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Entwicklung einer Sprachfamilie - wer macht mit?
Percusor:
--- Zitat von: Paßwächter am 22.11.2024 | 11:15 ---Wer soll diese Sprache eigentlich sprechen? Oder geht es ausschließlich um Namen?
Meiner Erfahrung ist, daß auch da, wo es setting-spezifische Begriffe gibt, die doch eher durch "Allerweltsworte" ersetzt werden, wenn man nicht gerade sehr tief in der Materie drinsteckt. In einigen Rollenspielen werden ja Distanz- und Zeitangaben settingspezifisch festgelegt - und am Spieltisch sind es dann "etwa 400 Meter" oder "naja, so anderthalb Stunden".
Für Romane mag das gehen, sich settingspezifische Begriffe zu nehmen und (halbwegs) durchgehend zu verwenden. Aber im Rollenspiel müss(t)en die Spieler diese Begriffe ja auch erst lernen, damit sie Verwendung finden. Das einzige, was vom "Flair" bleibt, sind damit oftmals nur die Namen - die sind ja ohnehin arbiträr.
--- Ende Zitat ---
Ich räume ein, dass das Ansinnen etwas speziell ist.
Die Besonderheit bei diesem "Rollenspiel" ist, dass es vorrangig darum geht, dass der Charakter nach und nach eine ganz neue Welt entdeckt. Ziel ist es hier also nicht vorrangig, Gegner zu bekämpfen, Fallen zu entschärfen oder Rätsel zu lösen, sondern à la Humboldt oder Marco Polo eine neue Welt zu erkunden. Wenn dann dem Spieler irgendwann auffällt, dass es zwischen verschiedenen Sprachen Wortverwandtschaften gibt, dann ist das intendiert.
Vergleichbar ist das in etwa mit dem Herrn der Ringe, wo ja auch jeder merkt, dass "Minas Tirith" und "Minas Morgul" irgendwie beide etwas mit "Minas" enthalten und dass da wohl ein Sinn dahintersteckt.
Und ja: die Sprache soll schon möglichst weit entwickelt werden, weil nach und nach auch kulturelle Besonderheiten der Völker offenkundig werden, die mit Begriffen belegt sein müssen.
Pluralbildung wäre ein Beispiel: so soll zwischen einem und mehreren Angehörigen des Volkes unterschieden werden. (Herr der Ringe: Rohir vs Rohirrim)
Genitive sind z.B. wichtig, wenn man einen Ort benennt: Krone der Berge, Fluss der Grenze etc...
Ebenso die korrekte Bildung von Adjektiven: Schöne Felsen vs schöner Felsen
Es geht also darum, dass der Spieler merkt: Hoppla, da stimmt alles, da gibt es Zusammenhänge, das ist eben gerade nicht nur so dahererfunden.
felixs:
Was die Morphologie angeht, möchte ich anmerken, dass es auch Sprachen gibt, die (weitgehend) ohne Morphologie auskommen. Z.B. Chinesisch und Vietnamesisch oder Khmer. (Es ist sprachhistorisch ein wenig komplizierter und die frühesten Zeugnisse zeigen noch Reste von Morphologie, das kann man aber vermutlich für diesen Zweck vernachlässigen). Allerdings gibt es in den gleichen Sprachfamilien dann auch wieder morphologisch komplexere Sprachen (Tibetisch als mit dem Chinesischen verwandte Sprache). Und natürlich spielen Einflüsse und Entlehnungen auch eine wichtige Rolle.
- die gehorchen dann nicht unbedingt den Entwicklungsgesetzen, weil es sie zum Zeitpunkt der Veränderungen noch gar nicht gab.
Man könnte also mit solchen Sprachen beginnen und erspart sich dann ziemlich viel Aufwand.
So oder so ist das ganze ziemlich ambitioniert. Tolkien hat ein halbes Leben für seine Sprachen gebraucht und hat trotzdem bei weitem nicht alles berücksichtigen können. Fehler sind auch drin (was andererseits vielleicht nicht schlimm ist, Fehler finden sich ja in allen historischen und Sprachzeugnissen).
Paßwächter:
Das Ansinnen hat das Potential, auf Dauer nicht ein größeres, sondern ein monumentales zu werden...
Leider sind alle besseren Linguisten in meiner Filterblase gerade arg beschäftigt, vor allem die, die zugleich auch rollenspiel-affin sind. Sonst hätte ich die Anfrage gern weitergeleitet, aber derzeit ist das chancenlos.
Früher hat es zum Thema "Sprachenbasteln" auch Bücher gegeben, inzwischen sind es wohl eher Youtube-Videos. Und in der großen weiten Welt der Foren lässt sich auch so einiges finden wie z.B. einen "Sprachenbastel-Workshop" auf weltenbastler.net. Vielleicht kann man in so einem Umfeld auch jemand finden, der Interesse am Basteln von Sprachen hätte, aber selbst den Rest der Welt nicht entwickeln will?
Ich selbst habe leider auch nicht so recht Zeit und möchte mich darum im Moment auf nichts festlegen.
Jed Clayton:
Ach du meine Güte!
Das erinnert mich nun glatt an meine allerersten Gehversuche und Experimente im P&P-Hobby. Ich war eben damals, 1991, auch zumindest vom Grundansatz her schon von Tolkien beeinflusst, obwohl in den Herrn der Ringe gar nicht gelesen hatte, denn für mich war klar, dass ich in einer selbst erfundenen Fantasy-Welt auch bestimmte passende Sprachen für die einzelnen Länder und Völker haben wollte und dass bestimmte Sprachen natürlich mit Nachbarsprachen mehr oder weniger eng verwandt waren. Seltsam, dass man als blutiger Anfänger, noch nicht mal aus der Schule draußen, meint, alle möglichen monumentalen Dinge stemmen zu können.
