Autor Thema: Was ist Railroading?  (Gelesen 9487 mal)

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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #25 am: 8.10.2012 | 10:56 »
RR allein vom Spielergefühl abhängig zu machen, halte ich aber für falsch. So könnte der Vorwurf "Du railroadest uns ja komplett!" niemals unwahr sein - auch wenn die Spieler alle Möglichkeiten hatten.
Genau darum geht es ja. Die Spieler haben das Gefühl, dass sie gerailroaded wurden, also hat die komplette Runde ein Problem, dass beseitigt werden muss. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass der SL ihnen objektiv alle Handlungen beschnitten hat. Es reicht dafür, dass die von den Spielern befürworteten Handlungsmöglichkeiten vom SL abgelehnt wurden oder die Spieler dachten dass diese Optionen abgelehnt wurden.
« Letzte Änderung: 8.10.2012 | 10:59 von 6 »
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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #26 am: 8.10.2012 | 11:00 »
Genau darum geht es ja. Die Spieler haben das Gefühl, dass sie gerailroaded wurden, also hat die komplette Runde ein Problem, dass beseitigt werden muss. :)
Das Problem kann aber entweder sein, dass sie gerailroadet werden oder dass sie es nur so empfinden. Im ersten Fall muss die Konzeption sich ändern, im zweiten die Kommunikation. Es macht durchaus einen Unterschied.

Auch wenn du die Wendung "Ich fühle mich gerailroadet" einführst, muss es doch eine Definition für dieses Railroading geben, um die Wendung nicht zur hohlen Phrase verkommen zu lassen. Und mit dieser Definition bist du dann beim objektiven RR.

Mir selbst kam es z.B. auch schon vor, dass ich mich gerailroadet gefühlt habe, die Diskussion nach dem Spiel aber ergab, dass wir nur die meisten Wege nicht gesehen haben. Ich habe mich in meiner Empfindung also geirrt, auch wenn der SL die Möglichkeiten vielleicht nicht gut genug kommuniziert hat.
« Letzte Änderung: 8.10.2012 | 11:07 von Sphärenwanderer »
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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #27 am: 8.10.2012 | 11:34 »
Ja, es gibt in dieser Sache eben immer drei Ansätze:

- Den Subjektivistischen. Das hab ich oben vorgeturnt.

- Den Objektivistisch-Pejorativen: Railroading gibt es und das ist verwerflich.
- Den Objektivistisch-Neutralen: Railroading ist eine Technik.

Zum Objektivistisch-Neutralen hat sich Grimnir schon geäußert. Der Begriff ist gleichsam verbrannt. Man kann auch nicht Nigger sagen und davon ausgehen, dass das Gegenüber das für eine neutrale Bezeichnung halten wird.

Dann gibts das Problem das mit dem objektiven Ansatz generell. Das Bild ist ja klar: Das Abenteuer verlaufe auf Schienen. Dann ist aber die Frage: Was heißt das im Klartext? Es ist sicherlich kein Bruch von niedergelegten Spielregeln. Dann würden man von Schummeln, Beschiss oder eben Regelbruch sprechen.

Jetzt ist also die Frage, wie man dieses Railroading quantifizieren kann. Letztlich läuft es darauf hinaus: "Der SL bestimmt Dinge." Das macht er aber ständig. Dafür gibts dann nicht mal ein richtiges Wort außer vielleicht "spielleiten". Ich mache mal ein Beispiel:

Auf dem :T:reffen mit CrimsonKing. Gesucht wird eine Expedition im Dschungel. Diese wird offenbar von gnomischen Eingeborenen auf Zwergelefanten verfolgt. Irgendwann biegen die gnomischen Eingeborenen auf Zwergelefanten ab. Crimson wirft mir nach dem Spiel vor, ich hätte Railroading betrieben, weil ich die Idee mit den gnomischen Eingeborenen auf Zwergelefanten blöd fand.

Will ich gar nicht abstreiten. Aber abbiegen ließ ich sie, um zu zeigen, dass es in der Richtung gefährlich wird. Ich habe nach Meinung gewisser Individuen also ganz richtig gehandelt: Ich habe mittels "Plausibilitätsabwägung" überlegt, wie sich die - etabliert - abergläubischen Gnome verhalten werden.

War es also nun Railroading wie der CrimsonKing meinte oder nicht? - Das ist ganz egal. Es lag ein Kommunikationsproblem vor. Es war mir nicht gelungen meinen Mitspielern begreiflich zu machen, warum die Elefanten abbiegen. Und offenbar war mein verzogenes Gesicht ob der Zwergelefanten in der Erinnerung so präsent, dass Crimson nur zu einem Schluss kommen konnte: Spielleiterwillkür / Railroading.

Es ist also völlig egal, ob das Railroading war. Der, ich sag mal, Arbeitsauftrag muss sein, zukünftig solche Kommunikationsprobleme zu vermeiden. Und ich bin der Überzeugung, dass die Probleme regelmäßig an dieser Stelle liegen: Der Spielleiter hat aus seiner Sicht gute Gründe, dass die Dinge so passieren, aber die Spieler können sie nicht aus ihrer Perspektive nicht erkennen. Da kann man dann natürlich an den Kommunikationsmustern feilen.


