Pen & Paper - Spielsysteme > Systemübergreifende Themen
[Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Terrorbeagle:
Ich hab geraten. Unsichtbare Schildkröten als Entschuldigung für Ungeschicklichkeiten oder dergliechen kenne ich allerdings außerhalb des Rollenspiels, bei meiner recht überschaubaren MERS-Karriere sind sie mir glaub ich bisher noch nicht untergekommen.
Terrorbeagle:
So, fangen wir mit dem Urgewächs an - MERS (oder MERP, im Fall der Englischen Version), ein Rollenspiel, dass sich mit GURPS den besonderen Umstand teilt, dass der Name nach Onomatopoeia klingt. MERS (Kurz für MittelErde RollenSpiel kam ursprünglich anno '84 heraus, das Spiel wurde bis '99 verlegt, als auf Grund der Herr der Ringe Verfilmung die Lizenz neu verhandelt wurde. Ich meine mich zudem zu entsinnen, dass es auch vorher schon immer mal wieder Lizenzprobleme zwischen Iron Crown Enterprises, dem Verleger des Spiels, und dem Tolkien Estate gab, da die MERS-Produkte immer mal wieder Informationen oder Vorgaben beinhielten, die nicht von der Lizenz abgedeckt waren (wie die Unfinished Tales und insbesondere das Silmarillon) bzw. die Rollenspielautoren wohl manchmal etwas zu kreativ waren, was die Settingauslegung anging und Dinge hinzudichteten. Nichtsdestotrotz war/ist MERS mit so pi mal Daumen 2 Millionen verkauften Exemplaren (weltweit) ein ziemliches Rollenspielschwergewicht, wobei diese Zahlen natürlich auch etwas der Zeit ihrer Erscheinung geschuldet sind.
Die Regeln von MERS sind eine ans Setting angepasste und vereinfachte/verkürzte Version der Rolemaster-Regeln. Normalerweise gilt ja die Faustregel, dass vereinfachte, heruntergebrochene Regeln von an sich komplexen Systemen gegenüber dem Original sehr viel verlieren und vor allem kleiner,beschränkter und unscheinbarer sind. Ich persönlich glaube, dass Rolemaster/MERS in der Hinsicht eine wichtige Ausnahme darstellt (was aber auch daran liegen kann, dass Rolemaster ziemlich anstrengend ist und ungemein viel Redundanz beinhaltet); die bereinigte Form der Regeln bei MERS sind zwar nicht unbedingt elegant, aber okay (im Sinne von "nicht so furchtbar anstrengend wie es die Rolemaster-Vorlage vermuten lässt"), wobei die Präsentation und Darbietung der Regeln in der erwähnten Übersetzung der 2. Edition echt schauerlich ist und die Regeln eine ganze Ecke arkaner und unzugänglicher macht, als sie eigentlich zu sein brauchen.
ich habe als erstes die Deutsche Übersetzung der 2. Edition (von Queen Games) bespielt, und die Regeln seinerzeit gehasst, weil ich sie a) zu tabellenlastig und b) völlig unverständlich fand. Erst nachdem ich per Zufall mal die Erste Edition erhielt, haben sich mir die Regeln erschlossen. Effektiv funktionieren die so: Charaktere haben Eigenschaften, die per W100 bestimmt werden; je höher der Eigenschaftswert, desto höher der Eigenschaftsbonus. Zudem gibt es für jedes Volk noch einen weiteren Eigenschaftsbonus; die Boni werden zusammengerechnet, bei Fertigkeiten kommen noch zusätzliche Boni für den jeweiligen Beruf (das MERS-Äquivalent zur Klasse) und die Stufe der Fertigkeit dazu (in 5% Schritten gemessen). Der ganze Kladeradatsch wird dann zusammengerechnet und als Bonus bei den eigentlichen Proben verwandt, bei der logischerweise noch zusätzliche Boni oder Mali ; die werden mit einem W100 gewürfelt, der entsprechende Bonus/Fertigkeitswert usw. dazu addiert und dann wird das Gesamtergebnis mit einer Tabelle verglichen, aus der hervorgeht, wie gut oder schlecht das Ergebnis letztendlich ausfällt (ein Ergebnis von 76 ist für einen 'Teilerfolg' notwendig. Letztendlich also ein System, dass den Regeln von D20 gar nicht so unähnlich ist.
