Ich glaube, dass es durchaus Effekte durch das Streamen im (semi-)professionellen Umfeld durchaus gibt / gab. Betonung liegt vor allem auf der Vergangenheitsform.
Ich glaube aber auch, dass das in vielen Fällen in seinen Auswirkungen überschätzt wird.
Die Spielleiter (vor allem Neulinge), die sich von einem Matt Mercer so einschüchtern lassen haben, dass sie sich nicht mehr trauten, Rollenspiel anzubieten, sind keine Spielleiter mehr. Trotzdem hat das Rollenspiel unglaublichen Zuwachs an Leuten von 2015 bis cirka 2023 verzeichnet. Dieser Effekt kann also nicht signifikant gewesen sein.
ich denke auch, dass die Art und Weise, wie die Art zu spielen präsentiert wurde, von vielen kopiert wurde. Da Critical Role (und andere) aber einen relativ lockeren und inhomogenen Spielstil (mal Rolle ausspielen, mal herumtaktieren, mal rumblödeln) praktiziert haben, war das auch nicht sonderlich schädlich.
Trotzdem: Wenn man sich in einer neuen Subkultur (und Rollenspiel ist eine, spätestens seit 2015) integrieren möchte, kopiert man vieles von dem, was man wahrnimmt.
Das beinhaltet auch Sprache, Gestik und Verhaltensformen. Allerdings ist dieses Kopieren auch nicht ewig haltbar. Die meisten entwicklen/finden ihren eigenen Style.
Und genau das kann man auch bei der Rollenspielszene sehen. Ähnliches konnte man auch in der Punk-Szene sehen, dann in der Wave Szene, dann in der Gothic Szene.
Eine Szene braucht erst Idole und die werden später gestürzt, um sich seinen eigenen Weg zu suchen (oder in eine neue Szene abzudriften).
Das war in den 90ern bei DSA übrigens auch genau so zu beobachten. Da wurden auch ganze viele Verhaltensweisen kopiert, dann eine Weile zu Normen deklariert, nur um sich dann wieder davon zu differenzieren, weil man sich weiterentwickelt hatte.
Abgesehen davon gibt es ja auch jede Menge "Trittbrettfahrer" (wie in jeder Szene), die das Ganze aufweichen, in dem sie sich (zwangsweise) differenzieren und Alternativen aufzeigen. Das sind teilweise dann auch Actual Play Gruppen aber natürlich auch die ganzen Youtube - Reviewer und Erklärbären.
Insofern hat sich die gesamte Szene weiter entwickelt, differenziert sich und alterniert. Auch das ist eine normale Entwicklung und auch eine gute.
So, ist das nun gut oder schlecht? Meiner Meinung nach ist das eine gute Entwicklung, denn sie hat eine Menge junger Leute ins Hobby gebracht, sie hat die Community massiv diversifiziert und vergrößert. Die alten Säcke (ich zähle mich dazu) können sich mit dem Bewusstsein zurücklehnen, dass, wenn sie irgendwann den Würfel abgeben, sie nicht die letzten sein werden, die Rollenspiel betreiben.
Und es gibt krass viel neues Zeug. Ganz viel von dem brauchen viele Leute nicht. Ich mein, es gibt Rollenspielmöbel, Geschirr und Gläser/Becher, d20 Lampen, D&D macht jetzt Panini Stickerhefte und LEGO und das beste Computer Rollenspiel im Fantasy Bereich spielt in Baldurs Gate... Die Lehrerin meiner Tochter trägt im Unterricht ein D&D T-Shirt.
Scheiße, hätte das irgendwer mal vor 2015 prognostiziert, hätte ich lange und herzlich gelacht.
Und wenn Critical Role mit daran schuld ist, dass wir aus der Schmuddel-Nische rauskommen, dann vielen lieben herzlichen Dank! wirklich ernst gemeint!