Freiheitsweg 23
Berlin, Reinickendorf. Der Himmel hing wie eine ausgebrannte Leuchtstoffröhre über der Stadt, und der Wind roch nach nassem Beton und synthetischem Bier.
Der Freiheitsweg 23 war kein Ort, an dem man freiwillig landete — eher so ein Fleck, wo du dich wiederfandest, wenn das Leben dich dreimal überfahren und in den Rinnstein gespuckt hatte.
Aber genau hier, zwischen verbeulten Wohnwagen, zusammengeflickten Drohnen und einem Lagerfeuer aus brennendem Elektroschrott, lag das Hauptquartier der Füchse — eine Gang, die irgendwie zwischen Straßenkunstkollektiv, Cyberclowntruppe und bewaffneter Sozialtherapie pendelte.
Tag 1 – Willkommen im Bau
Tank war die Erste, die das Feuer bemerkte. Eine Zwergin mit breiten Schultern, einem Axtgriff aus Karbonstahl über der Schulter und dem Blick einer Frau, die schon mehr Zähne ausgeschlagen hatte, als andere Freunde besaßen. Ihr Lederpanzer war zerkratzt, ihr Grinsen echt.
Neben ihr "schwebte" Sprite, ein Elf mit Tribal-Tattoos, deren Linien sich im schwachen Neonlicht zu bewegen schienen. Er hatte die Hasenpfote, die um seinen Hals hing, liebevoll „Möhrchen“ getauft. Seine Augen funkelten wie zwei kleine AR-Symbole.
„Na, wenigstens haben sie Bier,“ murmelte Sprite und sah zu den Autositzen rund ums Feuer.
Dort saßen schon zwei andere: ein hochgewachsener unscheinbarer Elf und der typischen Aura eines Typen, der lieber mit Maschinen als Menschen redete — New Hope — und ein breitschultriger Mensch mit glänzendem Metall unter der Haut — Boogey, Straßensamurai, Pistolenholster wie zweite Haut.
Foxy, der Ork mit der goldenen Sonnenbrille und einer Stimme wie ein übersteuerter Lautsprecher, sprang auf, als die Neuankömmlinge sich näherten.
„Ey, geil! Jetzt sin’ wa komplett! Setzt euch, ihr Helden der Zukunft! Kartoffelsalat links, Tofu-Würstchen rechts, Bier is’ da, wo’s zischt.“
Tank ließ sich auf einen Autositzen plumpsen, Sprite folgte ihrem Beispiel mit gespielter Eleganz.
„Sag mal,“ meinte sie, „sind das echte Tofu-Würstchen oder der billige Sojaersatz, der nach Schuh schmeckt?“
Foxy grinste breit. „Na, kommt drauf an, ob du nach’m dritten Bier noch schmeckst.“
Lachen. Irgendwo im Hintergrund wummerte Techno aus einer Box, die schon zwei Jahrzehnte zu alt war, um noch Strom zu sehen.
Über ihnen blinkte ein Hologramm in Gestalt eines Fuchses, das sich ab und zu verschluckte und dann wieder zum Leben flackerte.
Zwischen Bier und Bits
Während Sprite mit Foxy um die Wette trank, zog New Hope sich leise in die Matrix zurück. Seine Finger glitten über das Interface, die Pupillen spiegelten Codezeilen.
Die Füchse hatten zwei Hosts am Start: die Gebäudesteuerung und die Kameraüberwachung. Nichts, was ein erfahrener Decker nicht in fünf Minuten hätte aufbrechen können — aber heute war er brav. Ronin, der mürrische Auftraggeber mit dem vernarbten Gesicht, hatte klare Regeln gesetzt: Kein Hacken der Spielleitung.
Sprite dagegen öffnete seinen Geist. Die Astralebene flutete ihn, Berlin erstrahlte in einem kaleidoskopischen Rauschen aus Licht und Emotionen.
Tank glühte wie eine Fackel — eine Adeptin, klar zu erkennen, Körper und Geist geschärft wie Klingen.
Die Füchse selbst dagegen? Leere Hüllen, Straßenleute ohne Funken Magie. Nur Kuma Lisa hatte eine seltsam warme Aura, als hätte die Anführerin der Füchse zu oft über Hoffnung geredet, um ganz kalt zu sein.
