Autor Thema: Notizen zu moderner Kriegsführung  (Gelesen 7762 mal)

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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #25 am: 10.05.2017 | 18:32 »
Ich hatte den Thread mal eine Weile ruhen lassen, auch weil ich abwarten wollte, wie sich die zynisch-Iihhh-bäh-bah-pfui-Diskussion entwickelt. Ich selbst stimme insofern zu, dass es ein etwas anrüchiges Thema ist, das auch leicht politische Implikationen entwickelt, aber genauso wie es legitim ist, Krimis oder Thriller zu lesen, auch wenn darin schreckliche Taten beschrieben sind, finde ich es ok, sich sachlich mit moderner Kriegsführung auseinanderzusetzen. Will meinen zu Wissen wie Krieg so funktioniert ist per se nicht schlimm. Die meisten Chemiker wissen ja auch wie sie Gift oder Sprengstoff herzustellen haben, beschäftigen sich aber dann vielleicht doch eher mit nem Plastikwerkstoff aus nachwachsenden Ressourcen - oder nem schönen Lack für den Gartenzaun.

Insofern würde ich die Diskussion hier auch wieder aufnehmen wollen und mich als nächstes dem Infanteristischen Kampf zuwenden. Einem Thema bei dem ich mich nichmal so wahnsinnig gut auskenne, aber ich schreibe einfach mal 2-3 Sachen die mir einfallen und ich denke mal, die "üblichen Verdächtigen" werden dann schon ihren Teil beitragen

- moderne Infanterie kämpft meist in relativ kleinen, zerstreuten Gruppen, meist zu weniger als 10 Mann
- dabei wird sich gegenseitig gedeckt und vorhandene Deckung (und sei es nur als Sichtschutz) benutzt
- dieses Vorgehen soll helfen, damit nicht unnötig viele Soldaten gleichzeitig von Flächenangriffen betroffen sind (z.B. Maschinengewehr, aber natürlich auch Bomben, Artillerie, Granatwerfer, ...)
- viel, was man aus Rollen- und Computerspiel als Deckung kennt, funktioniert eigentlich nur als Sichtschutz; moderne Infanteriewaffen sind ziemlich gut darin alles Mögliche zu durchdringen; Sandsackstellungen werden etwa deshalb drei Sandsäcke tief gebaut normal, das ist dann deutlich mehr als ein halber Meter Sandsack, und doch ist das gegen schwere Gewehrkaliber nicht unbedingt ein zuverlässiger Schutz
- normale Hauswände bieten nur bedingt Schutz; bei Autos ist der Motor eine gute Deckung, der Rest wird leicht durchschlagen
- die übliche moderne Infanteriewaffe ist das Sturmgewehr, teils wird gelehrt, es halbautomatisch oder im Salvenfeuer zu nutzen, einige Armeen sind aber auch Freunde des automatischen Feuers und lehren ihre Soldaten auch entsprechende Techniken
- mitgeführte Munition unterscheidet sich stark, AFAIK kriegt der deutsche Soldat auf Patrouille normal 4 Ersatzmagazine mit, ich kenne eine Quelle wo die Rede davon ist dass US Marines 7 Magazine kriegen, es aber zulässig ist privat mehr zu erwerben, und mancher Marine auch mal 14 Magazine mitführt
- das Nachladen eines anständig gedrillten Soldaten geht schneller als man das vielleicht aus gängigen Computerspielen a la Call of Duty kennt
- die Quellen für die effektive Reichweite sind sich nicht einig, aber die Tendenz scheint zu sein, dass man bis etwa 500 Meter halbwegs ein Sturmgewehr nutzen kann (auch wenn man auf die Distanz vielleicht nicht direkt den ersten Schuss trifft...); das variiert aber sicherlich auch mit der Bauform der Waffe, der verwendeten Patrone, verfügbaren Zielhilfen usw.
- unterstützend werden etwa Maschinengewehre, Präzisionsgewehre und auch Raketenwerfer genutzt
- der typische infanteristische Raketenwerfer dient eigentlich zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge und Bunker, aber es ist nicht unbekannt, dass damit z.B. auch Scharfschützen bekämpft werden, etwa wenn man deren Position nicht genau aufklären kann und daher ein ganzes Gebäude bekämpft