Edit: Vielleicht noch mal ein schöner Vortrag zu negativ belegten Wörtern von @astefanowitsch http://www.youtube.com/watch?v=6w0mHcPc7Ek
« Letzte Änderung: 8.10.2012 | 11:37 von 1of3 »

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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #28 am: 8.10.2012 | 11:35 »
Das Problem kann aber entweder sein, dass sie gerailroadet werden oder dass sie es nur so empfinden. Im ersten Fall muss die Konzeption sich ändern, im zweiten die Kommunikation. Es macht durchaus einen Unterschied.
Deine Definition besagt, dass der SL Spielern Handlungen beschnitten hat. Damit hast Du dann eine All-or-nothing-Definition, da der SL z.B. nicht zulässt, dass ein Fantasycharakter ohne Flugmittel fliegen kann. Handlungsoption beschnitten, aber niemand kümmert das, weil das eine Handlung ist, die die Spieler normalerweise eh nicht in Betracht ziehen. Ich behaupte, dass Du aus diesem Grund sofort wieder Deine Definition einschränken wirst in machbare Handlungen und nicht machbare Handlungen. Da geht es aber sofort los mit der Diskussion wann eine Handlung eigentlich machbar sein sollte und damit und RR fällt und wann nicht. Im Endeffekt läuft es dann doch wieder darauf raus, dass der Spieler mit seinem Widerwillen Dein RR bestimmt.
Bei meiner Definition hast Du eine klare Problembeschreibung: Die Spieler fühlen sich in ihren Handlungsmöglichkeiten beschitten und sie können sogar genau sagen, um welche Handlungen es geht. "Da hast Du uns gerailroadet" und die Gruppe kann die Probleme angehen.
Zitat
Auch wenn du die Wendung "Ich fühle mich gerailroadet" einführst, muss es doch eine Definition für dieses Railroading geben, um die Wendung nicht zur hohlen Phrase verkommen zu lassen. Und mit dieser Definition bist du dann beim objektiven RR.
Klar. Das Gefühl des Railroadings bedeutet dass die Spieler glauben, dass ihre Handlungsmöglichkeiten gegen ihren Willen beschnitten wurden. Das ist eine ganz objektive Definition des Railroadings.
Zitat
Mir selbst kam es z.B. auch schon vor, dass ich mich gerailroadet gefühlt habe, die Diskussion nach dem Spiel aber ergab, dass wir nur die meisten Wege nicht gesehen haben. Ich habe mich in meiner Empfindung also geirrt, auch wenn der SL die Möglichkeiten vielleicht nicht gut genug kommuniziert hat.
Oder aber Dein SL hat Dir eben das Gefühl genommen, gerailroadet zu sein.

EDIT:
1of3 hat es wesentlich besser als ich erklärt. Ich lass den Text hier jetzt nur deshalb stehen, weil lange genug dran gebaut habe.
« Letzte Änderung: 8.10.2012 | 11:42 von 6 »
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Offline OldSam

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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #29 am: 8.10.2012 | 11:42 »
Nach tausend Diskussionen darüber, ohne produktives Ergebnis in Aussicht, sollte man den Begriff IMHO am Besten verbieten... ;)

Das praktische Fazit für den SL wäre für mich in der Kurzfassung: Achte darauf, dass Deine Spieler sich möglichst nicht in ihren Handlungsoptionen eingeengt fühlen und versuche v.a. zusammen mit den Spielern möglichst viel Spaß zu haben!
Mein Fazit für Spieler in der Kurzfassung: Streiche Railroading aus Deinem Wortschatz, kommuniziere bei Bedarf Dein größeres Ingame-Freiheitsbefürfnis und konzentrier Dich darauf ein gutes Rollenspielerlebnis der Gruppe zu fördern!

That's it... =)


PS: Als Definition gewertet ist das natürlich eine Art "Anti-Definition", ist IMHO aber für die Praxisbelange hier genau das Richtige, weil es sich auf die Verbesserung des Spiels konzentriert und nicht auf die negative Begriffsdebatte ;)
« Letzte Änderung: 17.10.2012 | 11:37 von OldSam »

Offline Oberkampf

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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #30 am: 9.10.2012 | 08:17 »

Tümpelritters Unterscheidung in objektives und subjektives RR ist da sicher hilfreich.

Freut mich, aber nochmal zur Präzisierung: Ich unterscheide nicht zwischen "objektivem" und "subjektivem" Railroading, sondern ich behaupte, dass beide Aspekte gleichzeitig erfüllt sein müssen (Lineare Szenenfolge + Frust der Spieler darüber), damit der Begriff passend ist.

Spieler können sich gegängelt/gerailroaded fühlen, auch wenn der SL objektiv ihnen alle Freiheiten lässt, sich an die Regeln hält usw., wenn sie den (falschen) Eindruck haben, der SL zwinge ihnen eine Geschichte auf. Die immer wiederkehrende Behauptung vom "Dungeon als Railroading" fällt unter diesen Fall: Das kommt von Rollenspielern, die keinen Bock auf Dungeonabenteuer haben, egal wie offen und vielseitig das Dungeon ist.

Wenn der subjektive Aspekt fehlt, handelt es sich entweder um Illusionismus oder um Partizipationismus, nicht um Railroading.
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Offline D. Athair

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Re: Was ist Railroading?
« Antwort #31 am: 15.10.2012 | 22:14 »
Die Voraussetzung, dass beide Tatbestandsmerkmale (also subjetives und objektives Moment) macht absolut Sinn.
Gefällt mir sehr, weil es den Kern der Sache trifft.

Ein RR-Vorwurf, dem das objektive Moment fehlt wäre demnach unangemessene Spielleiterwillkür oder ein Kommunikationsproblem.


Fazit: SLFs Definition schafft es RR in richtiger Weise klar von verwandten Dingen abzugrenzen.
Die wären: SL-Willkür, Partizipationismus und Illusionismus. (Das Kommunikationsproblem ist außen vor, weil es eine Schwierigkeit beschreibt, die nicht auf der Ebene der SL-, bzw. Spielerhaltung liegt.)


chapeau!
"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan