht an die Ketten dran gefriemelt? Unwahrscheinlich, und die Orakelwürfel sagen, nix da. Im Fahrzeug vielleicht? So sieht’s aus, bestätigt der nächste Wurf.

„Im Führerhäuschen … hab‘ ich heute morgen genau mitgekriegt …“, bringt der Gefangene hervor.
„Verstanden. Ich hol‘ die mal. Geh‘ so lange nicht weg.“
„Jau. Witzig isse auch noch … biste so 'ne Art Engel …?“
„Fresse jetzt, ich bin gleich zurück!“

May stemmt eine der Einstiegsluken auf, und klettert gewandt ins Innere.

Aber kommt sie unbehelligt bis zum Führerhäuschen des Cargo Crawlers durch? Die Orakelwürfel sagen netterweise, ‚ja, und außerdem‘:

Ein Blick durch die staubverkrusteten Fahrzeugfenster zeigt, dass die ganze Crew unten an den Lagerfeuern versammelt ist. Sie prosten sich gut gelaunt zu, mit Getränkedosen und Schwarzgebranntem. Irgendein grotesker Lärm dringt halblaut durch die Scheiben, von dem unserem Erdling sich die Zehennägel aufrollen, es soll womöglich so etwas wie maschinell erzeugte Musik sein. (Es ist Splintervibe-Techno aus den guten, alten 2060ern, ach ja, da war die Welt noch in Ordnung, aber May B. hat keinen Sinn dafür.) Die Outlaws scheinen die Rast nutzen zu wollen, um schon mal ein wenig ihren Sieg zu feiern.

Für das ‚und außerdem‘-Resultat gönnen wir ihr folgendes:

Im Führerhaus des Crawlers entdeckt sie einen kleinen Schlüsselbund auf einer der kompliziert aussehenden Konsolen, das müssen die Kettenschlüssel sein. Dann sieht sie, dass ein weiterer Schlüssel in der Konsole steckt, wie als könne man den Kastenkriecher damit irgendwie „abschließen“ … und vielleicht ja auch in Gang setzen? Sie hat mehrmals bei den Black-River-Truppen in Wichita voller Erstaunen dabei zugesehen, wie deren gepanzerte Dampfwagen angelassen wurden … das ging natürlich ganz anders, aber vergleichbar war es doch … und ganz in der Nähe, zwischen den Felssäulen, geht's steil ein Stückchen runter, da ist ein kleiner Abhang …

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Der Abhang ist natürlich nicht tief genug, um den Crawler zu schrotten. Aber ihn in stundenlanger Arbeit mit dem anderen Fahrzeug da wieder rausziehen, das müsste man schon! Wäre ja echt ein schöner Schlamassel, wenn der da rein geriete!
May B. wägt gar nicht ab, sie bekommt einen weiteren Benny für ihren Impulsive-Nachteil, dreht den Schlüssel, und versucht, das tonnenschwere Gerät in Gang zu setzen!

Dafür muss sie natürlich Driving würfeln, da kann sie sich nur auf arkane Weise eine Ahnung verschaffen, mit Boost Driving. Die Kräfte der Dunkelheit wissen sicherlich, wie man so eine Maschine steuert! Sie zerreibt konzentriert ein paar ihrer übrigen irdischen Kräuter unter ihrer Nase. Ihre Hexenkünste generieren ihr einen W4. Von Ahnungen gesteuert, drückt sie auf Fußpedale, und legt Kippschalter und Hebel um. Und wer hätte es geahnt, ihr temporärer W4 kommt auf ein Raise! Nach kurzem Misstönen beginnt der Motor, das massige Vehikel äußert gleichmäßig zu beschleunigen! May B. entfährt ein böses, vergnügtes Lachen.

Kaum hat die Hexe das Ding in Fahrt gesetzt, fällt ihr wieder ein, dass sie doch eigentlich hier ist, um den überlebenden Gefangenen zu retten! Das ist natürlich ungleich schwieriger, da jetzt die Aufmerksamkeit der Gesetzlosen auf das stampfende Fahrzeug gelenkt ist! Hektisch grabscht sie sich also die Kettenschlüssel, und rennt zurück zu der Panzerluke im Dach. Klettert geschmeidig hinauf, und robbt zur Frontscheibe zurück, beginnt mit zusammengebissenen Zähnen die Fußschellen des Kerls aufzuschließen. Das Ruckeln des tonnenschweren Crawlers unter ihr erschwert den Versuch ungemein! Sie würfelt jedoch (trotz Unstable Platform-Abzug) einen dicken Erfolg mit ihrem Athletics-W10. Die Füße sind frei, und nun sind die blutigen Handgelenke dran. Währenddessen hat sich das Transportfahrzeug bereits zwischen den beiden Felssäulen hindurch geschoben, und rattert auf die kleine Abhangkante zu, die direkt dahinter liegt. In wenigen Momenten wird es abrutschen!
„Gleich bist Du frei! Halt‘ Dich ja gut fest, Pardner, gleich rumpelt‘s gehörig! Nicht, dass Du abstürzt!“, schreit sie über den Motorenlärm.
Beide schauen unwillkürlich nach unten, wo die Raupenräder unermüdlich durch den Sand pflügen. Dort runter zu purzeln hieße wahrscheinlich, platt wie eine Briefmarke zu werden.

Beide müssen einen Athletics-Wurf schaffen. Der Gefangene ist logischerweise Exhausted und bekommt -2 auf alles. May B. muss ihn also mit einem Athletics-Wurf ihrerseits supporten, bevor sie für sich selbst würfeln kann.

Und die alarmierten Reapers, sehen die diese beiden Gestalten herumturnen, vorn oberhalb des Führerhäuschens in der Nacht?

Die Orakelwürfel sagen, nö:

Die Gangster hantieren zwar hektisch mit ihren Suchscheinwerfern, haben die aber noch nicht ausgerichtet, und die meisten sind gerade auch damit beschäftigt, fluchend dem auf mysteriöse Weise in Bewegung gesetzten Cargo Crawler nach zu spurten, um die Außenleiter zur geöffneten Einstiegstür zu erreichen und das Ding wieder zu stoppen!

Zwischenzeitlich hilft die Hexe dem entkräfteten Befreiten, auf der anderen Seite der dröhnenden Maschine hinab zu klettern, ohne abzuschmieren, aber trotz ihres Support-Bonus ist er zu zitterig und unkoordiniert. Er ist selber eine Wild Card mit zwei Bennies (dieser Verbündete ist ja immerhin das Ziel des erwürfelten Szenarios), ich brauche beide Bennies für Rerolls, und beim dritten Anlauf schafft es der arme Kerl, geschickt springt er nach mühsamem Entlang-Hangeln ab, und kommt geschickt im durchpflügten Wüstensand auf, weit von den alles zermalmenden Raupenrädern. May springt hinterher, und rollt sich katzenhaft im Sand ab. Im selben Moment erreicht das massige, gepanzerte 200 000-Dollar-Raupenfahrzeug die Abhangkante der Senke, und …

… und wir fragen die Orakelwürfel, ob die Reaper-Piloten das Führerhäuschen im letzten Moment stürmen und maximal in die Eisen gehen können —  bedauerlicherweise für sie mittlerweile extrem unwahrscheinlich:

Stampfend und ächzend stoppt der Cargo Crawler im allerletzten Moment seine Fahrt, eine Sandlawine geht vor ihm fünf Meter tief die Senke hernieder, seine Front ragt bereits ins Leere! Schon wird der Rückwärtsgang eingelegt, und die Raupenräder arbeiten mit aller Macht, bringen das Lastenfahrzeug gänzlich zurück in Sicherheit!

