Autor Thema: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)  (Gelesen 1574 mal)

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Offline Archoangel

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Da sitze ich und denke und denke ... was ist es nun wirklich, was war in den Anfängen anders, was hat das Rollenspiel-Feeling verändert? Warum ist die kindliche Begeisterung nicht mehr da? Liegt es an den Regeln, den Welten, den neuen Systemen?

... je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich nicht mehr an die Mähr von der "rosaroten Brille" und dem "anderen Denken als Teenie", nicht mehr an die "Rollenspiele in den 80ern waren eine andere Zeit"-Theorie und all das andere Geheuchel, mit dem Unsereins versucht sich die Gegenwart schön zu reden und das Vergangene als "kindliches Gehabe" abzutun.

Aber was war denn wirklich früher anders? Wohin der Zauber der Kindheit, des Unnbekannten? Sicher: Aventurien war unberührt, die Regeln kaum definiert, die Welt für alles offen; eben einfach genug, dass eine Horde 10-13 jähriger davon zu begeistern war. Aber was war der primäre Zauber?

Fette Waffen!

Zum ersten Mal überhaupt konnte man semirealistische coole Zeichnungen von Waffen und Rüstungen sehen; fette grausige Kreaturen, die es zu erschlagen gab - belohnt mit Schätzen und Erfahrungspunkten! Wie geil war es den Tatzelwurm zu schlagen oder den roten Drachen der D&D Basisbos (wobei letzterer deshalb umso interessanter war, da sein Schatztyp H eine gute Aussicht auf ein halbes Dutzend magischer Gegenstände gab).

Wir alle waren Hack`n`Slayer, Munchkins und Powergamer (ohnehin DER Spielstil der Anfänge) - Charakterhintergrund? Tiefe? In-Play-Gelaber? Alles unbekannt ... wahrscheinlich auch zu Recht (?). Abenteuerhintergrund? Für den Master interessant um dem ganzen einen Sinn zu geben. heute Nostria, morgen Brabak und übermorgen - das eherne Schwert. Realistisch? Egal! Überhaupt: Realismus war uninteressant. Kauf das große Schwert, leg die fette Rüstung an und gib dem fiesen Monster eins über den Schädel!

Warum wohl sind WoW, Munchkin und Diablo eingeschlagen wie Bomben und haben es geschafft Unmengen von Menschen zu begeistern? Richtig: weil man nicht groß denken musste, keine ellenlange Hintergründe schreiben musste, keine pseudorealistische Charaktergenerierung brauchte, kein Regelwulst - einfach hinein ins Abenteuer. Ein Schwert, ein Stab ein Held. Ein Monster, ein Schatz - und los!

Fette Helden, fette Monster und XP als Belohnung für deren Töten. Heiltrünke in der Menge vertilgen, dass das Blut der Helden selbst zur magischen Substanz wird, ja das man den Untoten durch anpinkeln Schaden machen kann (hatten wir damals wirklich!), barbusige Amazonen, finstere Magier mit Stehkragen, Namenlose Geweihte mit Purpurrobe , Glatze und Vollbart, finstere Schurken - magische Schätze.

... sorry, wenn das alles so zusammenhanglos wirkt, aber meine Gedanken kreisen auf unebenen Bahnen. Ich zumindest will zurück in diese urtümliche Zeit, in der der Hintergrund eine zweiseitige Vorlesegeschichte am Anfang eines Abenteuers war, welches dazu diente zu erklären warum die Helden an Punkt X sind. Und Helden waren wir - nicht davongelaufene Bäckerlehrlinge und Witz-Zauberer, denen jeder zweite Spruch misslingt und die nach drei zaubern "können wir mal rasten - meine AE ist alle" tüddeln müssen. Helden von Anfang an, nicht erst auf Stufe XX, wenn ich endlich diesen und jenen Feat habe und die Blah-Prestigeklasse erreiche. Helden in einer phantastischen Welt deren Grenzen nur die eigene Phantasie festlegte, nicht Meister-Trottel die mit ach-so-realistischem Gehabe Angst haben müssen von einem Ork mit mongolischer Tradition erschlagen zu werden; und überhaupt: warum brauchen Orks überhaupt eine Kultur? Die sind böse, die Gegner und müssen sterben! Und EP müssen sie bringen! Und nicht dieses ach-so-Erwachsene-political-correctness-Gesülze von "das Erschlagen von Monstern sollte nicht auch noch belohnt werden" und "man muss die Orks aus ihrer Perspektive betrachten" etc. pp.

