Autor Thema: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?  (Gelesen 9280 mal)

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Offline Fezzik

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Ich finde es tatsächlich ganz gut das es viele Systeme zu ähnlichen Themen gibt. Meist findet sich da dann eine brauchbare Regel, die man ohne viel Aufwand für "sein" System (aka das was dir am meisten liegt/Spass mach) adaptieren kann.
Das funktioniert für mich super und lässt mir Raum für andere Dinge, wie zb. Abenteuer schreiben.
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Offline unicum

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Bezüglich der angesprochenen "Schlecht gemachten Systeme" - da sehe ich ggf nicht unbedingt die Kreativität der Autoren als "Problem" sondern die gewachsenen Ansprüche der Kundschaft.

Zu beginn waren die Regelwerke auf normalem Papier und vieleicht mit einem Schwarzweisbild auf jeder 2ten Seite. Heute muss es schon mal ein Hardcover sein und alles wie ein Hochglanzmagazin (am besten mit Centerfold). Damit sind die Ansprüche der kundschaft gewachsen (nicht allen, mir ist es z.b. recht egal aber jemand der recht erfolgreich ein Rollenspielregelwerk rausbrachte sagte "ohne bunte Bilder und gutes Papier wäre die Neuauflage wohl nichts geworden".

Nicht das ich bunte Bilder brauchen würde. Solide funktionierende Regeln halte ich für wichtiger. (und mit solide meine ich auch das die Regeln eben so klar sind das Regeldiskussionen möglichst vermieden werden).

Offline Chiarina

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Ich finde die Systemschwemme toll und habe kein Problem damit.

Das liegt daran, dass ich für mich gar keinen Sinn darin erkennen kann, möglichst viele Systeme durch einen Durchlauferhitzer zu jagen.

Ich weiß inzwischen ganz gut, welche Eigenschaften Systeme besitzen müssen, um für mich attraktiv zu sein. Wenn ein System nicht wenigstens ein paar dieser Eigenschaften aufweist, schaue ich es mir erst gar nicht an. Aber trotz strenger Auswahlkriterien kann ich immer mal wieder ein System finden, das meinem Geschmack ziemlich nah kommt. Das liegt eben daran, dass es inzwischen so viele gibt.

Wenn mich die Werbung für ein System durch Nennung der Eigenschaften aufmerksam gemacht hat, lese ich ein paar Rezensionen oder Erfahrungsberichte. Ein paar finden sich fast immer. Ich weiß inzwischen oft, welche Rezensenten ähnlich ticken wie ich. Und ich kenne sogar ein paar Rezensenten, von denen ich weiß, dass die von ihnen negativ beschriebenen Systeme für mich gerade interessant sein können.

Wenn ich nach der Lektüre einiger Rezensionen immer noch der Meinung bin, das System könnte interessant sein, dann kaufe ich es nicht, schreibe es aber auf eine Liste. Auf dieser Liste stehen typische OneShot Systeme neben kampagnentauglichen Systemen.

Ich habe eine Experimentalgruppe und fahre hin und wieder auf Cons. Das sind Gelegenheiten, die OneShot Systeme eins nach dem anderen auszuprobieren.

Ansonsten spiele und leite ich Kampagnen. Wenn sich eine Kampagne dem Ende zuneigt, kaufe ich das nächste System auf meiner Liste. Erst dann! Für die nächste Kampagne nehme ich das nächste System. Die kampagnentauglichen Systeme werden so viel langsamer abgearbeitet, aber ich finde, das muss auch so sein. Ich beobachte manchmal, dass Systeme im Schnellverfahren begutachtet, hochgepriesen oder sofort wieder in die Tonne getreten werden. Das finde ich gerade bei Kampagnensystemen schade. Ich würde bei so einem Vorgehen gar keinen substanziellen Eindruck gewinnen. Daher bemühe ich mich, diese Systeme wenigstens so lange zu spielen, bis sie ihr Potential zumindest annähernd entfalten konnten.

