Autor Thema: Entwickelt man Spiele, die publiziert werden sollen, irgendwie anders?  (Gelesen 5134 mal)

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oliof

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Ein ganz wichtiger Punkt: „Publikation“ bedeutet heutzutage etwas ganz anderes als noch vor, ähhh, 10 Jahren.

Nehmen wir mal mein noch immer nicht abgeschlossenes Projekt, The Shadow of Yesterday. Der aktuelle Arbeitsstand ist vollständig als PDF und – wie mir auf dem letzten GROSSEN eindrücklich präsentiert wurde – man kann ein Buch draus machen.

Ist The Shadow of Yesterday nun schon publiziert oder nicht? Vor 10 Jahren hätte ich klar mit nein geantwortet. Heute? Not so sure.

Offline Dirk Remmecke

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Was sind denn die großen Unterschiede?

(...) inwiefern muss mich das Ziel, das Spiel irgendwann vielleicht zu publizieren, jetzt schon bei der Arbeit beeinflussen - zu einem Zeitpunkt also, wo ich noch keine Ahung habe, ob ich überhaupt irgendetwas halbwegs Interessantes auf die Beine stellen werde?

Deine Arbeit wird schon dadurch beeinflusst, dass du dir das fertige Produkt vorstellst, d.h. die Form der Veröffentlichung. PDF als Download? Als Informations-Cluster in einem Wiki, ohne vorgegebene Lese-Reihenfolge? Altmodisches Buch?

Bei einer stofflichen Veröffentlichung entstehen Sachzwänge in Form von Papierformaten und Seitenzahlen. Die Vorstellung, wie das Produkt am Spieltisch genutzt werden soll, kann ein bestimmtes Layout erzwingen, was wiederum eine bestimmte Herangehensweise an den Text erzwingt. Sehr deutlich wird dies bei Dragon Warriors, das als Taschenbuch in den Achtzigern völlig anders aufgebaut war als in der heutigen Hardcoverausgabe.
Von der Darreichungsform können sogar Regelmechanismen erzwungen oder verworfen werden: Ein Einsteigerrollenspiel, das vielflächige Würfel verwenden soll (egal ob ein Pool aus vielen w10 oder ein D&D/Savage Worlds-artiges Sammelsurium aller Polyhedrons), muss diese Würfel enthalten - also in einer Box kommen. Schachteln sind teuer zu fertigen. Eine Box mit Würfeln hat eine andere Mehrwertsteuer als ein Buch, das wiederum preisgebunden werden muss. Also doch besser ein System um w6 herum bauen, die in jeder Kniffelschachtel vorhanden sind?

Vor der Festlegung der äußeren Form kommt unter Umständen die Frage nach dem Vertriebsweg. Dadurch verbieten sich manche Formen nämlich auch. (Knaur wollte 1985 DSA-Boxen im Buchhandel platzieren - das konnte nicht klappen. Ein Einsteigerrollenspiel kann man nicht als PoD bei Lulu oder Books on Demand veröffentlichen, weil Einsteiger es dort nicht finden können.)

Die meisten Leute haben diese Fragen schon unterschwellig für sich beantwortet, wenn sie sich an ihr Manuskript setzen. "100 Seiten, DIN A5, typisches Indie-Layout, Verkauf über Lulu, meine Homepage und die Indie-Insel auf Conventions, Zielgruppe Story Gamer" - das hat schon Einfluss auf Textmenge, Regelumfang oder sogar Regelmechanismen (eben keine Spieleffektkarten à la MTG).

Wer allein von einer coolen Regelidee ausgehend ein Spiel entwickelt, ohne sich Gedanken über den Vertrieb (und Marketing) zu machen, kann schon am Anfang scheitern, obwohl er das Spiel fertigstellen und veröffentlichen wird. Throwing Stones und Everway waren zwei Systeme, die an den potenziellen Spielern vorbei entwickelt wurden.

Offline Merlin Emrys

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Ist The Shadow of Yesterday nun schon publiziert oder nicht?
Interessant... Ich hätte "The Shadows of Yesterday" intuitiv unter die (fraglos) bereits publizierten Systeme eingeordnet.

Bei einer stofflichen Veröffentlichung entstehen Sachzwänge in Form von Papierformaten und Seitenzahlen.
In Zeiten von Lulu & Co. sehe ich da nahezu keine Zwänge mehr. Soviel Seiten, wie es werden, werden es dann halt, und man kann den Rest drauf anpassen. Umformatieren ist mE auch kein Problem mehr (außer, das Ding ist gerade in einem Zeichenprogramm gesetzt oder so, da ist es schon langwieriger - aber das macht man ja auch nicht ;-) ).
Selbst ob ich das Ding komplett in einen Bereich einer eigenen Webseite stelle oder als Buch publiziere, macht mE im Vorfeld nicht unbedingt einen Unterschied. Der Textkorpus muß geschrieben und gegliedert werden, so oder so; es muß Zeichnungen geben, so oder so...  Ich kann mir problemlos ein "fertiges Produkt" vorstellen, das ich in der einen oder anderen Form (oder auch in verschiedenen) in die Öffentlichkeit bringe. Irgendeine Form wird das Ding am Ende haben, oder eben mehrere Formen - aber das ist in meinen Augen nur unumgängliches Beiwerk. Den Inhalt nach der Form auszurichten - auf die Idee können vielleicht kommerzielle "Hersteller" kommen...

