Zugegeben, ein etwas sperriger und vielleicht nicht ganz eindeutiger Titel, aber ich kann ja mal erklären, worum es mir geht:
In vielen Rollenspielsettings, vor allem den älteren, traditionelleren, findet man häufig Spielwelten, die (trotz dem Vorhandensein von Elfen, Orks, etc.) hauptsächlich von einer weißen, menschlichen Bevölkerung dominiert werden. Darüberhinaus tauchen sehr häufig klischeehafte Rollenbilder von Mann (stark, Führungsperson, kämpferisch, etc.) und Frau (emotional, sexy, diplomatisch, etc.) auf. Auf Vertreter anderer Hautfarben trifft man meist nur in vordefinierten Rollen: Die wilden „Waldmenschen“ bei DSA, asiatisch aussehende Ninjas, diverse fahrende „Zigeuner“-Pendants, etc.
Ähnlich verhält es sich meiner Wahrnehmung nach mit dem Thema Homosexualität/LGBT. Tauchen diese Themen auf, stehen sie im Vordergrund: Der tuntige schwule Mann, die männliche und wenig weibliche lesbische Frau.
Es ist eine sehr begrüßenswerte Tendenz in aktuellen Rollenspielprodukten erkennbar: Spiele wie Bluebeards Bride, das sich mit explizit weiblichen Horror-Themen beschäftigt. Numenera, das sich in ner eigenen Spielhilfe mit Themen wie (LGBT-)Sexualität und Gleichberechtigung auseinandersetzt (und wo auch mal eine Schwarze Frau auf dem Cover eines Grundregelbuchs auftaucht). Splittermond, in dem Vertreter verschiedener Völker wie Elfen, Gnome, etc. auch in menschlich dominierten Regionen Grafen, Barone oder Stadträte sind (und nicht nur die Exoten).
Meiner Ansicht nach eignet sich Rollenspiel ganz besonders gut, um die Wahrnehmung von Diversität zu fördern: Wir können ohne großen Aufwand Welten erschaffen, im denen sich Gesellschaften jenseits tradierter Rollenbilder entwickelt haben. Diskriminierung aufgrund von körperlichen Merkmalen wie Hautfarbe oder aufgrund von Herkunft oder Sexualität sind das Erbe UNSERER (postkolonialen) Gesellschaft. In einer selbst erfundenen Welt ist man nicht daran gebunden.
Deshalb mein Aufruf: Fördert mehr Unterschiedlichkeit in euren Spielwelten! Man könnte jetzt argumentieren, dass eure Gruppe ja schon sehr liberal und offen mit diesen Themen umgeht. Aber: Jeder von uns hat seine eigenen Klischees und Vorurteile im Kopf (ist ja sozusagen eine Grundfunktionen unseres Denkens). Ein kleines Experiment dazu:
Denkt euch spontan und ohne explizit Klischees zu vermeiden drei NSCs aus. Wie sieht sie/er aus? Welchen Beruf hat sie/er? Was sind ihre/seine Vorlieben? Wie könnte sie/er in einer Spielsitzung eingesetzt werden? Einzige Vorgaben sind:
- NSC1 ist eine junge Frau
- NSC2 ist ein Schwarzen Mann
- NSC3 ist eine lesbische Frau
Bei den meisten von uns (auch bei mir!) dürften zumindest teilweise klassische Klischees beeinflussen, was uns spontan bei diesen Vorgaben einfällt. Dieser Effekt ist in der Kognitionspsychologie als Priming bekannt: Bestimmte Begriffe lösen bei uns automatisch und blitzschnell Assoziationen aus. Diese Assoziationen sind massiv von unseren Vorurteilen geprägt, die wiederum durch unsere Wahrnehmung geformt werden. Im Kino, im TV, in (Rollenspiel-)Büchern, in der Werbung und in Videospielen werden wir tagtäglich mit teils diskriminierenden Rollenbildern, Sexismen und Rassismen konfrontiert - das sorgt dafür, dass wir diese schnell und manchmal ohne es merken, reproduzieren. Je öfter ich mir also bewusst mache, dass ich meinen eigenen Klischees aufsitze und je öfter ich alternative Darstellungen wahrnehme oder bewusst gestalte, die diesen Klischees widersprechen, desto eher verändern sich längerfristig meine automatischen Assoziationen.
Ein paar Beispiele, wie ich als SL Diversität in meinen Runden umsetzen könnte:
- Eine Spielwelt, in der ein Königreich mit Schwarzen Menschen mal keine „animistisches Stammesgesellschaft“, sondern ein feudalistisches Königreich mit ausgeprägtem Rittertum ist
- Ein Wissenschaftler bei Shadowrun, der aufgrund seiner revolutionären Forschung zur Nanotech in der Presse ist, dessen Transsexualität aber schlicht unerwähnt bleibt
- Ein junger Bauerssohn, der die Hilfe der Helden benötigt, weil er beim Versuch, seinen Geliebten vor Monstern zu retten, verletzt wurde
- Spielt mal einen Charakter mit anderem Geschlecht, Hautfarbe oder Sexualität und bemüht euch, auf Klischees zu verzichten
Stellt eure und die Erwartungen eurer Mitspieler auf den Kopf und versucht zu zeigen, dass Vorurteile und Zuschreibungen auch mal falsch sein können.
Und an die Rollenspielverlage: Traut euch und verwendet auch Illustrationen, die Frauen in „klassisch männlichen“ Berufen oder Tätigkeiten gezeigt werden. Zeigt auch mal Menschen mit anderen Hautfarben als Weiß außerhalb von Rollen, die Vorurteile gegenüber diesen Menschen bestätigen. Brecht beim Worldbuilding mit Klischees. Lasst LGBT-NSCs in Abenteuern auftauchen und stellt nicht ihre sexuelle Orientierung in den Vordergrund.
Was ist dadurch zu gewinnen: Respekt, Wertschätzung und Anerkennung für Menschen, die nicht den zahlenmäßig größten Bevölkerungsgruppen entsprechen. Langfristig vielleicht sogar ein Aufweichen von Vorurteilen und mehr Akzeptanz. Klar, man kann jetzt argumentieren, dass das alles ja „Randprobleme“ seien, die deshalb wenig Beachtung finden, weil es um eine „kleinen“ Kreis von Personen gehe. Aber welche Nachteile hätte es?