Don't Fuck the Priest
(Zur Vollversion der Rezension mit Hyperlinks und Produktfoto)König James hat eine neue Horror-Bibel drucken lassen, ein Kerker-Modul für
Lamentations of the Flame Princess, das gedacht ist, sich Spielern unerbittlich ins gemarterte Hirn zu brennen.
Treten wir aber erst einmal einen Schritt zurück und philosophieren wir darüber, worum es im Fantasy-Rollenspiel eigentlich geht:
Basic-OSR-Spielern geht es häufig primär um ein kurzweiliges Erkunden von Dungeons, im tödlichen Hack'n'Slash-Stil, gerne auf den unteren Stufen, zur Unterhaltung oder als intellektuelle Herausforderung.
Advanced-OSR-Spielern geht es um die unvorhersehbare Entwicklung der Spielwelt durch Aktionen von Spieler- und Nicht-Spieler-Personnagen, das nennen sie "Kampagne" analog zu den großen Wargaming-Kampagnen.
Moderne Mainstream-Spiele (AD&D2 und spätere) drehen sich dagegen in den meisten Fällen um die Entwicklung der Spieler-Personnagen (was verwirrenderweise auch als "Kampagne" bezeichnet wird).
Bei LotFP geht es auf tieferer Ebene weder um die Veränderung der Welt (die geht sowieso ständig unter in den Modulen) noch der Spieler-Personnagen (vordergründig schon - es ist normal bei LotFP, dass Personnagen mutieren). Meta-Effekte auf Teilnehmer-Ebene sind bei LotFP eingepreist - Verändert werden sollen die Spieler selbst durch abgründige Erfahrungen, die intensiv, erschreckend und einmalig sind! Zu diesem Zweck werden LotFP-Module konzipiert.
[Spoiler-Alarm]
Don't Fuck the Priest kommt als Box und enthält neben einem auffällig designten Hardcover-Buch ein Set Karten zur Gestaltung eines sehr speziellen Dungeons (für generische Dungeons sind sie nicht gedacht) und ein Set spezieller W4, die im Verlauf des Don't-Fuck-Spiels immer wieder benötigt werden. All dies treibt den Preis dieses Moduls in die Höhe, aber es gibt ja LotFP-Module für unterschiedlichste Spendierhosenkonfektionsgrößen.
Und das passiert: Die Spieler-Personnagen befinden sich in einem Gang aus Leichen und Moder und es gibt kein zurück. Warum, das muss der Dungeon Master wissen, vielleicht sind sie ja durch einen vermoderten Boden nach unten gestürzt. Von nun an geht es nur tiefer hinein in eine Welt aus Kadavern und Verfall, Verseuchung und Veränderung. Um zu entkommen, werden die Spieler erkunden müssen, und vielleicht herausfinden, was es auf sich hat mit diesem parasitären Kreislauf von Tod und Leben, und einem Zwist zwischen Kollektiv und Individualität. Es wird sehr körperlich werden, mit allerlei Fleisch und Säften! Bedeutet der Body Horror den Untergang und das Vergessen oder Macht und Erleuchtung? Ist es gar besser, zu sterben und zu verwesen, als zu entkommen? Kein Spieler wird dies herausfinden können, ohne von dem Schrecken jener Welt unversehrt zu bleiben.
Das Modul fordert dem Dungeon Master einiges an Verwaltungsaufwand während des Spiels ab. Es muss Buch geführt werden über Veränderungen der Spieler-Personnagen, ihrer Begleiter (deren Anzahl wachsen wird), ihrer Ausrüstung (besondere Gegenstände können erbeutet werden) und der sich verändernden Regeln zur Veränderung der Umgebung. Klingt das verwirrend? Glücklicherweise kann ich bezeugen, dass der Autor sein Modul auf der Cauldron 2023 persönlich geleitet hat – es ist also möglich dieses Modul zu leiten. Das Buch ist zum Glück übersichtlich aufgebaut und leicht in Kombination mit den beiliegenden Karten nutzbar. Es ist auch nicht vollkommen unmöglich, dass die Spieler-Personnagen entkommen. Die Cauldron-Gruppe hatte die Rettung vor Augen, ihre fatale Fehlentscheidung kann dem armen James nicht angelastet werden.
Naive oder unbedarfte Spielleiter könnten natürlich versucht sein, am Zufallsprinzip herumzupfuschen, vielleicht, um besondere Orte schneller auftauchen zu lassen und für sich selbst das Entrinnen aus diesem Horror zu beschleunigen. James Edward Raggi verbietet dies ausdrücklich! Und mit seinen Argumenten spricht er mir aus der Seele – Schummelei hat am Spieltisch nichts zu suchen.
Auch gilt zu bedenken: Ein Raggi-Modul kann nicht nachträglich glattgeschliffen werden! An anderen Kaufabenteuern mag die Spielleitung herumpfuschen wie sie will und es ihren Bedürfnissen anpassen. Doch wo würde man bei Raggis Werken beginnen und wo enden wollen? Man nehme sie als ganzes oder lasse die Finger davon, so lautet das Gesetz.
Ein Hinweis noch zum Abschluss: Vielleicht ist es wirklich keine gute Idee, mit einer klerikalen Person fleischlich zu verkehren. Vielleicht bleibt keine Wahl ...
4 von 5 Sporenwolken.