Jetzt meine Frage: inwiefern muss mich das Ziel, das Spiel irgendwann vielleicht zu publizieren, jetzt schon bei der Arbeit beeinflussen - zu einem Zeitpunkt also, wo ich noch keine Ahung habe, ob ich überhaupt irgendetwas halbwegs Interessantes auf die Beine stellen werde?
Meines Erachtens ist der Witz: Es "muß" gar nicht in irgendeinem aktiven Sinne, sondern es wird ganz einfach Einfluß haben. Wie der genau aussieht, das weiß ich nicht, aber das muß im Grunde auch kein Mensch wissen. Du mußt, solange es "ein Hobbyprojekt mit Publikationsoption" ist, erst einmal auf nichts im Besonderen acht geben, worauf Du sonst nicht acht gegeben hättest, Du mußt Dich nicht um besondere Formulierungen kümmern, besondere Regeln einbauen oder so. (Ich vermute sogar, daß es besser werden dürfte, wenn Du genau das nicht tust...)
Erst, wenn es darum geht, daß Testleser und -spieler sagen: "In einer Veröffentlichung müsste / sollte / ...", dann kann es in der Tat dazu kommen, daß Du Dinge dezidiert anders machen solltest. Aber bis können die Unterschiede eher solche sein, die sich passiv einstellen, nicht solche, die aktiv erzeugt werden.
« Letzte Änderung: 3.05.2009 | 11:44 von Merlin Emrys »

Ein

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Ich denke, dass der professionelle Publikationsweg eh nicht auf das Rollenspiel anwendbar ist, denn der Markt ist so klein, dass die Hobbypublikation über den lokalen Rollenspielverein schon ähnliche Umfänge erreichen kann, wie die direkte Publikation auf den Markt.

Hinzukommt, dass der Rollenspielmarkt zu einem weit höherem Teil aus gut informierten Konsumenten besteht, als dies meines Erachtens für den sagen wir Fantasyroman-Markt der Fall ist. Dabei hilft, dass es sich bei Rollenspielen um Spiele und nicht um Fiction handelt. Denn so ist ein eindeutiger Vergleich zwischen verschiedenen Produkten möglich.

Entsprechend finden sowohl professionelle als auch Hobbypublikationen sehr leicht ihr Zielpublikum auf dem Markt. Denn anders als auf anderen Märkten kommt beim Rollenspiel der Spieler zum Spiel, nicht umgekehrt. Es ist halt zu einem großen Teil auch ein Sammlermarkt.

Gerade weil es aber ein sehr begrenzter Sammlermarkt ist, lässt sich auf dem Rollenspielmarkt recht wenig Geld verdienen, dies lässt den Unterschied zwischen dem Hobby- und dem professionellen Bereich noch weiter verschwimmen. Wobei man eh darüber diskutieren müsste, inwiefern diese Unterscheidung überhaupt auf irgendeinem Markt Sinn macht.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Unterschiede im Endprodukt und auch im Produktionsverlauf marginal sind. Und das ist auch gut so.

Offline Beral

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Was sind denn die großen Unterschiede?
Bei der ersten Form der Publikation bist du selbst die Zielgruppe. Deine Interessen haben höchste Priorität. Das Ergebnis muss in erster Linie dir gefallen. Wenn du es publizierst, sprichst du damit keine vorher definierte Zielgruppe an, sondern Menschen, die zufällig an deinem Endprodukt Gefallen finden - unabhängig von der Qualität des Endprodukts. Wenn die Begeisterung von außen ausbleibt, schmerzt es dich auch nicht besonders, solange du selbst Spaß dran hast.

Bei der zweiten Form der Publikation hast du eine Zielgruppe im Auge, die nicht aus dir selbst besteht. Du kannst selbst Teil dieser Zielgruppe sein (was sogar sehr wahrscheinlich ist), aber du orientierst dich an der Zielgruppe. Innerhalb einer Zielgruppe gibt es immer noch große Interessenschwerpunkte und deine eigenen stehen nicht im Mittelpunkt. Das Ergebnis muss in erster Linie deiner Zielgruppe gefallen. Wenn die jubelt, aber dein persönlicher Geschmack gar nicht voll getroffen ist, jubelst du trotzdem. Auf der anderen Seite ist dir zum Heulen, wenn du dein Produkt geil findest, es aber bei der Zielgruppe nicht ankommt.