Ganz selten entscheide ich mich für ein System, in das ich mich einarbeite und stelle erst dann fest, dass es eigentlich nicht mein Ding ist. Ich versuche es dann trotzdem zumindest eine Weile zu spielen und sehe es als Experiment, bei dem ich die Grenzen meiner Komfortzone überprüfen kann.

Durch mein Vorgehen geht sicherlich einiges an mir vorbei. Aber lieber das, als alles nur halbgar. Davon habe ich gar nichts. Ich kann übrigens auch nicht "überall mitreden". Das ist mir völlig klar. Inzwischen finde ich das aber sogar gut. "Überall mitreden" ist nämlich ein großer Zeitfresser und bedeutet weniger Zeit zum Spielen.

Der Avantgarde-Gedanke (ein System muss neuartig sein, sonst hat es keine Existenzberechtigung) ist für mich übrigens völlig irrelevant. Nach einer Zeit, in der der Fortschritt des Rollenspiels ein wichtiger Aspekt war (vorangetrieben z. B. durch die Forge), geht es doch inzwischen stärker um einen reflektierten Umgang mit der Tradition, ein Überdenken des bisher Erreichten, ein Feilen an Nuancen und eine Anpassung großer Ideen auf subjektive Vorhaben (z. B. bei der Themensetzung). Das Rollenspiel ist längst in der Postmoderne angekommen, was spätestens seit dem OSR jedem klar sein sollte. Der Spruch, dass eine bestimmte Art Spiel ein alter Hut ist, mag daher zwar stimmen, ist aber für mich kein Qualitätskriterium. Ein traditionelles Element entwertet kein Spiel. Im besten Fall wird Bewährtes aufgegriffen, um es für aktuelle Kontexte nutzbar zu machen. Auf dieser Ebene ist auch jeder kreative Spieler in der Lage gestalterisch tätig zu werden: Ich denke nicht, dass es darum geht, das ultimativ-superinnovative neue Ding zu erfinden, es geht darum ganz unterschiedliche Spielideen zu verwirklichen, nicht mehr und nicht weniger.

Oft reicht mir dafür ein Spieleabend, manchmal muss ich ein Abenteuer schreiben oder umarbeiten, selten muss ein eigenes Setting entworfen werden. Ein eigenes System? Ein einziges Projekt liegt auf meinem Schreibtisch... es ruht... weil es an anderen Stellen auch viele tolle Spielerfahrungen zu machen gibt.

Kein Grund zu Klagen, ist doch toll!
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Online Jiba

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Gut gesprochen, Chiarina. Deiner Einschätzung kann ich mich vollumfänglich anschließen.  :d

Eine Sache aber noch: Ich finde noch bedenkenswert, dass wir zwischen Setting, System und Spiel (=Setting+System) unterscheiden sollten. Denn gerade im Settingbereich sehe ich in bestimmten Bereichen durchaus noch weiße Flecken... nicht im Kitchen-Sink-Bereich, aber in Nischen durchaus.  :)
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline tartex

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Nur ein Beispiel: ich liebe Lifepath-Systeme. Aber in dem Bereich gibt es einfach viel zu wenig. Und da könnte man leicht abertausende Seiten publizieren.
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Offline First Orko

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@Chiarina: Danke auch für deine Einsichten. Wie so oft hinterfrage ich nach dem Lesen deines Kommentar dann doch nochmal meine Meinung zu dem jeweiligen Thema und bekomme neue Einsichten  :d
It's repetitive.
And redundant.

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Dir ist schon klar, dass es in diesem Forum darum geht mit anderen Leuten, die nix besseres mit ihrem Leben zu tun haben, um einen Tisch zu sitzen und sich vorzustellen, dass wir Elfen wären.

Offline YY

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Bezüglich der angesprochenen "Schlecht gemachten Systeme" - da sehe ich ggf nicht unbedingt die Kreativität der Autoren als "Problem" sondern die gewachsenen Ansprüche der Kundschaft.

Zu beginn waren die Regelwerke auf normalem Papier und vieleicht mit einem Schwarzweisbild auf jeder 2ten Seite.
...

Das betrifft einen selbst doch eher wenig - man misst ja sein Garagenprojekt mit Auflage 1 hoffentlich nicht an zeitgenössischen Hochglanzwälzern.

