Ein kleines Dankeschön noch:
Trotz meiner (ganz subjektiven) Kritik an FATE, das ihr gerne und mit viel Freude spielt, bleiben alle nett und sachlich und ohne Missionierungsdrang. Das ist - bei anderen Systemen - nicht immer der Fall. Es ist schön, dass man auch als "FATE-inkompatibler" hier Meinungsaustausch pflegen kann.
FATE ist wie jedes System ein Werkzeug, von dem jeder entscheiden muss, ob er dafür Verwendung hat oder nicht. Ich denke nicht, dass es hier Leute gibt, die vom Gedanken um den Schlaf gebracht werden, dass da draußen irgendwo Ungläubige sitzen, die FATE nicht genauso toll finden wie sie.
Ich hätte auch nicht das Gefühl, dem System einen Gefallen zu tun, wenn ich es jedem schönreden würde oder die Leute dazu drängen würde, mir zuzustimmen. Ich ziehe es vor, einfach über das System zu diskutieren und jeden zu einer eigenen Meinung kommen zu lassen.
Ein Problem ist aber, dass FATE in einigen Punkten sehr anders denkt, als die meisten Rollenspiele. Das führt dazu, dass es immer einen gewissen Austausch braucht, um herauszubekommen, ob der Gesprächspartner das System vielleicht einfach nicht verstanden hat, oder ob er es prinzipiell verstanden hat, aber nicht versteht, wozu so etwas nützlich ist, oder ob er alles verstanden hat, aber einfach mit der Idee nichts anfangen kann.
Ich verstehe den Gesichtspunkt, unter dem FATE funktionieren kann und offensichtlich für dich funktioniert. Aber meine Herangehensweise an ein Rollenspiel ist eine ganz andere, viel direktere. Wenn ich möchte, dass die Spieler etwas cooles tun, in ihre Rolle schlüpfen, dann belohne ich sie dafür. Soweit sind wir uns ja auch einig. Dafür brauche ich aber keine Aspekte. Der Kurier des Zaren erhält halt Boni, wenn er das ausspielt. Ein schönes Beispiel ist Exalted. Over-the-top-Aktionen der Spieler funktionieren besser, als Standardmanöver. Fertig. Schon überbietet man sich mit Beschreibungen. Aber ich musste nichts einschränken. Die Spieler brauchen keine Fatepunkte, müssen nicht damit haushalten. Das wird rausgepfeffert, dass die Hütte rockt (wenn das System nur sonst nicht so verkomplizert und verquarkst wäre).
Ich mag auch Exalted sehr gern (leider habe ich nie eine Gruppe dafür begeistern können, sich die Regeln so einzuverleiben, dass ein flüssiges Spiel möglich war), ebenso den kleinen Bruder Scion. Die Idee, dass filmreife Aktionen nicht erschwert sind, sondern sogar eine höhere Erfolgschance haben, hat mir auch sehr gut gefallen.
Aber gerade bei den Storytellersystemen gibt es doch einen Mechanismus, der den Fatepunkten schon sehr nahe kommt: Mit Willpower kann ich mir Boni für Einzelaktionen holen und wie Fatepunkte erhalte ich Willenskraft wieder, wenn ich mich ausruhe oder Nachteile ausspiele (oder vielmehr Elemente des Charakterhintergrundes nachteilig ausspiele). FATE rückt einfach diesen ganzen Aspekt des Spiels etwas in den Vordergrund.
Wir wollen als Spieler auch keinen leidenden McLane, das wäre eine Betrachtung von außen. Wir wollen eine Betrachtung von innen. Die Spielfigur in die Bredoullie zu bringen, ist auch mal in Ordnung, aber nur im Falle des In-Charakter-Denkens. Das Leiden-Lassen, das Du angesprochen hast, wäre für uns zu sehr eine Betrachtung von außen und (zumindest für mich) hochgradig immersionsstörend. Vielleicht sind es diese Unterschiede, die mich FATE-inkompatibel machen? Dafür halte ich mich nämlcih inzwischen.
