Autor Thema: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?  (Gelesen 6997 mal)

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Offline Grimnir

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ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« am: 30.07.2007 | 16:46 »
Liebe Theoretiker,

in der Hoffnung, hier im passenden Forum zu sein (ansonsten bitte verschieben) und nicht wegen des heiß diskutierten Begriffs "ARS" gesteinigt zu werden, habe ich einige Fragen an Euch:

Es würde mich interessieren, wie in Euren Augen ARS und "Realismus" (Im Sinne von "geringer Abstraktionsgrad der Regeln" bzw. "Detailliertheit", siehe hier: http://grimnismal.blogspot.com) in einem Regelwerk zusammenpassen.
  • Wie verortet man "Realismus" eigentlich theoretisch? Unterform von Simulationismus?
  • Schließen sich daher "Realismus" und ARS (das ja in Richtung "Gamism" tendiert, ohne dort ankommen zu wollen) als Spielstile aus?
  • Ist ein System möglich, dass beide Stile unterstützt oder kann dabei nur ein fauler Kompromiss herauskommen? 
  • Gibt es vielleicht schon ein derartiges System? "The Riddle of Steel" vielleicht? Hat jemand in diesem Sinne Spielerfahrungen damit?
  • Kann ein "realistisches" System überhaupt ausbalanciert sein? Oder ist das ein Widerspruch in sich?

Der Hintergrund der Frage ist natürlich die Suche nach einem für mich "perfekten" System. Ich spiele sehr gerne D&D und liebe die taktischen Möglichkeiten der 3. Edition. An Hârnmaster liebe ich den Realismus (Finde dummerweise jedoch keine Mitspieler). Sollte es kein System geben, dass diesen meinen Spielstil gänzlich unterstützt, würde ich selbst eines basteln oder zumindest eines modifizieren.

In der Hoffnung auf rege Diskussion grüßt

Grimnir
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Eulenspiegel

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #1 am: 30.07.2007 | 16:54 »
Wie verortet man "Realismus" eigentlich theoretisch? Unterform von Simulationismus?
Nicht zwangsläufig. Die Frage, die du dir stellen musst ist: "Warum willst du Realismus?" Denn Realismus ist kein Selbstzweck.

Willst du Realismus, um die besser in die Welt hineinversetzen zu können? Dann ist Realismus eine Unterform von SIM.
Willst du jedoch Realismus, damit du eine besondere Form von Herausforderungen bekommst? (Und das Gefühl, auch im relane Lerben diese Herausforderung meistern zu können?) Dann wäre Realismus eine Unterform von GAM.
Willst du Realismus, weil du so besser Konflikte darstellen kannst und du keine Lust hast, Moral zu abstrakt zu diskutieren? Dann wäre Realismus eine Unterform von NAR.

Zitat
Schließen sich daher "Realismus" und ARS (das ja in Richtung "Gamism" tendiert, ohne dort ankommen zu wollen) als Spielstile aus?
Nein.

Zitat
Kann ein "realistisches" System überhaupt ausbalanciert sein? Oder ist das ein Widerspruch in sich?
Durchaus. Imho ist die Realität das ausbalancierteste System, das es gibt. (Wenn alle mit den gleichen Ressourcen beginnen.)

Zitat
Sollte es kein System geben, dass diesen meinen Spielstil gänzlich unterstützt, würde ich selbst eines basteln oder zumindest eines modifizieren.
Mir fällt momentan kein System ein, das Taktik und Realismus unter einen Hut kriegt. - Aber theoretisch sollte es möglich sein, so ein System zu entwickeln.

Samael

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #2 am: 30.07.2007 | 17:06 »
Mir fällt momentan kein System ein, das Taktik und Realismus unter einen Hut kriegt. - Aber theoretisch sollte es möglich sein, so ein System zu entwickeln.

Naja, es gibt schon Spiele, die sich zunächst an der Realität orientieren und dann das System noch auf Taktik/Ausgewogenheit trimmen (GURPS ohne Magie, Powers, Psi). Wie "realistisch" das Endergebnis dann ist, darüber lässt sich natürlich diskutieren.

Offline Lord Verminaard

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #3 am: 30.07.2007 | 17:12 »
Hallo und willkommen im GroFaFo! :)

Zur Frage, wie man „Realismus“ theoretisch verortet, kann ich aus Sicht des „Big Model“ der Forge folgendes beisteuern:

Zu differenzieren sind, wie immer, folgende Ebenen:

[Social Contract [Exploration [Techniques [Ephemera]]]]
--------------------Creative Agenda---------------------->

Die Frage, wie viel Wert eine gegebene Gruppe auf Details legt und inwieweit hier regelmäßig auf eine genaue Erfassung der Details und ihre „realistische“ Würdigung geachtet wird, ist eine Frage der Techniken. Angewandte Regeln, die fein skalieren und einen hohen Einzelfallbezug aufweisen (so verstehe ich deine „Realismus“-Definition), sind eine Frage des Systems, das wiederum eines der fünf Elemente der Exploration darstellt und somit den Prozess des Erlebens prägt. D.h. beide sind zunächst Methode, und nicht Zweck, und daher allein auf der oberen Ebene meines Schaubildes erfasst. Sie prägen den Ablauf am Spieltisch und haben Einfluss darauf, wie die Gruppe den gemeinsamen Vorstellungsraum verhandelt und damit im Zweifel auch darauf, was für Inhalte den gemeinsamen Vorstellungsraum prägen.

Davon losgelöst sind die Fragen, ob bei einer Gruppe, die so spielt,

a) eine gemeinsame Creative Agenda überhaupt vorhanden ist,
b) welche Creative Agenda (G, N oder S) das ist, und in welcher Ausprägung, sowie
c) ob die vorgenannten technischen Aspekte und System-Elemente diese gemeinsame Creative Agenda in besonderer Weise unterstützen oder gar wesentlicher Bestandteil der Creative Agenda sind, oder nicht.