Und solide Spielmechanik beißt sich nicht mit gutem Artwork und allgemein einer guten Präsentation. Jedenfalls nicht grundsätzlich; manchmal hat man schon den Eindruck, dass da die Schwerpunkte ungünstig gesetzt wurden.

Aber wenn man bei ansonsten gleichen Voraussetzungen die Wahl zwischen Textwüste mit gutem Inhalt oder schickem Blendwerk hätte, wäre die Wahl ja recht eindeutig - und wenn man es so hält wie der hiesige Nutzer Kwuteg, der auch mal ein PDF ausdruckt und nicht genehme Bilder kurzerhand mit gefälligeren überklebt ;)


Wenn ich an der Stelle von schlecht gemachten Systemen spreche, dann beziehe ich mich auf die reine Spielmechanik und deren teils recht offensichtlichen Defizite, die oftmals auch in Prä-Internet-Zeiten der breiten Spielerschaft flächendeckend bekannt waren. Einzig die hier und da unabhängig voneinander gefundenen Lösungen hatten es seinerzeit schwerer, große Verbreitung zu finden.


Nach einer Zeit, in der der Fortschritt des Rollenspiels ein wichtiger Aspekt war (vorangetrieben z. B. durch die Forge), geht es doch inzwischen stärker um einen reflektierten Umgang mit der Tradition, ein Überdenken des bisher Erreichten, ein Feilen an Nuancen und eine Anpassung großer Ideen auf subjektive Vorhaben (z. B. bei der Themensetzung).

Das liegt auch daran, dass man endlich eingesehen hat, dass es keinen allgemeinen "technischen" Fortschritt im Rollenspiel gibt, wie ihn die Forgianer trotz aller gegenteiliger Behauptungen und Lippenbekenntnisse angestrebt hatten.

Die grundsätzliche Zielsetzung, das eigene Spiel(erlebnis) und das Dritter zu verbessern, leistet man durch Grundlagenarbeit, v.A. in Sachen best practices, aber nicht indem man sich im stillen Kämmerlein in immer größere theoretische Höhen aufschwingt. Da ist viel mehr Reflexion und Introspektion gefragt als blindes/wildes Voranpreschen oder ein immer weiter überhitzendes Hohldrehen, ohne die PS auf die Straße zu bekommen. 
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Offline tartex

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Die grundsätzliche Zielsetzung, das eigene Spiel(erlebnis) und das Dritter zu verbessern, leistet man durch Grundlagenarbeit, v.A. in Sachen best practices, aber nicht indem man sich im stillen Kämmerlein in immer größere theoretische Höhen aufschwingt. Da ist viel mehr Reflexion und Introspektion gefragt als blindes/wildes Voranpreschen oder ein immer weiter überhitzendes Hohldrehen, ohne die PS auf die Straße zu bekommen.

Aber am schönsten ist es doch, wenn es beides gibt, oder?
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Offline YY

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Aber am schönsten ist es doch, wenn es beides gibt, oder?

Nachdem ich Letzteres schon so negativ formuliert habe: Eher nicht.

In Sachen theoretische Grundlagen sehe ich nicht viel Raum über eine recht minimalistische und empirisch verwurzelte Analyse der Spaßquellen hinaus, wie sie letztens hier von Narrenspiel präsentiert wurde (und die nicht zufällig große Überschneidungen mit den Laws'schen Spielertypen hat, obwohl diese gar keinen analytischen/theoretischen Anspruch erfüllen sollten).

Selbst wenn man das unvermeidliche Ego-Drama und selbstdarstellerische Geschwafel rausnimmt, wie es die Forge in rauhen Mengen produziert hat: Ich habe ehrlich keine Vorstellung davon, wie ein vergleichbares Projekt "in gut" aussehen könnte.
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Offline tartex

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Es muss ja keiner zur Kunstuni-Party, wenn es ihm da zu wild zugeht. Man kann genauso bei der TU-Fete bleiben.  >;D

Aber warum die andere Veranstaltung verbieten wollen?  8]
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Offline YY

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Aber warum die andere Veranstaltung verbieten wollen?  8]

Davon war nie die Rede.

