Ächzend zog sich Bargh durch den Tunnel. Die schleimige, bernsteinfarbene Flüssigkeit war mittlerweile durch seine Rüstung gedrungen. Dort, wo die seltsame Substanz mit seiner Haut in Kontakt gekommen war, fühle er ein kaltes Prickeln. Die transparenten Wände der Röhre schienen sich seinen Bewegungen anzupassen – so als ob sie bei der Berührung mit dem Bernsteinschleim nachgeben würden. Der heilige Ritter Jiarliraes zog sich unermüdlich vorwärts. Sein Blick war nach vorn gerichtet. Hinter den Wänden waren nur silbern schimmernde Nebel zu sehen. Bargh hörte Neires Gebete hinter sich und er stimmte in den zischelnden Gesang ein. Das Lied zu Ehren Jiarliraes gab ihm Kraft und half ihm das Gefühl von Hohn und Spott zu vergessen, das er gespürt hatte, seit sie die Spinnenkreatur der Frau getötet hatten. Bargh hatte eine Zeit in den Katakomben des Tempels gewartet, bis Neire mit Zussa von Haus Eilserv zurückgekehrt war. Neire hatte kurz berichtet, sich dann aber an die weitere Erkundung der unteren Ebene gemacht. Nach einer Zeit war er zurückgekommen und hatte von Lagerräumen und verschlossenen Türen erzählt. In dem Tunnel hatte er zudem einige untote Kreaturen gesehen, die dort willenlos auf und abschritten. Neire, Zussa und er selbst hatten dann beraten, ob sie die Kreaturen töten und den Bereich durchsuchen oder in den oberen Raum mit der Statue der Spinnengöttin zurückkehren wollten. Sie hatten sich dann dafür entschieden, nach oben zu gehen, um das Abbild von Lolth zu zerstören. Die Durchsuchung der unteren Hallen hatten sie aufgeschoben. Zurück im oberen Geschoss, hatten sie zu ihrer Überraschung gesehen, dass das Relief des schwarzen Nachthimmels sich bewegt hatte. Der Tunnel, den sie schon zuvor gesehen hatten, tanzte zwischen den glitzernden Sternen. Der Weihrauch der Kohlebecken wurde durch einen Luftzug in die Wand gezogen. Sie hatte voller Staunen die magische Wandkarte untersucht, deren Sternzeichen Zussa als ein getreues Abbild des euboräischen Himmels erkannt hatte. Neire war sich sicher gewesen, dass der Tunnel eine Art Portal darstellte, das in ein Jenseits hinter den Sternen führte. Er hatte ihnen zudem gesagt, dass er keine direkte Gefahr auf der anderen Seite des Portals spüren könne. Sie hatten zuerst versucht die vier Gegenstände als Portalschlüssel einzusetzen, die sie eingeschlossen im platinernen Ei gefunden hatten – die eiserne Pyramide, die silberne Kugel, den blauen kristallenen Würfel und den bronzenen achtzackigen Stern. Nachdem die Versuche erfolglos geblieben waren, hatte Neire die Idee gehabt seine Hand in die bernsteinfarbene Flüssigkeit der Säule einzutauchen. Der Tunnel hatte bei der Berührung des jungen Propheten nachgegeben und wild angefangen zu zucken. So hatten sie gemeinsam zu Jiarlirae gebetet und sich dann in die Flüssigkeit begeben. Bargh war zuerst in den Tunnel gestiegen. Je weiter sich Bargh vorzog, desto mehr konnte er die Kraft seiner Göttin fühlen. Er hörte den Singsang von brennenden Feuern, die Brise eines schattigen Nachtwindes. Aber da war immer noch der Spott, der tief in ihm nagte. Nur durch die Konzentration auf seine hohe Herrin von Flamme und Düsternis, konnte er die Selbstzweifel abschütteln. Bargh wusste nicht, wie lange sie sich schon durch den Tunnel zogen. Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Dann sah er es unter sich. Zuerst war es wie eine Kontur im Nebel. Schließlich konnte er den polierten glatten Stein erkennen. Ein Pfad, wie eine schlanke Straße, von Nebel umschlungen. Der transparente Schlauch führte dort hin. Bargh spürte jetzt die Öffnung und ließ sich hinab. Langsam richtete er sich auf und ein Schaudern durchfuhr ihn. Hier waren keine Geräusche. Alles fühlte sich anders an – auch die Klinge Glimringshert in seiner rechten Hand. Ihm war, als wolle dieser Ort seinen Untergang hervorrufen und ihm ewige Qualen bescheren. Bargh half zuerst Neire hinab, dann entschlüpfte Zussa dem Schlauch zwischen den Welten. „Achtet auf den eure Schritte. Wir wissen nicht, was sich dort im Nebel befindet,“ flüsterte Bargh und zeigte in die Schwaden, die kaum heller als Mondlicht waren. Dieser Ort war falsch. Es war kein Geruch hier, keine Geräusche. „Unsere Göttin ist nah. Ich spüre sie und sie spürt uns. Zu dritt sind wir an diesen Ort gelangt und zu dritt werden wir ihn wieder verlassen.“ Bargh nickte bei Neires Worten, dann zeigte der Jüngling mit den goldblonden Locken in eine Richtung. Sie schritten über den schimmernden Stein des Wegs im Nichts. Sie begannen durch die silbernen Nebel, denen Flamme und Düsternis so nah, doch auch so unglaublich fern schienen.
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„Dort,“ zischelte Neire. „Eine geheime Tür… Wartet, ich werde sie öffnen.“ Der Jüngling drehte sich zu der nackten Wand des kargen Gemaches, in das sie getreten waren. Zuvor waren sie Stunde um Stunde durch die matten Nebel gewandelt. Ab und an hatten sie eine Tür aus altem, teils verschimmeltem Holz samt Rahmen gesehen, die am Rande des steinernen Steges stand. Dahinter war nichts gewesen, doch als sie das mysteriöse Portal geöffnet hatten, war dort ein Gang aufgetaucht. Sie waren dem Gang und auch anderen Gängen gefolgt, aber oft waren sie im Kreis gegangen. Bargh hatte ihre eigenen Spuren auf dem marmornen Steg entdeckt. Nachdem sie hinter einer weiten Türe einen Raum mit vier steinernen Trollen entdeckt und diese getötet hatten, waren sie schließlich auf den leeren Raum gestoßen, den sie dann abgesucht hatten. Jetzt begann Neire vorsichtig einen Teil der Wand hervorzuziehen, der sich mit einem Knirschen öffnete. Dahinter sahen sie eine von Fackellicht erhellte Kammer, in deren Mitte eine Reihe von Gitterstäben zwei Bereiche trennten. Gefangen hinter den Stäben sahen sie vier verweste Körper, mit langen blonden Haaren und den Kleidern von Frauen. Auf ihrer Seite saß ein alter Mann, der in noble Gewänder gehüllt war und noch langsam atmete. Er war knochendürr und langes weißes Haar hing offen über seine Schultern hinab. Mit dem Geräusch der sich öffnenden Tür erhob sich der Mann ächzend. Es war, als ob er unter Schmerzen leiden würde. Er drehte sich zu ihnen um und fing an zu grinsen. Im flackernden Licht waren vergilbte Augen, eingefallene Wangen und ein Stoppelbart zu sehen. Sabber und Geifer rannen aus seinem Mund, in dem fast keine Zähne mehr zu erkennen waren. Mit einem Unglauben in den Augen fing der Alte an zu Kichern, was sich schnell in ein verrücktes Gackern veränderte und unter Schmerzen erstarb. „Ihr seid zu meiner Hochzeit gekommen, Fremde? Wo sind meine Brautgeschenke für meine vier Prachtstücke?“ Der Mann sprach mit gebrechlicher Stimme und wies dabei auf die vier Leichname. Neire trat hervor und verbeugte sich in höfischer Geste. „Wessen Hochzeit ist dies und wieso findet sie an diesem Ort statt?“ Für einen Augenblick starrte der Alte wirr in das Licht der Fackeln, dann antwortete er. „Ich bin der Herr von Trahks und das ist meine Hochzeit. Wo sonst, wenn nicht hier mein Herr, sollte sie stattfinden. Und meine vier Bräute können es gar nicht erwarten, mir zu dienen.“ Dabei zeigte er grinsend seine wenigen fauligen Zähne. „Es ist die Hochzeitsnacht, ihr wisst was ich meine…“ Wieder war da das verrückte Lachen, das in einem Hustenanfall endete. Neire ging einen Schritt auf die Gestalt zu und sagte. „Wir kommen wohl etwas spät zu eurem Spiel oder wieso bewegen sie sich nicht. Wieso sind sie auf der anderen Seite des Gitters. Wer hat sie dort hingebracht?“ Für einen Augenblick zogen sich die Augen des Alten zusammen und es war, als ob eine alte Erinnerung in seinem Verstand auftauchen würde. Dann lachte er wieder. „Damit sie mir nicht stiften gehen… Prachtweiber sind es, das sage ich euch. Sehr begehrt in diesen Zeiten. Ihr wollt sie mir doch nicht wegnehmen, ihr und euer großer Leibwächter.“ Dabei zeigte der Alte auf Bargh, der sich hinabgebeugt hatte, um durch die Tür zu blicken. Jetzt lächelte Neire ihn an und antwortete. „Wir wollen sie euch nicht wegnehmen, nein. Ich selbst habe mich bereits versprochen und auf ewig gebunden. Meine Frau kann leider nicht an euer Feier teilnehmen.“ Bei Neires Worten versteinerte sich das Gesicht des Adeligen. „Ha, wieso nur einer versprochen? Könnt ihr euch nicht mehrere leisten? Sie sind ihren Preis wert, das sage ich euch… eine reicht mir nicht. Sie können zwar anstrengend sein, aber manchmal hat das Eheleben auch seine Vorzüge.“ Wieder lachte der Alte wirr, dann fuhr er fort. „Woher kommt ihr Fremder. In welchen Landen könnt ihr euch nur eine Braut leisten?“ Jetzt nickte Neire und blickte sich zu Bargh und Zussa um. „Wir kommen von weit her, aus den Schneebergen. Doch wir haben unseren Weg in dieses Reich gefunden, in dem ihr euren leblosen, schmerzerfüllten Reigen zu Ehren der Spinnengöttin tanzt. Wir haben Flamme und Dunkelheit mitgebracht und wir könnten eine Kerze für euch anzünden. Ein Licht, das euch IHRE Schatten bringt. Ihr könnt das Geheimnis der Dualität von Flamme und Düsternis bestaunen, bevor die Spinnenanbeter eure Seele zermalmen.“ Während Neires Worten hatte der Alte zuerst zugehört, doch dann wirr angefangen ein Kinderlied zu summen. Jetzt rief er. „Eine Kerze, mehr Licht für meine Hochzeit… ein guter Einfall. Erlhart, kommt herbei! Wo sind sie nur, meine Diener?“ Neire versuchte es ein weiteres Mal. „Hört, alter Mann… Herr von Trahks! Wir waren in Aschwind und haben die Dunkelheit gesehen, die sich über die Stadt gelegt hat. Niemand kam herein oder heraus. Wir sprachen mit Randos damals, doch das ist nun fast fünf Winter her.“ Der Alte schaute zu Boden, dann in das Licht der Fackeln. Er murmelte. „Randos, dieser… er ist ein Jungspund… niemand kommt herein und oder heraus?“ Da war wieder das wirre, hässliche Lachen. „Wenn ihr die Schenkel meiner Bräute meint, junger Freund, so ist es. Nachdem ich sie geehelicht habe, wird dort niemand anderes als ich selbst herein oder heraus kommen. Hehehe!“ Neire wendete sich ab und sprach zu Bargh und Zussa. „Er wurde von den Spinnenanbetern verflucht. Ich fühle es. Sie ergötzen sich an seinem Siechtum. Sie zehren von solch niederen Kreaturen. Armselige Menschlein reichern ihre Macht so an, wie eine Spinne ihre Beute in einem Netz zappeln lässt.“ Neire blickte zu Zussa. „Es ist an euch, Hand der Flamme, dem Spiel ein Ende zu bereiten.“ Zussa strich sich ihre roten Locken zurück und antwortete betont gelangweilt. „Er ist doch schon tot Neire. Soll er doch hier weiter tot bleiben.