FATE setzt bis zu einem gewissen Grad voraus, dass der Spieler über seinen Charakter nachdenkt. In der Spielwelt sitzt ja kein Teufelchen auf der Schulter des Charakters und bietet ihm einen Punkt dafür an, dass er Mist baut. Die ganze FP-Economy hat nicht direkt mit dem Charakter zu tun, sondern mehr mit der Geschichte.
Aber für mich gehört die Geschichte zur Immersion, ich will ein Filmartiges Erlebnis, mit großen Panoramaschwenks über die Landschaft und Kameraeinstellungen, wo der Charakter von dunklen Gestalten verfolgt wird, ohne es zu bemerken. Eine konsequente Ego-Perspektive kann ich mir nicht auf Dauer vorstellen.
Genau da, wo die FATE-Spieler die Regeln so lieben (Aspekte ausspielen, etc.), da ist MIR Fate im Wege. Mein Kurier des Zaren kann gefälligst, was ein Kurier des Zaren können sollte. IMMER. Dann brauch ich aber auch Skills und Stunts nicht. Es gibt ja auch die Bewegung, Skills und Stunts wegzulassen und um ehrlich zu sein, das macht viel mehr Sinn als dieses Gewurschtel hier. Nur mit Aspekten kommen wir der Sache schon näher. Dann noch Fatepoints weglassen für das Invoken des Aspekte und ich könnte FATE entweder mögen, oder genausogut weglassen.
Alternativ kann man die Aspekte auch einfach als Beschreibung nicht mehr so ernst nehmen. "Kurier des Zaren" wäre keine Beschreibung des Charakters mehr, sondern eines Feats. Quasi der Name des Feats, das dem Charakter gelegentlich Boni verleiht. Dann könnte ich den Gebrauch verstehen, fände das aber eine Arge Verschwendung der Möglichkeiten und insgesamt eine Enttäuschende Variante.
*lacht* Hör auf, du machst ja das ganze FATE kaputt! Mir scheint, du willst FATE in eine Richtung drängen, von der es eigentlich bewusst weggeht. Das machen schon genügend andere Systeme, da würde ich mir die Mühe sparen und einfach was anderes spielen, anstatt FATE komplett umzubauen.
Aber irgendwo scheint mir auch deine Perspektive noch immer nicht ganz gerade zu sein: Aspekte haben nichts damit zu tun, was ein Charakter kann. Das wird komplett durch Skills und Stunts abgedeckt. Was du einen Feat nennst, ist bei FATE ein Stunt.
Die ganze Sache mit den Aspekten ist noch einmal draufgesetzt und soll im Prinzip ein System darstellen, um Handlungen, Entscheidungen und Folgen mit taktischen Regeln zu versehen - ähnlich wie viele Systeme versuchen, Dinge wie Kampf oder Magie in ein Regelgewand zu kleiden. Auch dafür bräuchte man nicht unbedingt ein spezielles Würfelsystem. Man könnte einfach den Kampfskill von zwei Charakteren vergleichen und der Bessere gewinnt. Trotzdem hat man sich bei den meisten Systemen für ein detailliertes Kämpfen mit Initiative, Rüstung, Mana, Manövern und Lebenspunkten entschlossen, in der Hoffnung, dass durch das Aufbrechen von Kämpfen in viel Einzelaktionen mit verschiedenen Optionen ein spannenderes und interessanteres Kampferlebnis zustandekommt.
FATE versucht etwas ähnliches auf einer Erzählebene: Durch das Auflösen von Hintergründen und Umständen in viele kleine Einzeleinflüsse erhofft man sich einen interessanteren Handlungsablauf.
In vielen Kampfsystemen gehen Aktionen hin und her: Ich greife an und danach ist der Gegner dran und ich muss mich verteidigen, egal, wie die Kräfteverhältnisse sind. Echte Kämpfe funktionieren auch nicht so, aber das stört nicht dabei, weil das Ergebnis so ist, wie man es aus Filmen und Büchern kennt.
