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[empfehlt mir...] Ein System für detaillierte Mittelalterkämpfe
Pyromancer:
Der Kampf Person gegen Person ist etwas völlig anderes als der Kampf Heer gegen Heer. Was man schon daran sieht, dass Heere sehr selten mit dem in allen Belangen überlegenen Kampfstab ausgerüstet wurden.
Funktionalist:
--- Zitat von: Pyromancer am 28.10.2010 | 14:20 ---Der Kampf Person gegen Person ist etwas völlig anderes als der Kampf Heer gegen Heer. Was man schon daran sieht, dass Heere sehr selten mit dem in allen Belangen überlegenen Kampfstab ausgerüstet wurden.
--- Ende Zitat ---
;D
Ja, man könnte meinen, dass ein Speer ohne Spitze gefährlicher ist als mit.
@topic
Messer waren und werden immer Waffen des Hinterhaltes bleiben. Es ist dann am effektivsten, wenn es ungesehen zum einsatz kommt. Heimlich gezogen und 20-100Mal schnell zugestochen, ohne dass große Gegenwehr möglich wäre, da mit einem unbewaffneten Gegner gerechnet wurde.
Die Situation, in der das Messer gegen einen Stab gewählt wird, ist wahrs. die, in der der Stab noch als Wanderstab benutzt wird. Der Selbstverteidigungsfall würde dann eher so aussehen, dass der Messerkämpfer sich gegen den Stabkämpfer verteidigen muss. Und dann hat er nur eine Waffe mit miserablen Defensiveigenschaften (Hat das Messer einen Käfig oder Parierstangen wie eine Main Gauche oder ein Trenchknife schaut die Sache schon anders aus...) und einem doch recht hohen Offensivpotenzial in der richtigen Entfernung. Kann der Gegner nur nach inten zurückweichen, verbessern sich nocheinmal die Möglichkeiten, siehe Schützengräben, wobei hier oft auch Knüppel und Morgensterne gebastel wurden. Die Überlegenheit scheint also nicht so stark gegeben zu sein..
Es ist und bleibt eine unglaublich häßliche und widerliche Angelegenheit. Ein Messer als Waffe ist in seiner Verwendung und Wirkung hinterhältig, extrem blutig, persönlich und durch die Unzahl an üblichen Stichen eine Waffe, die dem Tötenden eine klare Absicht abverlangt. Immerhin steht man Brust an Brust und Mund an Ohr...
Bei dem Gedanken allein wird mir schlecht. Ich will diesen Aspekt beim Rollenspiel gar nicht simulieren.
milktoast:
--- Zitat von: Pyromancer am 28.10.2010 | 14:20 ---Der Kampf Person gegen Person ist etwas völlig anderes als der Kampf Heer gegen Heer. Was man schon daran sieht, dass Heere sehr selten mit dem in allen Belangen überlegenen Kampfstab ausgerüstet wurden.
--- Ende Zitat ---
Speere/Stangenwaffen waren wohl die verbreitesten Waffen. Und eben wegen ihrer Reichweite überlegen.
Und den Reichweitenvorteil verliert man auch 1:1 nicht (Sonst wäre eine Helebarde nicht die typische Wächterwaffe), mal abgesehen davon das 1:1 der Sonderfall ist und nicht n gegen n.
OldSam:
--- Zitat von: Falcon am 28.10.2010 | 12:03 ---das die Psychologie eine Rolle spielt, finde ich schon wichtig. Davon hängt ja wohl 80% des Kampfausgangs ab.
--- Ende Zitat ---
Psychologie ist auf jeden Fall ein zentraler Faktor im Kampf, beim RPG allerdings eine problematische Sache , da entsprechende Regeln hier direkt in die Entscheidungsfreiheit der Spieler eingreifen, was vielfach unerwünscht ist...
Eine Einflussbewertung wie "80% des Kampfausgangs" geht allerdings am Thema vorbei!
