Gestern Abend hatten wir unsere letzte Runde für dieses Jahr und damit unser, kalendarisch gesehen, 2. Jahr nach 20 Jahren ohne Rollenspiel abgeschlossen. 1,75 Jahre spielen wir jetzt wieder mit einem fantastischen Schnitt wie ich finde. Wir hatten unseren 21. Abend gestern und damit im Durchschnitt wirklich knapp einmal im Monat eine gemeinsame Runde zu Stande bekommen. Wohlgemerkt eine vor Ort Runde. Und so war ich gestern auch ein wenig sentimental. In den beiden Jahren ist in unser aller Privatleben sehr viel los gewesen. Und wie das so in unserem Alter ist - eher negative und belastende Dinge, wie schöne Dinge. Und ein wenig ist für uns alle die Runde tatsächlich zu einer Alltagsflucht geworden. Ein paar Stunden abschalten - was wirklich nahezu immer gelingt. Das ist neben der noch immer vorhandenen Dankbarkeit für die Runde eine wirklich schöne Erfahrung. Die ganze Mühe und Arbeit die da drinne steckt lohnt sich einfach. Für mich das immer wieder Erstaunliche ist auch, dass sich das bisher nicht "abgenutzt" hat. Ein Spieler hat es gestern wirklich schön gesagt: Wenn man sieht wie wir alle uns direkt nach Ende des Abends schon auf den nächsten Abend freuen, muss man sich keine Sorgen machen, dass wir da kurzfristig irgendwie den Spass dran verlieren. Heute hat er dann auch in unserer Gruppe sich wohl von der Sentimentalität anstecken lassen und auch noch schön geschrieben, was für eine Alltagsflucht es auch für ihn ist: "Eine Flucht in eine einfachere Welt, mit Problemen, die lösbar sind oder uns zumindest die Chance dazu bieten." Und auch wenn ich der SL bin, empfinde ich das auch so und irgendwie passt das auch ein wenig in die Diskussion die wir hier im Forum die Tage hatten über Gewalt gegen Orks und Co.
Jetzt bin ich also hier und heute morgen auch wieder im gedanklichen Jahresrückblick. Wenn ich das was ich vor knapp einem Jahr hier zu dem gleichen Thema geschrieben habe, bleiben eigentlich alle Tops bestehen und sind vielleicht noch etwas erweitert. Aber auch Ingame hat die Gruppe spürbare Fortschritte gemacht. Eigentlich gab es an den 21 Abenden niemals Stilstand oder auf der Stelle treten. Durch die gestraffte Struktur passiert eigentlich ständig etwas und das Gefühl ist da, einer großen, verzweigten, Handlung zu folgen und die Frage ist ständig lediglich, welches Thema man am ehesten angehen muss oder möchte. Und witzigerweise schließt sich auch jetzt der Kreis zum Jahresanfang. Vor einem Jahr hatten wir ein Abenteuer in einer Welt der Untoten - der Dämmerebene - und genau dorthin sind sie nun wieder aufgebrochen. Dieser Zufall gefällt mir. Eigentlich dachte ich, dass wir den Part schon im Sommer spielen. Zeigt nur, wieviele länger die Kampagne wohl laufen wird wie initial gedacht.
Gestern Abend habe ich auch festgestellt, wie sehr ich selbst gespannt bin und kaum erwarten kann, was uns im 3. Jahr so erwartet. Auch wenn ich von Anfang an gewisse Eckpunkte und Ideen hatte, die im großen und Ganzen schon gewisse Pfeiler stellen, so hat sich doch vieles verschoben oder hat sich anders entwickelt wie von mir erwartet. Und das macht mir persönlich super viel Spass. Selbst nicht so recht zu wissen, wie die Kampagne und Geschichte des Landes sich im Detail in den nächsten 12 Monaten verändern wird.
Soviel zur Selbstbeweihräucherung. Spannender ist ja wieder mal die Frage was denn nicht so gut gelaufen ist. Oder in dem Fall, wie die negativen Dinge nach dem ersten Jahr sich denn nun verändert haben. Das hatte ich letztes Jahr geschrieben:
Flop
1.Die Kampfgestaltung ist noch deutlich verbesserungswürdig und kickt selten. Der Schwierigkeitsgrad passt noch nicht so ganz. Bisher waren nahezu alle Kämpfe letzten Endes zu leicht für die Gruppe. Dadurch mangelt es etwas an Bedrohungslevel und erinnerungswürdigen Begegnungen. Aufgabe für Jahr 2. Hier habe ich aber schon ein oder zwei Ideen. Der Thread wird wohl also noch etwas von mir befüttert werden.
