Autor Thema: [Geschichte] Hernig und die Schafe  (Gelesen 848 mal)

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Offline benni

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[Geschichte] Hernig und die Schafe
« am: 3.07.2016 | 00:55 »
Schon ein bisschen älter, aber ich freue mich über Feedback.

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Hernig und die Schafe

Die Schafe. Seit Wochen nichts als diese verflixten Schafe. „Hernig, Du nimmst die Schafe.“ sprach sein Vater jeden Morgen. Und niemand widersprach ihm, am allerwenigsten Hernig. Widersprechen war nicht seins, das überließ er seiner Schwester Jarrie. Die war verrückt genug sich auf die unvermeidlich folgenden Schrei-Orgien einzulassen.
So saß er also hier wieder am Rande dieser durchaus lauschigen Weide und schäferte die Schafe. Nun, sicher gab es Schlimmeres. Auf dem Feld brannte einem die Sonne den Kopf ganz malad und im Stall wurde man von Smacks zerstochen. Dann doch lieber die Schafe. Auch wenn es natürlich unvermeidlich eine recht langweilige Tätigkeit war. Aber immerhin konnte man sich ein schattiges Plätzchen suchen und vor sich hin dösen und von der weiten Welt träumen, während der Treueste der Treuen, Miro, der Schäferhund der Familie, die Herde in Schach hielt.
Und nicht zuletzt war es ein nicht zu unterschätzender Vorteil, dass er hier den ewigen Familienstreitereien entging. Erst heute morgen hatte sein Vater entdeckt, dass seine Schwester mal wieder im Burgwald Graufasane gejagt hat. Seit vor drei Jahren Ritter Turwin den Wald zu seinem Eigentum erklärt und versprochen hatte jeden zu hängen, der sich an „seinen“ Fasanen vergriff, hatte das seine Schwester Jarrie erst recht angestachelt. Und schon vorher war Fasanen jagen eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Also jetzt außer mit Vater streiten und generell einfach immer das tun, was man ihr verbot. Ihr Vater verging vor Angst bei dem Gedanken, Jarrie könnte erwischt werden und wusste sich leider nicht anders zu helfen als ihr diese Angst in Form von haltlosen Vorwürfen aller Art an den Kopf zu schreien. Jeder Blinde sah, dass sie das erst recht anstacheln würde, nur halt nicht ihr Vater. Hernig musste das alles jetzt seit Jahren mit ansehen, und es ermüdete ihn zusehends, die beiden in ihren sinnlosen Spiralen des Streits gefangen zu sehen.
Doch auch Hernigs gutes Zureden half nicht weiter. „Ach Hernig, Du bist wie Deine Schafe. Lässt Dir einfach alles gefallen. Warum sollten nicht auch wir die Fasane jagen wie unsere Vorfahren es schon immer getan haben? Noch vor drei Jahren war Fasanen jagen kein Verbrechen sondern unser gutes Recht. Ich sehe gar nicht ein, dass wir diesem Zwerg Turwin den ganzen Wald überlassen sollen. Und wenn das bedeutet, dass ich gehenkt werde, dann ist das wohl der Willen der Götter. Aber keine Sorge, kleiner Bruder, ich kenne mich aus im Wald. Die erwischen mich eh nicht.“ war das einzige was er zu Hören bekam.