Man kann (und darf - wer könnte es wie verbieten?) so ein Projekt natürlich angehen, wenn man unbedingt will.
Ich sage nur: Es wird (wieder) nichts dabei herum kommen.
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Offline tartex

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Man kann (und darf - wer könnte es wie verbieten?) so ein Projekt natürlich angehen, wenn man unbedingt will.
Ich sage nur: Es wird (wieder) nichts dabei herum kommen.

Also die Folgen der Forge kann man doch selbst in D&D5 sehen. Es hat den Mainstream schon geprägt.

Auch pbtA in allen Formen würde es ohne Forge wohl nicht geben. Was für mich schon ein großer Verlust wäre.
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Offline YY

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Die Gegenprobe, was ohne Forge wie anders gelaufen wäre, können wir ja leider nicht machen.

Ich habe für meinen Teil den Eindruck, so manch einer hätte ohne die Forge zielführender arbeiten können und es hätten höchstens einige Begriffe und Konzepte anders geheißen und leicht andere Formen angenommen - das gilt gerade für Crane und Baker.
Im Nachhinein wird zum Einen vieles an konkreten Spielen "der Forge" zugeschrieben, wenn der Autor dort auch unterwegs war und zum Anderen hat die Forge an viele abstrakte Überlegungen einen Begriff geklebt und diesen populär gemacht, was aber beileibe nicht immer heißt, dass die Überlegung an sich auch dort entstanden ist oder auch nur von dort in die Fläche kam.

Für "meine" Ecke des Hobbys ist aus der Forge absolut nichts Brauchbares hervorgegangen (was auch nach der absoluten Anfangsphase gar nicht mehr beabsichtigt war) und selbst für den Kernbereich, der dort beackert wurde, muss ich sagen: Das war ein Riesenaufwand für einen verschwindend geringen Effekt - und das war schon in den frühen 2000ern absehbar.   
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Online Jiba

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Für "meine" Ecke des Hobbys ist aus der Forge absolut nichts Brauchbares hervorgegangen (was auch nach der absoluten Anfangsphase gar nicht mehr beabsichtigt war) und selbst für den Kernbereich, der dort beackert wurde, muss ich sagen: Das war ein Riesenaufwand für einen verschwindend geringen Effekt - und das war schon in den frühen 2000ern absehbar.

Aber ist theoretische Auseinandersetzung mit einem Thema nicht immer ein "Riesenaufwand"? Wie wollen wir denn überhaupt Aufwände im Game Design und in der Spielkultur bewerten? Ist da die Effizienz der Übertragung von der Theorie zur Praxis tatsächlich eine relevante Größe? Was sind da deine Kriterien, was genau?

Davon abgesehen finde ich es fatal, die theoretische Betrachtung des Medienproduktes, der sozialen Aktivität und des spielmechanischen Systems "Rollenspiel" allein auf die Spaßquellen zu reduzieren. Vielleicht ist das Big Model inzwischen nicht mehr der richtige Ansatz (ich glaube sogar, dass zumindest GNS überhaupt nicht mehr zielführend ist), aber das bedeutet nicht, dass es nicht in Abgrenzung zu einer Theorie neue theoretische Ansätze geben kann. Da bedeutet, und das finde ich ganz entscheidend, dass etwas auch schon dadurch einflussreich sein kann, dass man sich in Abgrenzung zu ihm bewegt. Die Forge war eine Abkehr von den komplizierten, eierlegenden Wollmilchsau-Rollenspielen der 90er. Modernes Game Design (zum Beispiel bei der OSR) kann begriffen werden, als eine Aufarbeitung der Forge.

Schon die Aussage "Ach, das mit der Forge ist doch Kappes, ich designe mein Spiel, wie ich das für richtig halte!" ist von der Forge beeinflusst und sei es nur in die Gegenrichtung. Das kann man überall beobachten, wo Medien entstehen (und ja, Rollenspiele sind vor allem anderen erst einmal gespielte Medien, wie Videospiele auch.)