In vielen Fällen nehme ich an, dass die Vorliebe für „Realismus“ im von dir definierten Sinne eine rein technische Präferenz ist, die für die Creative Agenda keine oder nur sehr geringe Relevanz hat. Soweit neben dieser „Technical Agenda“ auch eine stabile gemeinsame Creative Agenda vorhanden ist, was wie gesagt eine davon völlig losgelöste Frage ist, würde ich aus Erfahrung darauf tippen, dass diese Creative Agenda am Häufigsten Sim (in der „Purist for System“-Variante) sein dürfte, dass es einen soliden Anteil Gam (mit viel „Crunch“) darunter gibt, und dass Nar kaum vorkommen dürfte. Dies immer vorausgesetzt, dass „realistisch“ gespielt wird, weil die Spieler das wirklich gut finden, und nicht weil „das halt so gehört“.
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Offline 1of3

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #4 am: 30.07.2007 | 18:40 »
Also der ARS-Begriff (der keiner ist, weil sich jeder was anderes drunter vorstellt) und das Big Modell der Forge schließen sich aus. Die passen nicht zusammen.


Das Problem ist, dass hier zwei Arten der Begriffsdefinition aufeinandertreffen.  Skyrocks ARS-Definition ist dagegen Konstruktion des Begriffes über konkrete Spielabläufe. (Settembrini definiert seinen Begriff gar nicht.)


GNS dagegen ist axiomatisch: Es möge Gulasch, Nudeln und Salat geben. Leider haben die Autoren es nicht verstanden, in ihre Ausführungen das einzubeziehen, was bereits im Jargon der Szene usus war, so dass man das Big Modell mit nichts anderem vernünftig mischen kann. (Deshalb ist auch diese Zuordnung auch immer so gut wie unmöglich. Die Existenz dieser drei Dinger wird angenommen und dann muss da alles rein.)


Das schließt natürlich alles nicht aus, dass man praktisch jede Menge Möglichkeiten hat.

Offline Dom

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #5 am: 30.07.2007 | 21:58 »
Realismus hat nicht wirklich was mit dem Big Model zu tun, insbesondere nicht mit den CAs, wie Vermi ja schon erklärt hat. Ok, ARS, so wie Skyrock es definiert, hat mMn schon was mit den CAs zu tun; ich würde es als eine spezielle Form von GAM ansehen, bei der bestimmte Techniken Anwendung finden.

Ob ARS und Realismus sich widersprechen ist eine interessante Frage. Bei ARS gehts darum, dass die Spieler durch geschicktes Taktieren und Einsetzen der Fähigkeiten der Charaktere Aufgaben lösen. Dann gehts noch um Wettbewerb und Identifikation; diese beiden Punkte sollten problemlos mit Realismus vereinbar sein. Daher verkürzt sich die Frage auf: Wie abstrakt muss ein System sein, damit man noch taktische Entscheidungen treffen kann? Denn wenn man tatsächlich die Fliege, die ins Auge fliegen könnte, im System abbildet, dann geht irgendwann der Überblick verloren und keiner kann mehr taktieren, weil es einfach zu kompliziert ist. Ich denke, man braucht eine gewisse einfache Struktur, damit man die Folgen seiner Entscheidungen überblicken kann (Achtung: mit "überblicken" meine ich was anderes als "durchschauen").

Wie einfach diese Struktur sein muss, hängt von vielen Faktoren ab. Mir fällt spontan ein:
a) Wie sehr sind die Spieler bereit, sich in das System reinzufuchsen?
b) Wie sehr dürfen taktische Überlegungen das Eintauchen in die Spielwelt und die Identifikation mit dem Charakter stören?
c) Wie intelligent (ich benutze das Wort einfach mal, ohne genau zu wissen, ob es hier tatsächlich passt) sind die Spieler?

Offline Grimnir

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #6 am: 31.07.2007 | 12:30 »
Vielen Dank für Eure Beiträge und das nette Willkommen!

Zitat von: Eulenspiegel
Zitat
Kann ein "realistisches" System überhaupt ausbalanciert sein? Oder ist das ein Widerspruch in sich?
Durchaus. Imho ist die Realität das ausbalancierteste System, das es gibt. (Wenn alle mit den gleichen Ressourcen beginnen.)
Das Problem sehe ich darin, dass in der Realität nicht alle mit den gleichen Ressourcen beginnen. Das mag bei der Geburt so sein, aber mit dem Ende der Ausbildung (also dann, wenn man im Regelfall als Charakter ins Spiel einsteigt) haben sich die Voraussetzungen schon stark verschoben: Der eine hat eine hat eine Ausbildung an den besten Schulen genossen, parallel drei Instrumente und zwei Sportarten gelernt, dazu die Militärakademie in Sandhurst besucht, während der andere sein Leben mit Schuheputzen in Kalkutta fristen musste.
Lösbar ist das Problem natürlich, wenn man als Charaktere nur vergleichbare zulässt - damit wäre das Balancingproblem fürs erste gelöst.

Danke, Lord Verminaard, für die genaue Erklärung und die Differenzierung von ARS als "Spielziel" und Realismus als "Technik".

Zitat von: Lord Verminaard
dass diese Creative Agenda am Häufigsten Sim (in der „Purist for System“-Variante) sein dürfte, dass es einen soliden Anteil Gam (mit viel „Crunch“) darunter gibt, und dass Nar kaum vorkommen dürfte.

Das deckt sich mit meiner Spielpräferenz sehr stark, wobei der GAM-Anteil m.E. etwas stärker als der SIM-Anteil ausgeprägt ist. Insgesamt ist es eine besondere Form der Herausforderung, gepaart mit dem besseren Hineinversetzen in die Welt - ganz gemäß Eulenspiegels Beispielen:

Zitat von: Eulenspiegel
Willst du Realismus, um die besser in die Welt hineinversetzen zu können? Dann ist Realismus eine Unterform von SIM.
Willst du jedoch Realismus, damit du eine besondere Form von Herausforderungen bekommst? (Und das Gefühl, auch im relane Lerben diese Herausforderung meistern zu können?) Dann wäre Realismus eine Unterform von GAM.

Zitat von: Lord Verminaard
Dies immer vorausgesetzt, dass „realistisch“ gespielt wird, weil die Spieler das wirklich gut finden, und nicht weil „das halt so gehört“.
Insofern hat meine jetzige D&D-Gruppe ihre Lektion gelernt: In dieser (!) Gruppe räumen wir bewusst Realismus keinen großen Platz ein, da derartige Überlegungen im D&D-System für GAM hinderlich sind (Insofern habe ich schon den Eindruck, dass die Technik Einfluss auf die Creative Agenda hat) und haben dadurch leider schon einen Spieler verloren ("Wie unrealistisch - und tschüss!" ). Unsere "Creative Agenda" haben wir dort (!) also mittlerweile gefunden. Ein, zwei Spieler (mich eingeschlossen) wollen allerdings in einer anderen (!) Gruppe  aus o.g. Gründen etwas mehr "Realismus" als "Technical Agenda" (danke für den Begriff) im Regelwerk haben.

Zitat von: 1of3
Also der ARS-Begriff (der keiner ist, weil sich jeder was anderes drunter vorstellt) und das Big Modell der Forge schließen sich aus. Die passen nicht zusammen.
Hmm... ich hatte schon das Gefühl, dass der "Wettstreit", der ja u.a. ein zentraler Begriff im ARS ist, gut mit GAM zusammen passt (ähnlich wie Dom es sieht - natürlich auch mit Orientierungen in andere Richtungen (z.B. Skyrocks "Emotionale Investition", die ja zu SIM passen würde). Die Unmöglichkeit, Spielstile eindeutige dem GNS-Modell zuzuordnen, bedeutet ja nicht, dass man nicht zumindest Tendenzen erkennen kann.

Prinzipiell orientiere ich mich bei meinem ARS-Begriff übrigens an Skyrocks überarbeitetem Manifest, da das nach meiner Kenntnis die einzige umfangreiche Erklärung des Begriffs ist.

Zitat von: Dom
Wie abstrakt muss ein System sein, damit man noch taktische Entscheidungen treffen kann?

Zitat von: Dom
a) Wie sehr sind die Spieler bereit, sich in das System reinzufuchsen?
b) Wie sehr dürfen taktische Überlegungen das Eintauchen in die Spielwelt und die Identifikation mit dem Charakter stören?
c) Wie intelligent (ich benutze das Wort einfach mal, ohne genau zu wissen, ob es hier tatsächlich passt) sind die Spieler?

Das erste ist in der Tat die spannende Frage! Beim Systembau würde ich natürlich auf Stringenz und Konsistenz soweit möglich achten, allerdings wird es wohl trotzdem ein komplexeres System werden (ähnlich wie Hârnmaster), das wohl nur wenige Spieler wirklich interessieren würde - wobei "The Riddle of Steel" ja anscheinend auch einige begeistern konnte. Prinzipiell will ich das System basteln, um die Präferenzen einiger Freunde und von mir zu befriedigen - womit ein tieferes Eintauchen in die Regeln gewährleistet wäre. Weitere Interessierte wären natürlich ein netter Bonus, und ich hoffe, dass man sowohl die D&D-Spieler, die etwas mehr Realismus wünschen, wie auch die Hârnmaster- und Rolemasterspieler, die etwas mehr taktische Möglichkeiten wünschen, ansprechen kann.

Würde es die Identifikation mit dem Charakter stören? Prinzipiell möglich, da taktische Überlegungen ja immer auf Spielerebene stattfinden, nicht auf Charakterebene. Allerdings soll es zwischen den taktischen Elementen genügend  Raum zum Eintauchen in den Charakter geben (Skyrocks "Emotionale Investition").
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #7 am: 31.07.2007 | 14:34 »
Zitat
Das deckt sich mit meiner Spielpräferenz sehr stark, wobei der GAM-Anteil m.E. etwas stärker als der SIM-Anteil ausgeprägt ist.

Nur um sicher zu gehen, dass wir uns nicht falsch verstehen: „Anteil“ = Anteil der Gruppen mit (reinrassiger) Gam-Agenda unter den Gruppen, die „realistisch“ spielen. So was wie „unsere Creative Agenda ist hauptsächlich Sim, mit einem Gam-Anteil“ ist im Big Model grundsätzlich erstmal nicht vorgesehen und wird auch nicht benötigt.

Ob ARS hingegen ein Spielziel oder eine Methode ist, hängt stark davon ab, wen du fragst. Ich beantworte hier nur Fragen zum Big Model. ;)
« Letzte Änderung: 31.07.2007 | 14:36 von Lord Verminaard »
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Offline Bitpicker

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #8 am: 31.07.2007 | 15:49 »
Ich geb ausnahmsweise noch mal etwas eigenen Senf zu einem Theorie-Thread:

ich mag eine realistische (oder sagen wir besser: für mich und meine Spieler plausible) Darstellung der Spielwelt und der Möglichkeiten der Charaktere darin. Wenn ich eines in 20 Jahren Rollenspiel gelernt habe, dann ist es dies: der Realismus gehört nicht in die Regeln.

Was realistisch oder plausibel ist, entscheidet die Wahrnehmung der Spieler. Wie oben erwähnt: ein Spieler geht mit den Worten 'wie unrealistisch'. Ob er Recht hat oder nicht, wer weiß das schon?

Es ist unheimlich schwierig, ein Regelsystem zu verfassen, das völlig realistische Resultate (und vor allem alle potentiell möglichen realistischen Resultate) ergibt. Sicher ist es relativ realistisch, dass ein böser Patzer beim Bogenschießen einem den eigenen Fuß an den Boden nagelt (MERS), aber nicht mehr beim dritten Mal. Und wieso kann man bei einem Patzer nicht zufällig jemand anders treffen? Kein System kann wirklich alle Möglichkeiten abdecken. Deshalb sollte es das auch nicht versuchen.

Stattdessen sollte es alle möglichen plausiblen Ergebnisse erlauben, und nur diese. Es ist nämlich im Gegenzug zur oben angeführten Schwierigkeit, ein realistisches System zu bauen, sehr leicht möglich, ein Regelsystem zu bauen, das auch (oder sogar nur) objektiv und für alle unplausible Ergebnisse zulässt. Solche Systeme sind zu vermeiden.

Daher sollte ein System, das für eine realistische Spielweise benutzt wird, sich ausschließlich darauf konzentrieren, keine unplausiblen Ergebnisse zu liefern, und ansonsten die tatsächliche Interpretation der Ergebnisse dem Sachverstand der Spieler überlassen. Muss ich als SL wirklich bei einem Patzer von den Regeln vorgeschrieben bekommen, was passiert, oder kann ich einfach kreativ die Tatsache, dass es ein Patzer ist (wobei das System idealerweise noch ein Maß für die Schwere des Patzers mitliefert), selbst immer wieder je nach Laune interpretieren?

