Autor Thema: Entstehung von Story in unterschiedlichen Herangehensweisen im Rollenspiel  (Gelesen 3105 mal)

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Offline Blechpirat

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"Auch ein Fußballspiel erzählt eine Story", so meine Frau.

Ihre These: Wir gucken Fußball, weil ein Spiel eine Geschichte erzählt. Dabei gibt es gute (7:0) und schlechte (0:7) Geschichten, langweilige (0:0 ohne Torchance) und spannende Geschichten. Folglich entsteht eine Geschichte auch ohne die ausdrückliche Intention, eine Geschichte zu erzählen. (Ich lasse jetzt mal weg, dass viele Medien natürlich versuchen, jeweils ein Narrativ rund um einen Club/ein Spiel/individuelle Spieler aufzubauen. Fußball wurde schon geguckt, bevor es im Fernsehen gezeigt wurde.)

Dem setze ich jetzt mal einen Kinofilm entgegen: Der tritt typischerweise in der Absicht an, mir eine Geschichte zu erzählen. Hier liegt also die Intention vor.

Dennoch kann ein Fußballspiel spannender/unterhaltsamer/interessanter sein als ein Kinofilm.

Genug der Vorrede, kommen wir zum Rollenspiel:

Viele SL planen bewusst eine Dramaturgie. Beispiel aus der Troubleshootersrunde vom Treffen, wo ich ein Kaufabenteuer als Vorlage hatte: Erst ein bisschen Kennenlernen/Charaktervorstellung (im Spiel), dann Ermitteln (mit Actioneinlagen), dann große Action im Finale, dann Ende. Sehr normal, kennt vermutlich jeder so.

Andere machen das unbewusst, etwa weil es bestimmte Genrekonventionen gibt, an die sie sich halten, weil sie Heldenreise / 3-Akt / etc kennen oder weil sie gute Erfahrungen mit bestimmten Formaten haben.

Manche Systeme helfen dabei: Fate z.B. hilft den PCs, am Anfang Ärger auf sich zu nehmen (um Fatepunkte zu generieren), die sie dann am Ende rocken lassen - ein bestimmter Spannungsbogen wird also mechanisch unterstützt. D&D (zumindest in den mir vertrauten jüngeren Varianten) hat eine Heldenreise über das Levelsystem eingebaut. Es hat zudem über die Minion/Leutnant/Boss Struktur einen Spannungsbogen, den fast alle Videospiele übernommen haben, weil er so gut ist.

Ich frage mich jetzt - kann es im Rollenspiel überhaupt eine Geschichte geben, die sich nur aus dem Konflikt ergibt, oder ist es der Methode Rollenspiel immanent, dass der SL - vielleicht unbewusst - durch die Gestaltung der Spielwelt die Story fördert/in eine bestimmte Richtung drängt/dramaturgisch anlegt?

(Die offensichtliche Antwort (Klar, SL-lose Spiele) könnt ihr euch ersparen. Da wird die Funktion des Erzählers typischerweise umverteilt, sie entfällt nicht.)

Mir wäre kein Beispiel bekannt. Die Forderung, die Würfel nicht zu drehen ist ein Schritt dahin, die emergente Geschichte eines Fußballspiels zumindest in Teilen ins Rollenspiel zu holen. (Ich kam bei der Lektüre von https://www.tanelorn.net/index.php/topic,125294.0.html drauf). Aber in Reinform passiert das wohl selbst bei der krassesten Sandbox nicht - oder fehlt mir da die Erfahrung mit bestimmten Spielstilen?

Offline Maarzan

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Natürlich geht das.
Das Fußballspiel ist ja auch nur Konfliktansetzung und dann alle nach denselben Regeln das austragen.

Entsprechend reicht ein Startkonflikt und dann können sich die Spieler über ihre SC damit auseinander setzen.
Bei proaktiven Spielern braucht es nicht einmal den Startkonflikt, den bauen sie auch noch selber und der SL "reagiert" nur noch als neutraler Darbieter der Spielwelt.