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Was mich an Rollenspieltheorie aber auch grundsätzlich stört, und da gebe ich dir womöglich sogar in der Sache ein stückweit Recht damit, ist,  die Nutzung des forgigen Spieldesigns als Bewertungskategorie, zusammengefasst in dem Satz: "Wenn es nicht nach dem forge-schen 'System Matters' durchdesignt ist, dann macht es auch weniger Spaß und ist folglich ein schlechteres Spiel." Das ist einfach faktisch falsch. Aber ich glaube, dass die Forge-Community auch ein Zusammenschluss aus ganz unterschiedlichen Meinungen zum Hobby gewesen sein dürfte. Denen eine vollkommen gemeinsame Agenda zu unterstellen, das ist schon gewagt. Wenn also jemand sagt "Ihhhh, das ist ja SIM mit 150 Fertigkeiten – design doch erstmal dein Spiel vernünftig!", dann ist das eine Einzelmeinung.

Aber, um zusammenzufassen: Wenn wir sagen "Nein, dass hatte keinen Einfluss, weil ich da für meinen Teilbereich des Spiels nichts draus mitgenommen habe", dann brechen die meisten Theorien der Welt doch zusammen, weil Theorien nunmal dazu neigen, alles erklären zu wollen, aber nicht alles erklären zu können. Ich sehe die Rollenspieltheorie der Forge und die daraus hervorgegangenen Spiele als eine Art "Nouvelle Vague" des Rollenspielhobbies an – eine Wendung vom großen "Studio-Betrieb" zu kleineren Werken mit einem entsprechenden, theoriesierenden Unterbau. Selbst wenn man nie auch nur einen einzigen "Nouvelle Vague"-Film gesehen hat, so haben sich Filmemacher doch daran abgearbeitet. Es gibt bis heute auch Filme, die dezidiert "nicht-nouvelle-vagueisch" sind, viele sogar. Trotzdem sagt niemand, die Nouvelle Vague wäre nicht einflussreich gewesen. Sie hat eben das Instrumentarium erweitert, mit dem Filme gemacht werden können. Und das mag bei der Forge auch so sein.
« Letzte Änderung: 19.10.2019 | 08:54 von Jiba »
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Aber ist theoretische Auseinandersetzung mit einem Thema nicht immer ein "Riesenaufwand"? Wie wollen wir denn überhaupt Aufwände im Game Design und in der Spielkultur bewerten?

Im Zweifel immer an der Zielsetzung.
Zunächst wollte die Forge typische Spielprobleme lösen und hat sich später sogar stellenweise zu der Haltung verstiegen, man könne "zwingend" spaßige Spiele entwerfen.
Letzteres hat natürlich nie funktioniert und ersteres haben andere locker aus dem Handgelenk gelöst, ohne sich über Dutzende Seiten gegenseitig vollzulabern.

Ein eindeutiges und trennscharfes Kriterium, wann man konkret die Bodenhaftung verloren hat, kann ich dir nicht nennen. Man erkennt es, wenn man es sieht und im Vergleich mit anderen erfolgreichen (oder auch mit anderen, erfolgreichen) Ansätzen erkennt man es ein gutes Stück früher.

Unten dazu gleich mehr.

Hier nur noch: Freilich denkt man auf einem Problem bisweilen viel und lange herum, um am Ende vor einem sehr einfachen Ergebnis oder gar einer Lösung zu stehen, wo man aber ohne den vorherigen Aufwand nicht angekommen wäre. Aber auch da hat es die Forge nicht so recht geschafft, ihre Arbeit zu destillieren.

Die paar Aphorismen, die als Ergebnisse der Forge-Arbeit gelten können, musste man sich zum einen mühsam aus den Texten ziehen und zum anderen kamen sie vergleichsweise früh in Diskussionen auf, die dann noch ewig weiter liefen, weil niemand das Ergebnis bewerten konnte oder wollte und den Cut gesetzt hat.

Die Forge war eine Abkehr von den komplizierten, eierlegenden Wollmilchsau-Rollenspielen der 90er. Modernes Game Design (zum Beispiel bei der OSR) kann begriffen werden, als eine Aufarbeitung der Forge.