Wer auf verlässliche Regeln pochen will, wird hier vielleicht 'Willkür' schreien, aber so ist das Leben eben. Die Realität ist sehr viel unberechenbarer als jedes pseudo-realistische Rollenspiel. Realismus-unterstützende Regeln sollten also auch entsprechend unberechenbar sein.

Was anfängliche Ausgewogenheit der Charaktere angeht: das ist m.E. an sich schon unplausibel und steht dem Wunsch nach Realismus entgegen.

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Offline Haukrinn

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #9 am: 31.07.2007 | 17:11 »
Das ist wieder so eine Diskussion, die sich dank eines schwammigen Realismusbegriffs tot laufen wird. Ist Realismus=Plausibilität im Sinne der Spielwelt, dann kann jedes Regelwerk realistisch sein (die meisten sind's trotzdem nicht, aber unter dieser Prämisse wäre D&D als typischer ARS-Vertreter auf jeden Fall realistisch). Was könnte sonst noch gemeint sein?

Realismus im (pseudo-)historischen Kontext? Dann würde ich Bitpicker recht geben. Und das würde IMHO auch ergeben, dass ARS und Realismus nicht unter einen Hut zu kriegen sind. GAM und Realismus wahrscheinlich schon, wenn Du einen Weg findest, jeden Charakter trotz völlig unterschiedlicher Startbedingungen mit fairen Herausforderungen zu konfrontieren.

Und dann natürlich noch Realismus == Physikalisches Verhalten der realen Welt. Da kein Modell die Realität absolut identisch wiedergeben kann, schließt sich vollkommener Realismus natürlich aus. Löse ich mich vom klassischen Rollenspiel, dann kann ich durchaus dafür sorgen, dass mir die Regeln immer Resultate liefern, die laut meiner Wahrnehmung der Realität realistisch sind. Aber kann ich damit dann noch ARS machen? Wohl kaum, denn die Realität ist nicht fair und zudem auch noch unsagbar langweilig. Keine gute Vorraussetzung für's Abenteuerrollenspiel.
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Offline Lord Verminaard

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #10 am: 31.07.2007 | 17:36 »
Aber Grimnir hat doch "Realismus" für diesen Thread definiert:

Zitat
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #11 am: 31.07.2007 | 18:18 »
Hm, ich hoffe nicht, dass der Thread sich totläuft, ich finde das Thema interessant.

Realismus im Sinne von Plausibilität und Weltintegrität ist für ich ein Muss. Das A und O eines Rollenspiels für mich. Ohne diese Eigenschaften kann ich keine Immersion erreichen. Zur Plausibilität zähle ich aber auch, daß die Naturgesetze nicht gar zu sehr vergewaltigt werden. Wobei ich noch eher drei Meter große Ameisen hinnehme, als z.B. Charaktere, die dank ihrer Klasse/Stufe mit 100km/h durch die Gegend rennen. Oder noch weniger (ich erwähnte es schonmal) eine Welt, in der man von den Tropen in die Arktis rüberpissen kann.

Realismus im Sinne von "Abbildung der Realität auf das Spielsystem" ist eine andere Sache. Das klappt nie. Die Realität ist einfach zu komplex, um sich von ein paar Würfeln simulieren zu lassen. Bei der kleinsten Kleinigkeit spielen unzählige Faktoren eine Rolle. Auch das komplizierteste Spielsystem lässt solche realen Faktoren außer Acht. Das ist auch eine Art Abstraktion, aber eine unbewusste und ungewollte.
Tatsächlich bin ich zu dem Schluß gekommen, daß ein System in der Praxis umso unrealistischer ist, wie es realistisch sein will. Man wird nur von hunderten von Regeln, Zusatzregeln, Ausnahmen, Sonderfällen und, meistens, Tabellen erschlagen. So kommt es dann zustande, daß eine Ingame-Zeit von drei Sekunden am Spieltisch zehn Minuten an Gewürfel und Geblätter erfordert. Weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber bei mir geht da jegliche Immersion (also das Endziel) zum Teufel. Dabei kann wie gesagt das Etappenziel, die Abbildung der Realität, gar nicht erreicht werden.

Einem "realistischen" Spielstil wesentlich zuträglicher ist da vielmehr ein System, das gar nicht erst versucht, alles vom Hundertsten ins Tausendste und bis zur neunten Nachkommastelle abzubilden, sondern das abstrahiert. Die Anfangsbedingungen bestimmen die Würfelchancen, dann sprechen die Würfel, und das Ergebnis wird wieder im Sinne der (realistischen) Weltdarstellung interpretiert. So einfach ist das! So kann das Spiel schnell und flüssig vonstatten gehen. Das hilft der Immersion.

Wohlgemerkt ist da immer noch der Wille zum Realismus Bedingung. Das wäre z.B. bei D20, daß man nicht jeden zugefügten Treffer mit spritzenden Blutfontänen beschreibt, wenn der Kämpfer nur 9 von 116HP verloren hat. Aber das liegt ja in den Händen der Gruppe.

Langer Rede kurzer Sinn: _gerade_ ein gewisser (eher hoher) Abstraktionsgrad ermöglicht realistisches Spiel; ein vermeintlich geringer Abstraktionsgrad führt nur zu langwierigem Spiel, ohne dabei tatsächlich realistisch zu sein.
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Zitat von: ErikErikson
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Offline Grimnir

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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #12 am: 31.07.2007 | 18:26 »
Nur um sicher zu gehen, dass wir uns nicht falsch verstehen: „Anteil“ = Anteil der Gruppen mit (reinrassiger) Gam-Agenda unter den Gruppen, die „realistisch“ spielen. So was wie „unsere Creative Agenda ist hauptsächlich Sim, mit einem Gam-Anteil“ ist im Big Model grundsätzlich erstmal nicht vorgesehen und wird auch nicht benötigt.

Da bin ich tatsächlich einer Fehlinterpretation des Big Model aufgesessen, das ich immer als Dreieck aufgefasst habe, in dem man sich analog bewegen kann. Insgesamt überrascht es mich etwas, dass nur die Extreme im Modell erfasst werden.