Manche Spieler brauchen nicht mal einen Konflikt, sondern kommen mit Barbiespiel einkaufend und ihre aktuelle Position beleuchtend oder auch nur Spielelemente befuddelnd gut über die Runden.
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Offline KhornedBeef

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Sehe ich wie Maarzan.
Der Unterschied zum Fußball ist vielleicht, dass man am Anfang üblicherweise mehr zuweist als mechanische Rollen, d.h. Beziehungen und Motivationen, in der korrekten Annahme, dass das interessante Geschichten fördert. Aber nicht einmal das ist ein Muss.
Eine Hexploration mit lauter weirdem Kram würden doch auch genug Leute spielen?

Und das Fußballspiel erzählt womöglich nur deshalb eine Story, weil die Teilnehmer Menschen sind und Dinge tun, die nicht in den Regeln stehen.
"For a man with a hammer, all problems start to look like nails. For a man with a sword, there are no problems, only challenges to be met with steel and faith."
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Ich vergeige, also bin ich.

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Wer Fehler findet...soll sie verdammt nochmal nicht behalten, sondern mir Bescheid sagen, damit ich lernen und es besser machen kann.

Offline Maarzan

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Nimm Wrestling und MMA.
Bei beiden kommt eine Geschichte heraus und es kann theoretisch sogar in zufälligen Einzelfällen die (staffage außen vor) identische sein.
Aber die Erwartung der Beteiligten an Sportler wie Offizielle sind eben grundsätzlich unterschiedliche, das eine ist ausdrücklich eine bestimmte Art Unterhaltung, das andere Sport. 
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Offline Rhylthar

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Ich bin da bei @KhornedBeef.

Gerade eine Hexploration, die vollständig (wenn möglich) vorher ausgearbeitet wurde inkl. möglicher plausibler Wenn-Dann-Verbindungen...dann entsteht die Story alleine durch die Handlungen der Spielenden.

Würde man wohl am besten daran erkennen, wenn man eben jene Sandbox mit einer anderen Gruppe parallel spielen würde; die Storys könnten komplett voneinander abweichen.

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"Naja, ich halte eher alle FATE-Befürworter für verkappte Chemtrailer, die aufgrund der Kiesowschen Regierung in den 80er/90er Jahren eine Rollenspielverschwörung an allen Ecken wittern und deswegen versuchen, möglichst viele noch rechtzeitig auf den rechten Weg zu bringen."

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Emergent Narrative oder Emergent Storytelling ist der Begriff, den Du suchst, Blechpirat. :)
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Offline Blechpirat

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Gerade eine Hexploration, die vollständig (wenn möglich) vorher ausgearbeitet wurde inkl. möglicher plausibler Wenn-Dann-Verbindungen...dann entsteht die Story alleine durch die Handlungen der Spielenden.

Ich finde das nicht vergleichbar. Hexploitation füllt ja die Karte aus Elementen (z.B. Monstern, NSCs, Gebäuden, Landschaften, etc) die nicht frei von Genre-Erwartungen und anderen dramaturgischen Elementen sind. Kurz: Die wenigsten Zufallstabellen enthalten langweilige Kohlfelder, eigentlich würfelt man ja nur aus den "spannenden" Elementen - und "spannend" ist ja eine dramaturgische Kategorie.

Offline Rhylthar

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Ich finde das nicht vergleichbar. Hexploitation füllt ja die Karte aus Elementen (z.B. Monstern, NSCs, Gebäuden, Landschaften, etc) die nicht frei von Genre-Erwartungen und anderen dramaturgischen Elementen sind. Kurz: Die wenigsten Zufallstabellen enthalten langweilige Kohlfelder, eigentlich würfelt man ja nur aus den "spannenden" Elementen - und "spannend" ist ja eine dramaturgische Kategorie.
Wie kommst Du darauf?

