Ich habe es nun ganz gelesen. Es folgt keine echte Rezension, sondern ein Eindruck:
Solides Hardcoverbuch, schönes Reliefcover, zwei Lesebändchen.
Für mich ganz wichtig: Es stinkt nicht nach toxischer Chemie! Großes Plus! Die Bindung knackt etwas unangenehm, wirkt aber bisher solide. Es basiert auf „Mörk Borg“ und die Innenseiten des Covers beinhalten schnelle Regelübersichten. Fast jede einzelne Seite behandelt einen Regel- oder Settingaspekt. Es übertreibt nicht, wenn es behauptet, es sei rules light und art heavy. Das Artwork ist in der Tat auch sehr schön und stimmungsvoll und im Stile von Mike Mignola (Hellboy) gehalten. Hin und wieder ist die Schriftart bei einigen Überschriften jedoch schwer lesbar. Manche Layoutspielereien hätten nicht gemußt, aber es ist erfreulicherweise kein Cy_Borg. Das erscheint mir hart chaotisch, wenn ich es aufschlage. (Das muss ich aber noch lesen.)
Zum Setting:
Man spielt in „Vaterland“ (bitte auf Englisch aussprechen), eine Art altertümliches Deutschland im 30 Jährigen Krieg, bzw. 17. Jahrhundert. Allerdings ist dieses „Vaterland“ auch mit allerlei Dämonen, Zombies, Geistern, Waldwesen, Monstern, Kannibalen, Mutanten, Hexen, Kulten, marodierenden Söldnern und religiösen Fanatikern besetzt. Mit dem „Torn Prophet“ gab es auch einen Messias, der getötet wurde. Zwei religiöse Strömungen stehen sich feindlich gegenüber: Die Orthodoxen und die abgespaltenen Puritaner, letztere von „Luther Martin“ (I kid you not) initiert. Dazwischen gibt es noch die Inquisition, mit Warhammer Fantasy artigen Agenten und Inquisitoren. Grundsätzlich könnte man das Setting mit „Warhammer Fantasy trifft auf den Mignola Artstyle, lässt aber den Fantasy-EDO-Kram weg und besäuft sich mit Märchen, Elend und Schwarzpulver“ pitchen. Eine winzige Prise 40K ist auch drin. Es wird auch eine Erklärung gegeben, warum alles so ist wie es ist und irgendwie ist das auch etwas Lamentations of the Flame Princess artig und cool. Vermutlich werden die SC das aber niemals aufdecken. Alles wird nur oberflächlich beschrieben, reicht aber meiner Meinung aus um sich darin voll auszutoben. Ein riesiges Potantial. Go nuts!
Manche Orts- oder Personennamen bringen auch eine Prise Humor mit. Also, nicht nur Luther Martin, sondern auch Namen wie z.B. „Dreadzden“ oder „Geheimeberg“. Das hält sich aber alles in Grenzen und wirkt nicht wie Blödelei, sondern ist einfach nett stimmig, in diesem Horror-Comic-Stil.
Reinschnuppern in Charaktere, Regeln und Handhabung:
Nur Menschen. Viele stimmungsvolle Klassen, da ist wirklich für jeden was dabei. Ein Charakter ist schnell gemacht. Am längsten dürfte die Auswahl dauern, was man sich aus der kurzen Ausrüstungsliste kauft.
Grundsätzlich leben die Charaktere gefährlich. Alle sieben Würfel werden benutzt und man würfelt in der Regel Attributsbonus + d20 vs. Zielzahl. Man hat recht wenig Hitpoints, ist man bei Null, wird gewürfelt. Schafft man es nicht, ist der Charakter tot. Schafft man es, kann man Glück oder Pech haben. Es gibt auch eine Wicked Wounds Tabelle. Magie ist gefährlich und ja, es kann einem echt schlecht bekommen, wenn man schlecht würfelt.
Grundsätzlich haben wir es hier mit dem Mörk Borg Regelsystem zutun, allerdings kann ich nicht sagen, wie weit sich diese Variante entfernt, weil dies das erste Mörk Borg kompatible Spiel ist, welches ich gelesen habe. Angriffe sagt der SL z.B. nur an und die Spieler würfeln Verteidigung. Misslingt das, würfelt der SL Schaden. Waffen und Gegner machen ordentlich Schaden. Rüstungswürfel reduzieren den Schaden. So wie es sich liest, sollte es relativ flott von der Hand gehen, aber ich habe noch keine Erfahrung. Dabei hilft auch das Layout und das ein-Regelelement-pro-Seite-Prinzip. Manchmal ist es aber nicht so leicht, sofort das zu finden was man sucht, aber am Ende des Buches ist ein kleiner Index der sehr hilfreich ist. So kommt man flott dahin wo man hin will.
Sonstiges:
In meiner gedruckten Version fallen einige doofe und manchmal auch lustige Typos auf, die im PDF korrigiert wurden. So ist die Klasse „Hexen“ im Printbuch als „Heren“ bezeichnet. Doof.
In einem Text indem es ausgerechnet um „Yes and“ und „No, but“ geht, nimmt „rollplay“ die Stelle von roleplay ein. Lustig. Wir betreiben hier anständiges ROLLplay, jawoll!
Es gibt viele nützliche Tabellen, um Namen oder passende Abenteuerideen zu generieren. Nichts tiefes, aber immerhin Ideen, die man ausbauen kann. Spaßig ist auch das man sich eine Kutsche holen kann und die dann fast shadowrunmäßig aufrüsten kann. Mit Panzerung, Ausguck, Labor, Fußangel-Dispenser um Verfolger loszuwerden etc. (Es gibt Regeln für Verfolgungen.) Alles wirkt aber nicht übertrieben, sondern Mignola-comicartig.
Es gibt auch ein Quasi-Abenteuer am Ende des Buches, aber das ist eher eine knappe Beschreibung von einem Gespensteranwesen, als ein vollwärtig ausgearbeitetes Abenteuer.
Soweit so gut. Kann man damit nun auch OSR-Abenteuer spielen? Ich denke ja, vor allem im niedrigstufigen Bereich. Man muss natürlich die Gegner anpassen.
Mein Fazit: Zumindest vom Lesen her ein schönes Spiel, mit viel Potential und Abenteuern. Das werde ich garantiert einsetzen, da ich gerne in dieser Epoche, bzw. in Varianten spiele. Es ist ein Abenteuer-Horrorspiel in dem man sich mit Klinge und Schwarzpulverpistole gegen Tod und Teufel stellt. Es kann im Prinzip so comichaft oder gritty werden, wie man es sich zurecht legt. Wenn man das mag, gibt es eine klare Kaufempfehlung von meiner Seite aus.