Jeder Charakter hat sieben Eigenschaften, von denen keines wirklich ungewöhnlich oder außergewöhnlich ist, und eine recht übersichtliche Liste an Fertigkeiten, die völlig aufs Abenteuerrelevante reduziert ist; die Fertigkeiten sind dann noch mal in eigene Kategorien unterteilt, und es wird Platz gelassen für sog. "Nebenfertigkeiten", die als Platzhalter für allen möglichen weiteren Sinn oder Unsinn, den ein Charakter so können soll, wobei man die auch getrost weglassen kann.
Charaktere werden übrigens komplett ausgewürfelt, ohne irgendwelche Warmeier-Weichduscher-Luschen-Rücksichtnahmen wie Pointbuy, Gummipunkte oder dergleichen zu berücksichtigen. Das Spiel ist eh von Grund auf und mit voller Absicht nicht gebalancet, was bei dem Quellenmaterial aber auch selbstverständlich sein sollte.
Charaktere setzen sich aus den beiden Standard-Stereotypen für Rollenspielcharaktere zusammen: Beruf und Volk. Die Berufe sind relativ einfach gehalten und bieten ein paar freie Punkte zum Verteilen auf verschiedene Fertigkeitskategorien (Krieger erhalten mehr Punkte für "Waffenfertigkeiten", aber wenige für "Spezialfertigkeiten", beim Kundschafter sieht es dann anders rum aus) und ein fixen Bonus auf bestimmte Fertigkeiten per Stufe. Jepp, MERS ist ein Stufensystem, mit Rassen und Klassen. Und es ist per Definition EDO-Fantasy. Man möchte fast sagen, es ist ein früher Heartbreaker.
Die relativ unaufdringlichen Berufe spielen sich nicht sonderlich in den Vordergrund, letztendlich kann jeder Charakter alles erlernen, er braucht nur unterschiedlich lange dafür (und wird vielleicht nie so gut wie ein dezidierter Spezialist), und auch ein Krieger kann etwas zaubern, wenn er denn Glück hat.
Die Beschreibung der Völker nimmt hingegen gefühlt die Hälfte des Buchs ein (tatsächlich sind es aber 'nur' 40 von 180 Seiten) und listet jedes Menschen- und Elfenvolk, aber natürlich auch Zwerge, und, klar, Hobbits auf. Hinzu kommen allerdings auch Orks und Trolle. Die Völker sind, getreu der Quelle, so was von nicht gebalancet, dass es eine wahre Freude ist: Anstelle von langweiliger Gleichmacherei hat man den richtigen Weg gewählt und sich an den Vorgaben des Quellmaterials orientiert, was gut für die Plastizität und Plausibilität des Systems ist, aber eher wettkampfbetonten Spielern wenig entgegen kommt. Da es bei einem Mittelerde Rollenspiel schlicht und ergreifend notwendig ist, diese Ungleichheiten auch abzubilden. Schließlich geht es darum, Tolkiens Mittelerde und eben nicht generisches EDO-Fantasy darzubieten.
Die Art und Weise, wie diese Völker beschreiben werden ist hingegen ein bizarres Unikum. MERS ist das erste und einzige Regelwerk, bei dem scheinbar mehr Augenmerk auf die Kleidung eines Charakters gerichtet wird als auf die jeweilige Kultur. Für jedes Volk gibt es einen kurzen Absatz der Beschreibung, einige Stichpunkte - und eine genaue Auflistung, was Männlein und Weiblein denn so tragen. Ich meine, es ist ja schön zu wissen, dass die Garderobe eines gondorianischen Dúnadan ein "Wams aus Seide oder Baumwolle in kräftigen Farben, mit aufwendigen Ärmeln (gerafft, geschlitzt, vielfach gepufft)" beinhalten mag, aber ich meine es gäbe da durchaus wichtigere Informationen, die etwas spielrelevanter sind. Wenigstes erfährt man dadurch, dass Elben "gutsitzende" Hosen bevorzugen.