dazu kommen dann noch sog. Crew Served Weapons; diese schweren Infanteriewaffen brauchen mehrere Leute zur Bedienung und müssen meist aufgebaut werden, bevor sie Einsatzbereit sind; Beispiele wären Lenkraketen (etwa zur Panzerabwehr oder Luftabwehr), schwere Maschinengewehre, Granatmaschinengewehre, Mörser, usw.
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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #26 am: 10.05.2017 | 20:17 »
Dann käse ich gleich mal wieder dazu, erst mal "anlassbezogen" anhand dessen, was mir beim Lesen aufgefallen ist :)

- moderne Infanterie kämpft meist in relativ kleinen, zerstreuten Gruppen, meist zu weniger als 10 Mann

Richtig ist auf jeden Fall, dass moderne Infanterie nach Möglichkeit aufgelockert, also mit sinnvollen Abständen zwischen den Leuten, kämpft.
Das ist natürlich geländeabhängig und gerade im Orts- und Häuserkampf hockt man doch oft genug recht dicht aufeinander.

Wie Infanterie organisiert ist, variiert von Armee zu Armee teils recht stark.
Als kleinste Einheit verwenden manche das Binom (lies: zwei Mann), andere das sog. Fireteam, dem dann (anders als dem Binom) auch schon ein Fireteam Leader zugeteilt ist.
Eine Gruppe besteht dann aus X Binomen bzw. X Fireteams plus einem Gruppenführer.
Diese Konstruktion wird dann - abgesehen von Spezialisten - einfach Y mal nebeneinander gestellt und formt so größere Verbände: Mehrere Gruppen einen Zug, mehrere Züge eine Kompanie usw., und auf jeder Ebene kommt noch mal spezifisches Führungs- und Funktionspersonal "neben" die Formationen, welche die eigentliche Manpower stellen.

Der Unterschied zu früher ist also der, dass Infanterie heute recht flexibel und mit vergleichsweise hoher Eigeninitiative auf Gruppen- oder gar Fireteam-Ebene unterwegs ist, während früher recht große Zahlen geschlossen unterwegs waren und erst ab Zugebene oder höher relevante Entscheidungen getroffen wurden. Darunter hatten Vorgesetzte nur die Aufgabe, die Umsetzung entsprechend sicherzustellen.

- dabei wird sich gegenseitig gedeckt und vorhandene Deckung (und sei es nur als Sichtschutz) benutzt

Wichtiger Punkt:
Das Prinzip "Feuer und Bewegung" stellt sicher, dass bei jeder Bewegung (ob Vorrücken oder Ausweichen) ein Teil der Einheit mindestens in Feuerbereitschaft ist oder feuert. So wird dem Gegner das eigene gezielte Feuern erschwert.
Das bedeutet, dass der Großteil der im Gefecht abgegebenen Schüsse "nur" dazu dient, eigene Bewegungen zu ermöglichen und zu schützen. So kommen dann auch teils erstaunlich hohe Verbrauchszahlen zustande, die sich aber nicht vermeiden lassen.

Da sich auch der Gegner in möglichst gute Deckung begibt, muss man (sofern man eine Entscheidung herbeiführen will) stets versuchen, die eigene Position zu verbessern. Wer sich nur bewegt, wird selbst zu effektiv beschossen und wer nur feuert, kann seine Position nicht verbessern und hat entweder irgendwann keine Munition mehr oder lässt den Gegner manövrieren und entkommen.

Daher der Merksatz "Keine Bewegung ohne Feuer, kein Feuer ohne Bewegung". Während man den ersten Teil schon aus reiner Selbsterhaltung richtig macht, fällt der zweite Teil öfter mal hinten runter und es tritt der oben beschriebene Fall ein, dass der Gegner nicht festgesetzt und aufgerieben wird. Insbesondere wenn anderweitige Unterstützung verfügbar ist (Artillerie, Luftunterstützung u.Ä.), igeln sich gerade unerfahrene Truppen sehr gerne ein und die Begegnung endet oft ohne Ergebnis, weil die Unterstützung erst kommt, wenn sich der Gegner längst zurückgezogen hat.


bei Autos ist der Motor eine gute Deckung, der Rest wird leicht durchschlagen

Der Motor hat das Problem, dass er sehr inhomogen aufgebaut ist und man von außen nicht sagen kann, wo jetzt die Teile mit wirklicher Schutzwirkung genau sind. Bedeutet in der Praxis, dass auch der Motorbereich nur bedingt Schutz bietet.

