Ich finde schon gut, wenn Rollenspiel-Autoren sich Gedanken über Rassismus und Diskriminierung machen. Ich fand z.B. schlecht, wie in Savage World of Solomon Kane etwa indianische Stereotype (wahlweise der edle Wilde oder halt einfach nur der blutrünstige Wilde) bedient wurden. Gerade bei einem Rollenspiel, dass auf der vor Rassismus triefenden Literatur eines Rassisten basiert, hätte ich irgendwie mehr erwartet, da irgendwie drauf einzugehen und sich davon zu distanzieren. Natürlich ist das gerade beim Pulp-Genre schwierig, aber es hat auch nie jemand behauptet, dass Rollenspiele zu schreiben leicht sein müsse. Besser gefiel mir da der Ansatz aus Down Darker Trails, dem Wild-West-Supplement zu Cthulhu, wo schon auf den ersten Seiten etwas zum Begriff "Indianer" gesagt wird...
Generell halte ich Eurozentrismus nicht für etwas abgrundtief schlechtes im Rollenspiel. Immerhin handelt es sich um Unterhaltungsprodukte, die gerade wenn sie auf Deutsch veröffentlicht werden natürlich auch eine recht enge Zielgruppe haben. Wenn dann in DSA etwa Mohas "exotisch" dargestellt werden, kann man da natürlich die postkoloniale Keule auspacken, aber unter all den Stereotypen und Verfremdungen muss man ja auch erkennen: man identifiziert sich nun mal leichter mit dem, was man kennt. Daher finde ich es wenig überraschend, dass in DSA das Bekannte den Normalfall darstellt, also Mittelreicher, Horasier, Andergaster, auch noch Thorwaler... Das ist einem Deutschen eben meistens näher.
Und das ist auch überhaupt kein Problem. Das ist ja kein staatlich reguliertes Produkt, es gibt ja kein Verbot anderer Rollenspiele, keine Monopole etc. Und jeder hat Zugang zu DSA und anderen Rollenspielen. Wir haben es hier ja nicht mit Country Clubs zu tun, bei denen noch die Rassentrennung gilt... Es besteht ja kein wirklicher Nachteil dadurch, wenn man in Rollenspiel X nicht jede Hautfarbe gleichberechtigt spielen kann. Das ist doch eine ganz andere Situation, als wenn in einer Firma im Publikumsverkehr nur Leute mit einem bestimmten Profil eingesetzt werden...
So, zum anderen. Rollenspiel ist einerseits voll von Verfremdungen. Das merkt man ja schon im OP, wo das hinführt. Reden wir jetzt über Hautfarben oder über Fantasy-Rassen? Wieso wird das in einen Topf geworfen? Wie fühlt sich ein realer Schwarzer, wenn seine Rechte, seine Geschichte und seine Diskriminierungserfahrung mit der eines Gnomenvolkes in einem blöden Spiel für Nerds verglichen werden? (Die Frage ist ernst gemeint, mich interessiert das wirklich.)
Nein, ich finde es auch nicht gut, wenn etwa ein Schwarzer aus Gründen der Selbstidentifikation einen schwarzen Charakter spielen möchte und man ihm in DSA dann nur sagen kann: Ja, es gibt da diese Utulus auf den Waldinseln... (Ok - und inzwischen wohl auch Uthuria.) Das ist doch nicht schön, aber solche Aspekte sind den Autoren doch bewusst, die Zeiten ändern sich und gerade DSA tut doch eine Menge in Richtung Diversität. Aber die Aufforderung, dass ich jetzt bitte nur noch diskriminierte Gruppen spielen soll finde ich ziemlich daneben, genauso wie die Forderung, dass Settings bitte in gesellschaftliche Utopien verwandelt werden sollen...
Mir geht es im Rollenspiel um ein Freizeitvergnügen, um Immersion, um Fantasie...
Ich habe mal einen Alkoholiker gespielt. Nicht, weil ich mich damit so gut identifizieren könnte oder weil ich mal erleben wollte, wie es einem Alkoholiker ergeht. Ich glaube nicht, dass man das im Rollenspiel tun kann. Ich halte die Grundannahme, dass Rollenspiel für so etwas besonders gut geeignet sei, schon verkehrt. Warum habe ich den Alkoholiker gespielt? Aus dem niedersten Motiv: Ich hatte in einem anderen Medium einen Alkoholiker total cool gefunden (Archer aus der gleichnamigen Zeichentrickserie) und wollte daher auch mal einen Alkoholiker spielen.
Das ist immer noch einer meiner Lieblingscharaktere.
Echten Alkoholikern gegenüber dürfte der Charakter ziemlich unpassend gewirkt haben. Weil es natürlich ein auf ROLLENSPIEL runtergebrochenes Konzept war, der war immer noch in diesem Fall ein vollwertiges Mitglied seiner Raumschiffcrew, der hatte ordentlich was auf dem Kasten und Alkoholiker war, da mit Cortex Plus gespielt wurde, sogar in vielen Situationen als ein VORTEIL einsetzbar.
