Feldman hat nicht nur aus der Malerei des abstrakten Expressionismus seine Inspirationen gezogen. Interessanterweise fühlte er sich auch von Teppichen angezogen.
Besonders zu erwähnen sind dabei die Teppiche asiatischer Nomadenvölker. Feldman hat sie gesammelt... in meinen Augen ein Hinweis darauf, dass er in der Musik zwar die Ästhetik der europäischen Tonerzeugung bevorzugte, grundsätzlich aber kulturellen Erzeugnissen anderer Völker gegenüber durchaus aufgeschlossen war. Feldman sagt, was ihn besonders interessiere, sei das sogenannte "Abrash", das diese Teppiche besäßen. Die Wolle für die von diesen Völkern handgewebten Teppiche wird noch in Handarbeit gefärbt, weshalb keine allzu großen Mengen auf einen Schlag hergestellt werden können. Wenn nun für ein und denselben Teppich mehrere Färbevorgänge benötigt werden, um eine ausreichende Menge an Wolle herzustellen, entstehen kleine Farbunterschiede.

Symmetrie, die aber aufgrund der Unvollkommenheit des Menschen nicht ganz symmetrisch ist. Das ist für Feldman ein ganz großes Thema. Er liebte diese kleinen Abweichungen.
Es gibt ein für meine Begriffe faszinierendes Orchesterstück von ihm, das "Coptic Light" heißt. Hier versucht er, mit einem Orchester ein Klangkontinuum zu schaffen. Feldman schreibt von seinen Schwierigkeiten, die besonders darin lagen, dass ein Orchester kein Pedal wie ein Klavier besitze. Er muss das allmähliche Verklingen der Klänge bewusst herbeiführen.
Wenn man sich die Noten für "Coptic Light" anschaut, fällt aber noch etwas anderes auf: Die Partiturseiten bestehen aus unterschiedlichen Mustern, die durchaus optisch erkennbar sind. Die Noten der Streicher im unteren Bereich bestehen beispielsweise aus einem wellenförmigen Muster, die Noten der Holzbläser im oberen Bereich bilden vielleicht eine Ebene, aus der in regelmäßigen Abständen irgendwelche Zacken herausragen. In der Mitte sind die Noten der Blechbläser vielleicht irgendwie rautenförmig angeordnet. Das heißt nichts anderes, als dass Feldman hier auf seinen Notenseiten einen Teppich webt. Die Partitur besteht aus vielen Seiten. Oft werden die gleichen oder ähnliche Muster verwendet. Manchmal aber verändern sie sich auch etwas oder es kommt ein neues Element dazu oder ein altes Element entfällt. Das Stück hat zwar keine Spannungssteigerungen und Auflösungen, aber es verändert sich von Seite zu Seite - von einem Abschnitt des Klangteppichs zum anderen - so wie es im Stoff der Abrash tut.
Ich halte das Stück übrigens für relativ einsteigerfreundlich. Zum einen ist es nur eine knappe halbe Stunde lang, zum anderen ist die Klanglichkeit des Orchesters dermaßen farbig, dass es über offene Ohren leicht zu einer Faszination führen kann. Wenn mich jemand bittet, ein Stück von Feldman aufzulegen und ich weiß, dass er nicht mit seiner Musik vertraut ist, wähle ich oft dieses.
Morton Feldman: Coptic Light