„Oh, fuck!“, entfährt es der ungläubigen Hexe, dann raunt sie dem röchelnden Spacer zu, „lauf!“
Daraufhin macht sie ihre Hexengesten mit den Händen, konzentriert sich wispernd, und aktiviert ihre Hexenkunst Speed für sie beide, und erzielt ein Raise, dadurch verdoppelt sich das Pace beider Rennenden (12 für den Spacer, und sogar 16 für die Hexe selbst)! Wie schwerelos fliegt der Wüstenboden unter ihren Stiefeln dahin, der schwarze Saum des gestohlenen Ledermantels flattert hinter der Hexe her wie ein Banner im Wind. Ein ungläubiger Schrei entfährt der trockenen Kehle des Geretteten, aber es gelingt ihm, dennoch weiter volles Hackengas zu geben.

Die Reapers entdecken sie trotzdem immer noch nicht, laut der Orakelwürfel, im Lärm ihrer Lagerstätte. … Aber ich weiß, wem derlei Aktivitäten nicht verborgen bleiben, dafür würfele ich nicht mal. Diese Begegnung ist viel zu gut, um auszulassen!

Über den Silhouetten der riesigen Ladefahrzeuge taucht plötzlich pfeilschnell eine hagere Gestalt auf, die sich telekinetisch in die Luft erhoben hat. Der Blick ihrer pechschwarzen Augen ist untrüglich auf die beiden Menschen gerichtet, die in die felsige Wüste hinaus rennen, beschleunigt von jenen arkanen Energien, welche diese Kreatur so genau kennt!
„Vor dem Skinny gibt’s kein Entkommen!“, schreit der Spacer panisch.
„Überlass‘ das mir! Renn‘ weiter, finde Deckung!“, ruft May B. ihm zu, hält sich ihre eingesalbten Handgelenke ins Gesicht, und atmet erneut tief die Dämpfe der vorhin aufgetragenen Flugsalbe ein. Aus vollem Lauf erhebt sie sich mit flatternder Kleidung in die Nachtluft, schraubt sich höher, und katapultiert sich dem Verfolger entgegen!



Das Schlimmste, was einem Erdling im Faraway War begegnen konnte: Ein Skinny


Die Spielwerte des Skinny sind im Lost-Colony-Grundbuch auf Seite 189.

Soundtrack: Juno Reactor, Navras
https://www.youtube.com/watch?v=U6RC4yFEvu8

Runde eins: Während beide aufeinander zu rasen, aktivieren sie ihre Defensiv-Kräfte; May B. macht ihre Schutzzeichen und aktiviert mit einem Erfolg Protection. Mit Extra-Powerpunkten erhöht sie den Schutz auf 4, und macht ihn undurchdringlich (wie freimütig der Gegner mit dem Power Modifier Armor Piercing umgeht, haben wir ja vorhin schon gesehen)! Damit hat sie nur noch einen einzigen Powerpunkt übrig, wir können nur hoffen, dass der Kampf schnell vorüber ist!
Der rauen Kehle des herbeischnellenden Skinny entfährt ein heiseres Kreischen, während er mit Raise seine Psi-Kraft Deflection aktiviert, als schwindelerregenden, telekinetischen Wirbelwind um sich herum. Dank seiner Fähigkeit Psionic Mastery darf er mehrere Kräfte pro Aktion verwenden ohne Multi-Action-Abzug! Er setzt Mind Reading hinterher, und erneut fühlt May B., wie ein fremdes Bewusstsein mit aller Macht in ihres vorzudringen versucht. Erschrocken verschließt sie sich davor, und mit einem Spirit-Erfolg gelingt es ihr gerade so. Damit sind die beiden fliegenden Gestalten sich so nah, dass sie das Weiße in Augen der anderen erkennen können (nur Anouk-Augen sind pechschwarz).

Runde zwei: May B. Wickett erhält einen Joker! Ich verwende den Extra-Benny umgehend dafür, ihr fünf neue Powerpunkte zu geben. Sie reckt dem Alien die Hand entgegen, und ihre blauen Blitze schlagen mit gewaltiger Energie in die ausgemergelte Gestalt ein, richten zwei Wundlevel an! Der Skinny muss einen seiner zwei Chips abwerfen, um zu absorbieren, und reduziert den Blitzschaden damit auf eine Wunde. Daraufhin ist seine Aktionskarte dran, er wirkt ebenfalls Bolt, aber gleich dreimal in Folge, weil, warum nicht! Der erste trifft (mit einem Resultat von 30!), der zweite ist ebenfalls ein Raise, der dritte nur ein einfacher Erfolg. Auch hier kommt ein Power Modifier großzügig zum Einsatz, nämlich Damage, um pro Treffer einen Extra-W6 Schaden zu machen. May B. absorbiert mit ihren verbleibenden beiden Bennies zwei dieser Schadenswürfe, und wird durch den übrigen nur Shaken. Der Außerirdische wirft drei geballte Blitzladungen zurück auf den Erdling, seine sind nicht tiefblau, sondern haben eine entsetzliche, widernatürliche Nicht-Farbe, so eine Art kaltes Grau. May fühlt ihr unsichtbares Schutzschild um sich herum nachgeben, wenn auch nicht zusammenfallen. Sie wird in der Luft rückwärts geschleudert, beißt die Zähne zusammen um den Schmerz zu verdrängen, und stabilisiert ihren Flug so gut sie kann.

Runde drei: Diesmal agiert der Skinny zuerst. Er schickt erneut seinen psionischen Willen aus nach dem Bewußtsein der Terranerin, diesmal nicht mehr, um ihre Gedanken zu erforschen, sondern um sie gleich zu übernehmen (mit der Puppet-Kraft, wie Mallory und Luca es aus Gomorra kennen)! Die Hexe verwehrt dem Skinny ihren Verstand mit großer Selbstkontrolle. Dieser hat allerdings noch zwei Versuche! Er würfelt erneut Psionics, und diesmal erzielt er trotz seinem Wundabzug ein Raise! Die Hexe hat keine Bennies mehr, um ihren Wurf zu wiederholen. Sie sieht die riesigen, schwarzen Mandelaugen des Gegenübers vor ihren, als würde er genau vor ihr schweben, und glaubt ein monotones Grollen zu hören, als dränge es aus den Tiefen von Banshee herauf, und plötzlich ist ihr eigener Wille verschwunden, sie ist wie ein lebendiges Werkzeug, eine Marionette. Sie schließt in Trance die Augen, fliegt trudelnd ein Stück tiefer, und fällt dann in den Sand. Benommen spürt sie noch, wie sie sich ferngesteuert aufrichtet, und den herbeirennenden violetten Wüstenbewohnern entgegen geht, und den schwarz gekleideten Gesetzlosen.

Mist, das hatte ich mir anders vorgestellt, der Toughness-Wert der Skinnies in der neuen SWADE-Variante suggeriert, dass man sie mit ein paar guten Würfen schnell mal eben tot kriegt, immerhin ist unsere Heldin mittlerweile auf dem Legendary-Rang! Aber diese Fähigkeit Psionic Mastery ist nicht zu unterschätzen. (Und ein guter Erfahrswert war das auch mal, mit meinen früheren Lost-Colony-Gruppen habe ich mich noch nie an einem Encounrter mit einem Skinny versucht.)