Das wird echtem Alkoholismus nicht gerecht. Trotzdem darf ich das, denn in der Fantasie ist alles erlaubt. Und im Rollenspiel will ich meine Fantasien mit anderen teilen. Dabei soll niemand verletzt werden, aber das bemerke ich ja im Umgang mit anderen Spielern. Nur weil in einer anderen Stadt gerade ein Rollenspieler sitzt, den mein Charakter verletzen könnte, muss ich doch nicht auf meinen Charakter verzichten. Der übrigens wirklich eine Menge Spaß gemacht hat.
Im Rahmen von Schulungen kann es natürlich Rollenspiele geben, die Empathie schulen, die diskriminierende Problematiken aufzeigen usw. Unser Hobby-Rollenspiel ist aber keine Schulung und kein angeleitetes pädagogisches Konzept oder geschieht unter Aufsicht eines Supervisors. Es findet auch nicht am Arbeitsplatz ab und es besteht auf einer persönlichen Ebene. Und das ist auch so ein Problem. Hier wird eingefordert, dass mir jetzt in meine Fantasie eingebrochen wird was ich mir vorzustellen habe (und was nicht). Das möchte ich nicht und darauf reagiere ich allergisch.
Mein Spiel wird immer nur so divers sein, wie ich gerade Lust dazu habe. Rollenspiel ist kein Stuhlkreis, bei dem wir lernen, besser miteinander auszukommen und ich will auch nicht, dass mein Hobby-Rollenspiel in eine pädaogische Erziehungsmaßnahme verwandelt wird. Zumal im Rollenspiel ja alles per Definition spielerisch verhandelt wird. Das hatten wir ja auch schon.
Und dazu, man könne ja diesen Aufruf ignorieren. Dieser Aufruf kam mit einer ziemlichen Arroganz daher und explizit der Äußerung, dass selbst wenn man meine man brauche es nicht, dass man es eben doch brauche. Das ist ein ganz anderes Niveau als etwa wenn Venger Ni'Satanis in seinem SL-Ratgeber empfiehlt, dass Rollenspiel immer besser sei mit Dinosaurieren. Ich glaube diesese hohe Ross, von dem der Aufruf kommt, ist einer der Gründe (neben des politischen Gehalts), der so viel Gegenwind produziert. Das Thema hätte man ja auch ganz anders vorstellen können, etwa: ich bin unzufrieden mit Diversität im Rollenspiel, wie kann man das besser machen... Stattdessen soll mir mit pädagogischen Spielchen gezeigt werden, was für ein schlechter Mensch ich doch bin...
Mit Klischees zu spielen und zu brechen ist übrigens das 101 des Rollenspiels. Die vorgebrachten Beispiele wirkten alle ein wenig über den Zaun gebrochen und von der einfachsten Machart. Das hat mich dann auch nicht besonders abgeholt. Alles einfach mal umgekehrt zu denken...
Was die Crossgender-Debatte angeht, wenn ein SL das verbietet nehme ich das einfach hin. In meinen Tischrunden ist Crossgender aber an der Tagesordnung, also wir haben ständig crossgender-Charaktere (sowohl m>w als auch w>m). Seit vielen Jahren, bei uns gibt es da auch keinerlei Probleme und mich wundert, dass das für manche Spielrunden so problematisch ist, wenn ich von Scherbenhaufen etc. lese. Ich finde auch komisch, wenn Spielleiter das verbieten und rechtfertigen über "angemessene Darstellungen", das ist irgendwie scheinheilig, denn die Spielleiter spielen ja STÄNDIG crossgender. Der SL sagt also "ich kann das zwar, aber euch traue ich das nicht zu". Nachvollziehen kann ich dagegen Argumente wie "ich kann mir einfach keine Frau vorstellen, wenn da immer der bärtige Uli redet". Aber man kann sich vorstellen, wenn der dicke Dirk einen athletischen Elfen spielt? Die meisten Argumente halten m.E. nicht stand, wenn man sie sich genauer anschaut und für mich kommt es dann auf ein "ich möchte das aber einfach nicht" herunter. Was für mich auch ok ist, ich möchte ja im Rollenspiel keine politische Agenda verfolgen und Rollenspieler die unbedingt dieses eine Charakterkonzept verfolgen wollen und bloß kein anderes sind nicht weniger problematisch, als der crossgender verbietende SL.
Genauso übrigens auch Hautfarben und sexuelle Orientierung. Da darf bei uns jeder spielen, was er möchte. Auch das Alter darf man frei wählen, wir haben teils sehr junge Charaktere, oft Charaktere im Alter der Spieler und manchmal auch sehr alte Charaktere.
Insofern habe ich bei dem Positiv-Beispiel weiter oben, der lesbischen Jägerin der Nacht, auch nicht verstanden, was daran jetzt so unglaublich divers und antidiskriminierend ist. Das klang für mich nach einem ganz normalen Charakterkonzept.
Ist in euren Runden denn das Spielen von Homosexuellen so stark benachteiligt oder wird so böse gesehen, dass ihr da so gezielt dran arbeiten müsst? Also habt ihr da ein Problem damit? Dann würde es natürlich erklären, aber evtl. hilft es dann eher als Spielrunde gemeinsam einen Workshop, Vorträge usw. zu besuchen. Wenn man sich speziell dafür interessiert, Rollenspielsettings postkolonial zu kritisieren, kann ich auch ein paar Literaturtipps geben. Aber das würde eher in einen Wissenschaftsthread gehören oder besser gar nicht in ein Rollenspielforum.