Autor Thema: Was hört Ihr gerade so?  (Gelesen 1342012 mal)

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Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17950 am: 1.04.2021 | 18:12 »
Alborosies Debut Album "Soul Pirate" (von 2008, erweiterte Deluxe-Neuauflage gab´s 2015). Schönes, empfehlenswertes Reggae-Album, manchmal eher Roots, manchmal eher Dancehall.

Alborosie stammt ursprünglich aus Italien und ist mit 23 Jahren nach Jamaica gezogen. Noch so´n Europäer, der sein Leben der Musik wegen dorthin verlagert hat.

Alborosie singt neben den üblichen Rastafari Slogans auch "Don't be afraid of diversity, there is no confliction"... und ich freue mich ganz naiv über solche Sätze... da diese Repatriation Idee ziemlich gefloppt ist, muss es vielleicht auf der Insel zu einem Ideenaustausch kommen.

Alborosie: Diversity
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Offline Lyonesse

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17951 am: 1.04.2021 | 18:57 »
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Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17952 am: 1.04.2021 | 22:45 »
Hier noch ein Versuch mit George Jones, diesmal mit der zweiten Tragödie - nach dem Suff kommt die Trennung! 1974 veröffentlichte er das Album "The Grand Tour". Zumindest der Titelsong wird als Verarbeitung oder Abrechnung mit Tammy Wynette gesehen, der Frau (ebenfalls Countrysängerin), von der er sich im selben Jahr trennte.

Im Text wird der Hörer von Jones in seinem leeren Haus herumgeführt und bekommt Zimmer voller Erinnerungen gezeigt. Jones erzählt uns von seinem Arbeitszimmer, in dem ihn seine Frau öfter besucht und geküsst hat, von seinem Schlafzimmer, in dem sich die beiden geliebt haben und schließlich vom Kinderzimmer. Am Ende erfahren wir, dass seine Frau ihn verlassen und das Kind mitgenommen hat.

Die Musik bietet alles auf, was Country ausmacht: Slidegitarre, kirchenchorartige Backgroundsänger, dezentes Honkytonk-Klavier und - vielleicht etwas untypisch - einen Streichersatz, der hier aber einfach ein wenig an Beerdigungen erinnert und die Tragik verdeutlicht.

Die Akkorde sind wie üblich simpel, immerhin fällt aber auf, dass die Tonart nicht ganz eindeutig ist. Der Anfang der ersten Strophe startet in C-Dur und führt nach D-Dur, danach werden die beiden Zentralakkorde im Wechsel verwendet. Die zweite Strophe wird auch noch durch eine Rückung einen Halbton höher eingeleitet. Das Stück ist dadurch in gewisser Weise etwas haltlos und lässt seine geerdete Basis vermissen - vielleicht ein wenig wie Jones selbst.

Insgesamt kann man das kitschig finden, für mein Empfinden ist es zumindest unglaublich dick aufgetragen, aber wer weiß: der Hörer, der im Alltagstrott gefangen ist und gar nichts Aufregendes mehr erlebt, ist vielleicht ganz dankbar für ein paar intensive Momente.

Kleine pikante Anekdote am Rande: Einer der co-writer dieses Songs war George Richey, der Tammy Wynette ein paar Jahre später selbst heiratete.

George Jones: The Grand Tour
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Offline Huhn

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17953 am: 3.04.2021 | 13:46 »
Ich brauche Hilfe. Ich höre seit Tagen (!) dieses fetzige Lied in Dauerschleife und jetzt gibts da noch dieses tolle Cover und ich würd gern was anderes hören, aber es geht nicht.

Amaranthe - Army of the Night

Offline JS

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17954 am: 3.04.2021 | 13:48 »
Dir kann geholfen werden mit noch besserer Musik:
https://youtu.be/keIPYS0ddLE?t=55
 :d
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Offline Huhn

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17955 am: 3.04.2021 | 13:54 »
Jetzt crasht Blade also meine Werwolfparty ... na ob das gutgeht~;D


Offline JS

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17956 am: 3.04.2021 | 14:04 »
Blade hat solch ein Gemosche und Gegrunze gar nicht nötig. Er ist eher Minimalist der Wahren Härte!
https://www.youtube.com/watch?v=lRnrgg6p58w
:D
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Offline Huhn

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17957 am: 3.04.2021 | 14:15 »
Immer dieser Stress. Dabei gehts doch auch ganz entspannt8]

Online Gunthar

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17958 am: 3.04.2021 | 14:21 »
Spieler in D&D 5e: "8 + viel, trifft das?"