Kämpfe laufen ab wie alle anderen Fertigkeitsgeschichten auch, wobei aber das Tabellennachgekucke etwas überhand nimmt. Es gibt übrigens keine aktive Parade, aber wenigstens kann man, wenn man das will, Punkte von seinem "Offensivbonus" abziehen und der Verteidigung zuschlagen (als Abzüge für den Angreifer). Das dominierende Element sind eher die unglaublich vielen sepparaten Tabellen für kritische Treffer, die für jede. einzelne. Schadensform getrennt aufgelistet werden. Ich persönlich finde das sehr, sehr ermüdend.
Die Magieregeln sind... unpassend, um es kurz zu fassen. Wie bereits erwähnt kann an sich jeder Charakter theoretisch lernen, zu Mindest etwas rumzuzaubern, was an sich in Ordnung geht. Allerdings ist die Auswahl der Zauber vermutlich eher von den ursprünglichen Rolemasterregeln als von den Gegebenheiten Mittelerdes geprägt und beinhaltet allerlei unpassendes wie komplexe Illusionen, explodierende Eisgeschosse und Feuerbälle, die der weitgehend subtilen und eher von understatement geprägten Magie Mittelerdes nicht wirklich gerecht werden wollen.
Alles in allem würde ich MERS als einen mittelmäßig rüstigen Rentner unter den Rollenspielen ansehen. Das System ist etwas altbacken (irgendwie sind das alle Systeme, die einen W100 verwenden), aber noch relativ stromlinienförmig und eigentlich sogar recht simpel und einleuchtend, wenn da nicht die enorme Tabellenverleibtheit hinzu käme. Die Magieregeln sind für'n Arsch (sorry, dass ich mich da so deutlicher Sprache bemühe), was die Settinganpassung angeht, womit ein nicht unwesentlicher Teil eines Fantasy-Settings deutlcihe Risse zeigt. Alles in allem sind die Regeln eindeutig eher meh, aber das kann auch am Alter liegen. Ich würde den Regeln einen von 3 möglichen Nazghul geben.
Der Hintergrund wird tendentiell nur recht spärlich beschrieben, mit der rühmlichen Ausnahme der Klammotten jeden einzelnen Volkes (warum auch immer). Bei der heutzutage frei verfügbaren Informationsquelle über Mittelerde im Netz ist das nicht mehr so tragisch, aber letztendlich ist es reichlich suboptimal, wenn man von vorne herein dazu gezwungen ist, externe Quellen zum Spiel heranzuziehen. Auch vom Hintergrund her würde ich daher einen von Drei Nazghul verteilen.
Bei den Zusatzqualifikationen: Ja, das System erlaubt es ohne weiteres oder größere Umstände, die gesamte Gemeinschaft des Rings darzustellen; allein Gandalf der alte Maiar bereitet Probleme (und bei den reichlich unpassenden Magieregeln macht er eh keinen Spaß). Das Artwork im inneren besteht aus unspektakulären, aber ziemlich okayen Schwarzweißzeichnungen, die zu Mindest nicht unpassend wirken. Die Cover von Angus McBride, die die meisten mir bekannten MERS-Publikationen schmücken sind hingegen Sahne und gut und gerne einen weiteren Nazghul wert. Der Aufbau der Bücher war nervig und zu Mindest bei der zweiten Edition, die ich zu Erst hatte so krampfig, dass sich wichtige Informationen sehr gut tarnen und verstecken. Für den Aufbau gibt es definitiv keinen Nazghul.
Kommen wir also in der Gesamtsumme auf 4 von 9 möglichen Nazghul, was ein solides, mittelmäßiges Ergebnis darstellt.