Grundsatz ist hier, mit fahrtüchtigen Autos auch zu fahren und sich von fahruntüchtigen Autos möglichst schnell zu lösen.

- die übliche moderne Infanteriewaffe ist das Sturmgewehr, teils wird gelehrt, es halbautomatisch oder im Salvenfeuer zu nutzen, einige Armeen sind aber auch Freunde des automatischen Feuers und lehren ihre Soldaten auch entsprechende Techniken

Mit Sturmgewehren schießt eigentlich kein halbwegs solide ausgebildeter Schütze vollautomatisch. Wenn man das irgendwo sieht, kann man direkt hellhörig werden - das ist ein recht guter Indikator dafür, dass entweder die Ausbildung systematisch nicht gut ist oder zumindest der konkrete Verband nicht sonderlich gut im Training steht.


- mitgeführte Munition unterscheidet sich stark, AFAIK kriegt der deutsche Soldat auf Patrouille normal 4 Ersatzmagazine mit, ich kenne eine Quelle wo die Rede davon ist dass US Marines 7 Magazine kriegen, es aber zulässig ist privat mehr zu erwerben, und mancher Marine auch mal 14 Magazine mitführt

Privat Munition erwerben ist nicht, aber privat Magazine erwerben geht - das war vor Allem vor einiger Zeit interessant, als die US-Streitkräfte keine modernen Magazine im Bestand hatten, es aber auf dem Zivilmarkt für kleines Geld sehr gute Alternativen gab. Hat sich mittlerweile erledigt, weil diese Magazine nun auch dienstlich beschafft werden.

Prägend für alle Streitkräfte mit mehr oder weniger regelmäßigem Feindkontakt dürfte sein, dass sich die Soldaten recht schnell über verschiedene Methoden Schwarzbestände aufbauen, um eine Menge an Munition zur Verfügung zu haben, die ihnen angemessen erscheint.

Wenn Verbände über längere Zeiträume im Gefecht stehen, folgt das oft ungefähr einer Gauß-Kurve:
Anfangs nimmt man das mit, was man bekommt und findet es zu wenig. Dann fängt man an, zu fuggern und zu hamstern und schleppt teils enorme Mengen mit, bis man feststellt, dass man sich damit anderweitig einschränkt/selbst behindert und diese Munition nicht sinnvoll verbrauchen kann. Und am Ende nimmt man wieder relativ wenig mit, weiß diese Menge aber im Gegensatz zu früher ordentlich zu nutzen.


- das Nachladen eines anständig gedrillten Soldaten geht schneller als man das vielleicht aus gängigen Computerspielen a la Call of Duty kennt

Kommt drauf an ;)
Es gibt viele Aufnahmen aus der Schlammzone, wo Leute teils erschreckend lang für ein normales Sturmgewehr brauchen, weil sie es im Stress einfach nicht mehr auf die Reihe kriegen.

Und grad bei Call of Duty (MW3) sind die Avatare ziemlich fix und laden immer sinnvoll nach (z.B. wird da nur durchgeladen, wenn es nötig ist).
Da gibt es andere Spiele, wo man sich eher denkt "Junge, schlaf nicht ein...".

- die Quellen für die effektive Reichweite sind sich nicht einig, aber die Tendenz scheint zu sein, dass man bis etwa 500 Meter halbwegs ein Sturmgewehr nutzen kann (auch wenn man auf die Distanz vielleicht nicht direkt den ersten Schuss trifft...); das variiert aber sicherlich auch mit der Bauform der Waffe, der verwendeten Patrone, verfügbaren Zielhilfen usw.