IMHO ist der psychologische Einfluss eher deterministisch zu sehen, d.h. es geht also um eine Beeinflussung des taktischen Kampfverhaltens und weniger um Auswirkungen auf die Effektivität jenen Handelns. Wenn jemand z.B. aggressiv wird, führt es tendenziell zu einem offensiveren Kampfstil, aber die Umsetzung kann auch ziemlich amateurhaft sein und zum eigenen Untergang führen. Auf der anderen Seite könnte IRL ein technisch sehr guter Kämpfer Angst kriegen und trotz theoretischer (aber nicht subjektiv empfundener) Überlegenheit den Rückzug suchen - es wird nur meist schwierig sowas einem Spieler abzuverlangen...
--- Zitat von: Falcon am 28.10.2010 | 12:03 ---Im Endeffekt geht es bei dem Artikel ja auch weniger um richtige Kampfstile mit "coolen, stylischen Manövern", wie sich das hier manche so offenbar vorstellen, sondern um wildes aufeinander einstechen. ... Ich gehe davon aus, daß die meisten Kampfstile darauf ausgelegt sind den anderen zu verletzen, ohne selbst verletzt zu werden ...
--- Ende Zitat ---
Es geht nicht um "stylische Manöver", sondern um den effektiven Einsatz bestimmter Waffen. Ein wildes "Hauen&Stechen" kommt zwar oft vor, steht aber im Kontrast zum professionellen Kämpfen in der richtigen Waffendistanz. Es gibt zwar viele versportlichte Kampfstile, aber das "Ziel" selbst nicht verletzt zu werden hat nichts damit zu tun, sondern ist einfach gesunder Menschenverstand. In praxistauglichen angewandten Stilen ist man sich daher auch bewusst, dass eine hohe Chance da ist, trotzdem verletzt zu werden, aber das ändert nichts daran, dass man grundsätzlich eine bestmögliche technische Ausführung anstreben sollte (also auch mit richtiger Distanz u.ä.) , da es im Realfall meist eh nochmal "unsauberer" wird...
IMHO ist der Artikel übrigens grundsätzlich ganz gut, bleibt aber überwiegend auf einem abstrakten und unspezifischen Level, d.h. vieles was da reininterpretiert wird steht gar nicht so direkt drin.
Ein Gegensatz zwischen Zeitkampf und Schlacht ist auf jeden Fall auch ein wichtiger Betrachtungsunterschied, da sich auf einem gedrängten Schlachtfeld mit verschiedensten Gegnern um einen herum, vielleicht auch mit Berittenen usw., eine gänzlich andere taktische Lage auftut, als z.B. in einem halbwegs übersichtlichen Kampf auf nem freiem Platz. In der Heeresschlacht ist halt weder für Langwaffen der Platz den Raum in der Breite zu kontrollieren, noch könnte ein Fechter viel Bewegung nutzen. Da wird dann mehr mit Hauen&Stechen in der Masse vorgerückt, aber solche Fußsoldaten brauchen eben auch technisch nicht allzu gut sein, sondern werden verheizt.
Im feudalen Japan z.B. standen die Samurai ja auch nicht vorne in dieser Reihe von "Opfern", sondern das waren eben die Bauern.
Sixt:
Zitat aus dem verlinkten Artikel:
"Generell ist zu sagen, dass man mit stumpfen Waffen oder unbewaffnet keinen entschlossenen Angreifer davon abhalten kann, in die Nahdistanz zu kommen, man ihn sich also nicht vom Leib halten kann! Ist der Angreifer mit einer Klinge bewaffnet ist dies natürlich fatal, da hier nur Abstand vor Treffern schützen kann."
Das ist natürlich Unsinn, zumindest für den Teil "stumpfe Waffen". Wie hier auch schon dank common sense festgestellt, hängt das von der Art der stumpfen Waffe ab. Im Kopf des ETF-geschulten Verfassers stand offensichtlich der Rattanstock Pate bei dieser Aussage, der aber in den philippinischen Systemen eine TRAININGSwaffe darstellt, um sich nicht beim Üben gegenseitig schwer zu verletzen. Letztlich ist nicht nur die Länge ausschlaggebend für die Schadenswirkung einer Waffe, sondern vielmehr das Gewicht, Materialbeschaffenheit und Form - der berühmte Flatstick unterscheidet sich in der länge nicht von einer Trainingswaffe, aber er bricht Knochen:
http://traditionalfilipinoweapons.com/GiroIronwoodSticks.html
In unseren Breiten nehme man einen Baseballschläger oder ein Eisenrohr als Vergleich. Und da der Wunsch nach eigenen Erfahrungen aufkam: Ich habe einen Schüler im Sparringskampf mit einem Rattanstock so hart durch den Eishockeyhandschuh an der Hand erwischt, dass er den Kampf abgebrochen hat. Das passiert bisweilen mal, ist in dem Falle aber bemerkenswert, weil der Mann als Mitglied des KSK in Afghanistan war und ungefähr das ist, was man weitläufig als "krasse Sau" bezeichnet. Ebenso war ich bereits Zeuge, wie bei einem Kampf durch den Eishockeyhandschuh ein Splitterbruch im Daumen verursacht wurde. Wohlgemerkt: Mit leichten Rattanstöcken.