Immerhin hat die Wild Card ihre Mission erfüllt, sie hat ja den Gefangenen der Reapers befreit, nur ist sie eben dabei selber eingesackt worden. Wie kriegen wir sie da jetzt wieder raus?


Mit Kopfschmerzen und Ohrensausen erwacht May B. wieder, und fühlt, dass das Bewusstsein des fremden Wesens von ihr abgelassen hat. Sie ist wieder Herrin ihrer Sinne. Sie befindet sich in einem kleinen Raum voller Ruß und Staub, die Wände sind aus Stahl, Rohrleitungen verlaufen daran. An eine von denen, die auf Bodenhöhe verläuft, ist sie mit Handschellen befestigt, so dass sie nicht höher kommt als in eine Kauerhaltung. Um sie herum wackelt und brummt alles ganz leise, sie muss in einem kleinen Stauraum im Inneren des Lastenfahrzeugs sein. Wo geht die Reise jetzt hin? Schweiß läuft ihr an der Stirn herab, tropft auf den sandigen Metallboden, es ist sehr heiß und stickig. Ihr Verstand beginnt zu rasen. Unwillkürlich schüttelt sie den einen ihrer Cowboystiefel von ihrem Fuß, um ihre Hexentätowierung an ihrem Knöchel zum Vorschein zu bringen. Wenn ihre Künste sie und Shadrack von Bord des Bergungsschiffes herunter geholt haben, dann schafft sie es mit ihnen auch von Bord dieser übergroßen Kutsche!

Erwürfeln wir uns mal einen GM Move, diesmal ist es ein Failure Move aufgrund des verlorenen Kampfes: Reveal an Unwelcome Truth. Dazu weiß ich was Passendes:

Eine halbe Stunde später öffnet sich quietschend die schmale Metalltür des Kämmerleins, und ein groß gewachsener Gesetzloser erscheint, mit schwarzer Bikerkluft und rotem Kopftuch. So viele goldene Beutestücke und Trophäen hängen von seinem Mantelkragen und Munitionsgurten, dass man direkt vermutet, dass er der Anführer ist, und sein Blick strahlt etwas Herrisches aus. Die Hexe setzt sofort einen schmachtvollen Blick auf und bringt ihren entblößten Knöchel in sichtbare Position. Zuerst muss sie seine Attitüde auf Neutral bringen, ihr gegenüber, das bekommt sie mit ihrem natürlichen Charme hin, dann verwendet sie einfach wieder Beguile …
„Was soll denn der Dackelblick?“, fragt der Gesetzlose kühl, beinahe angewidert, „Willst Du jetzt plötzlich auf handzahm machen? Willst Du mit Deiner Model-Visage bei mir punkten?“
May B. ist etwas aus dem Konzept gebracht.
„Das ist alles ein Missverständnis. Ich bin ein Outlaw, wie Sie. Lassen Sie mich hier raus, dann reden wir … wahrscheinlich finden Sie Gefallen an meiner Gesellschaft.
 … ich kann alles genau erklären!“
„Wenn Du ein bisschen mehr wärst als eine Wüstenmaus mit Klimperaugen, dann vielleicht! Du weckst aber nicht mein Mitleid, Fremde. Du hättest beinahe einen unserer Crawler in den Graben gesteuert, Du hast Fourth Wall geholfen, sich zu verpissen, und Du hast es irgendwie geschafft, den verdammten Skinny zu verwunden! Bist Du hier, um undercover für die Marines zu spionieren?“
May B.s Menschenkenntnis meldet sich: Was auch immer es ist, worauf dieser Kerl hier abfährt, Frauen sind das nicht, zumindest nicht solche von ihrem Schlag! Wenn das stimmt, dann kann sie ihn nicht behexen!
Defensiv fragt sie, „Marines? Was denn für Matrosen, hier ist doch kein Wasser weit und breit!“
„Die EXFOR-Marines, Du hirnloses Chick! Raus mit der Sprache, sonst kannst Du gleich den Platz über dem Führerhäuschen einnehmen, von dem Du den Gefangenen befreit hast!“
„Bloss nicht voreilig werden, Hombre! Ich würde gern mit Eurem Anführer reden.“
„Ich bin der Anführer.“
„Na großartig. Ich bin May B. Ortega, ich habe ganz bestimmt nichts mit dieser EXFOR zu tun. Ich habe diesen Spacer nur befreit, weil ich finde, dass Ihr sadistische Arschlöcher seid. Das sind ja Zustände wie in den Eisenbahnkriegen hier draußen!“
„In den was?“
„In den Eisenbahnkriegen der 1870er, Du Vogel! In Geschichte wohl nicht aufgepasst! Leute vorn an Fahrzeuge zu binden, weil man die nicht mehr ab kann, das war damals schon in Mode! Konnte ich nicht mit ansehen, das ist alles. Ich kenn‘ ja den Typen gar nicht.“
„Du redest wirres Zeug, Puppengesicht. Das soll ich Dir glauben? Du bist keine Sykerin, hattest aber trotzdem den Schneid, einem Skinny entgegen zu treten! Bist Du ein Scrapper?“
„Scrapper …? Wie diese Kerls aus Junkyard?“
„Was denn nun schon wieder für ein Junkyard! Scrapper, Du hohle Nuss, vercybert! Hat HI Dich vollgepackt mit Cyberware?“
„Obwohl wir beide Englisch reden, habe ich das Gefühl, wir sprechen verschiedene Sprachen“, sagt May B. hilflos, sie könnte vielleicht Speak Language verwenden, um die zweihundertjährige Dialektveränderung abzumildern, aber dafür müsste sie den Kerl dazu bringen, sich von ihr ins Ohr flüstern zu lassen, und irgendwas sagt ihr, dass er auch das nicht wollen würde, so wenig, wie ihr Charme auf ihn wirkt.
„Was machst Du in den Great Wastes? Bist Du etwa allein, oder folgt Dir wer?“
Zerknirscht antwortet sie, „Schiffbruch. Bin der verflixten EXFOR weggelaufen. Nein, ich bin allein, mein einziger Pardner ist mit dem vorletzten Sandsturm verloren gegangen.“
„Wo hattest Du den Mantel her, und das Stirnband!“
„Einem Erschossenen abgenommen, nach Eurem hirnverbrannten Standoff mit den Soldaten vorhin!“
„Weißt Du überhaupt, was Nicolais Befehle sind, wenn wir Infiltratoren erwischen in Rängen der Reapers?“
„Wer seid Ihr Typen überhaupt! Reaper, so wie in, der ‚grimmige Schnitter‘?“
„Wie in, ‚Ihr werdet ernten, was Ihr sät‘. Das geht auf Coltrane zurück. Hast Du etwa nie die vielen Vids gesehen von seinen Ansprachen! Jedes Kind weiß das, on-planet. Von wo aus dem System kommst Du?“
„… Die Vostros.“
„Lügenmärchen.“
„Glaube es halt nicht, wenn Du nicht willst. Mir egal. Wo bringt Ihr mich jetzt hin!“
„Die Vostros, schon klar. … Wir schaffen unsere Beute zum nächsten Versteck. Du bist jetzt erstmal Teil dieser Beute. Eine Verrückte, die den Schneid hat, einen Skinny anzugreifen, und das Zeug dazu, das Graue Blitzgewitter zu überleben …? Das nenne ich ein nützliches Stück Beute! Du willst partout nicht auspacken, was die Wahrheit ist? Denk‘ bitte mal kurz an alle Leute, die Du je kennengelernt hast!“
„Ja, und?“
„Jetzt mach‘ Dich mit dem Gedanken vertraut, nicht eins dieser Gesichter je wieder zu sehen! Unser Versteck verlässt Du nicht wieder, oder zumindest nicht so, wie Du es betrittst!“
Der Gangboss würfelt seinen Intimidation-W10 (er ist aber keine Wild Card). May B. unterbietet ihn knapp. Da er kein Raise hat, ist ihr Wille nicht gebrochen. Bockig sieht sie zu Boden, auf ihre Knie.
Der Anführer verlässt wortlos den Raum, und die Tür wird wieder verschlossen.