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Offline Makaber

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #1 am: 29.06.2013 | 20:17 »
+1  :D


killedcat

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #2 am: 29.06.2013 | 20:21 »
Viel ändert sich. Die eigenen Ansprüche z.B.

Denke mal zurück an die TV-Serien der Kindheit oder Jugend. Mir geht es oft so, dass ich einen verklärten Blick auf den primitiven alten Schund habe. Neulich habe ich wieder Catweazle gesehen und Nonstop-Nonsen. Das kann ich mir heute nicht mehr ansehen. Buffy? Puh!

So ähnlich ist es mit den Rollenspielen von damals. Heute bekäme ich Hirnkrämpfe von dem Stuss.

Ich stimme dir zu: wir alle vermissen die Begeisterung von damals. Doch das Problem ist, auf der Begeisterung lag ein Zauber, der sich nicht mehr wiederholen lässt: der Zauber des Neuen. Wir können nur einmal zum ersten Mal einen Drachen erschlagen und wir können alle nur ein Mal zum ersten Mal in den Weltraum vorstoßen. Been there, done that. Wir haben Erfahrung gewonnen. Nicht unsere Helden sondern wir als Spieler. Damit ist eine gewisse Faszination dahin. Einfaches Dungeonmetzeln kann man gelegentlich auch heute noch aber das machen wir inzwischen eher mit einem Augenzwinkern.

Nun wird es komplizierter. Wir blicken hinter die Kulissen. Wir lernen Mechanismen kennen und beginnen sie zu hinterfragen. Das hat Konsequenzen. Die Unschuld ist dahin.

Aber ...

ich gehöre zu den einfach gestrickten Menschen. Ich will Action. Abenteuer! Und - das ist die positive Seite, ich werde bedient. Ich kann dich nämlich beruhigen, lieber Archoangel, das ist der Mainstream. D&D ist nach wie vor eines der erfolgreichsten Systeme und bietet genau das: Monster erschlagen und Loot einsammeln. Hurrah! Ich mag das System zwar nicht, aber es gibt ja noch mehr. Sieh dir Gamma World an! Da gibt es den Loot als Sammelkarten! Schau Dich um! Du bist nicht alleine.

Offline Maarzan

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #3 am: 29.06.2013 | 20:42 »
Das mit dem von Anfang an Helden ist aber nostalgische Verklärung.

Die waren merklich schlapper als ein Neuchar heute in DSA oder D&D.
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Offline Praion

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #4 am: 29.06.2013 | 20:43 »
Spiel Dungeon World. Das fühlt sich schnell und einfach so an. Naja, nicht so munchkin mäßig.
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Offline Laivindil

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #5 am: 30.06.2013 | 10:51 »
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Offline 1of3

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #6 am: 30.06.2013 | 11:00 »
Ja, hmmm. In der Kombination: Mir zu wenig. Hatte ich aufm Nordcon. "Dungeonslayers - Dungeon Delve". Bin nach einem Encounter geflohen. Rollenspiel hat zwei Standbeine: Narrativ und Gesellschaftsspiel. Entweder die Erzählung muss spannend sein oder die Regeln, bestenfalls beides, keinesfalls aber nichts davon.