Das Problem: Umgekehrt hab ich solche Stöcke schon mit voller Wucht Leuten auf die Schulter gehauen, und die sind trotzdem in mich reingeprescht, so dass es zum Ringkampf kam. Will meinen, die Wirkung einer Waffe ist extrem schwierig abzusehen.
Das gilt übrigens auch für scharfe/spitze Waffen. Ich habe glaubhafte Berichte von Polizisten, die einem Flüchtigen nach dem Einstecken einiger Faustschläge hinterhergerannt sind, um dann bei der Verhaftung zusammenzubrechen: Die Faustschläge hatten sich als im Dunkeln unerkannte Messerstiche herausgestellt.
Einerseits müsste also ein tatsächlich realistisches Kampfsystem der Tatsache Rechnung tragen, dass die Schadenswirkung einer Waffe von Treffer zu Treffer extrem unterschiedlich sein kann, vollkommen egal, ob Hieb, Stich, stumpf, scharf oder undsoweiter.
Zweitens, und hier kann ich nur den Artikel von John Clements unterstreichen, macht die generelle Ausbildung als Kämpfer den entscheidenden Unterschied. Die wichtigen Grundattribute werden unabhängig von der Waffe geschult und sind dem Trainierten zu Diensten, egal, was er in der Hand hält. Umso mehr, als die heutige Trennung in unterschiedliche Disziplinen (Boxen, Ringen, Fechten usw.) ja ein Produkt der Versportlichung von Fechtsystemen ist, die sich historisch nirgendwo, und wirklich nirgendwo findet, wo es um den tatsächlichen Kampf und Selbstschutz geht. Natürlich kann psychische Prädisposition (Verzweiflung, Wut, Wahnsinn) eine Menge an Training wettmachen, aber Achtung: Nur dort, wo es um das Verletzen des Feindes geht. Der rote Schleier vor den Augen ist nicht hilfreich für den Selbstschutz, der in diesem Falle höchstens dadurch gewährleistet wird, dass der Gegner umfällt, bevor er gefährlich werden kann.
Drittens ist mir kein RSP-Kampfsystem bekannt, dass den Vorteil des plötzlich zuschlagenden, skrupellosen Angreifers realistisch bemisst. De facto wird ein Kampf nicht in dem Moment entschieden, da die erste Faust fliegt, sondern in der Vorbereitung, der taktischen Positionierung, der Bereitmachung der Waffen usw. Es ist gut, wenn der einzelne Soldat mit dem Gewehr gut zielen kann; aber letztlich gewinnt der Feldherr, der seine Armee klüger zu manövrieren weiß. Hier sollte der Speilleiter ansetzen, wenn er Realismus will: Der geschulte Krieger, aber auch der abgebrühte Gassenjunge riecht den Braten, wenn die Lage sich zuspitzt, und hat vielleicht noch Chance zu reagieren, wenn die Ersten schon vom Messer getroffen wurden.
Viertens wird die Psychologie ohnehin völlig vernachlässigt, was die Orientierung im Kampf betrifft. Der gelehrte Schreiberling, der bei seinem ersten Kampf dem einen Ork ausweicht, dann geschickt mit der Öllampe nach der Mumie wirft und zuletzt dem plotwichtigen Händler den Heiltrank verabreicht - genau hier fehlt der Realismus im Rollenspiel, nicht bei der Berechnung des Schnittschadens durch eine Lederrüstung. Menschen - selbst trainierte Menschen - die kämpfen, tendieren dazu, in den Tunnel zu rasen. Der Überblick ist das erste, was auf dem Schlachtfeld (oder, aus eigener Erfahrung, im Boxring) flöten geht, weshalb es übrigens auch Heerführer gibt. Ein Mitglied einer Polizeispezialeinheit sprach z.B. vom "Panikmagazin" bei Schießereien: Wenn es erst losgeht, werden die ersten 13 (oder wieviel auch immer) Schuß rausgeballert ohne Sinn und Verstand - weil Körper und Geist selbst von Hochtrainierten so unter Stress geraten.