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I propose that we rename the game "The One Ring" to become "The Eleven Ring" ;)
Three Rings for the Elven-kings under the sky,
Seven for the Dwarf-lords in their halls of stone,
Nine for Mortal Men doomed to die,
Eleven Rings to roleplay the one...

Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17959 am: 3.04.2021 | 15:03 »
Nun... seit ich keinen Alkohol mehr trinke, kann ich wieder "Tequila" hören.

Ich schaue mir einen Liveauftritt der Champs von 1958 an und gerate ein wenig ins Nachdenken. Wie kommt die Wirkung zustande? Der Song pendelt im A-Teil andauernd zwischen F-Dur und Es-Dur, Stufe I und bVII also, für Rockmusik eher ungewöhnlich. Es kommt keine richtige Schlusswirkung zustande, also auch nichts Zielgerichtetes. Stattdessen pendelt die Harmonik hin und her... vielleicht ganz gut zum Tanzen (ich habe auch eine Einstundenversion von dem Ding entdeckt!).
Dann kommt der B-Teil mit dem "schrägen" Akkord (ein verminderter Septakkord), der nicht weitergeführt, sondern einfach nur aufgelöst wird. Und diese Auflösung ist nun der erste Akkord (F-Dur) einer stinknormalen Schlusskadenz. Es folgt der zweite (G-Dur) und dritte Akkord (C-Dur) dieser Kadenz, dann brüllen alle "Tequila".

Was ist also geschehen? Der Song macht das, was viele Künstler wissen: Wenn du mit irgendeinem (noch so simplen und allseits bekannten) Element größtmögliche Wirkung erzielen willst, dann musst du es vorher aussparen. Wenn es dann endlich zum Einsatz kommt, werden alle so begeistert sein, dass sie unmäßig zu grölen und zu saufen beginnen!

Ich frage mich nur, warum ausgerechnet der einzige Bläser der Vokalist in der Nummer ist.
Er ist Saxophonist, dessen Mikrophon passend für sein Instrument tief eingestellt ist. Warum um alles in der Welt spricht nicht einer der Gitarristen oder der Bassist dieses eine Wort, aus dem der Text besteht? Dieses Rätsel kann ich nicht lösen!

Es lässt sich aber steigern und ich überlege mir, was für zusätzliche Schwierigkeiten man einbauen könnte, wenn man das Stück covert: "Tequila" brüllen auf dem Kopf stehend oder mit übergestülptem Mülleimer oder auf der Toilette sitzend... oder wie in der Muppet-Show statt dem letzten "Tequila" eine Explosion auslösen... oder statt dem letzten "Tequila" sich einfach in Luft auflösen...

Ich denke, jeder sollte sein eigenes Tequila finden.

The Champs: Tequila
« Letzte Änderung: 3.04.2021 | 15:17 von Chiarina »
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Offline JS

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17960 am: 3.04.2021 | 18:03 »
Danke, danke, Frau Huhn... ohne Ihre verlinkte Metalknüppelgrunzerei ( ;) ) wäre ich nicht auf den grandiosgenialen Dark Techno Livestream heute gestoßen. Ich freue mich und höre mit Genuß!
So wurde - wie immer bei Techno - aus etwas Erdigem etwas Göttliches.
 :d
« Letzte Änderung: 3.04.2021 | 18:25 von JS »
Wer gern sagt, was er denkt, sollte vorher etwas gedacht haben.

Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17961 am: 3.04.2021 | 21:25 »
Skillibeng, auch "The Fresh Prince" genannt, ist 24 Jahre alt und wird derzeit als neuer Stern am Dancehall Himmel gefeiert... manchmal sogar als Erneuerer bezeichnet. Sein neues Mammut-Album "The Prodigy" ist 1 3/4 Stunden lang und enthält 35 Tracks. Die Stimme ist durchgehend verfremdet, alle Sounds sind digital erzeugt, 3+3+2-Rhythmen sind relativ dominant, das Patois zentnerschwer und für mich schwer verständlich. Die Vocal Skills des jungen Delinquenten sind bemerkenswert. Der Typ toastet wie ein Maschinengewehr, verliert nie den Flow und alles klingt wirklich, als käme es völlig spontan aus seinem Hirn herausgesprudelt. Insgesamt eine beeindruckende Selfmade-Ghetto-Attitüde, auch wenn ein paar Stars für Gastauftritte herangezogen wurden.