An der Sitzung hatte mich alles angeödet. Der SL fing mit einer ewig langen Erklärung zu den Regeln an. "W20 unter die bezeichnete Zahl würfeln, dabei aber möglichst hoch. 1 ist Maximalergebnis." Zwei Sätze und das wärs gewesen. Taktik ist bei dem Spiel nachweislich nicht zu erwarten. Die Regeln tun nichts weiter.

Das wäre jetzt nicht so schlimm, wenn die Leute am Tisch, denn fitt gewesen wären und geile Show geliefert hätten. Ich war der einzige, der sich überhaupt für die Namen der Charaktere interessiert hat, warum sie jetzt in diese Höhle wollen (keine befriedigende Antwort), versucht hat zwei Sätze intime zu äußern (keine Reaktion) und tatsächlich hatte ein Teilnehmer Probleme die Regeln zu verstehen!

Sorry. Ich bin halt nicht mehr 8.

Offline Rhylthar

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #7 am: 30.06.2013 | 11:32 »
Sind halt ein paar Faktoren, die heute manchmal nicht mehr so funktionieren bzw. nicht mehr so gefragt sind:

a) K.I.S.S.:
Als ich OD&D anfing, habe ich innerhalb von 20min begriffen, worum es geht. Bekam einen Halbling vorgesetzt, Kurzschwert in die Hand gedrückt. Fertig.
Auf gehts. Insel des Schreckens und Burg Bernstein gespielt. Flüssig, unkompliziert. Einfach machen, Rest kommt von selber.

Ich vergleiche das gerne mit anderen "simplen" Spielen:
Als Kind habe ich Kniffel geliebt, weil es schnell war und "einfach so". Dann kam die Zeit der "Spieleabende", mit Risiko, Siedler, Game of Thrones, Runebound...endlose Vorbereitung für eine Runde. Mit Kniffel konnte man da nicht punkten.
Heute Kniffel ich lieber. Weil so schön simpel und schnell.

b) Höher, Schneller, Weiter:
Man mag es abstreiten. Man kann sagen: "Stimmt gar nicht!".
Doch, tut es. Das Grundprinzip funktioniert. Es hält nach wie vor Millionen von WoW-Spielern bei der Stange, man will immer neuen Loot, man will die funky shiny Rüstung, Und kein Ende in Sicht.
Ganz wenige Gilden weltweit haben jemals ein "Game Over" gesehen. Auch mich hat das Spiel genau deswegen 5 Jahre fasziniert, über mein /played darf ich eigentlich nicht nachdenken (aber ich würde es wieder machen).

c) Entdecker-Mentalität
Ob RPG oder PC-Spiel, ich habe "neues" immer geliebt. IWD2 ist draussen? Muss gekauft werden. Neue Klassen, neue Rassen, neue Landschaften. Immer weiter, denn nach jedem Dungeon kam etwas Neues. Neues Regelwerk? Neue Klassen, neue PrC, mehr Fluff zu einem Landstrich? Gekauft!
Heute wirkt vieles nur aufgewärmt, man kennt es irgendwie irgendwo her.

Ich wäre weiterhin "Kind", wenn es die Zeit nur zulassen würde. Und die Produkte, die mich innovativ begeistern, wobei ich jetzt nicht mehr so "offen" für komplett Neues bin wie früher.
Aber im PC-Bereich freue ich mich auf Project Eternity z. B. wie ein Schneekönig.  :) 
“Never allow someone to be your priority while allowing yourself to be their option.” - Mark Twain

"Naja, ich halte eher alle FATE-Befürworter für verkappte Chemtrailer, die aufgrund der Kiesowschen Regierung in den 80er/90er Jahren eine Rollenspielverschwörung an allen Ecken wittern und deswegen versuchen, möglichst viele noch rechtzeitig auf den rechten Weg zu bringen."

Für alle, die Probleme mit meinem Nickname haben, hier eine Kopiervorlage: Rhylthar.

Offline Kriegsklinge

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #8 am: 30.06.2013 | 11:36 »
Ich glaube schon, dass Nostalgie etwas in die Irre führt und sich bestimmte Dinge nicht zurückholen lassen. Ehrlich gesagt ist das auch ganz gut so - wie 1of3 schon sagte, ich bin eben nicht mehr 8 und will es auch nicht mehr sein.