Etwas später, als Student 1996, als ich gerade ein Semester mit Sprachwissenschaft hinter mir hatte, habe ich mir für mein damaliges GURPS-Setting auf einem exotischen Dschungelplaneten die Sprache "Ajimâi" (der Zirkumflex ist wichtig ;) ) ausgedacht, und weil nur ein ganz bestimmter kriegerischer Stamm diese sprechen sollte, habe ich mir noch Nachbarstämme ausgedacht, die sozusagen Dialekte davon redeten - mit ai zu ei, â zu ô, h zu ch und immer so weiter. Ich habe quasi das, was ich aus meinem 1. Semester behalten hatte, einfach spaßeshalber auf eine Fantasy-Sprache übertragen. Mehr war das nicht. Meine Notizen und Ringblockseiten von 1996 habe ich jetzt aber nicht mehr zu Hand. Das ist nun alles rund 30 Jahre her, und da wir ja letztlich Abenteuer spielen und keine fiktionalen Sprachen lernen wollten (ein vermehrtes Interesse an Klingonisch- oder Quenya-Kursen gab es damals Mitte der 90er-Jahre bei uns wohl noch nicht), habe ich das alles aufgegeben.
Noch heute amüsieren sich einige meiner Mitspieler darüber, wenn ab und an am Spieltisch mal der Linguist oder besser gesagt der "Sprachen-Nerd" bei mir durchkommt und ich dann spontan benötigte Namen für Orte, Städte, Berge, Flüsse und so weiter heraushaue, die für die meisten "Otto-Normal-Rollenspieler" unaussprechlich wirken. Die meisten meiner Spieler sind schon genug damit versorgt, Englisch als "Verkehrssprache" im Gaming-Hobby einigermaßen zu beherrschen (sie sprechen aber bis heute Wörter wie "melee" und "supplement" falsch aus...) und ich habe auch Leute am Tisch, für die Deutsch nicht ihre Muttersprache ist.
Ich könnte aber mit wenig Aufwand Kontakt zu einem Linguisten aus Spokane, Washington herstellen, mit dem Spezialgebiet pazifik-nordwestliche indigene Sprachen der amerikanischen Ureinwohner (wie Coast Salish, Nuu-chah-nulth, Haida, Chinook, Nez Perce bzw. Nimipuutímt, Métis-Französisch), Doktorarbeit über den Chinook Jargon im Raum Kamloops, Kanada, den man zur Kreation von Conlangs anwerben kann - würde natürlich etwas kosten. Seine Preise kenne ich nicht.
Ich schätze aber das Ansinnen und wünsche dir / euch in jedem Fall viel Spaß und Erfolg damit!
Percusor:
--- Zitat von: Jed Clayton am 23.11.2024 | 16:06 ---Ach du meine Güte!
Noch heute amüsieren sich einige meiner Mitspieler darüber, wenn ab und an am Spieltisch mal der Linguist oder besser gesagt der "Sprachen-Nerd" bei mir durchkommt und ich dann spontan benötigte Namen für Orte, Städte, Berge, Flüsse und so weiter heraushaue, die für die meisten "Otto-Normal-Rollenspieler" unaussprechlich wirken.
Ich könnte aber mit wenig Aufwand Kontakt zu einem Linguisten aus Spokane, Washington herstellen, mit dem Spezialgebiet pazifik-nordwestliche indigene Sprachen der amerikanischen Ureinwohner (wie Coast Salish, Nuu-chah-nulth, Haida, Chinook, Nez Perce bzw. Nimipuutímt, Métis-Französisch), Doktorarbeit über den Chinook Jargon im Raum Kamloops, Kanada, den man zur Kreation von Conlangs anwerben kann - würde natürlich etwas kosten. Seine Preise kenne ich nicht.
Ich schätze aber das Ansinnen und wünsche dir / euch in jedem Fall viel Spaß und Erfolg damit!
--- Ende Zitat ---
@ Jet Clayton:
Erst einmal vielen Dank für diese erschöpfende Antwort. Ein Mann vom Fach - beeindruckend. Einen wichtigen Punkt hast Du aufgebracht, zu dem ich noch Stellung nehmen möchte: die Eingängigkeit und Aussprechbarkeit - und deswegen kommt Dein spannendes Angebot der Ur-amerikanischenm Sprachen für mich auch eher nicht in Frage. Bei Tolkien merken wir schon, dass er die Sprachen an tatsächlich existierende europäische angelehnt hat, die vielen Lesern auch in irgendeiner Form unterbewusst vertraut sind. (Übrigens ist meine These, dass er gaaanz viel bei Felix Dahn's "Ein Kampf um Rom" geklaut hat, lest das mal, ihr werdet staunen!) Eine dem europpäischen Ohr und Sprachgefühl völlig fremde Sprache läuft Gefahr, zu wenig Akzeptanz zu finden. Irgendwie will man sich die wichtigsten Wörter ja merken können. Es kommt also auch darauf an, die Sprache so zu entwickeln, dass sie dem Höhrer irgendwie vertraut erscheint, aber auch nicht zu banal (also keine Kreolsprache oder so). Ja ja, ein Projekt, an dem ich den kurzen Rest ,meines Lebens herumbasteln kann...
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