2.Mein persönlicher Zeitaufwand was die Vorbereitung der jeweiligen Abende angeht ist viel zu groß. Ich war ohnehin immer der vorbereitende SL. Aber das jetzt in Kombination mit meiner gerade anfangs mangelnden Erfahrung muss ich noch deutlich verbessern. Mir macht das zwar grundsätzlich Spaß, aber die Zeit habe ich dafür eigentlich nicht.
3.Ich weiß noch nicht mal, ob das unbedingt ein Flop ist. Ich habe eben viel ausprobieren wollen und das auch umgesetzt. Dadurch habe ich mich bei manchen Dingen auf verzettelt. Beispiel Musikuntermalung. Hier habe ich anfangs für jeden Abend auch noch eine eigene Playlist zusammengestellt. Das hat zwar auch Spaß gemacht, aber war letzten Endes unnötiger Zeitaufwand. Das mache ich jetzt so nicht mehr, sondern nutze allgemeine Fantasyplaylists. Nur noch zur Untermalung besonderer Momente nutze ich dann individuelle Musik.
Als Mitleser hier erkennt man sofort gewisse, sich stets wiederholende Themen.
Zu 1 den Kämpfen: Hier ist mir vom Gefühl her der größte Schritt gelungen. Durch die Nutzung von Battlemaps für besondere Kämpfe, hat sich eine ganz andere Dynamik in den Kämpfen entwickelt. Diese regen die Spieler immer mal wieder dazu an die Umgebung zu nutzen. Zumindest aber ist die Orientierung und das räumliche Vorstellung des Geschehens für alle deutlich besser. Ich bin zwar nach wie vor auch Fan des Kopfkinos bei kämpfen, da man eher in der Vorstellung bleibt und sich das so schon ein wenig Brettspieliger anfühlt - und ehrlicherweise auch ist. Aber: es bereichert für uns alle in diesem Moment das Gefühl des Spases an Kämpfen. Und da es am Ende nur um genau den Spaß geht, ist das für mich schon in Ordnung. Da wir eigentlich nur einen größeren Kampf pro Abend haben, lässt sich dieser häufig auch zu etwas besonderem gestalten. Und so werden sie gefühlt etwas abwechslungsreicher und erinnerungswürdiger.
Gestern fand ein Kampf auf einem Markplatz in der Ghoul-Untotenebene statt. Seelenjäger haben die Gruppe in einen Kampf verwickelt. Daneben waren Ghoule und Geister zunächst unbeteiligte Dritte. Ein Alchimistenstand wurde zu einer Explosion gebracht. Der Paladin hat ein Untotentötendes Schwert auf das eben jene unterschiedlich reagiert haben. Während die Ghoule Angst beim Anblick der Waffe bekamen und befürchteten, dass damit ihre Existenz vernichtet würde war das bei den anwesenden Geistern und Gespenstern dann anders. Diese sollen in dieser Welt gequälte Seelen sein, die sich den endgültigen Tod und Befreiung von ihren Qualen wünschen. Und so wurden sie eher vom Paladin angezogen und bildeten mitten im Kampf eine "neutrale" Fraktion, die versuchte den Paladin zu erreichen und ihn angefleht haben, sie zu erlösen. Das wiederum brachte den Waldläufer auf die Idee, die Geister zu versuchen auf ihre Seite zu ziehen. Im Kampf helfen gegen nachfolgende Erlösung. Das war so nicht geplant (ich wollte hauptsächlich halt zeigen, dass in einer Welt der Toten eben ganz besonders auf ein Existenzvernichtendes Schwert reagiert wird) - aber die Idee fand ich Bombe und hat auch geholfen.
Was den Kampf aber etwas unnötig in die Länge gezogen hat - und daher würde ich mich mit einem D&D artigen, reinen TP runter klopfen, echt dauerhaft nerven - war, dass Untote bei MERS eben nicht benommen werden können. Und so ging es wirklich nur um das runter hauen von TP - und das war etwas "langweilig" und nicht unbedingt gewohnt bei unseren Kämpfen.