Trotzdem kann ich deinen Wunsch nach einfachen Freuden und der Begeisterung für Plakatives nachvollziehen. Eine Taktik, die mir viel Spaß am Rollenspiel (wieder) erschlossen hat, ist das bewusste Herabschrauben von Erwartungen. Ich fahre zunehmend besser damit, Rollenspiel als Aktivität erst einmal nicht zu überfrachten, in jeder Hinsicht. Ich entscheide mich für einfache, überschaubare Szenarien, Spiele mit geringer Vorbereitungszeit und Runden mit Freunden, mit denen ich auch so gerne Zeit verbringe, sodass sich das Treffen schon mal so lohnt. Die Zeit ist begrenzt - eher drei, vier statt acht oder zehn Stunden und wir planen auf wenige Spielabende statt Monsterkampagne. Statt von vornherein zig Handlungsstränge und hundert Intrigen und doppelte Böden zu planen, mache ich es straight and simple und halte auch meine Tschars zunächst bewusst wenigdimensional.

Oft hat genau das aber den Effekt, dass Platz für Spontanität am Spieltisch freigeräumt wird. Ich komme leichter ins Improvisieren (als Spieler wie als SL) und bin aufmerksamer für kleine, coole Dinge, aus denen sich plötzlich ganze Szenen und zukünftige Entwicklungen entspinnen. Und genau aus solchen Momenten wächst dann pötzlich die Lust, doch ein Diary zu schreiben, zwischen Sitzungen in Regelwerken zu blättern oder bei einem Fantasyroman zu denken: "Das passt doch zu meinem Tschar!"

Die Wolke der Unwissenheit, das Zen des Rollenspiels sozusagen. Passt mir besser als nostalgische Regression bzw. bringt bessere Resultate. Es genau so machen zu wollen "wie früher" funktioniert für mich eh nie. Dazu bin ich auch viel zu neugierig auf Neues.

Offline knörzbot

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #9 am: 30.06.2013 | 11:38 »
Sind die Gedanken von Archoangel nicht genau die Gründe für die Retroklonwelle?

Offline korknadel

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #10 am: 30.06.2013 | 15:00 »
Ich habe sogar den Eindruck, dass sich in einigen Runden, die ich in den letzten Jahren gespielt habe, zum Beispiel die kürzliche DW-Runde bei Edwin, im Grunde genau das einlöst, was wir als Kids wollten, aber eben auch nicht hinbekamen, weil wir zu jung dafür waren und die äußeren Gegebenheiten dazu auch ungünstig waren. Jedenfalls vermisse ich dieses kindlich begeisterte Spielen heute im Grunde weniger als ich es damals mit vierzehn vermisst habe. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich genau in der Phase mit Rollenspiel begann, als -- vor allem bei DSA -- angefangen wurde, vom "guten" Rollenspiel zu predigen. 1987 hat man auf Die sieben magischen Kelche schon ungefähr genauso herabgesehen wie in den 90ern.
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Offline 1of3

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #11 am: 30.06.2013 | 15:06 »
Sind die Gedanken von Archoangel nicht genau die Gründe für die Retroklonwelle?

Womöglich bei einigen.

Die lauten Proponenten haben dagegen durchaus gehobene Ansprüche. Da wird dann Charakteroptimierung abgelehnt und "Player Skill" gefordert. Die Argumentation ist weniger "Zurück, weils so unbefangen war", sondern "Zurück, weils so qualitativ hochwertig war" und der SL noch SL sein konnte.

Die meisten sind auch überzeugte Simulanten und wollen durchaus zusammenhängende und komplexe Welten, die gewissen naturalistischen und plausiblen Ansprüchen genügen.