Ein echter Dauerbrenner ;D

Als Minimalaussage dazu kann man festhalten, dass die Gewehre Treffer auf 500 Meter rein technisch durchaus hergeben.
Der Rest hängt zum Großteil am Schützen und den Umständen: Erst mal muss man in einer Umgebung sein, in der man überhaupt 500 Meter weit auf den Gegner gucken kann, dann muss man das Ziel finden und erst dann stellt sich die Frage überhaupt, ob das Gesamtpaket Schütze, Waffe (+Optik) und Munition sinnvolle Trefferchancen zustande bringen.

Da obendrauf jede Armee bzw. Erprobungsstelle ihre eigene Definition von effektiver Reichweite hat, kann man die Angabe meistens komplett vergessen, auch wenn sie in manchen Tabellen mit Gegenüberstellung mehrerer Waffen neben eindeutig messbaren Sachen wie Gewicht, V0 etc. steht.

der typische infanteristische Raketenwerfer dient eigentlich zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge und Bunker, aber es ist nicht unbekannt, dass damit z.B. auch Scharfschützen bekämpft werden, etwa wenn man deren Position nicht genau aufklären kann und daher ein ganzes Gebäude bekämpft

Es gibt für verschiedene Mehrzweckwerfer (z.B. RPG-7, Carl-Gustav M4) auch Gefechtsköpfe, die als Flächenwaffe gegen Infanterie ausgelegt sind.


dazu kommen dann noch sog. Crew Served Weapons; diese schweren Infanteriewaffen brauchen mehrere Leute zur Bedienung und müssen meist aufgebaut werden, bevor sie Einsatzbereit sind; Beispiele wären Lenkraketen (etwa zur Panzerabwehr oder Luftabwehr), schwere Maschinengewehre, Granatmaschinengewehre, Mörser, usw.

Das ist neben der Organisation und der Einbindung in einen größeren Zusammenhang der große Unterschied von Infanterie zu irgendwelchen Leuten mit Gewehren:
Die Bewaffnung geht weit über das Sturmgewehr hinaus und je nach Kontext sind die Sturmgewehre nur dazu da, die Truppe vor Gegenangriffen zu schützen, während die eigentliche Gefechtstätigkeit von anderen Waffen übernommen wird.


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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #27 am: Gestern um 06:03 »
Ich wärm das hier nochmal auf mit ein paar modernen Erkenntnissen, unter anderem Fachrichtung Drohnenkriegsführung

- Grundsätzlich lassen sich Drohnen absolut Vielfältig nutzen, je nach Bauform
- früh hatten die Amerikaner ja sowas wie die Predator, die halt Gebiete beobachten und recht präzise Ziele mit Raketen bekämpfen kann, und das mit einem Piloten am anderen Ende der Welt
- mittlerweile gibt es auch Drohnen die spätestens im Kamikaze-Schwarm quasi strategische Waffen sind, also über enorme Distanzen eingesetzt werden und z.B. Infrastruktur angreifen (und die sind anders als mancher erwartete spätestens im Schwarm nicht trivial abzufangen)
- dazu kann man natürlich auch via Drohne aufklären
- und man kann, etwa mit First-Person-View Drohnen, auf relativ kurze Entfernung relativ präzise Angreifen, auch harte Ziele wie Panzer, also auch etwas in Bereichen wildern wo man sonst z.B. tragbare Raketenwerfer benutzen würde
- und dann gibt es auch sowas wie loitering Munitions, die Überwachung/Aufklärung mit dem direkten Angriff kombinieren, und die teils von Infanterie im Rucksack mitgenommen werden können
- wirtschaftlich sind Drohnen oftmals sehr günstig, eine FPV Drohne mit Antipanzerladung ist oft für ein paar tausend $ realisierbar, während z.B. eine gelenkte Panzerabwehrwaffe von der Serienfertigung schnell 50.000 $ oder mehr kostet
- im Zusammenhang mit Drohnen spielt auch elektronische Kriegsführung eine erhöhte Rolle, denn die Dinger können bisher üblicherweise nicht selbst "denken" sondern brauchen Anweisungen, nur teilweise kann man z.B. Zielkoordinaten vor Start einspeichern und sie steuern sie dann selbstständig an, aber selbst dann ist Satelittennavigaton nicht unüblich (und die kann man stören, wodurch zumindest die Präzision sinkt)
- Drohnen sind teils auch aus kommerziellen Modellen mit Modifikationen waffenfähig gemacht
- und auch sonst ist da vom LowTech Zweitaktmotor bis zu Hightechanlagen alles denkbar und auffindbar bei Drohnen, so dass sich nur schwer ein Überblick herstellen lässt
- bislang ist die große Mehrheit der Drohnen in der Luft aktiv, es häufen sich aber Berichte über Seedrohnen (wie etwa umgebaute Schnellboote) und auch an Bodendrohnen wird wohl gearbeitet