Er musste ein wenig eingedöst sein und erst Miros lautes Bellen weckte ihn aus seinem Schlummer. Die Herde hatte sich wohl in den Kopf gesetzt die Weide zu wechseln. Das passierte manchmal bei diesen neumodischen Westschafen. Die guten alten Ostler hatten nicht einen so sturen Kopf, aber sie brachten auch deutlich weniger Wolle, weswegen sich trotz aller Vorbehalte in den letzten Jahren die Westler bei fast allen Bauern auch hier im äußersten Osten des Reichs durchgesetzt hatten. Nur ein paar alte Sturköpfe vom Typ Früher-war-alles-besser hatten noch nicht gewechselt.
Sicher, es waren nicht alle Schafe in seiner Herde Westler, es war sogar nur eine Minderheit. Kein Bauer würde eine ganze Herde schlachten, nur um möglicherweise ein bisschen mehr Wolle bei der halbjährlichen Schur zu gewinnen. Nein, man wechselte langsam und nahm jedes Frühjahr ein paar Westler zusätzlich in die Herde auf. Aber zum Glück vertrugen sich die beiden Rassen ganz leidlich, nur übernahmen die Westler schnell die Führung. Und das brachte für Schäferjungen wie Hernig eine Menge Ärger mit sich.
Er nahm also Hut und Stock und Beutel, gab dem aufmerksamen Miro sein wohl verdientes Leckerli, und machte sich auf den Weg der Herde hinterher. Die befand sich gerade kurz vor der alten Straße, als er aus Richtung Enkheim lautes Hufgetrappel hörte. Hernig dachte bei sich „Oh je, hoffentlich kein Lordling, sonst gibt’s Ärger, wenn meine Schafe die Straße versperren.“ und trieb mit Miro zusammen die Herde schneller voran.
Doch kaum waren die ersten Tiere auf der Straße, preschten sie auch schon um die Ecke. Das war nicht ein Lordling, das war eine ganzer Haufen. So etwas hatte Hernig hier in dieser verlassenen Gegend noch nicht gesehen. Die größte Ansammlung von Waffenmännern, die er kannte, waren die drei bis vier leidigen Steuereintreiber von Ritter Turwins Burg, die einmal im Jahr Vaters Hof heimsuchten. Aber das hier, das waren mindestens 20 Reiter. Und nicht irgendwelche, sondern richtige Ritter, soweit er das beurteilen konnte. Mit Schwertern und Lanzen und Streitrössern und allem was dazu gehört. Und allen voran ein Riese mit einem gigantischen gehörnten Helm und einem riesigen Schwert an seiner Seite. Er war von übermenschlicher Größe, wenn auch nicht breit genug für einen Troll. Aber ohne Trollblut wird auch niemand so groß. Wahrscheinlich ein Halbtroll.
Und der hielt nicht etwa an, sondern gab seinem Pferd noch extra die Sporen um mitten durch  die Schafe zu preschen. Die anderen Ritter direkt hinterher. „Verflixte Lordlinge“ dachte Hernig noch und schon stoben seine Tiere unter wildem Geblöke in alle Himmelsrichtungen davon. Während er noch „Was die hier wohl wollen?“ dachte, hörte er schon ein jämerliches Gewimmer von der Straße her. Mitten auf der Straße saß die alte Mirra, ein altes Ostschaf. Eines ihrer Beine stand in einem eher ungesunden Winkel ab.
Er schickte Miro zum einsammeln der Herde, nahm seinen Dolch vom Gürtel, vergewisserte sich noch, ob auch ja keiner der arroganten Reiter noch in Sichtweite war, sprach dann die rituellen Worte an die alten Götter des Ostens um sie zu bitten, dieses Leben wieder in ihre Kreise zu nehmen, griff schließlich Mirra an den Kopf, entblößte ihre Kehle und erlöste sie von ihren Leiden.