Offline Arldwulf

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #12 am: 30.06.2013 | 15:53 »
Mhh...ich weiß noch wie das ganze bei mir angefangen hatte. Wir saßen in einer Rollenspieltaverne im IRC und haben Abenteuer ausgedacht. Schätze und Monster? Völlig unbekannt. Es ging um Fallen, Rätsel und den Hintergrund der komischen Gestalten die dort an den Tischen saßen. Wir haben uns jeden Abend neuen Krams ausgedacht. Manchmal Trinkspiele oder Lieder mit meinem Zwerg Arldwulf, manchmal ging es darum Piraten zu verhauen und Wachen zu verführen.

Regeln gab's keine, nicht mal Würfel.
Aber der Effekt ist der gleiche wie im Eröffnungsposting. Ich spiele heute nicht mehr so, aber der Zauber davon verfliegt nicht und das erste Rollenspiel bleibt wohl immer in Erinnerung (technisch gesehen war es nicht das allererste....aber es fühlt sich so an)

Offline Mann mit Ukulele

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #13 am: 30.06.2013 | 17:23 »
Nostalgie, dieses Gefühl von "DAS war zu DEM Zeitpunkt genau richtig" (das man hoffentlich ordentlich ausgekostet hat, weils so gut war!), taucht ja immer wieder auf.

Ich ertappe mich in letzter Zeit immer wieder mal, wie ich an vergangene Situationen zurückdenke:
Sei es diese eine Arbeitsstelle, mit dem Arbeitsklima, das danach nirgends mehr so war, sei es das erste Mal "Der Schwarze Turm" spielen, sei es das Flair meiner ersten eigenen Wohnung, das unwiederbringlich dahin ist,
sei es das erste Mal in WoW auf einen Greif steigen und über die Spielwelt fliegen und dabei die anderen Spieler unter mir als kleine Punkte laufen sehen.

Letzteres hat einen Wahnsinnsflow in mir ausgelöst damals. Als ich aber jüngst wieder mal in WoW reingeschnuppert habe, war nach zehn Minuten Schluss.
Allein schon die Tatsache, dass im Menschen-Startgebiet keine Kobolde mehr rufen "Du nicht nehmen Kerze!", hat mich weggestoßen.

Ich freunde mich daher mit dem an, was ich bekommen kann und versuche das Beste draus zu machen (so ZEN-mäßig).
Dann habe ich die Chance, dass in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren genau darauf auch wieder ein nostalgischer Blick zurück möglich ist, weil ich's jetzt so genossen habe.

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Offline Archoangel

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #14 am: 30.06.2013 | 20:34 »
Also: je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich komplexe, realistische Welten, ellenlange Hintergründe und detailliert ausgefeilte NSC wie Abenteuerhintergründe sind für den Arsch. Im Prinzip sehe ich das eher als Rechtfertigungsversuche verzweifelter Erwachsener, die im alten Spiel ein "falsches, kindliches" zu entlarven versuchen und somit eine Idee eines "erwachsenen" Rollenspiels erenken, welches an sich gar nicht dem eigentlich Sinn dieses Genres auch nur ansatzweise nahe kommt.

Natürlich möchte ich hier keine Verurteilung und Bewertung von diesem oder jenem Spielstil abgeben; aber dennoch: mir stößt es jüngst doch sehr auf, wie auch einge Menschen aus meinem weiteren Umfeld die eigene simulationisch-narrative Spielform als den Gipfel der Rollenspielevolution betrachten und dennoch nur Spielabende produzieren, die einen wieder von der "guten alten Zeit" schwärmen lassen.

Daher auch der Grundgedanke: was war denn wirklich anders, jenseits des Reizes des Neuen?