Ghetto sind auch die Lyrics (soweit ich sie verstehe): Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen sind die Texte derart blutgetränkt, waffenverliebt und gewaltlastig, dass ich irritiert mit den Augen zwinkern muss. Ist es das Establishment, das hier abgeknallt wird? Noch nicht ´mal das kann ich erkennen. Es ist in meinen Augen die bloße Faszination der Gewalt. Ja, das ist "wicked", ich stimme zu, begeistern kann mich das allerdings nicht. Vielleicht bin ich zu alt dafür.

Ghetto sind auch die dazugehörigen Videos. "Brand new gun" besteht aus einem Zusammenschnitt von Shootouts aus irgendwelchen jamaicanischen Action Filmen, "Not" zeigt eine Underground Party (Frauenanteil 0%), bei der sich die Teilnehmer heiß machen für die nächste Fahrt mit Waffen durch die Stadt, zwischendrin werden ein zerfallender Totenschädel und der Anfang des Matthäus-Evangeliums (?) eingeblendet, "Bin Laden" (zentrale Aussage: "Mi love war like Bin Laden") zeigt einen Gang War mit Massen von Toten (um den Clip sehen zu können, muss man seine Volljährigkeit belegen, ich verlinke lieber "Not").

Wenn´s nicht um das AK geht, und alles das, was man damit so machen kann, dann geht´s auf dem Album um Sex... und da geht es leider ähnlich gewalttätig zu.

In einem Interview hat Skillibeng behauptet, das, was er da macht, sei "Cinema for the ears". Sind wir also nur in einem Action Film gelandet? Skillibeng bestätigt allerdings auch: die Tracks "reflect the reality of certain youths in the streets of Jamaica circa 2020".

Für eine Einschätzung der Musik ist mir der Realitätsgehalt eigentlich auch ziemlich egal. Ich habe auch gar nichts gegen Gewaltdarstellungen in der Musik. Hier allerdings sehe ich keinerlei Reflexion und auch keinerlei Vision, stattdessen brodelt eine ziemlich kranke Blutsuppe vor sich hin. Ich hätte mir für die Zukunft des Dancehall gern eine lebensbejahendere Attitüde gewünscht. Vielleicht gibt´s ja auch noch ein paar Alternativen.

Skillibeng: Not
« Letzte Änderung: 3.04.2021 | 21:27 von Chiarina »
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Offline Ayou

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17962 am: 5.04.2021 | 11:28 »
Smash Into Pieces - Bangarang

Ich möchte dazu gar nicht so viel sagen, weil ich nicht so wortgewandt, oder auskennend in Musik bin wie meine Vorredner.

Aber ich finde der Song macht einfach gute Laune. Das Video dazu tut sein übriges.  ^-^
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Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17963 am: 5.04.2021 | 17:13 »
Eine letzte Nummer von George Jones. Ende der Siebziger wurde es still um ihn, dann veröffentlichte er 1980 mit „I am what I am“, ein Album, mit dem er noch einmal einen letzten großen Erfolg hatte (Jones hat noch bis 2008 Musik gemacht).

Der größte Hit auf dem Album war „He stopped loving her today“. Ein ganz simpler Country-Song, der von vorn bis hinten einfach nur auf den drei sattsam bekannten Kandenzharmonien beruht (in diesem Fall G-C-D).

Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der sich von seiner Frau trennt, ihr aber sagt, dass er sie immer lieben wird. Sie hingegen sagt, er wird sie irgendwann vergessen. Nun wird erzählt, wie er Erinnerungsstücke von ihr aufbewahrt, unter anderem ihre Briefe, in denen er jedes „I love you“ rot unterstreicht. Es wird auch erzählt, wie der Mann an seinem Liebeskummer quasi wahnsinnig wird und leidet. Der Moment, an dem er sie zu lieben aufhört (siehe Songtitel) ist der Tag, an dem er stirbt. Er wird beerdigt und sie erscheint zur Beerdigung. Der Mann aber trägt zum ersten Mal seit langen Jahren einen heiteren Gesichtsausdruck und es heißt, dass er im Tod seine Liebe endlich überwunden habe.