Schalter:
Advance
May B. hat sich immerhin mittlerweile ihren nächsten Advance verdient. Nach dem psionischen Kontakt mit dem Verstand des übermächtigen Skinny gebe ich ihr den Vorteil Power Surge. (Da sie mittlerweile auch die Vorteile Quick und Level Headed hat, spekuliere ich darauf, dass sie relativ viele Aktionskarten pro Runde durchbringt, und daher auch ihre Chancen auf einen Joker steigen, der dann widerum den Power Surge auslöst.)


Sieht jedenfalls aus, als würde die Hexe während der restlichen Fahrt in der Klemme stecken!

Ein neuerlicher GM Move sagt: An NPC Takes Action. Interessant, wie hilfreich ist derjenige denn? Das Orakel sagt dazu, etwa durchschnittlich. Es ist von dieser Begegnung also nicht gleich zu erwarten, dass sie eine Fluchtgelegenheit schafft ... Aber vielleicht kommen immerhin nützliche Infos dabei raus? Dann ist das einer der anderen Outlaws, der zumindest weniger biestig ist als der Anführer. Für die Identität des NSCs sagt das Kartenorakel, social Mystic who wants to physically Harm physical Equipment. Hm! Die Reapers haben ja Anouk-Verbündete, und viele Anouks haben die eine oder andere psionische Begabung, sei es das Channeln von biolektrischen Energien durch die vielgestaltigen Steine, oder andere latente Gaben. Letzteres ist im Grundregelwerk nicht genauer beschrieben, aber mir passt da der Arcane Background (Gifted) aus dem SWADE-Regelbuch prima in den Kram. Viele der Ureinwohner Banshees könnten den haben, ohne gleich richtige Psioniker und Schamanen zu sein.

Stunden später öffnet sich die Tür des Stauraums erneut, und eine der Gangster, das Gesicht voll punkiger Kriegsbemalung, stellt Wasser und Essen auf dem Boden ab. Sie mustert die Gefangene ängstlich, scheinbar kursieren die Gerüchte um ihren Luftkampf mit dem Skinny mittlerweile überall an Bord des Cargo Crawler. Hinter ihr erscheint einer der violetten Recken, in schuppige Häute gekleidet, aber mit einem der signalroten Stoffbänder vor der Stirn, mit dem stilisierten, schwarzen Totenkopfsymbol darauf gemalt.