Zitat von: Lord Verminaard
Aber Grimnir hat doch "Realismus" für diesen Thread definiert
Danke für den Beistand :)

Mir ist bewusst, wie umstritten der Begriff ist (oder war). Hier geht es erstmal nur um Realismus in den Regeln, nicht um Plausibilität des Settings (was ich auch will - ist aber erstmal ein anderes Thema). Realismus = geringer Abstraktionsgrad der Regeln = Detaillierte Widerspiegelung von bestimmten Aspekten einer Situation (z.B. Kampf) im Regelwerk = Hârnmaster bzw. Rolemaster im Vergleich zu D&D. Das Extrem, nämlich absoluter Realismus, ist natürlich nicht zu erreichen, ein Stückchen stromabwärts in diese Richtung für manche (!) Spieler aber durchaus von Interesse. Ausführliches dazu in meinem Blogeintrag http://grimnismal.blogspot.com, der sicherlich noch diskussionswürdig ist (dann in einem extra Thread).

Zitat von: Haukrinn
Aber kann ich damit dann noch ARS machen? Wohl kaum, denn die Realität ist nicht fair und zudem auch noch unsagbar langweilig. Keine gute Vorraussetzung für's Abenteuerrollenspiel.

Zitat von: Bitpicker
Was anfängliche Ausgewogenheit der Charaktere angeht: das ist m.E. an sich schon unplausibel und steht dem Wunsch nach Realismus entgegen.

Eben das war meine Befürchtung. Das könnte durch eine Einschränkung der Diversität an Startcharakteren gelöst werden (z.B. alles junge Ritter, die gerade einen Ritterschlag bekommen haben, bei einem quasimittelalterlichen Setting, oder Absolventen der Militärakademie auf Wega 3 in einem SF-Szenario), wobei durchaus verschiedene Spezialisierungen die Charaktere bunter gestalten können. Einfache Bettler dürften nicht vorgesehen sein - die sind immer benachteiligt.

Langweilig? Kommt darauf an - Wenn ich ein "realistisches" Musketierspiel mache, will ich den Realismus da, wo's spannend wird - bei Gefechten etc. Dass 99% des Lebens eines Musketiers wahrscheinlich totlangweilig waren, braucht nicht ausgespielt zu werden - dafür gibt's scene framing.

EDIT: @Feuersänger: Sehr interessante These... Hatte Deinen Beitrag erst gelesen, als dieser der meine abgesandt war. Äußere mich später/morgen noch auf jeden Fall dazu.
« Letzte Änderung: 31.07.2007 | 18:32 von Grimnir »
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #13 am: 31.07.2007 | 18:37 »
Moderator-Post: Ich bitte darum, die Diskussion nicht abgleiten zu lassen in ein „für mich ist Realismus, wenn...“ – „Nein, für mich ist Realismus, wenn...“ Was Grimnir mit Realismus meint, hat er gesagt, ich habe es oben zitiert. Das steht für diesen Thread nicht zur Diskussion. Vielmehr bitte ich, das Augenmerk auf folgende von Grimnir vorbildlich vorgegebene Fragen zu lenken:

  • Wie verortet man "Realismus" eigentlich theoretisch? Unterform von Simulationismus?
  • Schließen sich daher "Realismus" und ARS (das ja in Richtung "Gamism" tendiert, ohne dort ankommen zu wollen) als Spielstile aus?
  • Ist ein System möglich, dass beide Stile unterstützt oder kann dabei nur ein fauler Kompromiss herauskommen?  
  • Gibt es vielleicht schon ein derartiges System? "The Riddle of Steel" vielleicht? Hat jemand in diesem Sinne Spielerfahrungen damit?
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #14 am: 31.07.2007 | 18:50 »
Zitat
Insgesamt überrascht es mich etwas, dass nur die Extreme im Modell erfasst werden.

Dem ist auch nicht so. Das Big Model anerkennt, dass keine Spielrunde ausschließlich einem bestimmten Muster folgt. Viele Sachen sind einfach aus der Laune heraus geboren. Es gibt keine 100%-Linie, und genauso wenig gibt es eine 5%+30%+65%-Linie. Daher kann man weder anhand einer einzelnen Szene eine Creative Agenda bestimmen, noch kann man etwa bei Vorhandensein einer gemeinsamen Creative Agenda sicher vorhersagen, wie sich die Gruppe in einer bestimmten Szene verhalten wird.

Soweit das GNS-Modell daher axiomatisch bestimmte Präferenzen in Form von Gam, Nar und Sim identifiziert, geht es dabei um einen roten Faden, um ein übergeordnetes gemeinsames Interesse, das erst über einen längeren Zeitraum erkennbar zutage tritt. Dass ihr in euren „realistischen“ Runden Spaß an Regel-Crunch und Taktik habt, schließt eine (reinrassige) Sim-CA überhaupt nicht aus. Kann gut sein, dass euer roter Faden dennoch das Erleben der Welt als ein logisches, „realistisches“ Ding ist. Regel-Crunch und Taktik sind dabei keine Verirrung und kein Fehler, sondern tragen ihren Teil zum Spielspaß bei, bedeuten aber keinen „Gam-Anteil“ oder so was, da der Aspekt von Herausforderung und Leistung, Sieg und Niederlage nicht euer roter Faden ist.

Aber das war jetzt geraten. Wenn du das gerne vertiefen möchtest, würde ich vorschlagen, du schreibst einen Spielbericht im Diary of Sessions, und ich lasse mein Crazy-Forge-Fu darauf los. Muss aber nicht. ;)

Edit: P.S.: Könnte aber für die Suche nach dem idealen System durchaus hilfreich sein. :)

Edit II: Kann nicht mal mehr bis 100 zählen... *grummel*
« Letzte Änderung: 2.08.2007 | 21:21 von Lord Verminaard »
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #15 am: 31.07.2007 | 19:04 »
Noch eine kleine Überlegung zum Thema Realismus vs. Spielbalance. Ich denke, widersprüchlich wird es erst dann, wenn eine dritte Forderung hinzu tritt, nämlich die, dass alles spielbar sein soll. Wenn die Stärken und Schwächen der Charaktere zugleich ausgewogen und realistisch sein sollen, muss ich eben die Auswahl der Charaktere so begrenzen, dass die Balance gewahrt bleibt. Hast du ja selbst schon erkannt. Wenn ich das Setting selbst stricke, habe ich damit außerdem eine weitere Stellschraube.