Wenn jemand Ahnung hat und mag, kann er gerne seinen Senf dazu geben.
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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #28 am: Gestern um 06:22 »
Die Ukraine hat vor kurzem nen Jet mit Drohnen runtergeholt
“Uh, hey Bob?”
“What Steve?”
“Do you feel like we’ve forgotten anything?”
Sigh. “No Steve. I have my sword and my bow, and my arrows and my cloak and this hobbit here. What could I have forgotten?”
“I don’t know, like, all of our stuff? Like the tent, the bedroll, my shovel, your pot, our cups, the food, our water, your dice, my basket, that net, our spare nails and arrowheads, Jim’s pick, my shovel, the tent-pegs…”
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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #29 am: Gestern um 15:25 »
- wirtschaftlich sind Drohnen oftmals sehr günstig, eine FPV Drohne mit Antipanzerladung ist oft für ein paar tausend $ realisierbar, während z.B. eine gelenkte Panzerabwehrwaffe von der Serienfertigung schnell 50.000 $ oder mehr kostet

Ein Podcaster hat das aktuelle Drohnenthema griffig mit "the rise of cheap precision" bezeichnet. Damit verbunden ist dann auch die Frage nach der Reichweite; je weiter weg man wirken will, um so komplexer wird es, Präzision zu erreichen.
Und die Produktionskapazitäten und -geschwindigkeiten darf man nicht außer Acht lassen. 2022 hat die Ukraine mehrere Jahresproduktionen moderner Panzerabwehrlenkwaffen verschossen (die entsprechend über Jahre und Jahrzehnte eingelagert waren) und da ist kein nennenswerter Ersatz am Horizont.

Dagegen geht der Ersatz an Einzelexemplaren von Drohnen und die Entwicklung neuer Modelle oder sogar Konzepte um Welten schneller. Das wird sich irgendwann auch wieder verlangsamen, aber aktuell ist da ziemlich viel Bewegung drin.

- im Zusammenhang mit Drohnen spielt auch elektronische Kriegsführung eine erhöhte Rolle, denn die Dinger können bisher üblicherweise nicht selbst "denken" sondern brauchen Anweisungen, nur teilweise kann man z.B. Zielkoordinaten vor Start einspeichern und sie steuern sie dann selbstständig an, aber selbst dann ist Satelittennavigaton nicht unüblich (und die kann man stören, wodurch zumindest die Präzision sinkt)

Für kurze Strecken gibt es auch draht- bzw. glasfasergelenkte Modelle. Die haben im Vergleich zu drahtgelenkten Panzerabwehrlenkraketen den Vorteil, dass sie langsam machen und umdrehen können - bei der Lenkrakete gibt es nur einen Versuch und den unter Zeitdruck.
Trotzdem muss man natürlich im Hinterkopf behalten, wo man schon rumgeflogen ist, sonst reißt die Verbindung im Wortsinne ab.

- bislang ist die große Mehrheit der Drohnen in der Luft aktiv, es häufen sich aber Berichte über Seedrohnen (wie etwa umgebaute Schnellboote) und auch an Bodendrohnen wird wohl gearbeitet

Bodendrohnen haben immer noch die selben Problemchen, an denen man seit einigen Jahren kaut, aber im Logistikbereich geht so langsam was und vor geraumer Zeit ging eine Meldung rum, dass die ukrainischen Streitkräfte eine Stellung komplett mit Bodendrohnen eingenommen haben.
Das war freilich lange geplant und im rückwärtigen Bereich mit ordentlich Manpower unterstützt, aber trotzdem erst mal ein Meilenstein.


