Tatsächlich finde ich den Gedanken und die Frage total spannend. In klassischer High Fantasy geht es häufig um das absolut Böse, dass alles erobern möchte. Aber weniger was denn dann geschieht. Was macht es dann? Was Morgoth macht und was sein Ansinnen war, haben wir im Sillmarillion einigermaßen gut ausgeführt. Bei Sauron finde ich das ungleich komplexer. Und dadurch auch spannender. Der Aussage nach, hatte er Macht über die Ostlinge - zumindest aber Einfluss dort. Wenn man nach den Ideen der alten ICE Publikationen geht, beherrschte Sauron eigentlich den ganzen Osten. Und da ist nur von Herrschaft über die Menschen dort die Rede. Also geht es ihm nicht um deren Vernichtung.
Die Ostlinge (und das gesamte Reich im Osten) war für ihn in erster Linie ein Werkzeug, um die etablierte Allianz im Westen überhaupt irgendwie angehen zu können, und die Struktur der valarischen Ordnung zerschlagen. Sobald diese dafür nicht mehr notwenig sind, erfüllen sie für Sauron auch keinen Zweck mehr.
Ich denke auch nicht, dass Sauron ein großes Interesse hat, etwas von Bestand zu schaffen: weder sehe ich ihn als Thanos in seinem Garten (das würde imo absolut nicht zu ihm passen), noch glaube ich, dass ein absolut durchorganisiertes, dunkles Großreich für ihn wirklich Sinn machen würde. Denn den Valar kann er damit nicht wirklich gefährlich werden (weder militärisch, noch durch Intrige), und wenn die Menschen nichteinmal mehr wissen, wie weit sie sich von Erus' Plan entfernt haben (weil sie nichts anderes kennen, als das Mordor-Imperium) dürfte das Sauron auch nicht schmecken.
Viel eher sehe ich ihn das machen, was er am Besten kann: in verschiedenen Gestalten unterwegs sein, und Leute gegeneinander aufhetzen. Entweder er kommt als "Annatar 2.0" zu den verbliebenen Menschen/Elfen/Zwergen und gibt diesen Infos, um einige seiner zu mächtigen/ambitionierten Diener etwas zurechtzustutzen, oder er hetzt direkt Fraktionen innerhalb Mordors gegeneinander auf, und zerschlägt sein riesiges Imperium damit zu unzähligen, sich bekriegenden, Kleinstaaten.
Ein wichtiger Punkt in diesem neuen Mittelerde dürfte sein, welche Rolle Aragorn spielt. Immerhin ist er Träger von Andúril und prophezeiter Erbe des Hauses Ilsildur, der sein Leben lang für die Schlacht gegen Sauron trainiert hat - der ideale Kriegerkönig. Wenn er die Herrschaft in Gondor übernimmt (Denethor wird in jedem Fall abtreten, und das Volk würde einen selbstbewusst auftretenden Anführer akzeptieren), dann könnte er durchaus einige Zeit ein Stachel in Saurons Seite sein, und die menschlichen Völker hinter Gondor vereinen.
Auch die Elben würden in diesem Fall nicht vollständig verschwinden: Elrond hat einiges darin investiert Aragorn zum zukünftigen Herrscher aufzubauen, dass wird er sicherlich nicht wegwerfen. Und wenn Elrond bleibt, dann folgen sicherlich einige andere einflussreiche Elben seinem Beispiel.
Das größte Problem Aragorns dürfte aber seine kriegerische Prägung sein: er hat sein Leben als Heerführer verbracht, und wahrscheinlich nur wenig Ahnung von Diplomatie und (besonders) Intrige. Wenn er Sauron nicht direkt angreifen kann (was in der Ausgangssituation als gegeben betrachtet werden kann) und "auf Zeit spielen" muss, dann dürfte er Probleme haben sein Reich zusammenzuhalten (evtll. hilft ihm Arwen in dieser Hinsicht, oder wirkt zumindest beruhigend auf ihn ein). Das Risiko, dass er sich an irgendeiner Front aufreibt und stirbt, ist nicht unerheblich.