Ich gehe mit, wenn wir sagen: Sie war eine Abkehr. Aber sie war nicht die Abkehr und dementsprechend ist auch nicht jedes Rollenspiel, das sich explizit von den Dickschiffen der 90er abgrenzt, ein Produkt der Forge.
Das gilt auch ganz entschieden für die geänderten Produktionsbedingungen und -möglichkeiten, welche die Indie-Szene erst ermöglicht haben.
 
Natürlich hat alles einen gewissen Einfluss, was irgendwie halbwegs präsent ist, aber genau deswegen (und hier ist jetzt o.g. "unten") schlage ich da öfter über die Stränge, wenn es um einen Rückblick auf die Forge geht:
Man hat dort nämlich ganz hervorragend verstanden, sich als die eine Anlaufstelle für Rollenspieltheorie zu präsentieren, an der kein Weg vorbei geht und die bis heute alles und jedes prägt.
Und das hat zumindest ein Ron Edwards sehr früh bewusst und gezielt betrieben, wenn man mich fragt.

Wenn ich bei der Reaktion darauf hier und da mal etwas unfair werde und tatsächliche Ergebnisse in Abrede stelle, liegt das daran, dass mir diese Nummer damals so massiv gegen den Strich ging und das bis heute tut, wenn einer aus dem alten Forge-Zirkel das mal wieder auspackt.

Diese Theorien gucken selten nach links oder rechts und beziehen sich kaum auf den theoretischen Unterbau der Medienwissenschaften, der Game Studies, der Psychologie oder auch nur der Videospiel-Game-Design-Theorien.
...
Um da voranzukommen ist tatsächlich noch mehr theoretische Arbeit nötig, als sich die Forge gemacht hat, denn es würde voraussetzen, dass man mitunter auch einfach eingespielte Modelle bestimmter anderer Wissenschaften anerkennt und für die Rollenspieltheorie fruchtbar macht.

Das würde ich gerade umgekehrt formulieren wollen:
Es ist doch weniger Arbeit, wenn ich feststelle, dass es schon fertige Modelle und große Erfahrungsschätze aus verwandten Disziplinen gibt und ich die mit sehr wenig Aufwand übernehmen kann.
Gerade da, wo es um andere, teils eng verwandte Spielformen geht, stellt man fest, dass die alle ohne ihre Variante der Forge ausgekommen sind und bis heute auskommen - und dass entsprechende Ansätze als das belächelt werden, was sie sind.
Speziell im Brettspielbereich gehört es zum guten Ton, einem befreundeten Designer mal gehörig auf die Bremse zu treten, wenn er sich in Dingen verrennt, die für das Spiel letztlich unbedeutend sind.
Genau das hätte die Forge öfter mal gebraucht.

Aber ich glaube, dass die Forge-Community auch ein Zusammenschluss aus ganz unterschiedlichen Meinungen zum Hobby gewesen sein dürfte. Denen eine vollkommen gemeinsame Agenda zu unterstellen, das ist schon gewagt.

Anfangs war sie das - aber wie sich das Ganze recht schnell verengt hat und zu einem selbstreferentiellen Elfenbeinturm wurde, das konnte man damals live beobachten.
Die Ergebnisse und die (Wieder-)Auffächerungen in den Meinungen kamen vor allem da, wo Leute gesagt haben: Ich habe hier alles rausgezogen, was es zu holen gibt; war schön mit euch, aber ich geh jetzt mal ein Spiel machen.

Und denen hat man dann noch nachgerufen: Wenn du Erfolg hast, denk immer dran, dass du es ohne uns nie so weit gebracht hättest. 
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Offline tartex

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Und denen hat man dann noch nachgerufen: Wenn du Erfolg hast, denk immer dran, dass du es ohne uns nie so weit gebracht hättest.

Du hast offensichtlich eine große emotionale Bindung zur Forge, das dir sowas auffällt.

Aber eigenlich kann man schon sagen, dass dein Hass auf die Forge dich mächtig gemacht hat, oder?