„... Tommyknockers machen mir keine Angst …“, murmelt May B., vor Hitze und stickiger Luft mittlerweile ziemlich wischi-waschi in der Birne, ihre schweißnasse Mähne klebt ihr im Gesicht, ihre Wange scheint am Metallboden zu haften, während sie benommen auf der Seite liegt. Die Gesetzlose zieht sich eilig wieder zurück, der Anouk tritt vorsichtig in den Raum auf seinen dreizehigen Plattfüßen, und geht vor der Gefangenen in die Hocke. Seine violette Reptilienhaut hat ein imposantes, komplexes Streifenmuster.
„Dhuu bist … keine Soldatin, heißt es“, sagt er in tiefer, kratziger Stimme.
Die Hexe blinzelt verwirrt hinauf zu seinem Gesicht mit den tiefschwarzen Augen.
„Ihr seid keine richtigen Tommyknockers … auf der Erde haben die nie versucht, mit mir zu plaudern … und ich bezweifle, dass die Englisch konnten …“
Der Anouk gibt ihr die Wasserschale in die Hände, damit sie trinken kann, und sagt, „Ich habe die Englisch-Sprache gelernt von den Reapers. Dhuu warst also auf der Erde? Dann bist Dhuu als Kind hergekommen. Was bringst Dhuu von dort mit?“
„Komische Frage! … Jede Menge Wut“, knurrt May B., während sie mit den gefesselten Händen aus der Plastikschale schlürft.
„Sind Maschinen in Deinem Körper?“
„Jetzt kommst Du auch mit dem Scrapper-Quatsch? Sind die bei Euch heutzutage so verbreitet?“
„… Dhuu hast den Dar‘Seth angegriffen. Kein anderer von Euch Terranern wagt das heutzutage. Es wird gesagt, Dhuu seist dabei geflogen! … Sind es Maschinenteile, die Dich das thuun lassen? Die Reapers schicken mich, um Maschinenteile zu zerstören.“
„Nee, bei mir is‘ alles naturbelassen. Die Tommyknockers haben sich tief unter der Erde versteckt, aber Ihr lila Hombres latscht einfach so offen herum! Was zum Geier seid Ihr …?“
Weiter kommt May B. nicht, denn der Anouk erhebt ein tiefes, gutturales Summen, das ihr durch und durch geht. Die Pipelines direkt um sie herum beginnen zu wummern und zu zischen.
„Was ist das für ein Trick …?“, fragt sie verwirrt, „was bist Du für einer?“
„Ich will die Maschinen der Terraner weg haben. Die vielgestaltigen Steine helfen mir dabei! Dhuu bist kein ghuut getarnter Roboter, und Dhuu bist kein Scapper. Sonst wärst Dhuu jetzt nhuur noch Schrott.“
„Du, mein violetter Amigo, befindest Dich gerade in einer Maschine der Erdbewohner! Ist das nicht widersprüchlich?!“
„Die Reapers sind die Verbündeten der Anouk-Clans. Besonders von meinem Clan, der Azeel, mächtigste und wildeste aller Anouks! Sie benhuutzen Maschinen, weil sie es müssen. Am Ende werdet Ihr Kolonisten unterworfen sein, und dann herrscht endlich Friede.“
„Das klingt ja schön!“, versetzt May B. ironisch, „kommt mir alles ungemein bekannt vor. Hat sich wohl nichts geändert, in all der Zeit, in der ich weg war!“
„Was meinst Dhuu?“
„Die Fehler der Vergangenheit. Die Geschichte wiederholt sich selbst.“
„Die Reapers werden Dir Gelegenheit geben, Dich zhuu erklären. Wenn wir in ihrem Versteck angekommen sind. Wir brauchen immer neue Mitstreiter. Wenn Dhuu klhuug bist, kannst Dhuu sie vielleicht überzeugen, dass Dhuu bleiben darfst. Dhuu hast Mathoo vorhin gesagt, Dhuu bist selbst eine Gesetzlose! Eine Schiffbrüchige. Dann sind die Reapers vielleicht die richtige Fraktion für Dich.“
„Ihr kettet Eure Gefangenen außen an Eure Scheiß-Kutschen, damit die außerirdischen Aaskrähen die weg picken! Ihr seid ebenso schlimm wie meine früheren Auftraggeberinnen!“
„Die Schwachen werden ausgelöscht. Das ist das Gesetz der Wildnis“, sagt der Anouk nüchtern. Das ist kein Propaganda-Spruch für ihn, das hört May an seinem Ton: Für ihn ist das eine grundlegende Wahrheit.
„Wer sind diese Reapers! Wer seid Ihr Anouks? Ich weiß verfackt nichts über Eure durchgeknallte Welt!“
„So? … Die Reapers gehen auf Coltrane zurück. Einer von Euch Terranern. Er hat seinerzeit überall in den Koloniestädten gesprochen, um Frieden zu machen zwischen uns Anouks und Euch. Wir können zusammenleben, Seite an Seite. Viele Anouks und Menschen haben ihm zhuugehört. Viele haben nicht gewollt, dass der Faraway War kommt.“
„Und das, was am Ende daraus entstanden ist, ist eine gesetzlose Gang, die wohl gerade irgendwie zur politischen Großmacht aufzusteigen versucht! Na, das ist ja wohl mächtig nach hinten losgegangen!“
„Wir werden das Zusammenleben in Frieden der Anouks und der Terraner noch erleben. Nur die Starken werden überdauern auf Banshee.“
„Pah. Und Ihr lila Gesellen, Ihr Anouks? Wie kommt Ihr hierher? Wart Ihr schon immer hier?“
„Wir kommen von den vielgestaltigen Steinen, vom Beginn der Zeit. Wir sind die Uureinwohner. Ihr Terraner kommt von Eurem Sternen-Thuunnel, den Ihr vor fünfzig Jahren gebaut habt. Von einer sterbenden Welt.“
May B. fährt unwillkürlich zusammen, und beginnt, sich in Kauerposition hoch zu kämpfen, „Sterbend? Was soll das heißen, sterbende Welt?!“
„Warum weißt Dhuu das alles nicht? Das ist doch Deine Vergangenheit!“
„Nicht drumrum reden! Was soll das heißen, was ist auf der Erde los?!“
„Ihr habt nicht mehr genug Ghost Rock. Ihr braucht immerzu Ghost Rock für Eure Öfen. Ihr habt durch den Rauch Eurer Öfen Euer Wetter zerstört, heißt es. Und es sind zhuu viele Terraner bei Euch, so viele, dass Eure Welt unter Euch allen erstickt. Um weiterzumachen, brauchtet Ihr den Ghost Rock auf Banshee.“
„Was ist mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg, wer hat den gewonnen? … Wer hat die Transkontinentale Eisenbahnlinie fertig gestellt? Was ist aus den Sioux Nations geworden, und der Coyote Confederation, gibt es die noch? Wie sieht es da heutzutage aus? Raus damit!“
„Ich weiß all das nicht, Terranerin. Es kümmert mich auch nicht. Mich kümmert meine eigene Welt!“
May B. ist plötzlich außer sich vor Wut, sie rüttelt geräuschvoll an ihren Ketten, „schaff‘ sofort Deinen Obermotz wieder hierher! Ich will wissen, was mit der Erde ist!“
„Niemand in Faraway weiß, was mit Terra ist. Seit dreizehn Jahren ist Euer Sternen-Thuunnel tot. Es war jedenfalls Krieg auf Terra, als er damals ausgefallen ist.“
„Du verstehst nicht, was das heißt! Ich und meine Leute waren damals einer unglaublichen Verschwörung auf der Spur!“, und May B. hat aufgehört, nachzudenken, sie platzt einfach damit heraus: „Das alles klingt fast, als hätten wir es nicht geschafft! Die Vostros war voll von Manitous, und hier auf der Planetenoberfläche herrscht Gesetzlosigkeit! Und warum immer diese dreizehn?! Warum sind es immer dreizehn Jahre?!“, und sie beginnt Schnappatmung zu kriegen und zu hyperventilieren, als sie heraus bringt, „Die Reckoners haben möglicherweise in der Zwischenzeit gewonnen!“
Der gestreifte Anouk erhebt sich stumm, und betrachtet sie abweisend, während sie wie von Sinnen an ihren Ketten zerrt.
Dann öffnet er die Eisentür, und geht.
„Untersteh‘ Dich, abzuhauen, Du lila Lahmarsch! Ich will sofort mit Eurem Chef sprechen! Ich will sofort alles über den Tunnel und die Erde wissen!“, schreit die Hexe ihm nach, wie rasend.
Ihr Wutgeschrei ist auf dem ganzen Korridor des dahin rumpelnden Wüstenfahrzeugs zu hören.


Erneut vergeht einige Zeit, von der die Gefangene nicht sagen kann, wie lange; sie hat nur ein winziges, gelbliches Oberlicht in der Decke ihres Stauraumes über sich, und weiß nicht mal, ob es das Licht der Wüstensonne oder der Monde ist, das dort herein fällt. In kurzen Intervallen von Dämmerschlaf suchen sie Albträume heim, aus denen sie immer wieder aufschreckt. Sie hat keine Angst mehr vor den Outlaws, sie weiß, dass sie die fertig machen könnte, sobald die ihre Handschellen abmachen. Sie hat eine unbeschreibliche, apokalyptische Furcht, beim Gedanken an die Erde: Warum hat sie nicht früher daran gedacht, was das alles hier bedeuten könnte? Was, wenn die okkulten Phänomene des Reckoning nicht wieder verschwunden sind, nach der Ära des Weird West, sondern einfach immer weiter gegangen sind? ... Warum hat sie das Gefühl, dass ihre Hexenkünste ebenso stark sind in dieser Wüste wie daheim in Gomorra? Je mehr Volksglaube und Furcht herrscht, desto einfacher fällt der Hexe ihr Handwerk, haben ihr die Lehrmeisterinnen in Wichita beigebracht, und hier in diesen Great Wastes fällt ihr das Hexen beinahe so leicht wie in Gomorra, jener Siedlung, wo es so etwas wie Normalität fast schon nicht mehr gab! Mit schrecklicher Sehnsucht muss sie an ihre zurückgelassenen Freunde denken, die dort im Staub der Geschichte  verschwunden sind, unerreichbar für sie.


An dieser Stelle machen wir einen GM Move, und bekommen: Advance a Plot! Offen ist derzeit natürlich vornehmlich der Plot des aktuellen Szenarios, um den Spacer namens Fourth Wall, den unsere Heldin von hier befreit hat. Für den weiß ich schon was:

May B. wird bei einer morgendlichen Rast der beiden Cargo Crawler aus dem Fahrzeug bugsiert. Die kleineren Buggies sind längst zum Convoy aufgeschlossen, beladen mit erbeuteten Teilen des zerfetzten Landungsschiffs der EXFOR. Die weite Sandwüste ist zwischenzeitlich zu einer schroffen Felsenwüste geworden. Vor den parkenden Fahrzeugen liegt der Eingang in eine Schlucht, wo zahlreiche Wachtürme und Geschützstellungen aus Metallschrott in die Felswände gebaut wurden, geschützt mit Stacheldraht und versehen mit Solarpanelen. Hier beginnen die Reapers, Teile ihrer Beute abzuladen und zu sichten. May B. wird nur zu verstehen gegeben, dass sie bald umzusteigen habe. Das Beuteversteck der Gang scheint hinter diesem Schluchteingang zu liegen, und alle Schritte, die jetzt als nächstes erfolgen sollen, erfordern offensichtlich etwas Logistik. Schwarzgekleidete sprechen in Funkgeräte und erhalten Befehle. Die Echsenreiter und ihr dürrer Hexer sind mittlerweile nicht mehr Teil des Convoy. May wird an ihrer Kette zu einem herrlich blauen Wasserloch geführt, wo mehrere der Reapers ihre Lederkluften waschen und ihre staubverkrusteten Gesichter.
„Rein da, Schnecke, Du stinkst zum Himmel“, kommandiert einer der Outlaws. Die Kette, die mit ihren Handschellen verbunden ist, nehmen sie ihr natürlich nicht ab, alle Umstehenden scheinen Schiss vor ihr und ihren Hexenkünsten zu haben, einige am Ufer rücken sogar von ihr ab oder legen die Hände nervös auf die Griffe ihrer Pistolen.
Die Hexe watet in das Wasser, um gierig davon zu trinken, und tunkt sich dann ganz darin ein. Ein herrisches Rucken an ihrer Kette erinnert sie daran, dass die Gesetzlosen keinen Bock haben auf irgendwelche ihrer Tricks. … Haben sie auch nicht zu befürchten, May B. will zuerst, dass ihr die Fesseln abgenommen werden, und ihren Rucksack mit ihrem Zeug.

Ein wichtiger Punkt! Die Orakelwürfel gestatten:

Jener Rucksack ist tatsächlich schon abgeladen worden, er ist in Sicht, auf einem der Stapel von Diebesgut. Die Hexe ist etwas zu übernächtigt, um einen konkreten Plan zu formulieren, wie sie da dran kommt; wen sie umgarnen muss, um ihre Handschellen aufzuschließen.

In diesem Moment saust ein kleines Flugobjekt über die Felsen hinweg, schmettert in die Außenseite der Schlucht, und wird dort zu einer feurigen Explosion, sprengt eine der Geschützstellungen. Donnerhall fegt durch die Felsen hindurch, panisches Geschrei erhebt sich. Da dröhnt auch bereits eine große Silhouette über die Szene hinweg, und aus Lautsprechern tönt, „Flossen hoch, Ihr beknackten Reaper! Verpisst Euch, sonst seid Ihr dran! Yeee-Haww!“
Das kleine Raumschiff beschreibt im Tiefflug einen Bogen über dem Umschlagplatz, und zieht wieder höher.

Die Orakelwürfel bestätigen: Das Manöver gelingt, die Gesetzlosen stieben auseinander, um Deckung zu suchen!

„Alle flugtüchtigen Gefangenen werden hiermit gebeten, an Bord zu kommen!“, echot die aufgeregte Lautsprecherstimme, als das Schiff seinen Flug verlangsamt, „und zwar dalli! Ja, Dich meine ich!“
May B. stiert ungläubig zu dem Flugschiff hinauf, und begreift endlich, dass die Durchsage ihr persönlich gilt. Mit gefletschten Zähnen watet sie auf das Ufer des Wasserlochs zu so schnell sie kann, reißt an ihrer Kette. Der Gesetzlose am anderen Ende reißt zurück, er hat die Gefahr nicht vergessen, die von ihr ausgeht.

Ohne ihre Flugsalbe kann sie natürlich nicht abheben, das ist das festgelegte Trapping ihrer Fly-Kraft. Sie rennt zu dem Kistenstapel, schafft einen Strength-Wurf, um ihren Aufpasser hinter sich her zu zerren. Greift mit den zusammengebundenen Händen in den Rucksack, findet die Salbendose, macht sie auf.
„Zurück! Hände hoch!“, bellt der Gangster, und würfelt Intimidation. Wahrscheinlich zieht er währenddessen gerade mit einer Hand seine Waffe. Dadurch hat er aber nur noch eine Hand für das Kettenende! Sie widersteht der Einschüchterung mit Raise, und schmiert sich mit einer Handvoll Flugsalbe ein, atmet tief ein. Der Kerl zieht an der Kette, um sie umzureißen, die beiden würfeln Strength gegeneinander. May B. scheint mit der Kraft der Verzweiflung auch das Würfelglück auf ihrer Seite zu haben: Sie toppt sein Wurfergebnis mit Raise, befördert stattdessen ihn zu Boden! Sie hält den Rucksack verzweifelt gepackt, würfelt Spellcasting, abermals mit Raise, und hebt ab!
Der Ganove schreit aus voller Kehle, „Sie fliegt weg! Knallt sie ab, knallt sie ab!“, als er den Boden unter den Füßen verliert. Panisch strampelt er mit den Beinen.
May B. lehnt sich mit voller Konzentration gegen das zusätzliche Gewicht, mit dem Gangster im Schlepptau kann sie nicht bis zu dem Schiff aufsteigen! Gleichzeitig wagt er jetzt nicht mehr, mit einer Hand loslassen, um ein Schießeisen zu ziehen. Sie sind schon mehrere Meter hoch, und klettern langsam höher.
Mit weit aufgerissenen Augen schaut die Hexe hinab, und schreit den Gangster an, „Lass‘ sofort los! Noch überlebst Du den Sturz! Wenn wir noch höher kommen, dann nicht mehr — und ich halte nicht an!“
Sie würfelt nun ihrerseits Intimidation, mit ihrem lausigen W4, aber kommt dennoch auf ein Raise! Der Wille des Aufpassers ist gebrochen, er begreift, dass dies kein Bluff ist, sondern eine Warnung, geradezu wohlmeinend. Er lässt los, und landet im Staub, holt sich nur blaue Flecke. May schnellt hinauf, vom Ballast befreit. Durch Tränenschleier sieht sie, dass das dröhnende Flugobjekt eine Seitenluke hat, die aufgeschoben wurde, eine Gestalt krallt sich im Gestänge fest und winkt sie hastig nach drinnen …

Schalter:
May B. hat an Bord neue Klamotten bekommen, so eine Art Overall aus lederartiger Substanz, mit Ausrüstungsgürteln für Waffen und Utensilien. Das einzige, was von ihrer früheren Kluft überdauert, sind ihre Stiefel und ihr schwarzer Stetson-Hut. Der Rest war geradezu starr von Schweiß und Dreck, und versengt und zerfetzt von dem Grauen Blitzgewitter des Skinny; das ist alles in der Tonne gelandet. Eigentlich hätte es ins Museum gehört, Originalkleidung aus den Pioniertagen der Besiedlung Kaliforniens nach dem Großen Beben. Aber Fourth Wall hat bei dieser Andeutung nur gelacht, und gesagt, ein paar Museen gäbe es zwar noch im Faraway-System, aber niemand ginge hin. Die Kolonisten haben heutzutage ganz andere Sachen zu tun.

Gerade hat sie zum ersten Mal etwas Leerlauf, seit sie an Bord gekommen ist. Sie hat sich in ihrer kleinen Kabine vor dem Bullauge zusammengekauert, um einen längeren Blick in den Nachthimmel zu werfen, wie sie es schon seit Stunden wollte, und blickt nun fasziniert auf die zahllosen, ihr unbekannten Sternbilder, wie sie die ewige Nacht erfüllen, und die sich absurderweise nicht über ihr ausbreiten, sondern unter ihr. Immerhin ist sie jetzt nicht mehr auf dem Planeten, wo es oben und unten gibt.