Achamanian:
Was das MERS-Regelwerk betrifft: Ziemlich gute Zusammenfassung. Aber das wirklich gut aufbereitete Quellenmaterial in den Abenteuerbänden verdient m.E. eine Erwähnung - die Abenteuer selbst sind meistens unspannend, aber die Art, wie jeweils Flora, Fauna Gesellschaft und wichtige NSC einer Region in den MERS-Bänden beschrieben werden, finde ich oft vorbildlich (wenn auch nicht immer ganz Mittelerde-Settingtreu).
Terrorbeagle:
Ich betrachte prinzipiell nur die Grundbücher/Boxen; erstmal hab ich von den meisten Systemen schlicht nicht mehr, zwotens will ich ja auch auf den Vergleich von Fan-Publikationen und offiziellen Spielen hinaus, was einfach von den Ressourcen her sehr unfair wäre, und drittens kann man die meisten Abenteuer und dergleichen, da die Spielwelt ja die Selbe bleibt, eigentlich mit allen Mittelerde-Rollenspielen verwenden.
Terrorbeagle:
So, das chronologisch zweite Mittelerde-Rollenspiel nach MERS war Deciphers Lord of the Rings Roleplaying game (kurz LOTR RPG, bzw. LOTR), dass erstmals 2002 erschien, ins deutsche übersetzt wurde und mehr oder weniger in der Bugwelle der Herr der Ringe Verfilmungen entstand und umgesetzt wurde. Die Verbindung zum Film ist ziemlich allgegenwärtig im Spiel – so beinhalten die Bücher fast kein eigenes Artwork, sondern sind zwar reich bebildert, verwenden aber fast ausschließlich Bilder aus den Filmen, um die Spielwelt und ihre Bewohner darzustellen, was m.E. Ein reichlich zweischneidiges Schwert darstellt.
Trotz des Erfolgs der Filme und einer Auszeichnung als bestes Rollenspiel bei den Origins anno 2002 verkaufte sich LOTR nicht übermäßig gut; vor allem scheiterte das Spiel als der Verleger Decipher mehr oder weniger kollabierte (nach allem, was ich gelesen hatte, nachdem sich einer der Mitarbeiter sehr reichlich aus den Kassen des Verlags bediente und effektiv den Verlag so sehr bestahl, dass sie viele Lizenzen und Produkte nicht halten konnten). Deswegen ist LOTR als Spiel, gerade was die Erweiterungen angeht, etwas unvollständig, mehrere geplante Quellenbücher, die quasi druckreif waren, wurden nicht mehr publiziert (darunter das Quellenbuch zu Rückkehr des Königs) und das Spiel verschwand relativ schnell wieder.
Da für die hiesigen Beobachtungen aber nur die jeweiligen Grundbücher eine Rolle spielen (mehr Material steht mir einfach nicht zur Verfügung, und würde auch noch mehr Zeit in Anspruch nehmen), ist die unabgeschlossene Quellenbuch-Reihe allerdings eher nebensächlich, wenn auch etwas ärgerlich.
Die Regeln für LOTR basieren auf dem Decipher-hauseigenen CODA-System das so oder so ähnlich auch beim vom gleichen Verlag verlegten Star Trek Rollenspiel verwendet wurde. Man merkt an einigen Stellen eine gewisse Ähnlichkeit zu D20/D&D 3.X, insgesamt ist das System aber schon recht eigenständig.