Vielleicht reden wir auch aneinander vorbei, aber ich rede von einer Hexploration, bei dem die Hexfelder im Vorfeld ausgearbeitet wurden. Da ist dann das "Kohlfeld" einfach mit drin und ob es da nun Zufallsbegegnungen gibt...nun ja, warum denn nicht?
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Offline 1of3

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Gerade eine Hexploration, die vollständig (wenn möglich) vorher ausgearbeitet wurde inkl. möglicher plausibler Wenn-Dann-Verbindungen...dann entsteht die Story alleine durch die Handlungen der Spielenden.

Ich weiß nicht, ob das jetzt widerlegt, was Blechpirat fragt.

Denn, wenn wenn ich ein Szenario ausarbeite, dann doch wahrscheinlich so, dass die Inhalte meinen wie auch immer gearteten ästhetischen Ansprüchen genügen. Ich mache ja nichts, was mir nicht gefällt. Und hoffentlich habe ich auch mein Regelwerk entsprechend ausgewählt, dass es eben solche Ergebnisse liefert, die mir in den Kram passen. Und dann sind die Geschichten, die da rauskommen, eben solche, die ich für ansprechend halte.

Also habe ich "durch die Gestaltung der Spielwelt" (Blechpirat) bestimmte Stories gefördert.

Also ein typisches Beispiel, wenn man auf PC Endless Legends spielt, dann gibts da ein Volk, das aussieht, wie die Aliens aus Alien. Und die haben immer Sob Stories für ihre Aufträge. Jemand hat ihnen die Eier geklaut und so. Nun muss man diese Aufträge nicht machen. Die Dörfer kann man abbrennen. Aber die Designer fanden diese Aufträge bei diesen Leuten wohl irgendwie gut, und wenn man für die Augenlosen also Aufträge annimmt, dann bringt man ihnen die Eier wieder. Das ist dann zweifellos eine andere emergente Geschichte, als wenn man Alien vs. Predator spielt.
« Letzte Änderung: 28.02.2023 | 14:17 von 1of3 »

Offline Blechpirat

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Offline tartex

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Ich denke schon, dass man einfach mit Landkarte und Zufallstabelle spielt, es eine rein emergente Story ist. Selbst vorbereiteten Encountern würden für mich da noch reinpassen, solange sie nicht bestimmte Events triggern.

Trigger-Beispiele: "gerade als ihr um die Ecke kommt, vollenden die Beschwörer das Ritual und ein Dämon erscheint". Ein Einzel-Event ist aber auch noch keine Erzählung. Dafür müssen schon zwei Events verknüpft werden.
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Offline tartex

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Emergent Narrative oder Emergent Storytelling ist der Begriff, den Du suchst, Blechpirat. :)

Er hat doch im Eingangspost eh "emergente Geschichte" geschrieben, oder verpasse ich was?
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Offline nobody@home

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Grundsätzlich kann das Leben natürlich Geschichten erzählen, und entsprechend kann das ein beliebiges Spiel als Teil des Lebens ebenso. So weit kein Problem.

Nur über die Qualität der Ergebnisse kann man sich dann halt gegebenenfalls streiten -- und das wird dann zwangsläufig subjektiv, weil die Erwartungen des "Publikums" das nun mal ihrerseits auch sind und das Leben an sich als "Verfasser" keine eigene Qualitätskontrolle betreibt. ;)

Offline Rhylthar

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Zitat
Denn, wenn wenn ich ein Szenario ausarbeite, dann doch wahrscheinlich so, dass die Inhalte meinen wie auch immer gearteten ästhetischen Ansprüchen genügen. Ich mache ja nichts, was mir nicht gefällt. Und hoffentlich habe ich auch mein Regelwerk entsprechend ausgewählt, dass es eben solche Ergebnisse liefert, die mir in den Kram passen. Und dann sind die Geschichten, die da rauskommen, eben solche, die ich für ansprechend halte.

Also habe ich "durch die Gestaltung der Spielwelt" (Blechpirat) bestimmte Stories gefördert.
Vielleicht der Schritt zurück.

Es fing mit Fußball an. Dauert 90 Minuten, zu Beginn spielen 11 vs. 11, 1 Ball. Rest ist offen. Die "Story" bleibt immer gleich (mehr oder weniger).

