Autor Thema: Was wäre wenn: Bundestagswahl 1969 POD, NPD, deutsche Einheit, ...  (Gelesen 4012 mal)

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Offline Anchises

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Die Idee ist zwar gut, aber mir passte ein späterer POD besser ins Konzept. Eigentlich ist 1969 auch schon zu früh. Deshalb erweitere ich die Frage: Wo könnte man denn die Abweichung von der realen Geschichte ansetzen, die halbwegs glaubwürdig zu einer insgesamt rechtskonservativeren, leicht faschistoiden, verstaubt-miefigen BRD-Gesellschaft führt? Wo auch 2019 noch Sekundärtugenden hochgehalten werden, Kriegsdienstverweigerung ein Makel im Lebenslauf ist, linksradikale Lehrer mit Berufsverbot belegt werden etc.
Und auch da wieder die Frage: Wie schaut's insbesondere mit der DDR und Wiedervereinigung aus?

Gorbatschow verliert den Machtkampf im Politbüro und stattdessen gewinnt https://de.wikipedia.org/wiki/Grigori_Wassiljewitsch_Romanow. Die akkumulierten wirtschaftlichen Probleme veranlassen die neostalinistische Führung massive Repressionen im ganzen Ostblock zu veranlassen. Außerdem beginnt der KGB massive Operationen in Westeuropa.

1986: Die RAF, eigentlich schon lange auf dem absteigenden Ast, wird plötzlich wieder eine massive Gefahr durch KGB und Stasi Unterstützung. Tatsächlich gelingt es ihr Helmut Kohl in einem Aufsehen erregenden Attentat zu ermorden. https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Dregger wird sein Nachfolger und ihm gelingt es tatsächlich seine radikalen Ansichten hinsichtlich der Inneren Sicherheit durchzusetzen. Seine Ansichten hinsichtlich der gegenseitigen Abrüstung stellen sich schnell als Traumtänzerei heraus, stattdessen steigt die Temperatur des Kalten Krieges massiv an. Die BRD beginnt MASSIV aufzurüsten.

1989: Sowjetische Soldaten schlagen unbarmherzig, gemeinsam mit Stasi und loyalen NVA Einheiten, gegen die Zivilbevölkerung der DDR los. Die massiven Demonstrationen brechen angesichts der Gewalt schnell zusammen. Honecker wird zwangsweise in den Ruhestand versetzt Mielke wird Generalsekretär und säubert die SED unbarmherzig von Reformern.

1993: Die Niederschlagung der 89er Unruhen stellt sich als letztes Aufbäumen des verkalkten Systems heraus. KGB Agenten putschen gegen das Zentralkomitee, da die Versorgungslage mittlerweile selbst für die Elite katastrophal geworden ist. Die Kremlgarden können den Angriff zurückschlagen aber die Sowjetunion gleitet rapide auf einen Bürgerkrieg zu. Die Einheiten der Roten Armee die im Ostblock stationiert sind beginnen einen überstürzten und chaotischen Rückzug in ihr Mutterland.

Mielkes Regime beginnt schon zu zerfallen während die Soviets sich noch auf den Autobahnen zurückziehen. Die STASI und wenigen loyalen NVA Einheiten (hauptsächlich die Grenzer) beginnen sich sofort Feuergefechte mit aufständsiche Soldaten und Betriebskampfgruppen zu liefern. Die mobilisierte Bundeswehr marschiert in die zerfallende DDR ein, in Moskau hat man andere Sorgen, und wird durch nationalistische Freikorps unterstützt.

1994: In den Leipziger Prozessen werden führende SED und STASI Kader verurteilt. In der BRD wurde im Zuge des Kohl Attentats die Todestrafe wieder eingeführt und neben Mielke werden 27 andere SED Kader zum Tode durch den STrang verurteilt.

Düster genug?  >;D

Das Problem der DDR war (rückblickend auf der 19. Tagung des SED-Zentralkomitees vom 8-10. November 1989 so festgestellt vom Leiter der Abteilung Planung und Finanzen beim ZK der SED, Günther Ehrensberger), dass sie seit 1973 über ihre Verhältnisse gelebt hat.

Grund dafür war dei Umstellung der Wirtschaftsplanung unter Erich Honecker: War bei Ulbricht noch dei Schwerindustrie im Vordergrund (bei einer gelichzeitigen Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie), so wollte Honecker eben die Wohlstandslücke zum Westen schließen.

