"Ganz recht, ich lebe auch noch. Sie können Ihrer Schweinebande von Bayou Vermillion ausrichten, dass ich die Hex Gun haben will. Sagen Sie denen das, klar? Wissen Sie was, Shadrack, sagen Sie denen, ich fordere denjenigen heraus, der sie hat. Ein Duell wird entscheiden. Ich nehme dem Kerl die Hex Gun aus seinen kalten, toten Fingern. Lassen Sie mich Tag und Uhrzeit wissen, ich werde da sein. Und keine Ausflüchte, klar? Wenn der Besitzer kneift, verbreite ich in der ganzen gottverdammten City o' Gloom, dass er eine gelbbäuchige, feige Salzwurm-Larve ist!"
Damit wirbelt Miss Francisco herum, und stampft aus dem Deseret Café.

Mister Byrd kichert und schaut ihr nach: "Was war
das denn, Shadrack?!"
May B. raunt: "Und was sollte das heißen,
Ihre Schweinebande von Bayou Vermillion?!"
Dieser kneift sich angestrengt in die Nasenwurzel und senkt den Blick: "Die kleine Francisco unterliegt bedauerlicherweise dem Irrglauben, ich sei zur Bayou Vermillion übergelaufen, und hätte deswegen damals den Dienst für die Wasatch beendet."
Byrd ruft gut gelaunt Richtung Tür: "Warten Sie, Miss, das lässt sich ganz leicht aufklären!", und zu Shadrack sagt er: "Sollen wir flugs hinterher?"
Der Hexslinger winkt ab: "Zwecklos, Unterredungen dieser Art hatte ich schon mit Miss Francisco, bevor ich die Stadt verlassen hatte. Ihre Überzeugung grenzt an Verbohrtheit. Sie und ihre Cousine waren damals beide mit in dem Wasatch-Zeltlager, draußen im Ödland, wo wir ...", und er senkt die Stimme, "El Toro Blanco festgehalten haben. Der gehörte mit gewisser Wahrscheinlichkeit zur Bayou Vermillion. Wir haben es nie beweisen können. Auch Miss Francisco hat mit ihm gesprochen, ein paar Male. Etwas von seinem Einfluss könnte auch auf sie abgefärbt haben."
May B. will leise wissen: "Was ist diese Hex Gun? Mit dem deutschen Wort 'Hexe' hat das ja wohl nichts zu tun, oder?"
Shadrack grimassiert: "Ich darf und werde nicht ins Detail gehen! Wir Hexslinger sind ein besonderer Schlag von Huckstern. Manche nennen ihre Schießeisen Hex Guns. Bessie Francisco will unbedingt diejenige an sich bringen, die damals El Toro Blanco bei sich hatte. Sie hat das Zeug, ebenfalls eine Hexslingerin zu werden, und versucht dies seitdem, um ihrem armseligen bisherigen Leben als einfache Revolverheldin und Diebin zu entfliehen. Sie ist besessen von der Idee, mit El Toro Blancos verschollener Hex Gun würde ihr dies gelingen."
May fragt, "Und warum helfen Sie ihr nicht einfach, damit die Kleine Ruhe gibt?"
Shadrack schüttelt entschieden den Kopf: "Jeder, der Einblicke ins Reckoning erhält, und nicht die Charakterstärke besitzt, damit richtig umzugehen, stellt eine Gefahr dar! Aus eben diesem Grund, Herrschaften, existiert ja beispielsweise der Court! Machen Sie sich das klar. Bessie Francisco hat das nötige Talent, aber nicht die Willenskraft. Sie würde als Spielball der Eisenbahngesellschaften oder anderer Verschwörer enden als Hexslingerin."
Joycelyn kommentiert, "So wie sie aussah, macht sie uns noch Schwierigkeiten, ehe wir Salt Lake City wieder verlassen."
May B. bohrt nach: "Und was ist mit dieser Cousine, die damals auch noch mit dabei war, Shadrack? War das Ihre Braut?"
Shadrack guckt die Hexe verdutzt an: "Woher wissen Sie das?! Nun, es handelte sich viel eher um einen gegenseitigen Austausch von Gefälligkeiten. Aber wie kommen Sie darauf?"
May B. grinst verstohlen: "So, wie Sie die eben erwähnt haben, Mister Shadrack. Als wäre da was im Busch gewesen, über das Sie hinweg gehen wollten."
Byrd will wissen: "Oho, wie romantisch, und wo ist die Gute jetzt?"
Shadrack entgegnet knapp: "Wurde der Kämpfe überdrüssig und hat geheiratet, meines Wissens nach. Nur Bessie ist in Utah geblieben."
Der Kellner erscheint, mit Speckstreifen, Spiegeleiern, Toastbrot, und Würstchen, und dem großen Glas Milch für Mister Byrd, was dieser sehr wahrscheinlich allein deswegen bestellt hat, um Mister Shadrack zu nerven. Kaffee gibt's übrigens hier nicht, wie Rex erklärt, Mormonen dürfen keinen trinken; stattdessen gibt es ein Gebräu aus Sarsaparille.