Fünftens scheint mir jede starre Abfolge festgesetzter Schlagwechsel totaler Quatsch, DSA mit seinem AT-PA-System ist hier das Paradebeispiel. Wiederum stimme ich Clement zu: Die Spieler und der SL sollten dynamisch beschreiben, was passiert, und das versucht man dann, irgendwie in Gewürfel zu übersetzen. Denn hier halte ich nach wie vor mit Ulrich Kiesow: Das Wort des Meisters ist Gesetz.
Sechstens, und hier noch ein Punkt für die Regelmechanismen: Ich kenne ebenfalls kein RSP-System, das die Bedeutung der Distanzarbeit, vulgo footwork, im Kampf in seiner Bedeutung erfasst. Hier würde ich als erstes ansetzen, wenn ich meine Kämpfe realistisch gestalten wollte. Man sehe sich einen Boxkampf an, oder eine Partie im Degenfechten, oder auch so etwas hier:
http://www.youtube.com/user/DBMAVIDS#p/a/u/0/nTKqYkvmdkU ,
was auch ab 2:20 die eingangs diskutierte Frage mit dem Eintreten in die Nahdistanz beantwortet. Die Kontrolle der Distanz ist der Schlüssel zum Sieg. Deshalb ist auch die Trennung zwischen Ausweichen und Parieren, wie sie viele RSP praktizieren, vollkommen künstlich - die Grenzen verschwimmen hier komplett: Ich weiche zurück und greife gleichzeitig die Waffenhand des Gegners an, der mich angreift; ich schlage in den Schlag des Gegners, folge meiner Waffe und versuche, einen Winkel zu schaffen, aus dem ich kontere; ich verlagere das Level des Kampfes, indem ich direkt in die Beine des Gegners springe, und kümmere mich nicht, was seine Waffe oben macht. Natürlich kann man all diese Manöver durch irgendwelche beknackt unhandlichen Sonderfertigkeiten abhandeln; der Trick ist, dass sie keine Sonderfertigkeiten sind, sondern die eigentlich entscheidenden Kampfmanöver, die das Herz des Kämpfens ausmachen. Voreinanderstehen und links-rechts-Vorhand-Rückhand schlagen, das ist das kleine Einmaleins, dass aber ungefähr nie einen Erfolg erzielt, solange beide Beteiligten halbwegs trainiert sind. Deshalb denke ich derzeit über einen Regelmechanismus nach, der alle Aktionen im Kampf zweiteilt: Bei einem gleichzeitigen Wurf zweier Würfel entscheidet der eine, ob das gewünschte Positionsmanöver gelingt, der andere, wie gut ich meine Waffe selbst einsetze. Aus dieser einfachen Entflechtung heraus lassen sich eine Unzahl von möglichen Kampfabläufen denken, die einerseits ein entscheidendes Mehr an Realismus bieten könnten, andererseits den Spielern eine taktische Freiheit bieten, die ich sonst bisher stets vermisst habe. Evt. wäre nun noch eine Kombination mit dem aktiv/passiv-Modus à la TROS möglich, dann würde das Ganze noch abgefahrener. Leider hatte ich bisher noch keine Zeit, die Idee auszuarbeiten und zu testen - sollte es je soweit kommen, poste ich meine Erfahrungen.
Zu allerletzt muss ich aber eines sagen: Ich glaube ich nicht, dass es überhaupt möglich ist, Kämpfe im Rollenspiel wirklich realistisch und mit Spaß für alle Beteiligten darzustellen. Ist aber auch nicht nötig; wenn mein Spielleiter unsere Kämpfe vor den Mauern von Troja beschreibt, begeistert mich das, Realismus hin oder her. Und darum gehts doch irgendwie.
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