Eigentlich gibt es nur zwei erwähnenswerte musikalische Ausdrucksmittel: In dem Moment, wo deutlich wird, dass es sich um keine einfache Trennung handelt (wenn er die „I love you“-Passagen aus den Briefen rot unterstreicht) rücken die Harmonien um einen Halbton aufwärts, wodurch die Intensität im Ausdruck etwas steigt. Die Strophe über den Moment, an dem er sie zu lieben aufgehört hat, erklingt zweimal… eine Art Refrain, wenn auch die Melodie sich von den anderen Strophen kaum unterscheidet. Hier jedenfalls sind auffällige Streicherläufe zu hören, die aufwärts streben… vielleicht folgen sie der Seele des guten Mannes in den Himmel.

Ja, es ist ein trauriger Song und alle Instrumente scheinen in die Trauer einzustimmen: Die Slide-Gitarre schluchzt, die Mundharmonika hat den Blues, das Schlagzeug beschränkt sich lange Zeit pietätvoll auf ein paar dezente Rim-Clicks, gegen Ende weint eine Backgroundsängerin auch noch ein paar Fill-Ins. Wenn von der Beerdigung die Rede ist, hört Jones auf zu singen und spricht. Vom zu späten Erscheinen der Geliebten wird zwar berichtet, Emotionen bekommt sie aber keine mehr – er ist ja auch bereits verstorben und ist damit endlich über die Sache hinweg. Der letzte Refrain dreht dann ein bisschen auf – es darf nun mitgeweint werden, könnte man meinen.

Und warum nicht? Sicherlich ist der Song superpathetisch, die Musik ist einfach gestrickt und sehr aufdringlich, aber bei bestimmten Menschen entfaltet sie offenbar eine Wirkung. Ist Rührung etwas Schlechtes? Steckt nicht sogar ein wenig Katharsis in diesem Song? Ein wenig Georg Büchners "Lenz" für Arme?

George Jones: He Stopped Loving Her Today
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Offline 6

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17964 am: 6.04.2021 | 11:32 »
Lienne - Borderline
Die Stimmung des Liedes kommt gerade recht. Und dazu 3/4-Takt.
Echt gerade perfekt. :)
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Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17965 am: 6.04.2021 | 12:32 »
6 hat vor einiger Zeit mal eine etwas neuere Ornette Coleman Nummer hier eingestellt. Das ist ein Mann, den ich immer ein wenig in Auge und Ohr habe, über den ich aber nach seiner Free Jazz Zeit in den 60ern nicht viel weiß. Nach dem Link von 6 bin ich irgendwann auf "Sound Grammar" gestoßen, ein Ornette Coleman Album aus dem Jahr 2005/6. Coleman hat für das Album sogar den Pulitzer-Preis bekommen (ich wundere mich, wofür man alles einen Pulitzerpreis bekommen kann).

Es ist eines seiner letzten Alben überhaupt (Coleman ist 2015 gestorben) und insofern interessant, weil der Mann hier nochmal ein paar neue Eigenkompositionen vorgelegt hat. Das Album ist aber trotzdem eine Liveaufnahme (von einem Konzert aus Ludwigshafen).

Ähnlich wie bei Keith Jarrett sehe ich auch bei Ornette Coleman eine Kontinuität zwischen seinen früheren Alben und diesem Spätwerk. Die Themen sind bei ihm meistens kurz, knackig und bizarr, die Instrumentation ist unkonventionell (er spielt hier hauptsächlich Saxophon, manchmal auch Geige und Trompete, dazu kommt ein Schlagzeuger und zwei (!) Bässe), die Improvisationen sind immer noch sehr frei. Dabei macht Ornette Coleman auf seinen Instrumenten gar nichts allzu Aufregendes. Weil er aber kein Harmonieinstrument in der Band hat, wirkt die Musik nackt und verletztlich. Jeder Ton scheint viel bedeutsamer, wenn er nicht durch irgendwelche Akkorde in irgendeinen Zusammenhang gestellt wird. Ich höre auch, dass der eine Bass gestrichen und der andere gezupft wird. Die Rolle des gestrichenen Basses ist dabei hochspannend, denn er wird variabel eingesetzt. Manchmal erzeugt er Glissando- und Tremoloklänge und sorgt für ein tiefes Grummeln. Dann liefern die beiden Bässe so eine Art doppelte Grundierung zu der Ornette dann als einziger Melodiespieler hinzukommt und hin und wieder in einen Dialog mit dem Schlagzeuger tritt. Manchmal übernimmt der gestrichene Bass aber auch die Rolle eines zweiten Melodieinstrumentes. Dann ändert sich die Balance zwischen den Beteiligten und es ergeben sich eher Dialoge zwischen Ornette und dem gestrichenen Bass.