In diesem Moment beschleicht ein überdeutliches Gefühl von Deja Vú sie. Schlagartig wird ihr bewusst, dass sie sich an einem Punkt befindet, den sie deutlich schon einmal vorausgesehen hat — nämlich angesichts der bläulichen Fata Morganas, als sie zum ersten Mal kurzzeitig an Bord der Vostros war! Ihre ungewohnte Kleidung, die Umgebung, die Sterne, die sich unter ihrem Fenster ausbreiten, genauso hat es ausgesehen! Sie erschaudert. Sie legt die Finger auf das Glas, fühlt die Oberfläche durch die synthetischen Handschuhe, rückt so nahe mit dem Gesicht an das Glas, dass es von ihrem Atem beschlägt. Dieser Teil des Schicksals hat sich erfüllt. Was hatte sie noch gesehen? Das erste Treffen von Mister Shadrack und Mister Byrd, das lag weiter in der Vergangenheit. John, wie er zu dem Portal in dem Felshang gelaufen kommt und zu ihr hinauf ruft, gefolgt von den anderen, das muss derselbe Moment gewesen sein, indem ihr an Bord die Fata Morganas erscheinen. Und wieder John, wie er Austin Stoker gegenüber tritt, in einem von Stürmen durchtosten Gomorra … ist diese Konfrontation mittlerweile schon passiert? … Unsinnige Frage, mittlerweile ist alles schon passiert, was sich 1876 in Gomorra abgespielt haben mag.
Jetzt ist es 2094.

(Kleine Rückschau, hier war's: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,122886.msg135208635.html#msg135208635)

Die dicke Stahltür ihres Quartiers wird geöffnet, und Kinraide erscheint. Auf dem Mittelgang läuft laut jene bizarre Musik, die Fourth Wall ‚Heavy Metal‘ nennt. Es läuft immer Heavy Metal an Bord der Explosivo.
„Wir kriegen wahrscheinlich demnächst Kontrollen, Mädchen“, sagt Kinraide, „wir sind in der Nähe von mehreren EXFOR-Patrouillenschiffen.“
„Was heißt das?“, fragt May B. unsicher.
Kinraide zuckt die Schultern, und sagt nur, „Reine Routine! Das heißt, wenn Du noch irgendwelches Dope geschmuggelt haben solltest, ist das jetzt Deine Gelegenheit, das im Klo runterzuspülen!“
Kinraide ist Fourth Walls Copilot und Funker, eine stattlicher Dicker mit Dreadlocks, der von der sogenannten Insel Hawaii stammt, von der Erde (und der erstaunt ist, dass May B. noch nie davon gehört hat).

Soundtrack: Deep Purple, Highway Star
https://www.youtube.com/watch?v=lC4gKA4ezcU

Als May B. ins enge Cockpit der Explosivo klettert, und in einem der schrabbeligen Ledersitze Halt findet, läuft gerade schon wieder die Musikanten-Kapelle namens Deep Purple, das Lied kennt sie bereits (es heißt ‚Highway Star‘, glaubt sie). Sie hat sich noch nicht abgewöhnen können, unwillkürlich den Kopf zu wenden, um zu lokalisieren, wo genau die Kapelle spielt. Zu wissen, dass die Klänge aus dem Rechner kommen, ohne dass die Band körperlich anwesend ist, hilft bisher nicht. Manchmal wird ihr sogar ein bisschen schwindelig davon.
„… Wir können uns auf eine längere Wartezeit einstellen. Die Saftärsche von der EXFOR kontrollieren mal wieder genauer in diesem Teil der Umlaufbahn“, sagt Fourth Wall, während er im Pilotensessel seine Armaturen bedient, „die fertigen uns jetzt erstmal alle nach und nach ab. Die ganzen Ghost-Rock-Frachter, und uns gleich mit. Mit nur zwei oder drei Militärschiffen! Das dauert entsprechend. Die nächsten paar Stunden ist hier erstmal Stop-and-Go, das ist erstmal wie im Stau stehen, alles klar.“
„Was bedeutet im Stau stehen?“, fragt May B. schüchtern.
„Was bedeutet im Stau stehen! Siehst Du, jetzt bin ich wieder sicher, dass Du nicht von der Erde kommst, entgegen dem, was Du behauptest! Hah! Alle Erdlinge wissen, was ein Verkehrsstau ist, von Kindesbeinen an. Hast Du etwa nicht von dem höllischen Londoner Verkehrschaos von 2067 gehört?! Von den Greenpeace-Sabotageakten in den USA aus den 2070ern?“, und amüsiert ruft er nach hinten, “Meine Fresse, Kinraide, hast Du das gehört? Die Death Metal Queen kommt von Terra, und weiß angeblich nicht, was Staustehen ist! … Na ja, entschuldige, guck‘ nicht schon wieder so bedröppelt. Die EXFOR macht so schnell sie kann. Aber die haben mich und mein Schiff noch auf dem Schirm, wahrscheinlich wollen sie uns ein paar ausgiebigere Fragen stellen. Wenn das nachher durch ist, dann haben wir endgültig freien Flug.“
„Was ist, wenn die sich an mich erinnern?“
„Tun sie aber nicht. Du hast gesagt, Du hast denen diesen Künstlernamen angegeben, was? ‚May B. Wickett’! Ausweise hattest Du keine, weder analog noch in Chipform. Dann bist Du ja nur als Miss Wickett bei denen aktenkundig. Im schlimmsten Fall verzögert der Ringelpiez um Deine Person es nochmal ein Stündchen, dass die Sesselfurzer uns schließlich durchwinken. Aber durchwinken werden sie uns.“
„Ja …?“
„Ja klar, was denkst denn Du? Was glaubst Du, wie viele hunderte Kolonisten dort unten keinen Ausweis haben! Die Infrastruktur ist doch zusammengebrochen durch den Tunnel-Kollaps, Bürokratie gibt’s in vielen Siedlungsstädten doch gar nicht mehr!“, sagt Fourth Wall gestikulierend, angelt sich gleichzeitig eine Dose Bier, und öffnet sie, mit dem üblichen synthetischen Zischen.



Dan Hickins, alias Fourth Wall


„Was soll das heißen, die haben Dich und Dein Schiff noch auf dem Schirm?“, fragt die Hexe, legt ihre Füße in den Cowboystiefeln nonchalant auf die Konsolen vor sich. Sie will so tun, als würde sie das alles locker nehmen.
„Habe ich doch erzählt. Ich war gerade bei der EXFOR unter Vertrag, um Erkundungsflüge zu machen. Deswegen haben die Scheiß-Reaper mich ja überhaupt geschnappt! Und wenn die überlebenden Marines aus dem Green-Dragon-Landungsschiff nicht gewesen wären, dann hätte ich Dich dort draußen nie wiedergefunden! Bestimmt werden die dort vorne mich gerne interviewen wollen, um ihre Berichte abzuschließen! Oder zumindest das Wirrwar, das bei den Resten der EXFOR als Bericht durchgeht. Hah!“

Fourth Wall hatte den Luftkampf zwischen der Fremden und dem Skinny verfolgt, nachdem er mit einem Affenzahn in ein gutes Versteck gepest war, draußen zwischen den Felsen, so wie seine Retterin ihm gesagt hatte. Von dort aus hatte er gesehen, wie der Außerirdische sie psionisch ferngesteuert hatte, und sie den Reapers übergeben. Was hätte er, der kleine, dickliche, völlig ausgelaugte Spacer tun sollen, um dieser Art Superheldin zu helfen? Na, gerannt ist er, wie ein räudiges Wiesel, hat er ohne Scham berichtet. Zurück zu den EXFOR-Truppen aus der kleinen Basis. Die waren bereits mit Shuttlefliegern unterwegs, um die Zerstörung ihres Landungsschiffes zu untersuchen, und die Outlaws zu verfolgen. Waren ihm praktisch schon entgegengekommen. Eins davon hat Fourth Wall dorthin zurück geflogen, wo er die Explosivo abgestellt hatte, noch vor seiner Gefangennahme durch die Reapers. Den geschwächten Militärs war es dann aber zu heiß, den Convoy der Reaperbande weiter zu verfolgen — Fourth Wall wusste, dass er sein Leben der fliegenden Psionikerin verdankt, und nur wegen seiner Rettung war sie ja überhaupt selber in Gefangenschaft geraten! Und er hat deswegen alleine den Kamikazeangriff unternommen, bei dem die Explosivo tatsächlich May B. auflesen konnte.