Natürlich hat meine Welt feste Ankerpunkte in der Hexploration. Die wären für alle gleich. Aber die Story da ergibt sich doch da, genau wie beim Fußballspiel, durch die Interaktion mit der Welt.

Wenn also Gruppe A beschließt, auf Hexfeld 37 auf dem Bauernhof vor der Stadt zu nächtigen, während Gruppe B beschließt, in der Stadt in einem Gasthaus einzukehren, dann wird sich die Story bei (als Beispiel) einem Städtebrand für beide gänzlich anders entwickeln.

Oder verstehe ich hier gänzlich was falsch?
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Offline Jiba

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Ich spiele mal den Advocatus Diaboli.  ;)

Mir ist klar, dass Emergent Narrative ein Begriff ist, der in aller Munde ist. Ich fand ihn allerdings stets ein wenig, wie soll ich sagen, überstrapaziert. Und zwar insofern, dass der Begriff "Story" schon einige Eckpunkte hat, die man in den sogenannten "Emergent Narratives" nicht finden können.

Können Stories aus Elementen entstehen, die miteinander interagieren und so einen Arc bilden? Ja.

Können sie es manchmal nicht? Auch ja.

Emergent stories entstehen nachträglich durch die Funktionsweise unseres Gehirns, das unbedingt alles in logische Abfolgen, Kausalketten und bedeutungsreiche Geschehnisse zergliedern will. The story emerges... sie entsteht in komplexen Spielsystemen dadurch, dass ich den zufälligen Elementabfolgen eine zuschreibe.

Manchmal, und das finde ich vergessen wir gerne, entsteht aber nicht eine Story, sondern etwas, was ich eine experience nennen würde. Wenn ich z.B. GTA spiele, so richtig open-worldig, ohne auch nur ein wenig die narrativen Inhalte an mich heranzulassen, dann habe ich zwar ein Spielerlebnis, aber eine Story kommt nicht heraus. Wir brauchen schon etwas, was unserem Gehirn signalisiert: "Hey, hier findet eine Narration statt". Das sind dann zum Beispiel Lore-Texte oder Dialoge, die Teile der Welt einordnen oder in sich selbst kleinere, dramatisch aufgebaute (also: Mit Einleitung, Mittel und Schluss versehene) Stories erzählen. Im Rollenspiel können derartige Elemente auch allein von den Spielern kommen, klar.

Aber ich weigere mich, jede offene Welt als einen Generator für Emergent Stories zu bezeichnen. Und selbst in entsprechend ausstaffierten Welten, kommt es noch viel auf den Spieler an, was er als Story empfindet.

Dementgegen werden dramaturgisch durchkomponierte, entwickler-getriebene Geschichten in der Regel vom Rezipienten auch mit großer Zuverlässigkeit als Geschichten erkannt. Man kann diese Geschichten vielleicht für gut oder schlecht halten, aber man hat doch keinen Zweifel daran, dass es Geschichten sind.

Wenn ich in meiner eigenen Erinnerung forsche, dann kann ich im Videospielbereich interessanterweise lediglich die entwickler-getriebenen Stories wiedergeben, die ich gespielt habe. Bei den emergenten beschränkt sich die Wiedergabe darauf, interessante Einzelmomente wiederzugeben. Beim Rollenspiel formen sich die emergenten Inhalte präziser und kohärenter zu einer erinnerungswürdigen Geschichte, die man anderen auch erzählen kann.
« Letzte Änderung: 28.02.2023 | 14:24 von Jiba »
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline 1of3

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Ich denke schon, dass man einfach mit Landkarte und Zufallstabelle spielt

Geht denn das? Also auch, wenn ich mir hier jetzt Sachen auswürfle, mach ich da doch Fleisch dran oder? Ab irgendeinem Punkt übernehme ich mit Narration nach meinem Gusto?

Offline Arldwulf

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Um mal beim Fußballspiel zu bleiben: Auch dort ist ja einiges an Vorplanung und Analyse im Vorfeld am Werk. Einstudierte Spielzüge und Laufwege sind genauso wichtig wie das reagieren auf die Taktik der gegnerischen Mannschaft.