Die Wild Cards vermuten, dass sie einen Vorsprung vor Whateley und Curwen haben. Beide waren schwer verletzt nach dem Kampf in der Headless Horse Lode, und werden daher nicht umgehend auf den nächsten Zug gehüpft sein. Es scheint fraglich, ob eine monströse Erscheinung wie Zachhariah Whateley überhaupt Zugfahrkarten buchen kann. Eher schmuggelt er sich wahrscheinlich in seiner Geistergestalt in ein Gepäckabteil. Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass die beiden Schurken erst nach den Wild Cards aufgebrochen sind.
Shadrack beschließt das Thema: "Wie dem auch sei, wir müssen das Overlook Hotel unter die Lupe nehmen. Das liegt einsam am Fuße der Wasatch-Berge. Vielleicht treffen wir da diesen Zachhariah an, vielleicht auch nicht, aber es sind in jedem Fall eine ganze Handvoll von anderen Whatelys dort, die unsere Fragen bezüglich jenen angeblichen, jahrhundertealten Studien ihres Clans beantworten könnten. Die Denver Pacific fährt in südlicher Richtung noch am Utah Lake vorbei und über Provo, und dann nach Nephi. Von dort aus reiten wir zu den Wasatch-Bergen, und erreichen das Hotel."

Die Zugfahrt nach Nephi verläuft reibungslos. Die Wild Cards bugsieren ihre Pferde aus dem Viehwagen, satteln auf, und reiten los nach Osten, eine staubige Straße hinauf ins Vorbergland.
May B. fragt Shadrack unterwegs: "Was vermuten Sie denn eigentlich, was wir dort finden? Eine weitere Verschwörung, oder eine falsche Fährte?"
"Eigentlich will ich nur ausschließen, dass es eine Fährte jedweder Art ist. Aber ich will Zachhariah Whateley den Garaus machen! Das, was er da in dieser Mine getan hat, war Nekromantie! Er scheint ein ganz besonders schwarzes Schaf zu sein in einer Familie von Exzentrikern."
"Er wusste jedenfalls vom Reckoning", stellt die Hexe fest.
Shadrack verzieht unschlüssig das Gesicht: "Jeder kann im okkulten Untergrund auf die Legenden von Ravens Reckoning stoßen. Dafür muss man nicht an Mina Devlins Mädchenschule unterrichtet werden, oder derariges. Das allein heißt noch nichts."
"Wo wir uns auch hinwenden, wir treffen auf Gruppen, die sich für das Reckoning interessieren! Der Weird West scheint voll davon zu sein."
Shadrack schnaubt: "An der Ostküste ist das nicht anders, beispielsweise in New York. Was auch immer Raven genau getan hat vor 13 Jahren, sein Vermächtnis regt die Phantasie des gesamten Kontinentes an. Und in sehr vielen Fällen ... auch die Machtgier."
May B. sagt zögerlich: "Darf ich Ihnen eine Frage stellen, von der ich weiß, dass Sie sie nicht gern hören, Shadrack?"
Shadrack tupft sich den Schweiß unter dem Zylinderrand, wahrscheinlich wegen der prallen Mittagssonne, und knurrt, "Gewiss doch. Aber seien Sie nicht vergnätzt, wenn ich Ihnen die Antwort schuldig bleibe!"
"Das ist fair. Also ... was ist Ihre Theorie zu den Reckoners?"
"Meine Theorie ...?"
"Ja. Jene Kräfte in den Ewigen Jagdgründen, die Raven wachgerüttelt hat. Wer sind die, was glauben Sie? Etwas Biblisches?"
"Biblisch? Lächerlich, wenn Sie mich fragen, ich nehme an, diese Kräfte sind älter als das Christentum. Erheblich älter, wenn man den Andeutungen meines Lehrmeisters Glauben schenkt. Was ist denn die Lehrmeinung dazu an Mina Devlins Internat?"
"Die Lehrmeisterinnen halten das eher abstrakt. Sie sprechen gern von kosmischen Mächten, oder einfach den Reckoners. Manche nennen sie auch Hekate oder Tiamat, oder sie hatten gewisse keltische Namen dafür, aber das halte ich im Nachhinein alles für rein persönliche Anschauungen. Aber die okkulten Lehren, die man uns dort vermittelt hat, stammen ursprünglich aus dem alten Europa. Die zu beherrschen, hieß, in Angst zu leben — und möglichst schnell zu lernen, anderen Leuten Angst zu machen."
"Also, was glauben
Sie, wen Raven erweckt hat?"
Sie hebt die Schultern: "Er soll eine Rothaut sein, der letzte seines Stammes. Er wird nicht Hekate angebetet haben, oder Wesenheiten aus irgendeinem Pantheon des alten Europas! Sogar ganz bestimmt nicht. Ich weiß nicht, woran Ravens Stamm geglaubt hat, ich mag selber halb Rothaut sein, aber ich weiß fast nichts über diese Bräuche. Aber die Reckoners werden heidnische Götzen sein."