Weil er nicht weiß, was es mit ihr und ihren arkanen Kräften auf sich hat, und ihr nicht so ganz glaubt, dass sie May Ortega heißt, nennt er sie meistens einfach die ‚Death Metal Queen‘. Das scheint irgendeine besondere Bedeutung zu haben in seinem Sprachgebrauch. Irgendwas aus der Vergangenheit, Fourth Wall sagt, er sei ein glühender Fan von klassischer Musik. Für May B. ist klassische Musik aber was anderes (was für Greenhorns, Beethovzart und so). Die merkwürdigen Klänge, die Fourth Wall und Kinraide ihren Maschinen entlocken, sind aus May B.s Perspektive betrachtet noch buchstäblich Zukunftsmusik.

Fourth Wall reagiert jedenfalls gar nicht so auf die Wahrheit um May B.s Hexenkünste, wie sie fest angenommen hätte! Bei ihm werden Furcht und Abscheu ganz klar von seiner Neugier überwogen.
May B. grübelt auch jetzt wieder darüber nach, sie mustert den Piloten von der Seite.
„Nobody gonna take my car, I‘m gonna race it to the ground / Nobody gonna beat my car, I‘m gonna break the speed of sound!“, singt der gerade bei ‚Highway Star’ mit, trommelt mit den Fingern den Takt auf seinen Armaturen, schaut durch die Frontscheibe abwartend auf die Lichter der vielen Raumschiffe in der Schwärze vor ihnen.
„Was denkst Du vom Okkulten, Fourth Wall?“, fragt sie schließlich.
Er wendet sich zu ihr um, den Refrain weitersingend, dann endet das Lied mit dem üblichen Crescendo von scheppernden Trommeln und verzerrten Gitarren. Er antwortet, „Oh, das ist aber ein ziemlicher Themensprung! Weil Du diese Superkräfte hast, meinst Du?“
„Eigentlich sind es heidnische Ritualkünste“, sagt May B., und beißt sich dann auf die Zunge. Die letzten Jahre hatte sie gründlich Verschwiegenheit gelernt, immer in der Angst, ein Lynchmob könne sich zusammenrotten; hier aber hat sie das Gefühl, all das zählt nicht mehr so richtig.
„Heidnisch, geil!“, freut sich der Spacer, „ja, alles klar. Was ich vom Okkulten denke, Miss Ortega? Na ja, ich war schon während dem späten Faraway War hier im Koloniesystem. Die Skinnies und die Psychic Legion haben hier Sachen gemacht, die waren fast unvorstellbar! Okay? Auf Terra haben die Leute bestenfalls verwackelte Vids davon zu sehen gekriegt, und selbst dann haben die davon die Hälfte nicht geglaubt. Alles Fälschungen, haben einige gesagt. Ich meine, ist ja klar, dass es psychische Begabung gibt, Syker waren ja schon im ersten und zweiten Weltkrieg im Einsatz, das zählte zwar für manche nur als ein Mythos, aber die meisten Erdenmenschen haben schon geschnallt, dass das echte okkulte Kräfte waren. Kein Ammenmärchen hält sich so hartnäckig. Aber wir Kolonisten, hier draußen? Oh Junge, uns sind ja im Faraway War die knallgrünen Brain Blasts gradezu um die Ohren geflogen! Fällt schon schwer, am Übernatürlichen zu zweifeln, während es Dich gerade in Flammen aufgehen lässt! Und mit der Abschottung von der Erde ist doch sowieso nur noch mehr mysteriöser Scheiß über Faraway hereingebrochen. Anouks laden ihre Steinwaffen mit Energie auf, so dass die durch Infanteriepanzerung schneiden als sei es ranzige Butter! Zombies werden immer wieder in der Einöde gesehen, und das eine oder anderen Grenzland-Kaff muss freigeschossen werden! Und was die Asteroiden-Schürfer draußen im Belt für Gespenstergeschichten erzählen, willst Du gar nicht wissen.“
„Was ist mit den Pinkertons und Texas Rangers? Gibt’s die hier nicht?“
„Heh. Hier gibt’s Colonial Rangers, aber das sind ganz weltliche Gesetzeshüter. … Du redest von den Geisterjägern der Regierungen! Die Agency und die Texas Rangers, und wie die in all den anderen UN-Staaten auch immer hießen. Ich glaube, die Agency hat eine ganze Weile versucht, den Daumen drauf zu haben bei Informationen, die von Faraway aus zurück zur Erde gegangen sind, vor dem Tunnel-Kollaps. Heutzutage ist das alles unerheblich geworden. So lange diese gespenstische Funkstille mit Terra herrscht, können wir hier draußen höchstens wilde Spekulationen anstellen!“
„Spekulationen können gefährlich sein …“
„Scheiße, ja! Ich hab’ es schon mal gesagt: Du hast mir da in den Great Wastes verdammt nochmal den Arsch gerettet, Death Metal Queen! Mein Leben ist mir sehr, sehr viel wert! Dein Geheimnis ist also sicher bei mir. Ich und Kinraide nehmen das mit ins Grab, wenn Du willst. Die einzigen hier draußen im System, die‘s interessieren könnte, sind die EXFOR-Fritzen da auf 12 Uhr, und denen verraten wir einen Scheißdreck.“

May B. schließt die Augen und versucht ihren Atem zu beruhigen. Von Fourth Wall und Kinraide hat sie schon erfahren, dass der Amerikanische Bürgerkrieg mit einem Waffenstillstand geendet hat, aber die Konföderation hat sich der Union nie wieder angeschlossen. Stattdessen haben sie entlang der Mason-Dixon-Line eine hohe Mauer gebaut. Die Grenzen der Sioux Nations sind nach der Zeit des Alten Westens offiziell anerkannt worden, als sogenanntes Weltnaturerbe. Da kam dann bald darauf auch diese sogenannte UN ins Spiel. Die Männer in Schwarzen Dustern scheinen immer weiter aus den Schatten heraus agiert zu haben. Nirgendwo ein klares Anzeichen dafür, dass die Reckoners wieder von der Erde verbannt worden wären. Aber niemand weiß etwas Genaues. May B. braucht Zugriff auf Geschichtsbücher; Fourth Wall hat nicht mal Schulbücher auf seinen Rechnern gespeichert. Die größte Ansammlung von Wissen im Faraway-System ist immer noch ein Ort namens Tunnel Station, wo die Konzerne, die Faraways Kolonisierung voran getrieben haben, ihre Daten zusammengetragen haben.

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