Einige Stunden später hatte er seine Schafe wieder alle beisammen. Mirras Körper war zu schwer um ihn den ganzen Weg nach Hause alleine zu tragen. So schleifte er ihn von der Straße weg hinter einen Busch. Vielleicht konnte sein Vater ihn später mit dem Wagen holen.
Kaum hatte er sich auf den Weg in Richtung ihres Einsiedlerhofs gemacht, sah er auch schon den Rauch. Eine dicke schwarze Säule, die sich über den Bäumen in den Himmel schraubte. Er erschauerte. „Das war der irre Halbtroll und seine waffenstarrende Meute.“ dachte er sofort. Er beschleunigte seinen Schritt. Nein, es dürfte einfach nicht wahr sein. „Hoffentlich haben sie wenigstens Vater und Jarrie nicht erwischt.“ redete er sich immer wieder ein. Er begann zu rennen, während die Tränen ihm mehr und mehr den Blick trübten. Schließlich erreichte er den Hof. Stall und Haus standen in hellen Flammen. Die Hitze war enorm stark und das prasseln der Flammen übertönte das unvermeidliche Schafgeblöck.
Vor dem Stall lag Marli, das Kaltblut in einer riesigen Blutlache. In der Tür lag ein Bein. Mit einem Stiefel, der ihm sehr bekannt vorkam. „Vater“ schrie er aus Leibeskräften. Trotz der unerträglichen Hitze versuchte er auf dem Boden kriechend zur Tür zu kommen, doch er kam nicht näher als fünf Schritt heran und musste schließlich mit bereits leicht angesengten Haaren zurückweichen. Wo steckte Jarrie? Er rief verzweifelt nach seiner Schwester und rannte dabei mehrmals um ihr gemeinsames Zuhause, doch keine Spur von ihr. Seine Hoffnung schwand immer mehr. Schließlich ging er in den benachbarten Wald. Wenn sie entkommen war, verbarg sie sich bestimmt in ihrem alten Geheimversteck aus Kindertagen unter den Wurzeln des alten Braunbaums.
Er kämpfte sich durch das dichte sommerliche Unterholz und erreichte schließlich den Spalt zwischen Fels und Wurzel durch den sie früher so oft geschlüpft waren, wenn Vater mal wieder rumschrie oder sie sich vor der Bande des dicken Jan und den Kindern aus dem Dorf versteckten. Doch er war größer und breiter geworden und der Spalt nicht. „Jarrie, bist Du da drin? Die Luft ist rein!“ Doch keine Antwort von ihr oder von sonst irgendwem.
Gerade wollte er sich enttäuscht zum Gehen wenden, da sah er im Innern des Spalts eine Schnur am Boden liegen. Er angelte sie mit einem Stock heraus und hielt den geschnitzten Windringanhänger in der Hand, den er Jarrie zu ihrem zehnten Göttertag geschenkt hatte. Sie trug ihn seit dem jeden Tag und zog ihn nur zum Schlafen gehen aus. Was hatte das zu bedeuten? Noch heute morgen hatte er ihn an ihr gesehen. Noch letzte Woche hatte er mit Jarrie darüber gesprochen, ob es sinnvoll sei lesen und schreiben zu lernen. Hernig hat das immer für eine sinnlose Lordling-Spielerei gehalten, aber Jarrie hatte es sich fest für den Winter vorgenommen. Sie hätte mir einen Brief schreiben können. Zum ersten Mal sah er den Sinn dieser Kunst ein.
Er streifte noch einige Zeit unruhig durch die Umgebung des Hofes laut nach Jarrie rufend, aber erhielt keine Antwort. Am Ende blieb ihm nur die schreckliche Erkenntnis, dass auch Sie wohl den Flammen zum Opfer gefallen sein musste. Schließlich kehrte er erneut zum Hof und den prasselnden Flamen zurück und versuchte sich noch ein weiteres Mal dem Brand zu nähern, aber noch war das Feuer zu heiß. Er setzte sich erschöpft an einen unversehrten Baum um kurz zu ruhen.

Hernig erwachte von der rauhen Zunge eines Schafes, dass ihm übers Gesicht leckte und sich wohl am Salz in seinem Schweiß erfreute. Im ersten Moment hatte er alles vergessen, doch dann brach die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen wieder mit voller Macht über ihn herein. Er rappelte sich auf und schaute sich um.
Er muss Stunden geschlafen haben. Haus und Hof waren nur noch verkohlte Ruinen. Von den Schafen waren nur noch einige wenige zu sehen und die hielten sich an den Salatköpfen im Garten, die dem Feuer entgangen waren, gütlich. Ein paar dünne Rauchfäden schraubten sich noch nach oben. Ansonsten war alles still. Gespenstisch still. Selbst der laue Wind hatte aufgehört.
Miro trottete schnüffelnd zu einem verkohlten Haufen zwischen den verkohlten Türstützen des alten Hauses und bellte kurz zu Hernig herüber.
Als er näher kam, sah er, dass es wohl die Leiche seines Vaters sein musste. Nicht, dass man ihn noch erkennen konnte, aber zumindest hatte sie seine Stiefel an, die auf völlig unerklärliche Weise in diesem Inferno fast vollständig unberührt geblieben sind.
Miro winselte kurz und war dann schon wieder beim nächsten verkohlten Überrest im Inneren des ehemaligen Hauses. Das muss wohl Jarrie gewesen sein. Sie wird nicht mehr lesen lernen. Und die Tränen liefen erneut.