Rückgriff:
MKn nach ist  die Überlebensfähigkeit und damit Nutzbarkeit von Drohnen gegen einen modernen Gegner, der selber über eine funktionierende Luftverteidigung verfügt als gering bis nutzlos einzustufen.

Das war ja damals eher auf Predator & Co. gemünzt und dort so richtig.

Das muss man durch die neueren Drohnen an zwei Extremen einschränken:
Einerseits gibt es so langsam unbemannte Gegenstücke zu "richtigen" Kampfflugzeugen, die dann auch ähnliche Mittel und Chancen gegen Luftabwehr haben.

Und andererseits gibt es so kleine und günstige Drohnen, dass man sie entweder nicht mit "richtiger" Luftabwehr bekämpfen kann, weil sie zu flächendeckend einsetzbar sind oder sie zwar zerstören kann, aber dabei ein massives Missverhältnis beim technischen und wirtschaftlichen Aufwand hinnehmen muss.
Da tut sich auch wieder was und es gibt Konzepte, wie man zumindest zu geringen Betriebskosten kleine Drohnen bekämpfen kann. Aber die entsprechend spezialisierten Systeme muss man trotzdem neu und teuer anschaffen.
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Offline Aedin Madasohn

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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #30 am: Gestern um 16:19 »
2022 hat die Ukraine mehrere Jahresproduktionen moderner Panzerabwehrlenkwaffen verschossen (die entsprechend über Jahre und Jahrzehnte eingelagert waren)

nur zur Vollständigkeit: die Ukraine hat damit aber auch eine mehrjährige Panzer(und Panzerfahrzeuge) Produktion erfolgreich bekämpft

bei den FPV Drohnen kommen noch die "schießenden" mit hinzu.
"Fliegende Flinten", welche dann gegnerische Drohnen aus der Luft pusten.
bleibt die Frage, wie viele "Rückstöße" die Jägerdrohne mitmacht, bevor es sie selbst zerbröselt (selbstlade-Flinten gibt es ja) und "wo" die mehrschüssige schwere Flintendrohne sich im Vergleich zur billig-leichten Rammdrohne anfängt zu rechen.

wahrscheinlich werden schon Motorradfahrer mit solchen Flinten vom Bock gehauen

auf jeden Fall gibt es mehr als genug valide Ziele in Reichweite (5000 Meter) der Funk-Drohnen, etwa die Erde-Holz-Bunker der ersten russischen Vorposten
ist dann ebenfalls die Rechenfrage

- 155 mm Granaten sind recht teuer (deutsche etwa 6000 Euro) - haben dann aber auch echt viel Reichweite
- benötigen aber sündhaftteure Abschussmittel aka PzH2000 oder Cesar, welche für Lancetdrohnen ja Prioritätsziele sind. Sprich, die müssen ers heile rein in die Feuerzone und heile raus geschafft haben

- eine Zertrümmerungsladungs für so einen Erde-Holz Bunker wäre ja die 155er (erfordert aber guten Stahl). Gibt es aber auch als Drohne (ginge auch als Pulversprengladung)
- und die funkgelenkte Drohne für erste Vorposten (ginge auch als FliegendeLadung, sprich mit Tragflächen, die auch bei einem Jammer den letzten Kurs weiter nimmt) hätte weniger elektronische Gegenmaßnahmen (oder gar Flak) zu fürchten als die 20.000 Meter Drohne. Da wäre also schon die schwere artilleristische Vorbereitung mit zu leisten (etwa vor dem eigenen Angriff, um den Gegner "unten" zu halten, wie YY mit seiner feuer zur Deckung von Bewegung sagte)

-wäre auch eine interessante Frage, in wie weit solche FPV-schwere Ladungsträger "runterfallen und explodieren", sprich, in wie weit gefährden sie eigene Truppen bei der Bereitstellung zum Angriff, wenn sie zu den Vorposten surren. Das Rohrartillerie "auch mal zu kurz schießt" ist ja der Klassiker der Eigengefährdung
(ausgeschossene Rohre dichten schlechter, nordkoreanische Ladungen variieren mehr, Granaten sind mit Luftblasen im Sprengstoff gefüllt und daher etwas mehr unwuchtig etc.pp. der Massenproduktion)

Offline sma

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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #31 am: Gestern um 18:08 »
Drohne kann ja alles von streichholzschachtelgroßem Aufklärer zu unbemanntem Kampfjet bedeuten.