Und genauso versucht FATE eine gewisse Balance zwischen vorteilhaften und negativen Einflüssen zu schaffen, was genausowenig realistisch ist, aber zu einem befriedigenden Ergebnis führen kann.
Ich glaube, ich bin einfach zu sehr gamistisch veranlagt, was das Regelwerk anbelangt, und viel zu sehr freiheitsverliebt, was den Input in das Spielgeschehen anbelangt.
Keine Ahnung, was "gamistisch" ist, aber wenn dir die absolute Freiheit sehr wichtig ist, dann wird dir FATE in der Tat ins Gehege kommen.
Andererseits müssen Regeln nicht unbedingt einschränkend sein. In der Tat spricht man ja im Rollenspiel oft davon, dass Regeln einem erlauben, etwas zu tun, bis hin zu einem Punkt, wo Regeln gefordert werden, um etwas spielen zu können: Ich will einen Ninja spielen, wann kommt das Buch mit den Ninja-Regeln? Das klingt eigentlich völlig absurd, aber die meisten großen Rollenspielverläge verdienen einen Großteil ihres Geldes mit Büchern, die Regeln enthalten, um irgendetwas besonderes zu spielen.
Ein gutes Regelwerk lässt mich meinen Charakter spielen und gibt mir Anregungen und Optionen für das Spiel. Und offenbar führt das in der Praxis für die meisten zu einem zufriedenstellenderen Spiel als reines regelloses Charakterspiel?
Warum sollen Regeln für das Spielgeschehen das nicht auch leisten können?
Der große Inspirationsschub, der echte Nährwert von FATE liegt für mich im Compelling der Aspekte. Das rockt wirklich und eröffnet Motivation für echt coole Spielmomente. Aber der Rest ist wohl so gar nicht meine Welt. Dabei stecken wirklich nette Ideen in den freien Aspekten...
Compels sind unglaublich cool, aber wenn Invokes umsonst sind, musst du den Spielern eine andere Art von Belohnung geben, damit die Idee funktioniert. In Systemen, wo Erfahrung in großen Zahlen vergeben wird (D&D, DSA), könnte man einfach XP nehmen. Oder im Storytellingsystem Willenskraft.
Oder wenn du reich bist, legst du den Spielern einfach fünf Euro hin.
Ohne Skills, ohne Stunts, nur mit Aspekten, zuverlässig funktionierend mit weniger Abhängigkeit von Fatepoints beim Invoken... dann könnte ich mit Fate warm werden.
Ich würde es nicht mehr FATE nennen. Aber klingt so, als könnte es gut funktionieren. Wenn du in der Richtung einmal konkrete Schritte unternimmst, würde ich es gern mit dir diskutieren.
Ich habe, wie an anderer Stelle dargelegt, mit dem Compel = ZWANG zu Zahlen oder zu "Gehorchen" ein Problem. Ich sehe es so, daß ich lieber einem Spieler den VORSCHLAG, das ANGEBOT mache, eine negative Eigenschaft auszuspielen und dies dann belohne, statt daß ich den Spieler in eine Art ZWANGSLAGE bringe, wo er nur eine von zwei Entscheidungsmöglichkeiten treffen kann: einen Fate-Punkte zahlen oder einen Punkt nehmen und den negativen Aspekt ins Spiel bringen, von dem ich als Spielleiter meine, das er jetzt nach meinem Wunsch eingebracht werden sollte.
So wie du es schilderst, habe ich da immer den bösen SL vor Augen, der mit einem manischen Lachen die Spieler mit Fatepunkten bewirft, um ihre Charaktere reinzureiten. Das klingt gar nicht so nach dem, wie ich es bei uns am Tisch erlebe.