„Hier is’ nix Übernatürliches,“ sagte Sprite, als er wieder zurückkehrte. „Außer der Musik vielleicht.“
„Ja,“ murmelte New Hope, „die ist übernatürlich schlecht.“
Foxy lachte. „Wartet nur ab. Morgen zeigen wir euch, was wir können.“
Tank prostete ihm zu. „Ich hoffe, das Training is’ härter als der Kartoffelsalat.“
Nacht im Malepartus
Später, als die Boxen nur noch knisterten und der Mond sich im Chrom der Wohnwagen spiegelte, gingen sie schlafen.
Die Füchse hatten die Wagen zu einem Haufen zusammengeschoben, der sie an eine Mischung aus Nomadenlager und Cyberpunk-Flohmarkt erinnerte.
Sprite murmelte ein paar Worte an seinen Totemgeist, Tank legte sich mit der Axt unter den Arm, New Hope verschwand hinter seinem Deck, und Boogey schlief wie ein Stein — der wahrscheinlich implantiert war.
Tag 2 – Der Run
Am nächsten Morgen roch es nach synthetischem Kaffee und verbrannten Sojapfannkuchen. Um acht Uhr gab’s Frühstück, um zehn das Briefing.
Foxy stand vorne, ein Headset im Ohr, Ronin im Hintergrund mit verschränkten Armen.
„Also, Leute,“ begann Foxy, „ihr spielt heute Runner. Konzern heißt Silberfuchs Pharma. Ihr Ziel: Dr. Senta Karg, leitende Wissenschaftlerin. Sie weiß Bescheid, will raus. Ihr bringt sie über’n Zaun. Bonusziel: Serverraum. Löscht die Forschungsdaten. Easy, oder?“
Tank grinste. „Klingt nach nem netten Spaziergang.“
„Regeln?“ fragte New Hope trocken.
„Klar: Kein echter Schaden, kein Magieeinsatz, keine Sabotage von uns, kein Hacken. Alles markierte Munition. Spaß soll’s machen!“
Ronin schnaufte. „Wenn ihr das versaubeutelt, habt ihr hier nichts verloren.“
Der Schleicheinsatz
Das Team zog im großen Bogen über das Gelände, Schatten zwischen Containern. Sprite schwebte wieder astral — eine Wache am Tor, zwei patrouillierend, vier auf dem Dach.
Perfekte Trainingskulisse.
„Dreißig Sekunden, bis sie zurück sind,“ flüsterte Sprite.
„Dann los,“ raunte Boogey.
Einer nach dem anderen sprangen sie über Container, Metall quietschte, Neon flackerte.
Auf der anderen Seite hockten sie zwischen alten Transportboxen.
Boogey schnappte sich Tanks Kletterausrüstung, grinste und stieg die Wand hoch wie ein Spinnenmensch mit Cyberknien.
„Fenster ist offen,“ kam es leise durchs Comlink. Er bemerkte nicht den reißenden Alarmdraht. Zum Glück war der Alarm-Lautsprecher genau so schrottig, wie das meiste auf dem Trainingsgelände und blieb einfach stumm.
Sie folgten ihm — Tank mit Schwung, Sprite leichtfüßig, New Hope zähneknirschend. Drinnen: ein improvisiertes Büro voller ausrangierter Terminals und flimmernder Holoprojektoren.
Serverraum des Grauens
„Weg frei,“ meldete Sprite. „Keine Wachen im Gang.“
Tank schob die Tür zum Serverraum auf. Alte Hardwaretürme, Kabelsalat, und mittendrin — ein pinker, uralter Mac. Das Ding hätte als Museumsstück durchgehen können.
„Heilige Drek,“ murmelte New Hope. „Das läuft noch mit MacOS 9.2.“
„Dann eben Retro-Hack,“ grinste Tank, setzte sich einfach hin und drückte den Power-Knopf. Das Gerät piepte, summte — und startete.
„Bonusziel erfüllt,“ sagte eine blecherne Stimme aus einem Lautsprecher. Foxy hatte Humor.
Während Tank sich über das Nostalgie-Monster amüsierte, war New Hope längst wieder in der Matrix. Er fand den Host der Gebäudesteuerung, flutschte durch eine Hintertür und sah, wie Lampen, Sprinkler und Hologramme alle über die gleiche Steuerung liefen. Ein Spielfeld aus Licht und Kontrolle.
„Wenn das hier echt wär,“ murmelte er, „würde ich die ganze Scheiße in Rauch aufgehen lassen.“
Boogey grinste. „Dann wär’s wenigstens spannend.“
Sprite nickte, legte die Hand auf die Hasenpfote. „Ich spür da was… Vielleicht sollten wir lieber—“
Der Serverraum stank nach Elektronik, verschmortem Kunststoff und einem Hauch Panik. Ein pinker Mac summte, LEDs blinkten wie Herzschläge. Tank lehnte an einem Serverschrank, die Axt über der Schulter, Boogey justierte seine Handschuhe, New Hope steckte tief in der Matrix der Haussteuerung, und Sprite glitt in die Astralebene, um den Flur zu überwachen.
„Plan?“ fragte Tank, die Stimme rau vom Schlafmangel und vom letzten Abend.
„Ich simuliere Störungen der Beleuchtung“, erklärte New Hope ruhig. „Vielleicht kommt unsere Zielperson raus, neugierig wie ein Fuchs.“
Sprite glitt auf dem Flur hin und her. Alles lief nach Plan… bis plötzlich eine Aura auftauchte. Nicht Dr. Karg, die Zielperson, sondern ein ahnungsloser Techniker eines Berliner Hausverwaltungsservices, automatisch vom Gebäude gerufen.
„Hm… sieht aus wie einer von Foxys Leuten“, murmelte Bogey und sprang aus dem Serverraum, um den vermeintlichen Verbündeten auszuschalten. Tank half von der anderen Seite, New Hope hielt dem armen Mann den Mund zu, während Bogey seine Colt Cobra UZI auf ihn richtete.
„Ich… ich arbeite nur hier…“ stammelte der Techniker, vollkommen überfordert. Sprite zog sich den Blaumann über, als wäre es ein Zauberumhang, und sicherte die Codekarten der Magschlösser. „Improvisieren, Leute, improvisieren,“ murmelte er, während er wie ein Fremder in der Uniform wirkte.
Sprite bewegte sich zur Sicherheitsschleuse, doch er war kein Decker. Zahlencode? Kein Problem für New Hope, für Sprite ein Rätsel, das ihn ins Stolpern brachte. Sekunden des Zögerns, ein Klick — und BÄM: Alarm.
„Verdammt!“ fluchte Tank, während New Hope blitzschnell den Feueralarm im Erdgeschoss auslöste. „Abgelenkt werden, Leute! Wenn wir schon auf dem Katastrophenweg sind, dann richtig!“
Farben spritzten, Paintball-Geschosse flogen, und Sprite stürmte frontal auf die Wachen zu. Zwei bekamen direkt Farbkleckse ab, Bogey erledigte die dritte. Tank und New Hope nutzten Deckung und Seitenlinien, während die restlichen Wachen, farbbekleckert und konsterniert, die Hände hoben und zurückzogen.
Im Labor warteten zwei Selbstschuss-Drohnen. „Sieht aus, als hätten die ‘ne schlechte Sicht“, murmelte Tank, während Bogey und New Hope die Drohnen beschossen. Farbklekse trafen die Sensoren — die Maschinen fielen in den Standby-Modus. Zwei Zivilisten und die Zielperson selbst, Kuma Lisa, traten hervor.
„Ich brauch Foxybaby! Ohne ihn kann ich nicht raus!“, rief sie theatralisch. Tank verdrehte die Augen, Sprite überprüfte astral die Wachen auf dem Dach, die sich langsam der Treppe näherten.
Keine Zeit zu verlieren. Sie schnappen sich Kuma Lisa und sprinten das Treppenhaus hinunter. Bogey und Tank feuern aus der Deckung, New Hope flankiert, Sprite stürmt frontal und trifft zwei Wachen, während New Hope den dritten von der Seite erledigt. Eine Wache erwischt Bogey – raus aus dem Spiel.
In der Garage stehen Lastwagen wie stumme Zeugen des Chaos. Drei Drohnen spucken Farbkugeln. „Zeit für Fahrstunde!“ ruft Tank und haut auf die Garagensteuerung. Tor hoch, alle huschen hindurch. New Hope schließt es wieder, bevor die Drohnen voll feuern können.
Die letzten Meter zum Zaun sind ein Sprint. Farbspritzer fliegen, Herzschläge rasen. Trainingsszenario abgeschlossen. Kuma Lisa lehnt sich zurück, sarkastisch: „Nur ein totes Teammitglied – guter Schnitt, Runner. Bravo.“
Tank schüttelt den Kopf, Sprite zieht die Hasenpfote aus der Tasche und murmelt: „Chaos hat Stil.“ New Hope und Bogey holen tief Luft. Dann: Abmarsch zum Raum der Spielleiter. Debriefing wartet. Und irgendwo draußen, im neonverhangenen Reinickendorf, flackert das Fuchs-Hologramm, als wollte es sagen: Willkommen im Spiel, Runner. Morgen geht’s erst richtig los.