Das ging nur zu höheren Kosten, da man z.B. in der Computertechnologie von Importen aus dem Westen (Halbleiter usw.) weitgehend ausgeschlossen war. Diese brauchte man aber, wollte man profitable werden und den Leuten was bieten. Man bekam sie aber entwedre nicht oder nur für Divisen - und davon hatte man zu wenig.

Ende vom Lied: Man musste die BRD um Kredite anpumpen (z.B. über die Verbindung von Schalk-Golodkowski zu Franz-Joseph Strauß!), die man auch bekam und bediente. Was auch nicht wieder dazu führte, dass man den Rahm der eigenen Entwicklungen abschöpfen konnte.

Ergebnis: Man meierte technologisch immer weiter ab - der Trabant ist davon ein beredte Beispiel, aber auch die Chip-Entwicklung, die am Ende der DDR so ins Hintertreffen kam, dass man "neueste" Chips entwickelte, die mit denen im Wesen gleichziehen konnten - aber zum Zehnfachen des Stückpreises, was der Ankauf schon produzierter West-Chips gekostet hätte.
Also viel Geld für praktisch schon veraltete Technologie.

Das heißt, die DDR würde in unserem Beispiel eher die "Kommt ins sozialistische deutsche Vaterland!"-Karte spielen, mit mehr politischen Freiheitsrechten (z.B. keine Verankerung der "führenden Rolle der Partei" in der Verfassung von 1968) und mehr Spielraum der Blockparteien (im Rahmen der sozialistischen Ordnung natürlich).
Der Wohlstand des Westens wäre weniger anziehend, wäre doch der Makel des Revanchismus/ Neo-Faschismus/ Alt-Nazismus an ihn geknüpft und die politische Unterdrückung in der BRD größer.

Dies gäbe der DDR mehr Luft ihre industrielle Basis auch mit Konsumeinschränkungen zu entwickeln, so dass man sich vielelicht in den 80er Jahren den Anstieg des Volkswohlstandes tatsächlich Schritt um Schritt hätte leisten können.

Und wer mehr Freiheit als im Westen hat UND Bananen und Bohnenkaffee, der ruft nicht "Die Mauer muss weg!" - zumal dahinter tatsächlich der Faschismus die Säbel wetzt.

Ich habe starke Zweifel, dass die Wirtschaftslage der DDR solche Erwägungen zugelassen hätte. 1989 war die industrielle Substanz der DDR so verottet, dass man aus eigener Kraft nichtmal zum Erhalt des Verbliebenen in der Lage war. SED Unterlagen machen deutlich wie nötig massive BRD Kredite gewesen wären um die BRD am Leben zu erhalten und dass hätte nur mit massiven Einschnitten in den Lebenstandard funktioniert.

Nach 40 Jahren Diktatur, die sehr gerne mit nationalistischen Elementen geflirtet hat, glaube ich nicht an eine massive Abneigung gegen die Rechte BRD in dieser parallelen Zeitlinie. Man wird dort ja keine Hakenkreuzflaggen raushängen sondern eher unauffälliger vorgehen. Auf Kredite von dort muss man auch nicht hoffen, sodass ich nicht an einen politischen Sieg der "menschlicher Sozialismus/neue DDR" Fraktion glaube.

Offline General Kong

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Wie ich schon sagte: Wer seit 1973 die industrielel Basis auf Verschleiß fährt, der hat dann nach 1989 genau das.

Von "flirten" mit nationalistischen Elementen kann im übrigen keine Rede sein: ein DDR-Patriotismus war gewünscht und wurde unterstützt und sich ,auch was die militärische Tradition angeht, klar in eine deutsche Tradition gesetzt (Befreiungskriege, 1848er Revolution, Novemberevolution, Spartakusaufstand, Hamburger Aufstand der KPD, Widerstand der KPD, Spanienkampf, Nationalkomitee Freies Deutschland, Bund Deutscher Offiziere), eben auch um sich von der auch nach den Uniformen amerikansich ausgerichteten Bundeswehr abzugrenzen.
Nach dem Motto: Feldgrau gibt es auch ehrenhaft!

Nationalismus, Internationalismus und Kommunismus haben sich historisch nicht ausgeschlossen (siehe Vietnamkrieg, Chinesischer Befreinungskrieg und Bürgerkrieg KPCh gegen Kuomintang).