Shadrack sagt halblaut, "Mein Lehrer hat mir damals berichtet, er kannte jemanden, der das Gegenteil geglaubt hat. ... Dass die Reckoners gar nicht von Gottes grüner Erde kommen, sondern von viel weiter weg. Die Wissenschaft vermutet, es könne Leben zwischen den Sternen geben, und von dort seien auch die Reckoners ursprünglich."
May B. schnaubt, "Nicht mal Doktor Hellstromme oder Smith & Robards könnten ein Fluggerät bauen, das zwischen den Sternen fliegen kann. Wie sollten Wesen aus dem All das können?"
"Vielleicht war ein Schiff nie nötig. Wir wissen, dass es Gespenster gibt, rastlose Seelen von toten Menschen", und ihm läuft unwillkürlich ein Schauer über den Rücken, "niemand sagt, dass diese Kreaturen noch lebendige Körper haben mussten, als sie zur Erde kamen."
"Sie glauben eher an außerirdische Geister als an heidnische Götter?"
Shadrack schüttelt leicht den Kopf, "Weder noch, Miss Wickett. Wahrscheinlich sind die Ewigen Jagdgründe unkennbar für Sterbliche, und was auch immer dort existiert, das nehmen wir immer nur durch unsere beschränkte, menschliche Kognition wahr, und als lebendig gewordene Metaphern. Die Welt wird vermutlich nie erfahren, was die Identität der Reckoners ist, selbst wenn diese schon wieder gebannt wurden, und das Weltgefüge sich wieder normalisiert."
"Sie glauben, dass dies geschehen wird?"
"Ich hoffe es."
Overlook Hotel, abgelegene Besitzung der Whateley-Familie — Furchtlevel 3Das Aufgebot muss nur den Wegweisern folgen über die einsamen Straßen. Das Overlook Hotel ist ein großes, einladend wirkendes Landhotel im Vorbergland. Hinter dem Gebäude hört man Pferde und Hühner; dichter, aber von der Sommersonne ausgetrockneter Wald umgibt das Grundstück. Ein kleines Schild mit der Aufschrift "Zimmer frei" hängt an der Front.
Die vier Wild Cards binden draußen die Pferde an und gehen mit gemischten Gefühlen rein. Sie kommen in eine große, sonnendurchflutete Lobby, alles wirkt recht rustikal. An einem der Fenster sitzt ein Greis in einem Schaukelstuhl und kaut Kautabak, er grüßt nicht. Als die Reisenden an die Rezeption treten, streckt ein Mann den Kopf durch den Türrahmen aus einem Hinterzimmer, und sagt, er sei gleich für sie da.
Sie warten eine ganze Weile. Temperatur und Licht sind sehr angenehm, nur das ewige Quietschen des Schaukelstuhls beim Fenster ist ein wenig enervierend.
"Sieht überhaupt nicht garstig hier aus", stellt Byrd leise fest, "sogar die Dielen sind frisch gewischt."
May B. fühlt sich komisch, vielleicht saß sie einfach zu lang in der prallen Sonne. Sie wirft einen Benny ab, und schaut sich um — und zuckt zusammen, denn neben dem Rezeptionstresen steht jetzt eine weitere Gestalt, eine Frau mit langen, klebrigen Haaren. Die Frau sieht aus tellergroßen Augen May B. an. Sie ist bedeckt mit einer dünnen Schicht aus Schlamm, von Kopf bis zu den nackten Füßen. Ihr Gesicht zeigt Entsetzen. Die Hexe wagt es nicht, sich zu rühren, oder etwas zu sagen, aus Angst, das Phantom würde dann seinerseits eine Bewegung machen. Schließlich blinzelt sie unwillkürlich. Sofort sieht sie das schlammverkrustete Gesicht der Erscheinung nur Zentimeter von ihrem entfernt, das Starren der aufgerissenen Augen bohrt sich in die der Hexe. Der Mund ist zu einem stummen Schrei aufgerissen.
Der Schaukelstuhl quietscht vor sich hin.
"Was ist denn, geht's Ihnen nicht so gut?", fragt Byrd gelangweilt, "sie gucken so komisch."
In dem Moment ertönen Schritte, und alle Köpfe wenden sich zur Rezeption, so auch der des Phantoms, und dann sieht May B. es nicht mehr, es ist verschwunden, als sei es nie da gewesen.
May B. muss einen Furcht-Wurf ablegen wegen dem Anblick, und schafft ihn. Die Lobby wirkt genau wie vorher, als habe sie sich das alles nur eingebildet. Sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Shadrack und der bäuerlich gekleidete Mann an der Rezeption reden ganz gelassen miteinander.
Byrd hat sich neben May B. gesellt, und fragt sie leise: "Was ist denn?", und sie zuckt erneut zusammen, sie hat gar nicht mehr auf ihn geachtet und ihn nicht kommen sehen.
"Hier sind nicht nur die Whateleys", flüstert sie.