“ Als Neire schwieg, fügte sie an. „Na gut, ein bisschen mehr tot kann ja auch nicht schaden.“ Als Zussa sich auf den Alten zubewegte grinste er und sagte. „Eine fünfte Braut… kommt her mein Schätzchen, der Herr von Trahks wird sich schon gut um euch kümmern.“ Zussa blickte ihn gelangweilt an, dann stieß sie ihren Säbel durch sein Herz. Mit einem Seufzer hauchte der Alte sein Leben aus. Als der Leichnam zu Boden fiel, drehte sich Zussa um, wischte das Blut von ihrer Waffe und fragte. „Und was machen wir jetzt, können wir nun weiter?“
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Der Strahl, den Neire entfesselte war dünn und glühte in magischen Magmatönen. Es war, als strömten kleine Glühwürmchen durch das Portal. Als sie den schwarzen Spiegel berührten, begann das Feuer in den Stein einzudringen. Die glatte Oberfläche wurde von rötlich schimmernden Furchen durchzogen. Dann brach der matte Glanz und glühende Stahlstücke fielen zu Boden. Nur Augenblickte später hörte Neire die grunzenden Schreie, die aus den anliegenden Türen kamen. Er dachte zurück an ihren Kampf und machte sich angriffsbereit. Nachdem sie zuvor das Gefängnis des Herren von Trahks verlassen hatten, waren sie weiter durch das Labyrinth der im Nebel schwebenden Steinwege geirrt. Schließlich hatten sie hinter einem Portal eine große Halle entdeckt. Dort waren sie von unsichtbaren Kreaturen angegriffen worden. Als sie die Affendämonen schließlich besiegt hatten, hatte Neire die Pyramide hervorgeholt. Der Gegenstand war warm geworden und hatte vibriert. So hatten sie Halle durchschritten und ein schwarzes Loch in der Wand war wie aus Geisterhand durchsichtig geworden. Dahinter waren sie wieder auf einen steinernen Weg gelangt, der sie durch die Nebel geführt hatte. Sie hatten aber, anders als zuvor, über und unter ihnen weitere Pfade entdecken können, die dort verborgen gelegen hatten. So waren sie schließlich zu der Tür gelangt, hinter der Neire den Spiegel entdeckt hatte. Von dem Spiegel war eine große Anziehungskraft gegenüber metallischen Gegenständen ausgegangen und so hatte Neire sich dazu entschieden seine schwarze Kunst zu entfesseln. Gerade als Neire begann einen weiteren Zauber vorzubereiten, wurden die beiden Türen aufgeworfen und große, fellige Humanoide strömten in steinernen Raum. Sie trugen lederne Lumpen und knöcherne Knüppel. Ihr rostbraunes Fell war an einigen Stellen ausgefallen und offenbarte bleiche Haut. Ihre bärenartigen Gesichter und spitzen Ohren waren durch Brandnarben entstellt. Ihre Zähne angespitzt und Lippen und Zahnfleisch offenbarten grausame Narben. Kränklich gelbliche Augen blickten sich hasserfüllt im Zwielicht um. Dann warf Neire das Magmafeuer seiner Göttin. Nach der ohrenbetäubenden Explosion waren sterbende Grunzschreie zu hören. Einige Kreaturen hauchten ihr Leben aus, als sie wie lebende Fackeln durch die Kammer torkelten. Anderen fehlten Finger, Hände oder Arme, die durch die Wucht der Explosion abgerissen worden waren. In diesem Chaos von Feuer und Düsternis drangen Bargh, Neire und Zussa vor und töteten die letzten Überlebenden. Erst dann blickten sie sich an und sprachen Gebete zu ihrer Göttin. Sie waren bis hierhin gekommen, doch sie durften nicht den Hohn und den Spott an ihren Geistern nagen lassen. Sie mussten einig und stark sein im Glauben, denn es konnte nur eine Göttin des aufsteigenden Chaos des Abgrundes geben. Jiarlirae würde ihnen den vollkommenen Sieg geben, der den Schlüssel zu neuen Geheimnissen bedeutete.