Im Track "Once Only" liegt zunächst die zweite Situation vor. Zu Beginn dominiert der gestrichene Bass und spielt das Thema in Form von gefühlvollen Linien, der andere Bass begleitet, der Schlagzeuger liefert dazu ein paar Akzente. Ab 1:12 kommt Ornette dazu. Es ist eindeutig zu hören, dass er auf die Linie des gestrichenen Basses antwortet, ja, dessen Thema fast imitiert. So entsteht ein kleines espressives Duett. Etwa ab 1:45 löst sich Ornette vom Bassisten. Das ist der Moment, an dem wohl üblicherweise von einem Solo gesprochen werden könnte. Bei aller Freiheit enthalten Ornettes Linien immer wieder ein paar altbekannte Versatzstücke - so als taumelten ein paar traditionelle Wendungen durch seinen Kopf, die sich zwanglos zum freien Geschehen dazugesellen, dann aber schnell wieder verabschieden. Was der gestrichene Bass während dieses Solos macht, ist interessant zu verfolgen. Mal liefert er Liegetöne, mal liefert er Klangeffekte, mal liefert er eine Gegenstimme zu Ornettes Solo. Das Solo beinhaltet übrigens durchaus Kontraste und Brüche. Es ist nicht eine Steigerung oder konturlose Virtuosität, wie es im Jazz manchmal zu hören ist. Ornette schlägt Haken, spielt schräges Zeug, denkt an alte Melodien, erzeugt einen Kontrast, spielt ein wenig mit Überblastechniken, bleibt auf alle Fälle stets risikobereit und unvorhersehbar. Um 7:02 ist das Solo vorbei und das Stück endet, wie es begonnen hat: Ornette tritt zurück, es erklingen wieder die Linien des gestrichenen Basses, die diesmal ein bisschen mehr Bluesfeeling aufweisen und in eine Passage mit Doppelgriffen münden. Ab 8:32 gesellt sich Ornette wieder dazu, imitiert den gestrichenen Bass und führt das Stück zum Schluss.

Es gibt noch viel zu entdecken (zum Beispiel den gezupften Bass, der schwerer zu durchschauen ist), vielleicht genügen aber meine Beobachtungen, um zu verdeutlichen, wie spannend ich diese Musik finde (viel spannender als Keith Jarrett Konzerte beispielsweise).

Ornette Coleman: Once Only
« Letzte Änderung: 6.04.2021 | 12:42 von Chiarina »
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Offline 6

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17966 am: 6.04.2021 | 13:02 »
@Chiarina: Danke für den Tipp und die Beschreibung. :d
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Online Mister Kitten

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17967 am: 6.04.2021 | 13:45 »
https://www.youtube.com/watch?v=Y-B0lXnierw

Danger-Dan - Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt

@Grinder
Ich bin sonst nicht so der Antilopen-Fan, aber der Song hat mir sehr gut gefallen.

Gerade bei mir- Ebola - Avening the Dead; 90s Powerviolence/Crust, blöder Bandname, top Song, mit ein paar unerwarteten Wendungen: https://www.youtube.com/watch?v=5yZe0n-3HRQ


Ecowarmachine

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17968 am: 8.04.2021 | 15:46 »
https://youtu.be/BYmFtDPQgrU

Dödsrit - Shallow Graves

Online Mister Kitten

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17969 am: 8.04.2021 | 16:29 »
https://youtu.be/BYmFtDPQgrU

Dödsrit - Shallow Graves

Sehr schöne Wahl, die neue Single hatte ich noch gar nicht zur Kenntnis genommen.

Bei mir läuft heute Arde: https://www.youtube.com/watch?v=SfNLGAbxdWo

Offline Chiarina

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17970 am: 8.04.2021 | 18:25 »
Jan Johansson, der Mann, der in den Sechzigern eine recht individuelle Art von Jazz in Schweden etablierte (er hat übrigens auch die Titelmelodie von Pippi Langstrumpf geschrieben). Leider ist er 1968 bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Ein paar Platten gibt es von ihm, auf denen er Volksmusikmelodien verjazzt: am bekanntesten ist die mit schwedischen Melodien (Jazz på Svenska), auch noch sehr schön ist die mit russischen Melodien (Jazz på Ryska). Die meisten Stücke sind getragen, sanft und zurückgenommen, ihre Einfachheit rührt mich oft an. Vielleicht, weil hier jemand gar nicht erst versucht, sein Können unter Beweis zu stellen, sondern einfach diese kleinen, bescheidenen Melodien für sich sprechen lässt.