Ist einfach eine klassische dialektische Bewegung. Wenn du eine Theorie (oder Praxis) siehst, die du so richtig schlecht findest, stachelt dich das vielleicht an, es viel besser zu machen.
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Offline felixs

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Ich finde das geht allmählich ein wenig in Richtung missbräuchlicher Rhetorik.

Wie soll YY denn nachweisen, dass es einen Einfluss der Forge nicht gibt oder dass der völlig verworfen werden kann? Die Faktoren sind (vermutlich absichtlich) so weich, dass man sich das immer so zurechtdenken kann, dass es einen Einfluss gibt. Und wenn es keinen gibt, dann ist halt gerade das der Einfluss...

Erinnert mich an das Geeiere mit postmodernen Theoretikern.  :q
Und auch der Ärger, den ich gegenüber einigem aus der Ecke empfinde erinnert mich an den Ärger, den ich gegenüber manchen Forge-Sachen empfinde. Das bedeutet nicht, dass mich das irgendwie weitergebracht hätte (behaupte ich).

Dialektik ist das eine. Feststellung der Untauglichkeit und Verwerfen ist was anderes. Und das ist dann keine Dialektik.
« Letzte Änderung: 19.10.2019 | 10:33 von felixs »
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Offline tartex

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Ich finde das geht allmählich ein wenig in Richtung missbräuchlicher Rhetorik.

Wie soll YY denn nachweisen, dass es einen Einfluss der Forge nicht gibt oder dass der völlig verworfen werden kann? Die Faktoren sind (vermutlich absichtlich) so weich, dass man sich das immer so zurechtdenken kann, dass es einen Einfluss gibt. Und wenn es keinen gibt, dann ist halt gerade das der Einfluss...

Die Lösung ist ja simpel: wir schauen was die Designer von - sagen wir - D&D5 zum Thema gesagt haben. Und wo es personelle Verquickungen gibt.

Sehen wir uns z.B. Vincent Baker an. Und dann zu behaupten, dass ptbA nichts sinnvolles zum current state of art beigetragen hat, ist schon sehr gewagt.
« Letzte Änderung: 19.10.2019 | 10:44 von tartex »
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Offline YY

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Zu Baker hatte ich ja schon was geschrieben: Natürlich lässt sich heute nicht sagen, wie das ohne die Forge ausgesehen hätte.
Aber dass ohne die Forge gar nichts in vergleichbarer Form von ihm gekommen wäre, halte andersrum ich für gewagt.

Gerade für eine bestimmte Generation Designer und Theoretiker kommt gefühlt vieles aus der Forge, einfach weil sie dort zum ersten Mal mit dem ganzen Krempel in Berührung gekommen sind. Aber wenn man ein bisschen weiter zurück schaut, stellt man fest, dass dort fast nichts "erfunden" wurde und sortiert oder gar abschließend aufbereitet wurde das Meiste schlecht.

Ein Teil der damals erstarkenden Indie-Szene kam aus der Forge, aber genau so gab es vorher schon genug und anderes hat sich weitgehend bis völlig unabhängig davon entwickelt.
Da war vieles auch einfach zeitliche Koinzidenz.

Die Lösung ist ja simpel: wir schauen was die Designer von - sagen wir - D&D5 zum Thema gesagt haben.

Gibt es da was Konkretes?
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Offline Alexandro

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Ebensogut könnte man behaupten, die "Castles&Crusades Society" hätte keinen Einfluss auf die Entwicklung von D&D gehabt, weil Gary das ja nicht dort erfunden hat und die ganzen Ideen die dort ausgetauscht wurden nicht in publizierte Spiele gemündet sind.

Das ist natürlich Unsinn, ebenso wie die Behauptung von YY. Nicht alle von den PDFs der Spieler, die damals auf der Forge ausgetauscht wurden sind heute noch verfügbar (teilweise hilft die Wayback Machine, aber eben nicht überall), aber bei den verfügbaren kann man teilweise noch sehr gut sehen, welche Spiele durch sie beeinflusst wurden.
« Letzte Änderung: 21.10.2019 | 02:12 von Alexandro »
Wer beim Rollenspiel eine Excel-Tabelle verwendet, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.