Hier als vorläufig letzter Link zu Musik von Georg Friedrich Händel meine Lieblingsarie von ihm. Sie ist aus der Oper Ariodante. Im Original singt ein Countertenor. Ich habe überhaupt nichts gegen Countertenöre und kenne auch einige Aufnahmen dieser Arie mit Männern, die mir stimmlich sehr gefallen. Trotzdem gefällt mir die unten verlinkte Interpretation am besten. Anne Sofie von Otter singt makellos und erlaubt sich winzige Freiheiten, die mich als Hörer fesseln, aber nie den Ausdruck verändern. Dazu begleitet sie geradezu genial Marc Minkowski und "Les Musiciens du Louvre". Dieses Herzschlagtempo der sehr dezent und gemessen voranschreitenden Instrumentalisten mit diesen kleinen Bebungen auf jedem einzelnen Schlag... das habe ich so nie wieder gehört.
Worum geht´s? Ariodante hat erzählt bekommen, dass ihm seine Braut untreu ist. Dann muss er sehen, dass sie einen Nebenbuhler in ihr Haus einlässt. Ariodante glaubt an Untreue und klagt.
Auch das ist eine Da Capo Arie. Im ersten Teil singt Ariodante, wie unglücklich er ist. Er würde sich am liebsten in sein Schwert stürzen, aber dummerweise hat er es nicht dabei. Im zweiten Teil fantasiert er davon, dass er als Geist aus dem Totenreich zurückkommt um seine Braut zur Rechenschaft zu ziehen. Aber wie es bei diesen Da Capo Arien so ist: Am Ende kehrt er zur anfänglichen Trauer zurück.
Beide Teile sind in einem ähnlichen Gestus gehalten. Auch die Gedanken an Rache sind einfach nur eine andere Facette der Trauer. Ein interessantes Detail gibt es aber zu entdecken. Der Anfangs- und Schlussteil ist sehr statisch. Die Harmonien bewegen sich nur langsam voran, die kleinen Verzierungen treten auf der Stelle und die langgezogenen, sich nur schleppend auflösenden Spannungen der Fagottklänge erzeugen eine Musik kurz vor dem Stillstand: die Musik bildet einen Verlassenen ab, der zugrunde geht. Im Mittelteil (ab 5:31) sieht sich der Klagende schon als Toten... aber irritierenderweise kommt ein wenig Schwung in die Musik! Die Harmonien weiten sich zu größeren Entwicklungen, kleine bogenförmige Bewegungen ziehen sich durch die Streicher und die langgezogenen Töne der Fagotti bleiben aus. Was ist das für ein Leben, das den Toten da erfüllt? Er wird zum Rachegeist und ein wenig Grusel ist angebracht, denke ich, auch wenn auf jegliches aufgesetztes Pathos verzichtet wird. Nach einer guten Minute kehrt die Musik schon wieder zu ihrem Anfang zurück, vertreibt das Grauen und lässt mich vernichtet zurück.
Sterben in Schönheit... warum sollte man sich mit einem hässlicheren Tod zufrieden geben? Zumindest in der Kunst habe ich die Wahl. Ich wähle Händel.
Georg Friedrich Händel: Scherza infida in grembo al drudo (aus der Oper: Ariodante, 2. Akt, Szene 3)
Lustigerweise muss ich manchmal, wenn ich die Arie höre, an die erste Szene von Tarantinos "Jacky Brown" denken. Die Stewardess auf dem Rollband - sie steuert unbeirrbar ihrem Schicksal entgegen ohne auch nur eine einzige Bewegung machen zu müssen. Ich hätte die Händel-Arie als Filmmusik genommen.