Zuerst einmal nimmt sich ein Spieler ja Charakteraspekte in dem Wissen, dass sie compelled werden können. Bei manchen Aspekten kommt es auch eher selten dazu, aber wer einen Aspekt wie "ich suche mein Glück auf dem Boden einer Flasche" nimmt, der kommuniziert klar, dass er diese Facette seines Charakters gern im Spiel auftauchen sehen würde und kann erwarten, dass ihn das regelmäßig in Schwierigkeiten bringt. Er könnte ja auch einfach einen funktionalen Alkoholiker spielen, bei dem das Trinken einfach dem Charakter Farbe verleihen soll (Zwerge), aber wenn er das als Aspekt nimmt, macht er das, weil er will, dass es auf den Handlungsverlauf im Spiel auch ordentlich Einfluss nimmt.
Und zweitens macht der Ton die Musik: Ich versuche immer, Compels als Angebot an den Spieler rüberzubringen: Hey, ich habe gerade eine tolle Idee, wie dein Aspekt die Geschichte interessanter machen könnte. Es kommt auch oft genug vor, dass Spieler selbst Komplikationen mit ihren Aspekten vorschlagen, die sie gern umgesetzt sähen.
Und in den seltenen Fällen, in denen sich Spieler aus ihren Compels auskaufen, wird es meist so gesehen, dass sich die Charaktere einen Vorteil erkaufen: Der Säufer verhindert nicht einfach, dass ihn seine Trunksucht in Gefahr bringt, sondern er zahlt, um seinen Charakter durch einen glücklichen Zufall gerade dann nüchtern zu machen, wenn es darauf ankommt.
Drittens wäre es in Konflikten nicht sinnig, die Auszahlungskosten zu entfernen: Wenn ich mit einem Manöver den Aspekt "steht lichterloh in Flammen" auf einen Gegner lege (ich habe ihn mit einer Brandbombe beworfen), kann ich erwarten, dass er einen Compel wie "er wälzt sich schreiend auf dem Boden, um das Feuer zu löschen" annehmen oder sich auskaufen muss. Wenn er den Compel einfach nach Belieben ignorieren könnte, würde das ganze Manöver so keinen Sinn machen. Die ganze Idee eines Manövers wäre sinnlos.
Viertens ist ein FP, den ich auslege, um eine gefährliche Situation zu vermeiden, die eventuell die ganze Gruppe zig FP kosten könnte, gut angelegt. Es ist nicht so, dass die Spieler FP zu vergeuden haben, aber wenn das Spiel gut läuft, sollten sie auch nicht auf dem Trockenen sitzen.
Ein +1 auf einen Wurf oder eine Declaration wie "der Wagenschlüssel ist hinter der Sonnenblende" kosten auch einen FP, da halte ich das Auskaufen aus Compels für im preislichen Rahmen.
Fünftens müsste ich oft gar nicht compellen. Ich bin der Spielleiter, wenn ich unbedingt will, dass die Charaktere überfallen werden oder die Frau eines Charakters Skandalbilder von ihm zugeschickt bekommt, dann mache ich das einfach. Aber es ist doch schöner, wenn der Charakter einen Aspekt "mein Erzfeind, Doktor Photoshop" hat, den ich benutzen kann, um ihn für seine Schwierigkeiten zu entlohnen und seinen Hintergrund in die Story einzubinden. Wenn ich einen Spieler hätte, der solche Dinge einfach immer versucht, abzublocken, dann würde ich es irgendwann nicht mehr versuchen, sondern ihm einfach so Plot auf den Hals hetzen.
Und zu guter Letzt würde ich nie Spieler mit einem Compel zu etwas zwingen. Wenn ein Spieler etwas nicht spielen will, weil ihm das unangenehm ist, weil es ihn nervt oder weil er es schlicht uninteressant findet, werde ich das doch nicht einfach durchziehen und die Gruppe für den Rest des Spielabends frustrieren, weil gerade keiner eine lächerliche Glasmurmel zum bezahlen hatte.
Wenn ich einen Compel spiele, dann sollen die Spieler sich ein wissendes "oh-oh!" zunicken und mit einem Leuchten in den Augen nach den Würfeln greifen.