Mir fällt allerdings kein verbreitetes System ein, in dem das umgesetzt wird. Das Problem ist ja, dass bei einem fein auflösenden Regelwerk Ausgewogenheit unheimlich schwer umzusetzen ist. Das erfordert profunde stochastische Kenntnisse, viel Hirnschmalz und Massen an Testspielen. Wer außer Wizards kann denn sowas? Keiner.
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #16 am: 31.07.2007 | 19:24 »
Ah, das hatte ich übersehen.

Zitat
Was anfängliche Ausgewogenheit der Charaktere angeht: das ist m.E. an sich schon unplausibel und steht dem Wunsch nach Realismus entgegen.

Ja. Nein. Jein. Wie soll ich sagen? Das Thema hatten wir neulich schonmal in nem DSA-Thread.
Warum sollten Charaktere nicht gleichwertig sein? Natürlich sind nicht alle Menschen gleich. Manche sind stärker, schöner, begabter als andere. Nein, die Realität ist nicht gerecht. Die Attribute werden ausgewürfelt, sozusagen.
Aber.
In den meisten Rollenspielen spielt man nicht irgendeinen dahergelaufenen Niemand, sondern einen Helden oder sonst eine Person, die sich von der Masse abhebt. Das gilt für alle Spieler. Warum sollten sie also nicht einander gleichwertige Charaktere spielen? In der Realität entschließt sich auch nicht der kleine bebrillte Hänfling mit der Kondition einer kalten Kröte, den Nanga Parbat zu besteigen, sondern die erfahrenen, durchtrainierten Bergsteiger. Es ist also unrealistisch, davon auszugehen, ein Pool von Himalaya-Bergsteigern wäre repräsentativ für den Bevölkerungsdurchschnitt. Wieso um Himmels Willen sollte sich also im Rollenspiel der nächstbeste zufällig aus der Masse rausgepickte Laufbursche entscheiden, sein Glück im Drachenretten und Prinzessinnentöten zu versuchen?

Anständige Systeme tragen dem Rechnung, indem sie allen Charakteren die gleichen Startbedingungen ermöglichen. Zum Beispiel das Prioritätensystem bei Shadowrun, oder der Point Buy bei D&D, wo auch die Klassen alle untereinander ausbalanciert sind, weil alle als Abenteurerklassen vorgesehen sind.

Manche Systeme verfolgen auch bewusst einen anderen Ansatz, indem sie bessere und schlechtere Klassen anbieten. Da wäre z.B. DSA3 zu nennen, wo der Krieger eben die stärkste (nichtmagische) Klasse war, der Seefahrer die schlechteste, und der Rest sich im Bereich dazwischen verteilte. Das ist ja auch schön und gut, wenn sich nur die Spieler von vornherein darüber im Klaren sind, daß die Klassen eben nicht gleichwertig sind.

Und dann gibt es da DSA4, mit der denkbar schlechtesten Lösung -- vielleicht hatte Bitpicker genau dieses System im Hinterkopf: da werden unbekümmert alle denkbaren Professionen von A wie Akademiekrieger bis Z wie Zuckerbäcker angeboten -- und dafür dann genau ausgerechnete Punktkosten veranschlagt, die das ganze Professionssystem ad absurdum führen. So werden mit Gewalt dem Bettler so viele Bonuspunkte in den Arsch geblasen, die er dann munter auf seine Talente verteilen darf, daß er unterm Strich in den relevanten Fertigkeiten (z.B. eine Hauptwaffe) keinen Deut schlechter dasteht als eben der Krieger. Und DAS ist natürlich ganz großer Schmarrn.

Wie gesagt, wir hatten das Thema damals in einem eigenen Thread. Der Lösungsvorschlag, der mir am Besten gefallen hat, war so einfach wie radikal: an den Templates ändert sich nichts, nur kosten sie fortan alle 0 Punkte. Wer jetzt einen Bettler spielen will, muss eben damit leben, daß er schlechter abschneidet als der Krieger.
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #17 am: 31.07.2007 | 19:44 »
Zitat
"Realismus" (Im Sinne von "geringer Abstraktionsgrad der Regeln" bzw. "Detailliertheit", (...)

Okay, zerlege ich halt das. Wie stellst Du objektiv den Abstraktionsgrad fest? Was ist Detailliertheit? Und ist das als Metrik zu gebrauchen. DSA ist detaillierter als GURPS, aber würdest Du sagen, es ist realistischer? Abstrahieren beide gleich viel? Darf ich nur physikalische Vorgänge abstrahieren? Oder darf ich auch emotionale Vorgänge mit einbringen? Abstrahiert Dogs in the Vineyard, wenn ich alle Vorgänge abbilden möchte, nicht wesentlich weniger als das z.B. GURPS tut?

Zitat
Wie verortet man "Realismus" eigentlich theoretisch? Unterform von Simulationismus?

Da das eh der Mülleimer für alles ist, was man bei GNS nicht als GAM oder NAR einordnen kann, klar, warum nicht?  ;D

Zitat
Schließen sich daher "Realismus" und ARS (das ja in Richtung "Gamism" tendiert, ohne dort ankommen zu wollen) als Spielstile aus?

Ich würde sagen, meine Aussage, dass Du prima beides vermengen kannst, wenn die Regeln garantieren, dass alle Charaktere gleich stark herausgefordert werden, gilt da immer noch. Wenn Du Realismus ala Harnmaster meinst, dann nicht.

Zitat
Ist ein System möglich, dass beide Stile unterstützt oder kann dabei nur ein fauler Kompromiss herauskommen?

Siehe oben. Ich kann Dir dafür leider kein Beispiel geben, was hauptsächlich daran liegt, dass ich mit Deiner Realismusdefinition nix anfangen kann.

Zitat
Gibt es vielleicht schon ein derartiges System? "The Riddle of Steel" vielleicht? Hat jemand in diesem Sinne Spielerfahrungen damit?

Ist das realistisch, nur weil ein ARMA-Leute dabei beratende Funktion hatten? (IMHO nein, aber da beisst sich die Schlange wieder in den Schwanz? Wie stark abstrahiert TRoS auf einer Skala von 1 bis 10. Und abstrahiert das Unisystem mehr oder weniger?) Ist das Spiel noch ARS-tauglich, oder macht bei TRoS vielleicht das Magiesystem schon alles kaputt?