Ein paar Zahlen: Die Ukraine plant, in 2025 4,5 Mio Drohnen kaufen – und einsetzen, also verbrauchen – zu wollen. Das sind 12.300 pro Tag. Ihre eigene Industrie kann angeblich 2 Mio Drohnen herstellen. Der Rest wird im Ausland gekauft.

Terror: Gerade halbautonome FPV (first person view) Drohnenschwärme sind eine effektive Terrorwaffe. Da sieht man Videos, wie Drohnen einen LKW entdecken, sich der Pritsche nähern, auf der Soldaten sitzen, die hektisch zu ihren Waffen greifen und dann bricht das Bild wegen der Explosion ab … und dem ukrainische Pilot werden dann für 5 Soldaten 30 Punkte gutgeschrieben, für die seine Einheit dann neue Drohnen (oder sonstige Ausrüstung) bestellen kann. Zuvor gab es nur 2 Punkte pro Soldat, da hat man lieber andere Ziele gejagt - etwa einen Panzer für 40 Punkte.

Taktik: Dass der Vormarsch Russlands fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, scheint wohl dem massiven Einsatz von Drohnen zu verdanken zu sein. Jeden Tag verliert Russland ca. 1500 Soldaten (tot oder schwer verletzt), die allerdings ersetzt werden. Die Verluste der Ukraine sind vielleicht halb so hoch, auf jeden Fall geringer. Allerdings hat die Ukraine keine so großen Reserven.

Und die russische Taktik ist nun, lieber einzelne Leute vorschicken statt teures Gerät, weil dafür eine Drohne opfern vielleicht zu teuer ist.

Apropos teuer: das deutsche Unternehmen Helsing hat 10.000 Drohnen zum angeblichen Stückpreis von 16700€ (lt. Bomberg, Helsing sagt, stimmt nicht, legt den Stückpreis aber auch nicht offen) verkauft, die lt. ukrainischen Experten bestenfalls 2000€-3000€ wert seinen. Das russische Gegenstück kostet $4000. Das Startup feiert sich aber und wird hoch an der Börse bewertet. So kann man also auch Geld verdienen. Bezahlt hat übrigens der deutsche Staat. Zumindest bleibt so das Geld im Land…

Spot: Ihr kennt den Roboterhund von Boston Dynamics? Ihr kennt die chinesische Firma Unitree? Die haben ein vergleichbares Modell entwickelt, das in der Basisversion $4000 (das ist 5%-10% des Originals) kostet (allerdings nur die Hardware, keine Software – und man muss diese komplett selbst schreiben, sonst schaut Unitree zu, denn alle Hunde melden sich standardmäßig zuhause und können von einem mittelmäßigen Hacker übernommen werden, weil kein wirklicher Schutz). Aktuell dienen sie zur Aufklärung, aber mit der nötigen Software könnten sie autonom mit einer Waffe ausgerüstet auf die Jagd nach Soldaten gehen. Oder sie können Sprengfallen auslösen, was fliegende Drohnen nicht können.

Unitree hat übrigens auch einen humanoiden (etwa kindgroßen) Roboter im Angebot. Die Demo-Videos zeigen dessen Beweglichkeit durch Kampfsport-Moves. Als eines der wenigen Modelle kann es z.B. joggen. Normalerweise bewegen sich die Dinger eher schneckengleich.

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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #32 am: Gestern um 18:26 »
Taktik: Dass der Vormarsch Russlands fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, scheint wohl dem massiven Einsatz von Drohnen zu verdanken zu sein. Jeden Tag verliert Russland ca. 1500 Soldaten (tot oder schwer verletzt), die allerdings ersetzt werden. Die Verluste der Ukraine sind vielleicht halb so hoch, auf jeden Fall geringer. Allerdings hat die Ukraine keine so großen Reserven.

Und die russische Taktik ist nun, lieber einzelne Leute vorschicken statt teures Gerät, weil dafür eine Drohne opfern vielleicht zu teuer ist.