Welche Art von Geschichte ein Fußballspiel haben wird ist durchaus oft auch vorab bekannt, beispielsweise kann es der Trainer einer eher Mannschaft auf eine Abwehrschlacht mit einzelnen Nadelstichen anlegen oder eher auf ein hohes Offensivpressing.

Dies ist auch nicht nur eine Entscheidung auf Basis von Erfolgswahrscheinlichkeiten, sondern auch eine Frage des bewusst gewünschten Spielstils und der Auswahl der (Mit-) Spieler.

Gibt da also durchaus einige Analogien zum Rollenspiel - am Ende auch nicht überraschend, schließlich sind es beides Freizeitgestaltungen in der Gruppe in denen verschiedene Spielrollen eingenommen werden und vielfältige Aktionen und Entwicklungen möglich sind.

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Er hat doch im Eingangspost eh "emergente Geschichte" geschrieben, oder verpasse ich was?
Jo. Er wollte wissen, ob es Möglichkeiten dieses emergenten Storys zu erzählen und der Link gibt ne Menge Beispiele dafür
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

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@jiba: Auf der anderen Seite habe ich ne Menge Filme gesehen und Rollenspiele gespielt deren Geschichten ich ehrlich gesagt nicht mehr kenne. Von daher finde ich erinnerungswürdig als Kriterium für eine Geschichte nicht ziwlführend.
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Offline Zed

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Ich frage mich jetzt - kann es im Rollenspiel überhaupt eine Geschichte geben, die sich nur aus dem Konflikt ergibt, oder ist es der Methode Rollenspiel immanent, dass der SL - vielleicht unbewusst - durch die Gestaltung der Spielwelt die Story fördert/in eine bestimmte Richtung drängt/dramaturgisch anlegt?
Bei mir ist es eindeutig eine Mischung aus "selbstwachsender Geschichte" und "dramaturgischer Anlage" bzw "dramaturgischer Improvisation". Mal habe ich als SL einen Ansatz, der wahrscheinlich über ein Dutzend Sessions geht, mal habe ich einen Abenteueransatz, der nur bis zur nächsten Sitzung reicht.

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

Wir spielen aktuell die Mischung aus "selbstwachsender Geschichte" und "dramaturgischer Anlage". Im Augenblick erleben wir ein "Emergent Narrative" - super Begriff, 6! Mein "Spielleitern auf Sicht" aufgrund der Vorbereitung nur für den nächsten Spieltag zeigt mir, dass wir aktuell deutlich auf der Seite einer "selbstwachsenden Geschichte" sind. Aber die Voraussetzungen für diese Geschichte sind Konfliktparteien, die schon lange gesetzt sind - hier stehen meine Gruppe und die Götter versus den Göttergegner. Der improvisatorische Anteil kommt dadurch ins Spiel, dass meine Gruppe eine neue Konfliktlinie innerhalb der "eigenen Mannschaft" aufgemacht hat, einer Linie, der ich gerne folge ohne zu wissen, wo sie hingeht.

Offline Jiba

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@jiba: Auf der anderen Seite habe ich ne Menge Filme gesehen und Rollenspiele gespielt deren Geschichten ich ehrlich gesagt nicht mehr kenne. Von daher finde ich erinnerungswürdig als Kriterium für eine Geschichte nicht ziwlführend.

Das war auch kein Kriterium, sondern ein Umstand, der mit bemerkenswert erschien, in meiner Erinnerung. Alles vor diesem Abschnitt ist aber doch als Argument valide: Entwickler-getriebene Geschichten werden für gewöhnlich als Geschichten identifiziert, emergente Geschichten nicht unbedingt. Ich würde sogar sagen, dass sie nicht zuverlässig entstehen.
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline Blechpirat

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Vielleicht der Schritt zurück.

Es fing mit Fußball an. Dauert 90 Minuten, zu Beginn spielen 11 vs. 11, 1 Ball. Rest ist offen. Die "Story" bleibt immer gleich (mehr oder weniger).