Hier je ein schönes Stück der beiden Alben:

Jan Johansson: Visa Från Utanmyra (aus: Jazz på Svenska)

Jan Johannson: Jag Broderade Till Gryningen (aus: Jazz på Ryska)
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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17971 am: 8.04.2021 | 21:45 »
Motorpsycho aus Norwegen ist meines Erachtens eine extrem unterbewertete Combo. Die *meistens* drei Männer liefern seit 1990 zuverlässig gute Rockalben zwischen Sabbath-artigem Metal mit Garage Sound, epischem Space Rock und an die 60s angelehntem Retro-Psychedelic ab, meist kombiniert mit einer Prise proggiger Komplexität und in den letzten Jahren vermehrt mit jazzigen Einflüssen. Die Komplexität der neueren Outputs lässt sich dabei auf dem Debut nur erahnen. Lobotomizer ist vor allem eine Sammlung von Bratzgitarrenriffs, garniert mit rotzigem, noch nicht wirklich ausgereiftem Gesang. Der verlinkte Song wartet auch mit einem hammergeilen Riff auf, das so direkt aus der Feder von Tony Iommi stammen könnte. Spaß macht's in jedem Fall, und es ist spannend, die Entwicklung der Band bis zu den Meisterwerken The Death Defying Unicorn und Here be Monsters zu verfolgen.

Motorpsycho - Hogwash
« Letzte Änderung: 8.04.2021 | 21:49 von Crimson King »
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17972 am: 9.04.2021 | 09:02 »
Ich konnte mir jetzt mal das von Chiarina verlinkte Coleman-Stück anhören. Das finde ich in der Tat sehr spannend. Coleman steht auf meiner Prioritätenliste eigentlich nicht so weit oben, aber ich muss das ggf. mal ändern.

Gibt einfach viel zu viel gute Musik.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17973 am: 10.04.2021 | 22:40 »
Hier ein wenig Theatermusik... bei der ich oft das Gefühl habe, dass mir etwas fehlt, wenn ich nicht weiß, was dazu auf der Bühne geschieht.

...aber Jóhann Jóhannsson ist schon etwas Besonderes. Für das Drama Englabörn legt er über eine regelmäßige Folge von zehn Harmonien mit absteigendem Bass einen gebrochenen Dreiklang, der erst am Schluss ein wenig in Bewegung gerät... und gleich wieder erstarrt.

Dieses Gerüst wird den gesamten Film über immer wieder neu variiert und instrumentiert. Ohne Dramenhandlung und nur gehört ergibt sich eine Variationsreihe, die für mein Empfinden auch allein als Musik Bestand haben kann.

Der Text ist übrigens ein Gedicht von Catull:

Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris:
Nescio, sed fieri sentio et excrucior.

(Ich hasse und liebe. Vielleicht fragst du, warum ich das tue:
Ich weiß es nicht, aber spüre es so und ich quäle mich ab.)

Hier das hübsche Thema mit kleinem Geigensolo im Mittelteil:

Jóhann Jóhannsons: Odi et amo
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Offline Grey

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Re: Was hört Ihr gerade so?
« Antwort #17974 am: 12.04.2021 | 12:23 »
"La Valse" von Maurice Ravel. Ich liebe dieses Stück! Formal erfüllt es alle Anforderungen an einen Walzer, aber "mal eben" darauf zu tanzen ist praktisch unmöglich. Es liegt immer eine Nuance neben der festlichen Stimmung eines Balls und wirkt dadurch (zumindest auf mich) richtig creepy. Wenn ich jemals eine Horror-Runde leite, bei der die SCs auf einem Ball das Gefühl haben sollen, dass "irgendwas ganz schrecklich falsch" ist, wird das mein Soundtrack. >;D
Ich werd' euch lehren, ehrbaren Kaufleuten die Zitrusfrucht zu gurgeln!
--
Lust auf ein gutes Buch oder ein packendes Rollenspiel? Schaut mal rein! ;)