Das Ausheben der Gräber war eine furchtbare Arbeit, aber es lenkte ihn von seinem Schmerz ab. Er grub bis lange in die Nacht und fing dabei schließlich an, sich einige Fragen zu stellen. Wer war so grausam und zu welchem Zweck? Sollte das womöglich eine Strafmaßnahme für Jarries wildern gewesen sein? Aber den Halbtroll mit dem gehörnten Helm hatte er noch nie gesehen. Und auch der Rest der Truppe sah nicht nach Turwins Männern aus. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Lordlinge keinerlei Wappen oder Zeichen getragen hatten, wo sie doch sonst so erpicht darauf waren, jeder und jedem ihren Glanz und den Stolz ihres Hauses zu präsentieren. Auch hatten sie alle ihre Visiere herunter geklappt. Offensichtlich wollten sie nicht erkannt werden. Das wäre wohl kaum das Verhalten, das Turwins Männer an den Tag legten, so sie das Recht ihres Herrn ausführten.
Und vor allem und immer wieder: Warum hat Jarrie so kurz vor ihrem Tod ihren Anhänger an einer Stelle hinterlassen, an der nur er ihn finden konnte. Was wollte sie ihm damit sagen?
Offensichtlich ging es hier um etwas Größeres als die Züchtigung von Bauern. Herwig kannte sich nicht aus in den Geschäften der Lordlinge, aber irgendetwas stank hier ganz gewaltig zum Himmel.

Als das Loch tief genug war, schleifte er die beiden schweren verkohlten Überreste heran und ließ sie notgedrungen etwas unwürdig in das Loch plumpsen. Allerdings nicht ohne die Leiche seines Vaters von den auf wundersame Weise geretteten Stiefeln zu befreien. Solch gutes Schuhwerk wird er noch brauchen. Früher sprach sein Vater stolz davon, wie er Jarrie und ihm den Hof eines Tages vermachen werde, nun waren diese Stiefel und die Herde das Einzige, was von ihm blieb.
Er sprach zum zweiten mal heute die alten Formeln an die Götter und schaufelte das Grab schließlich wieder zu. Diese beiden werden sich nicht mehr streiten. Nun es muss wohl erst mal ohne einen Jorn, wie man hier im Osten die Findlinge nannte mit denen man ein Grab beschwerte, gehen. Er nahm den größten Stein, den er alleine noch tragen konnte und setzte ihn auf das Grab. Und wieder kamen die Tränen. Und wieder weinte er sich in den Schlaf.

Diesmal wachte er von der Kälte auf. So ging es nicht weiter. Er musste sich etwas zu essen besorgen. Ein Feuer wäre auch nicht schlecht. Er machte ein Feuerchen aus ein paar unverbrannten Zaunlatten und fand auch noch einen Topf, der nicht geschmolzen war. Eine Wurzelsuppe war schnell gemacht und schließlich begrüßte er den neuen morgen etwas weniger hungrig und frierend, wenn auch durchaus nicht weniger verzweifelt. Und langsam aber sicher nahm ein Gedanke immer mehr Gestalt an in seinem Kopf. Er schickte Miro die Schafe zu sammeln. Es waren zwar nicht mehr alle beisammen aber doch noch genug um auf dem nächsten Viehmarkt genug für ein paar Wochen Leben für ihn und Miro abzuwerfen. So nahm er also sein kleines Bündel, die Schuhe seines Vaters, ging dem Sonnenaufgang entgegen und sagte sich dabei immer wieder: Nein, Jarrie, ich werde kein Schaf mehr sein. Nie mehr.



Die Spielleiter haben die Regeln nur unterschiedlich interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern.

Offline Chiarina

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Re: [Geschichte] Hernig und die Schafe
« Antwort #1 am: 9.08.2016 | 23:06 »
Den Anfang mag ich sehr.

Wenn´s dann dramatisch wird, weiß ich nicht so recht... Ich glaube, ich hätte dann gern noch ein paar Bezüge zu dem trotteligen Faulpelz, der Hernig am Anfang ist. Plötzlich ist irgendwie nur noch die Tragödie beschrieben, und der Hernig, den ich so mag, der wird ein bisschen unter den Teppich gekehrt.

Ja, und der Schluss? Das Ganze ist der Anfang von etwas Größerem, oder? Da bleiben sämtliche Ansätze, die du vorher aufgebaut hast, ja völlig in den Luft...

Von Hernig würde ich aber gern mehr lesen.
[...] the real world has an ongoing metaplot (Night´s Black Agents, The Edom Files, S. 178)

Offline benni

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Re: [Geschichte] Hernig und die Schafe
« Antwort #2 am: 23.08.2016 | 07:45 »
Ja, und der Schluss? Das Ganze ist der Anfang von etwas Größerem, oder?

Ja, sollte mal der Anfang von was größerem werden, aber ich glaub das wird nix mehr :D
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