Ansonsten finde ich die vorgeschlagenen Zeitleiste hinreichend düster und einleuchtend - bis auf eine Sache:
Ohne Gorbatschows schlecht organisierte Prerestroika und Glasnost wäre es wahrscheinlich nicht zu sehr breiten Aufständen gekommen. Problematsich wäre die Situation in Polen mit der Solodarnosc - das hatte Jaruselski gerade noch so in den Griff bekommen, wohl auch, um eine Intervention der Warschaue Vertragsstaaten zu verhindern.
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Offline Chaos

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Wie ich schon sagte: Wer seit 1973 die industrielel Basis auf Verschleiß fährt, der hat dann nach 1989 genau das.

Da diese Umstellung offenbar auf Honeckers Konto ging: War wäre, wenn Honecker nicht an die Macht gekommen wäre? Also entweder Ulbricht wäre an der Macht geblieben, oder ein Anderer hätte übernommen, der aber Ulbrichts Wirtschaftspolitik weiterfährt?
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Was ich nicht finde, das findet auch kein Anderer!

Offline Maarzan

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Da diese Umstellung offenbar auf Honeckers Konto ging: War wäre, wenn Honecker nicht an die Macht gekommen wäre? Also entweder Ulbricht wäre an der Macht geblieben, oder ein Anderer hätte übernommen, der aber Ulbrichts Wirtschaftspolitik weiterfährt?

Ich schätze dasselbe, nur etwas langsamer.

Materielle Zufriedenheit wird von der Konsumgüterindustrie geschaffen, aber für eine dauerhafte laufende Konsumgüterindustrie braucht es den entsprechenden Unterbau, sonst ist das ein begrenzt haltendes Strohfeuer, nachdem es dann erst richtig schlecht aussieht. 
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Offline Alexandro

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Zitat
Auch die Lage in der DDR ist stabiler, weil die Unzufriedensten durch junge, intelligente, ideologisch gefestigte Leute aus dem Westen ersetzt werden.

Ich bezweifle stark, dass diese bereit sind sich in einen sozialistischen Alltag einzufügen, der mindestens genauso repressiv und jugendfeindlich ist, wie im Westen (und die zudem kulturell ganz anders geprägt sind). Die materiellen Einschränkungen dürften dem auch entgegenwirken.

Daher: entweder die Friedensbewegung kommt sogar ein paar Jahre früher oder es gibt einen Umbruch und eine "Frischzellenkur" in der SED, nachdem die Blockparteien (durch jüngere Leute in der CDU, SPD, KPD, LDPD und NDPD, die eher bereit sind über Parteigrenzen hinweg zu arbeiten) wesentlich mehr Rückhalt in der Bevölkerung bekommen.
Wer beim Rollenspiel eine Excel-Tabelle verwendet, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Offline General Kong

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Ich schätze dasselbe, nur etwas langsamer.

Materielle Zufriedenheit wird von der Konsumgüterindustrie geschaffen, aber für eine dauerhafte laufende Konsumgüterindustrie braucht es den entsprechenden Unterbau, sonst ist das ein begrenzt haltendes Strohfeuer, nachdem es dann erst richtig schlecht aussieht.

Honecker hat das ja nicht gemacht, weil er so ein lustiger Vogel war, sondern gerade weil die Konsumgüterversorgung der DDR im Vergleich mit der der BRD so hinterhinkte.
Im Vergleich mit Spanien, Portugal, Italien, Teilen des UK und dem gesamten Ostblock war sie durchaus vergleichbar oder sogar besser. Ganz zu schweigen von praktisch allen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.

Die DDR hätte also nur auf einen Ausbau des Konsums verzichten können, wenn die BRD schwächer gewesen wäre ODER diese aus einem anderen Grund (starke politische Repression) kein attraktives Gesellschaftsmodell darstellen würde.

Dann wäre die Mauer und die Grenzbefestigung tatsächlich ein "Antifaschsistischer Schutzwall" und die Ausreise- bzw. Dableibeneigung bei DDR-Bürger gering bis nicht vorhanden ("Waren am Wochenende auf Familienbesuch in Köln- da sieht es aus! Überall Polizei und keiner sagt ein offenes Wort. Menschdu, waren wir froh, als wir unsere Grenzer sahen ...").

Aber die reiche(re), lachende Verwandtschaft vor der Tür und das Maul halten - das ist kein Erfolgsmodell. Wer will schon immer der abgehänge Zweite sein ...
« Letzte Änderung: 22.06.2019 | 14:42 von General Kong »
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