Grundsätzlich gelten die üblichen Register, die man als Rollenspieler von einem klassisch gehaltenen Rollenspiel so erwartet: Es gibt erst einmal Eigenschaften, dazu Fertigkeiten und zusätzlich „Edges“ und „Flaws“, die ein Mischmasch aus Vorteilen, D&D-typischen Feats und dergleichen darstellen. Gewürfelt wird prinzipiell mit 2W6, zu denen Boni für Eigenschaftswerte, Fertigkeiten und weitere Boni verteilt werden; die Summe aus Fertigkeit und Würfelergebnis wird dann mit einem Mindestwurf verglichen, der abhängig davon ist, wie einfach oder schwer die erhoffte Tätigkeit ausfällt. Bei einem Sechserpasch „explodieren“ die Würfel. Alles in allem ein völlig robustes System, von dem man aber keine großen Innovationen oder weltbewegende Neuerungen erwarten sollte. Mehr so etwas nach dem Motto „keine Experimente, keine Fehler“. Darüber hinaus gibt es noch dazu einen Pool an sog. „Courage Points“, die nach dem üblichen Gummi-Punkt Prinzip arbeiten – ich weiß nicht, wie außergewöhnlich das bei einem Spiel von 2002 ist. Ich persönlich bin kein Freund von Gummi-Punkten, aber in diesem Fall sind sie zu Mindest ansatzweise innerspielweltlich erklärt (auch wenn die Erklärung etwas fadenscheinig erscheint) und soll als Anreiz dazu dienen, sich möglichst heldenhaft zu verhalten – wobei die Vorgaben, was denn nun im Kontext von Mittelerde als heldenhaft anzusehen sei, gut hervorgehoben an zentraler Position aufgeführt wird, was eine sehr brauchbare Handreichung für den Flow der Punkte darstellt. Für ein Gummipunkt-System ist das ganze sehr solide umgesetzt.
Bei der Charaktererschaffung werden wiederum recht übliche Register verwendet – effektiv separate Klassen und Spezies, plus ein Stufensystem. Die Spezies und Völker sind ganz brauchbar beschrieben und gut regeltechnisch umgesetzt, wobei es relativ viele Freiheiten bei der Ausarbeitung der Details für den Spieler gibt, gleiches gilt auch für die „Orden“ - effektiv die Klassen des Systems – die auch eher grob gehalten sind und sich primär dadurch unterscheiden, welche Fertigkeiten effizienter gesteigert werden können, und welche besondere Fähigkeiten ihnen zur Verfügung stehen.. Stufenaufstiege funktionieren recht ähnlich zu den Advances bei Savage Worlds, soll heißen relativ unaufgeregt. Charaktere können relativ frei zwischen ihren jeweiligen Orden wechseln, oder in sog. Elite Orden, effektiv Prestige-Klassen, aufsteigen, die dann weitere
Die Liste der Fertigkeiten ist umfassender als die bei MERS, aber weit davon entfernt, überbordend auszufallen.
Das Spiel bietet eine gute Bandbreite aus Kompromissen beim Rollenspiel, so können Charaktere sowohl ausgewürfelt werden oder per Point-Buy erstellt werden, Charaktere können sehr schnell über Beispiel-Kulturen oder Beispiel-Varianten der üblichen Orden abgehandelt werden, was in wenigen Minuten abgearbeitet werden kann, oder man geht ins Detail und verteilt die Punkte selbst, was etwas zeitintensiver wird. Hell, das System bietet zudem sowohl vernünftige, taktisch relevante und halbwegs gleichberechtigte Optionen für aktive oder passive Paraden.
Das System beinhaltet darüber hinaus ein System für Massenkämpfe und ein sehr grobes, einfach gehaltenes System für die Befleckung/Verführung zum Bösen, dem Mittelerde-Äquivalent zum cthuluhesken Stabilitätsverlust, wobei das System aber recht einfach gehalten ist, sowie ein System für Reputation und Bekanntheitsgrad eines Charakters.
Das Kampfsystem ist (wie auch das System an sich) relativ einfach gehalten und bietet eine überschaubare, aber brauchbare Optionen, und für die Freunde derartiger Ideen auch Regeln für Mooks oder ähnliche Statisten.
Im Gegensatz zu MERS ist das Magiesystem sogar brauchbar und passt zum Setting (Gasp!) Es gibt einige Zauber, die allesamt recht gut zum Setting passen, das System ist wieder eher unkompliziert und erfordert relativ wenig Buchhaltung (Zaubern ziehen das Äquivalent zu einem Fortitude-Save nach sich, bei deren Misslingen der Charakter etwas erschöpfter wird). Hinzu kommen eher schlicht gehaltene Regeln für magische Gegenstände und ihre Erstellung. Das relativ einfach gehaltenes Kern-Curriculum von Zaubern bietet zudem noch Sonderfälle wie magische Runen oder Zauberlieder, die aber exakt nach dem selben Schema mit leichten Variationen funktionieren.