Generell fällt mir dazu ein:

a) einfachere Regeln. Die Spielsysteme der Moderne (jenseits der Retroklone) sind eben doch eher kompliziert als komplex. Demnächst gibt es wahrscheinlich noch Regeln für die Verletzungswahrscheinlichkeit beim Stuhlgang, oder einen Wurf um ein Objekt vom Tisch aufzuheben (könnte ja kritisch schief gehen...). Durch kompliziertere Regeln wird das Spiel nicht besser (mMn noch nicht mal durch komplexe). Freiräume werden abgebaut, Master zu Spielleitern (oder noch schlimmer: zu Spielern) degradiert und Spieler werden ermuntert das Regelwulst besser zu kennen und alle taktischen Optionen bereit zu haben, als das es zum Entwickeln einer guten geschichte nötig wäre, egal ob es nun Pathfinder, 3.X, 4E, DSA4, Midgard die aktuelle oder wasweisichwas ist. Da scheint sich das Rollenspiel langsam zum taktischen kampfspiel zurückzuentwickeln.

b) einfache Welten mit viel Platz für eigene Phantasie. Mir ist es doch im Prinzip wurscht ob ich in einer realistischen Welt mit sinnvoller politischen Lage und an historischen Vorbildern geknüpften Kultuten spiele, oder nicht. Errr ... nein ... eigentlich will ich genau das immer weniger. Rollenspiel war einst die Möglichkeit die eigene Phantasie einzubringen und echte Abenteuer zu erleben. Heute ist es vielerorts zu realistisch und bringt daher auch idiotische Debatten zu Tage. Battlemat statt Gedankenfreiheit, Minis statt Phantasie und jede Menge pseudorealistisch durchverdauter halbgarer Hirnkacke anderer Menschen, die glauben die einzig gültige Wahrheitssicht eingeboren bekommen zu haben. Brauch ich nicht, will ich nicht, nützt niemandem.

Diese beiden Punkte wurden nun natürlich in Endlosschleife in allen Foren X-mal durchgekaut, aber das alleine scheint mir die Erklärung noch nicht zu bieten (und Zeitgeist und generelle Verfügbarkeit von Alternativen aus der "wo sind die jungen Spieler" Debatte brauch hier auch nicht wiederzukäuen). Wenn ich nun  gleichzeitig auch mal einen Blick auf die Romanlandschaft setzte stelle ich einmal mehr fest: da geht es nicht um Hintergründe, ausgefeilte Charaktermerkmale, Oskarreife NPCs, historische Welthintergründe und weisderGeiernoch so einen Krempel, sondern oftmals geug um einen oder mehrere Helden die eine wie auch immer gestellte Bedrohung meistern. Eben um helden, die ein Abenteuer erleben. Selbst beim Hobbit erfahren wir zunächst nur das Nötigste über die Hauptcharaktere und die Welt - und dann mal ab ins Abenteuer!

Im weiteren Verlauf der Geschichte mag man an passender Stelle ja mehr und emhr von Welt und Bewohnern erfahren, aber eben nach und nach, nicht unbedingt und später; und genau DAS hat sich meines Erachtens in vielen von mir besuchten Gruppen gegenüber früher verändert. heute will man "erwachsen" spielen, macht sich im Vorfeld tausend Gedanken um Spielwelt, Politik, Reiche, NPC, Gilden etc. ... um dann unfertige Charaktere zu spielen (unfertig im Sinne von "keine Helden") die in dieser Kulisse ein Laienspiel vollziehen und bereits mit einem weitgehend fertigen Hintergrund erscheinen, der sich wie eine Bewerbung um einen Posten im Geheimdienst liest, incl. polizeilichem Führungszeugniss, Lebenslauf und Stammbaum.