Zitat
Kann ein "realistisches" System überhaupt ausbalanciert sein? Oder ist das ein Widerspruch in sich?

Du kannst jedes System ausbalancieren, wenn Du entsprechende Mechanismen wählst und evtl. den Fokus des Spiels einengst.
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #18 am: 31.07.2007 | 20:42 »
@TRoS: das hab ich noch nicht gelesen/gespielt, aber hab hier im Forum einiges darüber gelesen. So wie sich mir die Sache darstellt, ist das ein typisches Beispiel für das, was ich in meinem ersten Beitrag geschrieben habe ("je realistischer, desto unrealistischer"). Allein schon die Grundannahme, daß sich alle Kämpfe immer artig in Duelle organisieren. Sprich, bei einer ungleichen Zahl von Kontrahenten geht das System schon den Bach runter.

Das ist ja bei DSA auch nicht anders. Aber daß DSA die Nummer 1 der "Will's, und kann's nicht" Systeme ist, muss ich jetzt nicht en detail erläutern, hm? ^_^
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Zitat von: ErikErikson
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #19 am: 31.07.2007 | 21:21 »
Jau, das ist genau das, worauf ich auch hinaus wollte. Du kannst nicht objektiv beurteilen, welches Regelwerk einen bestimmten Aspekt der Realität stärker abstrahiert. TRoS mag von vielen für sein realistisches Kampfsystem gerühmt werden, ich zum Beispiel halte das Kampfsystem von Unknown Armies für wesentlich realistischer. Nur lässt das auch wieder jede Menge Faktoren unter den Tisch fallen. Aber ob die jetzt schwerer wiegen oder zu einer stärkeren Abstraktion führen, als das bei anderen Spielen der Fall ist... ich weiß es nicht *schulterzuck*
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #20 am: 1.08.2007 | 18:25 »
Zitat von: Lord Verminaard
Aber das war jetzt geraten. Wenn du das gerne vertiefen möchtest, würde ich vorschlagen, du schreibst einen Spielbericht im Diary of Sessions, und ich lasse mein Crazy-Forge-Fu darauf los. Muss aber nicht.
Sehr gerne, mache ich bei Gelegenheit -

Zitat von: Lord Verminaard
Wenn die Stärken und Schwächen der Charaktere zugleich ausgewogen und realistisch sein sollen, muss ich eben die Auswahl der Charaktere so begrenzen, dass die Balance gewahrt bleibt.

Zitat von: Feuersänger
In den meisten Rollenspielen spielt man nicht irgendeinen dahergelaufenen Niemand, sondern einen Helden oder sonst eine Person, die sich von der Masse abhebt. Das gilt für alle Spieler. Warum sollten sie also nicht einander gleichwertige Charaktere spielen?

Du kannst jedes System ausbalancieren, wenn Du entsprechende Mechanismen wählst und evtl. den Fokus des Spiels einengst.

Genau das sehe ich als ein wichtiges Fazit der Diskussion: "realistische" Balance dadurch, dass nur gleichwertige Charaktere zugelassen werden.
Deine "Typologie" des Umgangs mit Balancing, Feuersänger, ist übrigens hier sehr hilfreich!

Zitat von: Lord Verminaard
Das Problem ist ja, dass bei einem fein auflösenden Regelwerk Ausgewogenheit unheimlich schwer umzusetzen ist. Das erfordert profunde stochastische Kenntnisse, viel Hirnschmalz und Massen an Testspielen. Wer außer Wizards kann denn sowas? Keiner.

Das ist in der Tat ein Problem... Daher würden sich vermutlich als erstes Experiment eher Modifikationen bei existierenden System als Stellschrauben anbieten.

Über Eure Einwände gegen meine Realismusdefinition würde ich gerne noch etwas schreiben - mache ich aber bei Gelegenheit in einem Extrathread, sonst gleitet das Thema zu sehr ab.
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #21 am: 2.08.2007 | 20:33 »
Zwischen Gamismus und Simulation muss im Einzelfall überhaupt kein Unterschied liegen.

Es gibt in der Realität auch genügend Leute, welche aus ihren Möglichkeiten das Beste machen wollen und "gewinnen" wollen.

Der einzige nötige Schritt ist es, den GAM-Spielern die Realität der simulierten Welt eben als Spielregeln bzw. Limit klar zu machen, aber mit Grenzen zu spielen ist ja nichts unbekanntes für Gamisten.

Wenn die ausgeführten Regeln sonst noch selbst Lücken oder Fehler haben, dann lag es letztendlich am Sim-Anteil und nicht an den Gamisten, die die Regeln benutzen. Andere Sim können da denke ich viel diskussionsgefährdeter sein, da sie eher gewohnt sind an suboptimal erscheinenden Regeln nch drehen zu wollen.

Ein Problem könnte lediglich die erhöhte Ereignisdichte sein, die in einem solchen Zusammenhang oft erwartet wird und so ein Versagen letztendlich ebenfalls erhöht wahrscheinlich machen.

Aber letztendlich geht es ja nur um das sich Stellen und Bestehen einer Herausforderung und das Ernten der Lorbeeren. Alles machbar denke ich.

Was die erwähnte Balance angeht, ist dies doch nur dort wichtig, wo die Leute gegeneinander oder aneinander vorbei spielen, das Spiel für EGOpushen missbrauchen oder das System zu primitiv ist, um entsprechend jedem seine eigenen Möglichkeiten / seine Nische zu finden zu erlauben und letztendlich wirklich nur eine Lösung akzeptabel ist.
 