Alles in allem ist das System sehr stromlinienförmig, stimmig und allerhöchstens könnte man dem System vorwerfen, etwas zu sehr auf der alten Wein in neuen Schläuchen Schiene zu fahren und etwas innovationsarm zu sein, macht aber dennoch vieles richtig und wenig bis nichts so richtig falsch. Alles in allem bewegt sich das CODA System gefühlt ungefähr auf der gleichen Komplexitätsstufe wie Cinematic Unisystem oder Savage Worlds, allerdings mit etwas ausfallender gestalteter Fertigkeitenliste. Das System ist aber tendenziell eher in Richtung Plausibilität als in Richtung schnelles Gameplay ausgerichtet, aber dadurch auch sehr intuitiv und gut nachvollziehbar. Ich glaube nicht, dass das System selbst zu besten Zeiten einen Hype wie Savage Worlds oder Fate hätte aufbauen oder tragen können (dazu sind die Regeln dann zu statisch und vorhersehbar), aber das Regelwerk ist absolut solide und den gesetzten Aufgaben mehr als gewachsen. Ich zu Mindest bin positiv überrascht von der Angelegenheit.
Das Spiel beinhaltet, anders als MERS, nur Angehörige der freien Völker Mittelerdes, beinhaltet also keine Option für die Erstellung von Uruk Magiern. Die verschiedenen Völker sind recht differenziert und umfassend und quellengerecht unausgewogen erstellt, wobei ausgerechnet die Darstellung von Menschen dann in weitaus gröberen Zügen daher kommt. Und an keiner Stelle wird erwähnt, was für Hosen denn Elben tragen. Was die Anschaulichkeit des Systems deutlich erhöht, ist das fast alle dieser Fähigkeiten (übrigens wie auch die meisten Edges und Flaws) mit Zitaten aus den Büchern unterfüttert wird, was die Nachvollziehbarkeit deutlich erhöht.
Die Orden, wie bereits erwähnt nicht übermäßig dominant, beinhalten sowohl die üblichen Fantasy- Rollenspiel-Standards (Kämpfer, Schurken, Zauberkundige), als auch etwas weniger abenteuerliche Formen, wie Handwerker (die tolle magische Gegenstände bauen können).
Die Beschreibung der Welt ist nicht erschöpfend, aber vorhanden und meines Erachtens ausreichend. Neben einer 15 Seiten umfassenden Beschreibung des Settings beinhaltet das Grundbuch auch zwei Kapitel, die sich mit verschiedenen Kampagnenformen und allgemeinen Stilhinweisen und Themen eines Mittelerde-Rollenspiels befassen. Auch hier taucht wenig auf, was völlig großartig und weltbewegend daherkommt, aber der Grundtenor ist völlig in Ordnung und absolut angemessen, sprich solide.