Ich denke, der Unterschied lässt sich gar nicht so sehr am Endergebnis festmachen. Ein Rollenspiel, das für den Privatgebrauch konzipiert wurde, kann qualitativ hochwertiger sein als eins, das von Anfang an für die Öffentlichkeit geschrieben wurde. Die Zielsetzung ist jeweils anders, das halte ich für entscheidender.

Und selbstverständlich ist die Trennung idealtypisch und in der Realität bei weitem nicht so scharf zu ziehen. Mischformen in beliebigem Verhältnis sind möglich und vermutlich die Regel. Das Verhältnis kann sich auch mit der Zeit beliebig verändern.

Jetzt meine Frage: inwiefern muss mich das Ziel, das Spiel irgendwann vielleicht zu publizieren, jetzt schon bei der Arbeit beeinflussen - zu einem Zeitpunkt also, wo ich noch keine Ahung habe, ob ich überhaupt irgendetwas halbwegs Interessantes auf die Beine stellen werde?
Eigentlich kannst du das nur selbst beantworten.
Wenn es deine ersten Bastelversuche sind, kannst du dich voll auf deine eigenen Interessen konzentrieren. Das macht dich freier, du kannst einfach drauflos experimentieren und genau das tun, was du willst. So kannst du das weite Feld des Rollenspieldesigns unbeschwert entdecken und erkunden. Diese Entscheidung ist ja nicht endgültig. Du kannst die Zielsetzungen jederzeit in beliebige Richtungen erweitern und ändern.
Natürlich kannst du auch gleich eine hübsche Publikatoin als Endziel anpeilen, die gut genug ist, um andere zu begeistern. Aber in deiner Frage schwingt so ein bisschen Unsicherheit mit, so als ob du Sorge hättest, dir damit zu viel Druck auf unbekannten Terrain aufzubauen. Musst du zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht tun.
Spielertyp: Modellbauer. "Ich habe das Rollenspiel transzendiert."

"Wir führen keinen Krieg...sind aber aufgerufen eine friedliche Lösung auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Gerhard Schröder.

Offline Gaukelmeister

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Die meisten Leute haben diese Fragen schon unterschwellig für sich beantwortet, wenn sie sich an ihr Manuskript setzen.

Da hast du in meinem Fall wahrscheinlich Recht: in der Tat habe ich eine ziemlich klare Vorstellung, in welchem Rahmen und mit welcher Zielgruppe das Spiel rauskommen würde - wenn ich es denn überhaupt über den Status einer spaßigen Spielerei hinaus bringe. (Und dein Beispiel trifft im Übrigen exakt meine Vorstellung  :) )

Wer allein von einer coolen Regelidee ausgehend ein Spiel entwickelt, ohne sich Gedanken über den Vertrieb (und Marketing) zu machen, kann schon am Anfang scheitern, obwohl er das Spiel fertigstellen und veröffentlichen wird. Throwing Stones und Everway waren zwei Systeme, die an den potenziellen Spielern vorbei entwickelt wurden.

Könntest du hierzu noch einen Satz sagen? Was haben die Leute denn falsch gemacht?

Ich denke, der Unterschied lässt sich gar nicht so sehr am Endergebnis festmachen. Ein Rollenspiel, das für den Privatgebrauch konzipiert wurde, kann qualitativ hochwertiger sein als eins, das von Anfang an für die Öffentlichkeit geschrieben wurde. Die Zielsetzung ist jeweils anders, das halte ich für entscheidender.

Und selbstverständlich ist die Trennung idealtypisch und in der Realität bei weitem nicht so scharf zu ziehen. Mischformen in beliebigem Verhältnis sind möglich und vermutlich die Regel. Das Verhältnis kann sich auch mit der Zeit beliebig verändern.

Ja, so allmählich würde ich die Sache ähnlich beschreiben.

Natürlich kannst du auch gleich eine hübsche Publikatoin als Endziel anpeilen, die gut genug ist, um andere zu begeistern. Aber in deiner Frage schwingt so ein bisschen Unsicherheit mit, so als ob du Sorge hättest, dir damit zu viel Druck auf unbekannten Terrain aufzubauen. Musst du zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht tun.

Genau, Unsicherheit befeuert mein Fragen, weil ich einerseits unbefangen an die Sache herangehen möchte, andererseits aber auch von den Erfahrungen anderer profitieren möchte. Ein Thread wie dieser hier hilft mir da enorm, weil ich sehe, dass ich letztlich ruhig weiter wurschteln kann wie bisher, ohne dass alles von vornherein verloren ist  :)
Who is Who  Enthüllungen, Halbwahrheiten und Eitelkeiten - der Mensch hinter der Maske