Die Verluste sind Tote, Verletzt, Vermisste oder Gefangene. Es wird geschätzt das auf 3 Verluste (egal aus welcher Quelle) ein Toter kommt. Ist man Optimist und berücksichtigt die faktisch nicht mehr vorhandene medizinische Versorgung der Verwundeten auf russischer Seite könnten das Verhältnis auch 2 zu 3 sein. Der Schweregrad der Verletzung spielt bei der Zählung keine Rolle, zumal der von der Ukraine so gut wie nie mit Sicherheit bestimmt werden kann. Und "ersetzen" ist ein dehnbarer Begriff. Man muss wohl sagen, es werden immer noch Menschen für Sturmtrupps zusammenscharrt mehr nicht. Soldaten sind das größtenteils nicht mehr, wenn man davon ausgeht ein Soldat hat eine Ausbildung genossen. 

Was Drohnen angeht wird die Reichweite hier deutlich unterschätzt. Ohne Glasfaser schon bis zu 40km für FPV, mit Glasfaser wird die Reichweite nur durch die verminderte Zuladung reduziert ca. 1kg / 10km Reichweite. 
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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #33 am: Gestern um 21:34 »
nur zur Vollständigkeit: die Ukraine hat damit aber auch eine mehrjährige Panzer(und Panzerfahrzeuge) Produktion erfolgreich bekämpft

Freilich. Das unterstreicht aber genau den Punkt: Hochwertsysteme lassen sich aktuell nicht in relevanter Größenordnung ersetzen, wenn der langfristig aufgebaute Bestand einmal zerstört bzw. verbraucht ist*.

Nächstes Jahr soll etwa die Jahresproduktion von Javelin-Raketen knapp 4.000 erreichen - das ist offensichtlich ein Tropfen auf den heißen Stein.

Mittlerweile sind PzAbwLFK aber auch längst durch Drohnen abgelöst. Selbst wenn man im Regelfall mehrere Drohnen braucht, um einen Panzer gefechtsuntauglich zu machen, ist das immer noch um Längen billiger und leichter bzw. überhaupt ersetzbar und das bei größerer Reichweite und absurd geringerer Geländeabhängigkeit.

Javelin & Co. sind im Grunde nur noch da relevant, wo ein Gefechtsfahrzeug sofort ausgeschaltet werden muss. Sobald diese Zeitkomponente wegfällt, ist die Drohne die bessere Alternative.


*Und das gilt für alles von modernen westlichen PzAbwLFK über Panzer bis zu Luftabwehr auf Selbstfahrlafette und "klassischen" Fluggeräten.
Symmetrische Kriege werden am Reißbrett und am Fließband gewonnen und da müsste eigentlich der große Paradigmenwechsel im Westen kommen statt bei der Erkenntnis, dass überhaupt noch "richtige" Kriege stattfinden können.
Und selbst dieser Paradigmenwechsel wäre auch nur die Rückkehr zu dem, was man mal wusste und konnte und teils vergessen, teils sich selbst ausgeredet hat.
Entscheidend ist die beste Balance zwischen Gefechtsleistung, erreichbarer Stückzahl und Produktionszeit und -kosten; da sind zeitgenössische westliche Goldrandlösungen eine offensichtliche Sackgasse.


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Und selbst wenn die Haubitze nicht vernichtet wird: in der Ukraine sind auf beiden Seiten angesichts des Durchsatzes nicht nur die Granaten, sondern die Rohre selbst Verbrauchsmaterial, wo man mit der Produktion nicht ansatzweise hinterherkommt.

Taktik: Dass der Vormarsch Russlands fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, scheint wohl dem massiven Einsatz von Drohnen zu verdanken zu sein.

Das "beißt" längst in beide Richtungen. Auch auf russischer Seite ist flächendeckender Drohneneinsatz zumindest zur Aufklärung die Norm; da wird dann höchstens eher mit Artillerie gewirkt als mit FPV-Drohnen.
Unterm Strich führt das dazu, dass beide Seiten nicht zu groß angelegten Offensiven antreten können, ohne dass die Einheiten schon im Vorfeld zerschlagen werden.
Als Folge daraus tut sich auf operativer und strategischer Ebene praktisch nichts, es bleibt ein Abnutzungskrieg auf unterster taktischer Ebene.
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