Tja und dann Nummer 2 - die Vorbereitungszeit. Die ist einfach nach wie vor enorm. Mal mehr mal weniger, aber die Gestaltung eines Abenteuers ist wirklich aufwändig. Bis ich es wirklich soweit habe, dass ich sage jetzt ist es gut - puhhh, das dauert. Aber eigentlich macht mir das ja wirklich Spaß. Jedoch habe ich wirklich nicht die Zeit dafür. Insofern habe ich gestern aber eigentlich wieder gemerkt, wie sehr ich die Andor Struktur für mich am Liebsten mag. Ein Abenteuer vorbereiten, dass auf 3 Abende bzw. ein Quartal ausgelegt ist. Da lohnt sich dann auch der Aufwand im Vorfeld und sorgt für Entspannung danach, da wir genug zu spielen haben. Gestern war der erste Teil des neuen Abenteuers und das war erstmal viel Exposition. Stellenweise eventuell etwas schwierig und langatmig, da die Spieler sich erstmal orientieren mussten und keine Ahnung hatten, was sie genau tun sollten. Das dreht sich aber recht schnell und so werden Abend 2 und 3 vermutlich auch von dem her sich wieder viel runder anhören. Da wir aber genug Zwischentöne im Abenteuer hatten und sich stellenweise schöne Atmo aufgebaut hat, hat das trotzdem Spaß gemacht. Und insgesamt finde ich das wichtig, nach aufregenden Abenden einfach mal runter zu fahren um neu Anlauf zu nehmen für das was als nächstes kommt. Seitdem ich das so sehe (und gestern war da der letzte Ruck für mich), bin ich auch nochmal etwas entspannter, was die Sorgen angeht, dass jeder Abend "sitzen" muss. Wir sind da und spielen und das reicht erstmal. Natürlich wäre es langweilig wenn wir einfach 3 Abende nur kämpfen würden. Aber ein normaler Abend ohne nennenswerten Höhepunkt, Storyreveal etc. ist auch in Ordnung und stört nicht. Im Gegenteil denke ich. Und man kann ja immer noch eine Bande Orks in den Raum stürmen lassen. In meinem Fall habe ich ein kurze Szene mit Yron Varantir eingefügt. Die war zwar wirklich sehr kurz, hat die Spieler aber direkt zum Diskutieren angeregt bzw. emotionalisiert. Das war auch sehr cool zu sehen, wie manche NSC einfach da schon in den Köpfen der Spieler sind und ihre pure Anwesenheit direkt für Spannung und Atmo sorgt.
Mit der Musik bei 3. habe ich eigentlich auch meinen Frieden gemacht. Das wurde mir auch durch einen Faden hier im Tanelorn bewusst. Ich habe die individuelle Vorbereitung zum einen deutlich herunter gefahren, aber arbeite noch immer viel damit. Auch wenn davon wenig bei den Spielern ankommt, ist es für mich einfach ein musikalisches Tagebuch und Storygedächtnis. Meine Spotifyplaylist hat um die 3 Stunden. Und beim joggen oder egal wo ich die Musik höre, sind direkt die Kampagne und mit dem einzelnen Song verwurzelte Szene im Kopf mit Bild und allem was da geschehen ist. Das ist einfach schön. Denn auch im Alltag zaubert der Gedanke an die Runde eben immer ein wohliges Lächeln auf mein Gesicht. Schön durch die Musik häufig daran erinnert zu werden.
Vieles könnte ich jetzt hier noch schreiben, aber es ist jetzt schon eine große Textwand geworden, mit vielen Gedanken. Der Kern jetzt, nach inzwischen viel mehr Routine in manchen Bereichen, soll einfach Motivation sein. Motivation für andere die vielleicht in einer ähnlichen Situation sind oder waren. Und auch das Bewusstsein, dass man im mittleren Alter von um die 50 - trotz allen Alltagssorgen und Problemen - trotzdem seinen kindlichen Geist und die Faszination des Hobbys fast auf Niveau von früher wirklich wieder wecken kann. Es muss sehr vieles dafür passen, das ist klar. Aber es geht und ist das was wir vier älteren Männer aktuell erleben dürfen. Und wenn uns das gelingt, kann das vielen gelingen. Vielleicht klingt das stellenweise zu euphorisch und auch bei uns ist natürlich nicht alles Gold was glänzt. Aber es bleibt für mich persönlich eine der schönsten und lebensbereichernden Erfahrungen der letzten 10 Jahre und ich freue mich auf alles was kommt, solange es eben geht.
P.S. Achso - und die Weihnachtsgeschenke von oben kamen extrem gut an. Da war die Freude über die "Rückkehr" der alten Geschichten/Homepage in Papierform wirklich groß.