Früher hingegen war eine Beschreibung von "ein zwei Meter großer Krieger mit Kettenhemd und Barbarenstreitaxt" zunächst völlig ausreichend, Nachnamen bekamen Helden meist zufällig weil der Master so ein geiles Abenteuer inszenieren konnte "tja Rauwulf, dein Vater der Baron von Hengisttorf lässt nach dir schicken weil der böse Magier Rebenzahl das Familiengrab gestürmt hat um das magische Schwert Wurmzwinger deines Großvaters Isegrimm zu rauben ..." "Was? ich bin adelig? Cool ..." udn auch wichtige Schauplätze ergaben sich erst bei Bedarf "das Nachbarkönigreich Dorfstred hat euch den Krieg erklärt und König Orogan von Gandar bittet euch um Hilfe ...".

es war eben nicht so, dass auf narrative und simmulationistische Elemente verzichtet wurde, aber sie wurden eben nur dann bedeutsam, wenn sie für eine erlebbare Geschichte, ergo ein Abenteuer an Bedeutung gewannen. Charakter und Spielwelt wuchsen wie ein Baum: während des Spiels in beide Richtungen, die Äste ins Licht dem Neuen entgegen und das Fundament, die Wurzeln wuchsen auch in den Hintergrund und die Geschichte hinein, aber genährt wurde alles vom guten Boden "Abenteuer".

Und genau da will ich eigentlich wieder hin: zu einem Spiel, in dem das Spiel, das Abenteuer im Zentrum steht und nicht das drummherum, in dem es erst mal nicht wichtig ist wer wo was warum getan hat - es sei denn ich brauche es aktuell für die Geschichte, die ich Abenteuer nenne. Zu einem Spiel in dem die Helden zu Anfang an Helden sind (die natürlich auch besser werden) und nicht die Fußabtreter der ach-so-realistischen Nation, in der Monster vernichtet werden müssen, in der Schätze von helden geborgen werden und ich nicht jede magische Waffe in den Händen der Monsterbosse finde. in der ich ohne Battlemat spielen kann - weil die Reegeln keine brauchen und in der die Taktik des Kampfes und die Werte eines Monsters weit weniger wichtig sind als die Spannung des Erzählten (Kampfes) und der knappe Ausgang der bedrohung. In einer Welt in der nicht jede phantastische Idee und Innovation durch eine Regel blockiert wird (das geht nur wenn du den Feat XY gewählt hast) und in der geile Aktionen aktiv vom Master gefördert, statt passiv vom Spielleiter mittels Regeln gemanaged werden, in dem ich also wieder das Gefühl habe jung und unverbraucht in ein phantastisches Hobby hineinzugleiten. Ein Spiel auf das ich hungere und auf dessen Fortgang ich lechze, während ich den Alltag mit all seinen Sorgen und Routinen zu meistern versuche.
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Offline Arldwulf

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #15 am: 30.06.2013 | 21:02 »
Mir graut es bei dieser Beschreibung ja selbst als felsenfester AD&D First Edition Fan. ^^

Vieles was du dort beschreibt erscheint mir widersprüchlich. Gerade der Wunsch nach einem starken Spielleiter und gleichzeitig nach sich spontan entwickelnden Charakterhintergründen der Spielercharaktere. Aber letztlich...wenn du da hin willst, woran scheitert es denn? Mitspieler zu finden?

Offline Archoangel

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #16 am: 30.06.2013 | 21:08 »
Bisher habe ich noch keinen gefragt. Du bist gerne eingeladen. Spieler zu finden war noch nie ein Problem für mich ...

Nö, die Gedanken sind noch sehr neu und chaotisch, eben erst seit gestern wirklich da. Die Umsetzung wird wohl sehr bald folgen wahrscheinlich mit AD&D oder BECMI (wer hätte das gedacht!?!).
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Offline Arldwulf

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Re: Fette Monster, cooler Loot (wo ist die Kindheit hin?)
« Antwort #17 am: 30.06.2013 | 21:16 »
Gern, gerade falls es AD&D werden sollte. Aber dann bitte mit Hintergrundgeschichte. Muss ja kein Roman werden, aber.das von dir angesprochene Ziel eines sich im Spiel entwickelnden Hintergrundgeschichte funktioniert besser wenn es punkte gibt an denen man ansetzen kann und wenn der Spielleiter nicht nachträglich am Hintergrund der Spieler rumdoktort. So etwas sollte von den Spieler kommen, niemand weiß besser wie sie sich ihre Charaktere vorstellen.