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #22 am: 2.08.2007 | 20:50 »
Zitat
Was die erwähnte Balance angeht, ist dies doch nur dort wichtig, wo die Leute gegeneinander oder aneinander vorbei spielen

Nicht nur. Früher wurde bei den meisten Systemen der Charakter nach hartem Zufallsprinzip ausgewürfelt -- heute ist das zunehmend aus der Mode, meist werden Punkte verteilt oder wenigstens der Würfelmodus so geändert, daß niedrige Werte weniger wahrscheinlich werden.
So oder so kann es beim Würfeln _immer_ passieren, daß einer sehr gute Werte und ein anderer sehr schlechte Werte bekommt. Ich sage nur AD&D mit den unterschiedlichen Anforderungen.
Das wird dann problematisch, wenn ein starker Char dank Punkteüberschuss die eigentliche Nische des schwachen Chars mal eben en passant mit ausfüllt. Wenn z.B. ein Dieb dank hoher Stärke ein besserer Nahkämpfer ist als der eigentliche Krieger. Dadurch verliert der schwache Char (hier: der schlecht erwürfelte Krieger) seine primäre Daseinsberechtigung in der Gruppe, und wird maximal als Comic Relief mitgeschleppt. Und das ist auf die Dauer wenig befriedigend. Und darum sollten auch in kooperativen Spielrunden die Charaktere ungefähr gleich stark sein.

Zur Erinnerung, das gilt natürlich nicht, wenn ein Spieler tatsächlich einen ineffektiven Char spielen _will_, aber das kommt ja auch eher selten vor, und stößt mitunter auch bei den Mitspielern oft auf wenig Gegenliebe.
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #23 am: 4.08.2007 | 00:31 »
Zwischen Gamismus und Simulation muss im Einzelfall überhaupt kein Unterschied liegen.

Es gibt in der Realität auch genügend Leute, welche aus ihren Möglichkeiten das Beste machen wollen und "gewinnen" wollen.


Behält man das im Hinterkopf, kann das zu einem sehr stringenten Design führen, beispielsweise im Kampf: Es ist realistisch, dass der Charakter auf jeden Fall gewinnen will --> Also setzt er Manöver ein, die seinen Sieg wahrscheinlicher machen - ansonsten wäre das Manöver sinnlos --> Also müssen alle Manöver im Regelwerk so gestaltet werden, dass es sinnvoll ist, sie zu nehmen. Taktisch unsinnige Fluff-Manöver (wie einige bei DSA 4) würden somit aus dem Regelwerk fliegen.

Zitat
Ein Problem könnte lediglich die erhöhte Ereignisdichte sein, die in einem solchen Zusammenhang oft erwartet wird und so ein Versagen letztendlich ebenfalls erhöht wahrscheinlich machen.


Das lässt sich durch Scene-Cutting etwas abmildern: In den geschnittenen Szenen können die Ressourcen auf (realistisch) langsame Art wieder aufgefrischt werden (Wunden geheilt etc.), für die Spieler folgt dann trotzdem Ereignis auf Ereignis, auch wenn für die Charaktere Wochen dazwischen liegen. Bei Pendragon gibt es auch nur ein Abenteuer pro Jahr. In geschlossenen Komplexen (Charaktere dringen durch den Latrinenschacht in eine Burg ein und kämpfen sich zum Tor vor) bleibt das Problem natürlich bestehen, dass realistische Systeme in der Regel letaler sind als unrealistische und dadurch die Erfolgswahrscheinlichkeit sinkt. Das Problem zu lösen wäre dann eher eine Aufgabe des Abenteuerdesigns.
 
Zitat von: Feuersänger
Das wird dann problematisch, wenn ein starker Char dank Punkteüberschuss die eigentliche Nische des schwachen Chars mal eben en passant mit ausfüllt. Wenn z.B. ein Dieb dank hoher Stärke ein besserer Nahkämpfer ist als der eigentliche Krieger. Dadurch verliert der schwache Char (hier: der schlecht erwürfelte Krieger) seine primäre Daseinsberechtigung in der Gruppe, und wird maximal als Comic Relief mitgeschleppt. Und das ist auf die Dauer wenig befriedigend. Und darum sollten auch in kooperativen Spielrunden die Charaktere ungefähr gleich stark sein.

Kann ich nur unterschreiben: Man sollte nur in etwa gleichstarke Charaktere zulassen, die eben nicht Hans und Peter aus dem Dorfe sind. Die Designschwierigkeit besteht darin, diese Charaktere dennoch in ihren Möglichkeiten unterschiedlich zu gestalten: Für taktisches Spiel ist der Einsatz "verbundener Waffen" wichtig, d.h. den Spielern die Möglichkeit geben, durch kluges Agieren eine spezifische Schwäche eines Charakters durch eine spezifische Stärke eines anderen zu kompensieren.

Zitat
Zur Erinnerung, das gilt natürlich nicht, wenn ein Spieler tatsächlich einen ineffektiven Char spielen _will_, aber das kommt ja auch eher selten vor, und stößt mitunter auch bei den Mitspielern oft auf wenig Gegenliebe.

Das kann funktionieren, wenn der ineffektive Charakter sich in irgendeiner Form schnell seine Nischen schafft und die Mitspieler seine Charakterwahl ausdrücklich akzeptieren. Vorstellbar wären beispielsweise auch ein Meister-Schüler-Verhältnis der Charaktere untereinander.

Ein anderes Problem könnte der Powerlevel der Charaktere werden: Ein starkes Ansteigen des Powerlevels vergrößert den Ressourcenpool signifikant, schaltet dadurch neue Möglichkeiten frei und unterstützt somit taktisches Spiel (Weswegen es für D20 zwar massig viele Low-Magic-Varianten wie Iron Heroes oder Conan D20 gibt, meines Wissens aber keine Low-Power-Varianten). Ein eher mäßiges Ansteigen des Powerlevels wäre hingegen realistischer.
« Letzte Änderung: 4.08.2007 | 00:34 von Grimnir »
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Re: ARS und "Realismus" - Ein Widerspruch?
« Antwort #24 am: 4.08.2007 | 02:53 »
Behält man das im Hinterkopf, kann das zu einem sehr stringenten Design führen, beispielsweise im Kampf: Es ist realistisch, dass der Charakter auf jeden Fall gewinnen will --> Also setzt er Manöver ein, die seinen Sieg wahrscheinlicher machen - ansonsten wäre das Manöver sinnlos --> Also müssen alle Manöver im Regelwerk so gestaltet werden, dass es sinnvoll ist, sie zu nehmen. Taktisch unsinnige Fluff-Manöver (wie einige bei DSA 4) würden somit aus dem Regelwerk fliegen.
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Bei Schaukämpfern oder Wrestling Kämpfern kann es auch realistisch sein, Manöver zu lernen, die beeindruckend aussehen und die Menge beeindrucken, aber im Kampf nur mittelmäßig effektiv sind.