Natürlich hat meine Welt feste Ankerpunkte in der Hexploration. Die wären für alle gleich. Aber die Story da ergibt sich doch da, genau wie beim Fußballspiel, durch die Interaktion mit der Welt.

Wenn also Gruppe A beschließt, auf Hexfeld 37 auf dem Bauernhof vor der Stadt zu nächtigen, während Gruppe B beschließt, in der Stadt in einem Gasthaus einzukehren, dann wird sich die Story bei (als Beispiel) einem Städtebrand für beide gänzlich anders entwickeln.

Oder verstehe ich hier gänzlich was falsch?
Gut, dass du den Schritt nochmal zurück machst, denn offenbar verstehen wir uns noch nicht.

Zum Fußball - die Story ist ja nicht 11 gegen 11 für 2x35 Minuten, sondern eine Fußballstory ist "Provinzclub besiegt die Bayern" oder "Wir haben uns in der Kabine tief in die Augen gesehen und dann konnten wir den Rückstand aufholen" oder "Fußballhelden A und B kicken ihr Team zum Sieg" - ich bin nicht gut in Fußball, aber die Gefühle beim Fußball kommen eben daraus, dass wir aus dem Gekicke auf dem Platz im Kopf eine Geschichte machen. Trotz ständig gleicher Randbedingungen offenbar oft genug eine neue Geschichte, dass Millionen Leute jede Woche zusehen. Die Story bleibt also NICHT gleich.


Offline Rhylthar

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Gut, dass du den Schritt nochmal zurück machst, denn offenbar verstehen wir uns noch nicht.

Zum Fußball - die Story ist ja nicht 11 gegen 11 für 2x35 Minuten, sondern eine Fußballstory ist "Provinzclub besiegt die Bayern" oder "Wir haben uns in der Kabine tief in die Augen gesehen und dann konnten wir den Rückstand aufholen" oder "Fußballhelden A und B kicken ihr Team zum Sieg" - ich bin nicht gut in Fußball, aber die Gefühle beim Fußball kommen eben daraus, dass wir aus dem Gekicke auf dem Platz im Kopf eine Geschichte machen. Trotz ständig gleicher Randbedingungen offenbar oft genug eine neue Geschichte, dass Millionen Leute jede Woche zusehen. Die Story bleibt also NICHT gleich.
Deswegen "Story" in ""; ich meinte natürlich Rahmenbedingungen der Story. (und es sind 45 Minuten!) ;)

Bei einer Hexploration ist es aber doch ebenso. Die Rahmenbedingungen sind gesetzt, aber die einen erleben evtl. "Den großen Brand von Arminsfurt" (in der Stadt), die anderen "Wie ein Phoenix aus der Asche - Die Wiedergeburt von Arminsfurt".

Exkurs:
Im Abenteuer "The Two-headed Serpent" erzählen die Autoren von den Abläufen in ihren Testgruppen. Die waren zum Teil so vollkommen unterschiedlich, von der reinen Detektivgeschichte bis hin zum Gonzo-"Wir kapern die Mi-Go-Technologie!"-Ablauf, dass ich sagen würde: Doch, Geschichten können sich einfach so entwickeln!
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Offline Eismann

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Möglicherweise ist es noch basaler: Da Menschen dazu neigen Korrelation gerne mal als Kausalität zu interpretieren und scheinbare Muster im Chaos zu finden, können sich selbst aus ein paar zufällig aneinander gereihten Ereignissen Geschichten entwickeln.

Offline Zed

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Stimmt. Was dagegen arbeitet ist, wenn die Spielenden sich bei Sandboxspielen wie Skyrim (oder bei einer Tabletop-Spielleitung, die sich nicht die Arbeit macht, ihre Kampagne in groben Zügen zu skizzieren) dessen bewusst sind, dass sie eigentlich nur Zufallsbegegnungen nach- und nebeneinander erleben. Dieses Bewusstsein schadet zumindest bei mir hart der Illusion, dass meine Figur eine "große Geschichte" erlebt.