Die Aufmachung und der Stil des Systems ist wie eingangs erwähnt, etwas zwiespältig, was an den verwendeten Filmbildern liegt. Ich finde Photos in einem Fantasy-Regelwerk eher unglücklich, und die Bilder verlieren in ihrer statischen Form doch sehr gegenüber der Filmform, auch weil alles viel kleiner wirkt. Die Epik der Geschehnisse wird damit zweimal gestaucht, erstmal durch das Nadelöhr dessen, was filmisch möglich ist, und dann durch die statische Darstellung, die auch dem Film nicht wirklich gerecht wird. Ein klein wenig wirkt es so, als ob das Buch mit den Urlaubsphotos eines aufwendigen Wochenend-LARPS bebildert wurde. Dem gegenüber stehen die gut formulierten Texte (Anmerkung: Ich habe nur das englische Original der Regeln gelesen, nicht die deutsche Übersetzung. Ich kann daher nicht sagen, wie gut oder schlecht diese ist) und die häufige Einbindung der Textstellen und Zitate aus der Trilogie, die eine Menge dazu beitragen, das Ambiente und die Stimmung der Welt zu transportieren und die gediegene Tolkien-Sprache zum Stimmungsaufbau zu verwenden ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus ist das System relativ sauber aufgebaut, übersichtlich und beinhaltet einen brauchbaren Index und Glossar. Teilweise muss man etwas suchen, wenn man einzelne Regeln nachschlagen will, aber über den Index geht das; darüber hinaus hab ich keine Hinweise auf die berühmte Seite XX gefunden. Wenn Querverweise auftauchen (was so selten nicht ist), dann führen sie auch dahin, wo die entsprechenden Angaben zu finden sind. Das sollte zwar eigentlich selbstverständlich sein, aber wir wissen alle, dass das nicht unbedingt den allgemeinen Qualitätsstandards von Rollenspielprodukten entspricht.
So, schreiten wir zur Bewertung:
Das Regelsystem ist zwar kein Meilenstein der Rollenspielentwicklung, aber völlig solide und reichlich stromlinienförmig und elegant und, was für die Bewertung in diesem Kontext nicht weniger wichtig ist: es passt zum Hintergrund und schwurbelt nicht groß rum. Alles in allem ist das System unaufgeregt, solide und gut verständlich, was mir reicht, um zweieinhalb von drei Nazghul für die Regeln zu verteilen.
Die Darbietung des Hintergrunds ist nicht erschlagend (was bei der Masse an Informationen und der Gravitas der Tolienschen Schreibe tatsächlich eine Leistung darstellt), und ist gut auf den Hausgebrauch runter gebrochen, aber für die Hardcore-Tolkienianer gut nach oben erweiterbar. Einziges wirkliches Manko: Es gibt keine gut verwendbare Karte in dem Spiel; die übliche Mittelerde-Karte prangt zwar sowohl von der Innenseite des Einbands als auch von einer Doppelseite im Innern des Buchs, aber durch den formatgegebenen Knick in der Mitte ist die Mitte der Karte halt nicht völlig verwendbar. Das fällt für mich allerdings eher unter Nicklichkeiten. Allein bei der Beschreibung der SC-Kulturen (stillschweigend vorausgesetzt, dass Menschen da das Gros stellen) hätte etwas umfangreicher ausfallen können. Auch für die Hintergrund-Darbietung würde ich daher zweieinhalb von drei Nazghul verteilen.
Bei den Zusatzpunkten finde ich die Übersichtlichkeit zwar in Ordnung, aber alles in allem muss man doch etwas viel blättern und mehr blättern, als bei einem an sich recht elegant gehaltenen und stromlinienförmigen Regeln eigentlich notwendig wäre, was das Spiel unnötig verkompliziert. Keinen Nazghul wert.
Die Gefährten des Rings lassen sich hingegen völlig problemlos mit dem System darstellen, auch der krasse Erfahrungsunterschied wird gut wiedergegeben, während die Regeln für Courage die „Kleinen“ in der Runde nicht völlig abhängt. Bietet wiederrum einen Nazghul.
Und letztendlich die Layout-Frage... ich finde das Artwork nicht gut, und vor allem finde ich es faul, einfach Screenshots aus dem Film per Copy+Paste ins Buch zu pflanzen hat etwas ziemlich langweiliges, und nutzt meiner Meinung nach die Möglichkeiten des Stimmungsaufbaus durch gute Illustrationen nur sehr bedingt aus. Dem Gegenüber stehen allerdings sehr gut formulierte Texte und die reichaltigen Tolkien-Zitate.
Insgesamt vergebe ich also 6 von 9 möglichen Nazghul an das CODA System, was ein überdurchschnittliches Ergebnis darstellt. Meines Erachtens ein wesentlich besseres System als MERS und mit unspektakulären, aber brauchbaren und anpassungsfähigen Regeln ausgestattet.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln