Autor Thema: Notizen zu moderner Kriegsführung  (Gelesen 6539 mal)

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Offline Quaint

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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #25 am: 10.05.2017 | 18:32 »
Ich hatte den Thread mal eine Weile ruhen lassen, auch weil ich abwarten wollte, wie sich die zynisch-Iihhh-bäh-bah-pfui-Diskussion entwickelt. Ich selbst stimme insofern zu, dass es ein etwas anrüchiges Thema ist, das auch leicht politische Implikationen entwickelt, aber genauso wie es legitim ist, Krimis oder Thriller zu lesen, auch wenn darin schreckliche Taten beschrieben sind, finde ich es ok, sich sachlich mit moderner Kriegsführung auseinanderzusetzen. Will meinen zu Wissen wie Krieg so funktioniert ist per se nicht schlimm. Die meisten Chemiker wissen ja auch wie sie Gift oder Sprengstoff herzustellen haben, beschäftigen sich aber dann vielleicht doch eher mit nem Plastikwerkstoff aus nachwachsenden Ressourcen - oder nem schönen Lack für den Gartenzaun.

Insofern würde ich die Diskussion hier auch wieder aufnehmen wollen und mich als nächstes dem Infanteristischen Kampf zuwenden. Einem Thema bei dem ich mich nichmal so wahnsinnig gut auskenne, aber ich schreibe einfach mal 2-3 Sachen die mir einfallen und ich denke mal, die "üblichen Verdächtigen" werden dann schon ihren Teil beitragen

- moderne Infanterie kämpft meist in relativ kleinen, zerstreuten Gruppen, meist zu weniger als 10 Mann
- dabei wird sich gegenseitig gedeckt und vorhandene Deckung (und sei es nur als Sichtschutz) benutzt
- dieses Vorgehen soll helfen, damit nicht unnötig viele Soldaten gleichzeitig von Flächenangriffen betroffen sind (z.B. Maschinengewehr, aber natürlich auch Bomben, Artillerie, Granatwerfer, ...)
- viel, was man aus Rollen- und Computerspiel als Deckung kennt, funktioniert eigentlich nur als Sichtschutz; moderne Infanteriewaffen sind ziemlich gut darin alles Mögliche zu durchdringen; Sandsackstellungen werden etwa deshalb drei Sandsäcke tief gebaut normal, das ist dann deutlich mehr als ein halber Meter Sandsack, und doch ist das gegen schwere Gewehrkaliber nicht unbedingt ein zuverlässiger Schutz
- normale Hauswände bieten nur bedingt Schutz; bei Autos ist der Motor eine gute Deckung, der Rest wird leicht durchschlagen
- die übliche moderne Infanteriewaffe ist das Sturmgewehr, teils wird gelehrt, es halbautomatisch oder im Salvenfeuer zu nutzen, einige Armeen sind aber auch Freunde des automatischen Feuers und lehren ihre Soldaten auch entsprechende Techniken
- mitgeführte Munition unterscheidet sich stark, AFAIK kriegt der deutsche Soldat auf Patrouille normal 4 Ersatzmagazine mit, ich kenne eine Quelle wo die Rede davon ist dass US Marines 7 Magazine kriegen, es aber zulässig ist privat mehr zu erwerben, und mancher Marine auch mal 14 Magazine mitführt
- das Nachladen eines anständig gedrillten Soldaten geht schneller als man das vielleicht aus gängigen Computerspielen a la Call of Duty kennt
- die Quellen für die effektive Reichweite sind sich nicht einig, aber die Tendenz scheint zu sein, dass man bis etwa 500 Meter halbwegs ein Sturmgewehr nutzen kann (auch wenn man auf die Distanz vielleicht nicht direkt den ersten Schuss trifft...); das variiert aber sicherlich auch mit der Bauform der Waffe, der verwendeten Patrone, verfügbaren Zielhilfen usw.
- unterstützend werden etwa Maschinengewehre, Präzisionsgewehre und auch Raketenwerfer genutzt
- der typische infanteristische Raketenwerfer dient eigentlich zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge und Bunker, aber es ist nicht unbekannt, dass damit z.B. auch Scharfschützen bekämpft werden, etwa wenn man deren Position nicht genau aufklären kann und daher ein ganzes Gebäude bekämpft

dazu kommen dann noch sog. Crew Served Weapons; diese schweren Infanteriewaffen brauchen mehrere Leute zur Bedienung und müssen meist aufgebaut werden, bevor sie Einsatzbereit sind; Beispiele wären Lenkraketen (etwa zur Panzerabwehr oder Luftabwehr), schwere Maschinengewehre, Granatmaschinengewehre, Mörser, usw.
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Re: Notizen zu moderner Kriegsführung
« Antwort #26 am: 10.05.2017 | 20:17 »
Dann käse ich gleich mal wieder dazu, erst mal "anlassbezogen" anhand dessen, was mir beim Lesen aufgefallen ist :)

- moderne Infanterie kämpft meist in relativ kleinen, zerstreuten Gruppen, meist zu weniger als 10 Mann

Richtig ist auf jeden Fall, dass moderne Infanterie nach Möglichkeit aufgelockert, also mit sinnvollen Abständen zwischen den Leuten, kämpft.
Das ist natürlich geländeabhängig und gerade im Orts- und Häuserkampf hockt man doch oft genug recht dicht aufeinander.

Wie Infanterie organisiert ist, variiert von Armee zu Armee teils recht stark.
Als kleinste Einheit verwenden manche das Binom (lies: zwei Mann), andere das sog. Fireteam, dem dann (anders als dem Binom) auch schon ein Fireteam Leader zugeteilt ist.
Eine Gruppe besteht dann aus X Binomen bzw. X Fireteams plus einem Gruppenführer.
Diese Konstruktion wird dann - abgesehen von Spezialisten - einfach Y mal nebeneinander gestellt und formt so größere Verbände: Mehrere Gruppen einen Zug, mehrere Züge eine Kompanie usw., und auf jeder Ebene kommt noch mal spezifisches Führungs- und Funktionspersonal "neben" die Formationen, welche die eigentliche Manpower stellen.

Der Unterschied zu früher ist also der, dass Infanterie heute recht flexibel und mit vergleichsweise hoher Eigeninitiative auf Gruppen- oder gar Fireteam-Ebene unterwegs ist, während früher recht große Zahlen geschlossen unterwegs waren und erst ab Zugebene oder höher relevante Entscheidungen getroffen wurden. Darunter hatten Vorgesetzte nur die Aufgabe, die Umsetzung entsprechend sicherzustellen.

- dabei wird sich gegenseitig gedeckt und vorhandene Deckung (und sei es nur als Sichtschutz) benutzt

Wichtiger Punkt:
Das Prinzip "Feuer und Bewegung" stellt sicher, dass bei jeder Bewegung (ob Vorrücken oder Ausweichen) ein Teil der Einheit mindestens in Feuerbereitschaft ist oder feuert. So wird dem Gegner das eigene gezielte Feuern erschwert.
Das bedeutet, dass der Großteil der im Gefecht abgegebenen Schüsse "nur" dazu dient, eigene Bewegungen zu ermöglichen und zu schützen. So kommen dann auch teils erstaunlich hohe Verbrauchszahlen zustande, die sich aber nicht vermeiden lassen.

Da sich auch der Gegner in möglichst gute Deckung begibt, muss man (sofern man eine Entscheidung herbeiführen will) stets versuchen, die eigene Position zu verbessern. Wer sich nur bewegt, wird selbst zu effektiv beschossen und wer nur feuert, kann seine Position nicht verbessern und hat entweder irgendwann keine Munition mehr oder lässt den Gegner manövrieren und entkommen.

Daher der Merksatz "Keine Bewegung ohne Feuer, kein Feuer ohne Bewegung". Während man den ersten Teil schon aus reiner Selbsterhaltung richtig macht, fällt der zweite Teil öfter mal hinten runter und es tritt der oben beschriebene Fall ein, dass der Gegner nicht festgesetzt und aufgerieben wird. Insbesondere wenn anderweitige Unterstützung verfügbar ist (Artillerie, Luftunterstützung u.Ä.), igeln sich gerade unerfahrene Truppen sehr gerne ein und die Begegnung endet oft ohne Ergebnis, weil die Unterstützung erst kommt, wenn sich der Gegner längst zurückgezogen hat.


bei Autos ist der Motor eine gute Deckung, der Rest wird leicht durchschlagen

Der Motor hat das Problem, dass er sehr inhomogen aufgebaut ist und man von außen nicht sagen kann, wo jetzt die Teile mit wirklicher Schutzwirkung genau sind. Bedeutet in der Praxis, dass auch der Motorbereich nur bedingt Schutz bietet.

Grundsatz ist hier, mit fahrtüchtigen Autos auch zu fahren und sich von fahruntüchtigen Autos möglichst schnell zu lösen.

- die übliche moderne Infanteriewaffe ist das Sturmgewehr, teils wird gelehrt, es halbautomatisch oder im Salvenfeuer zu nutzen, einige Armeen sind aber auch Freunde des automatischen Feuers und lehren ihre Soldaten auch entsprechende Techniken

Mit Sturmgewehren schießt eigentlich kein halbwegs solide ausgebildeter Schütze vollautomatisch. Wenn man das irgendwo sieht, kann man direkt hellhörig werden - das ist ein recht guter Indikator dafür, dass entweder die Ausbildung systematisch nicht gut ist oder zumindest der konkrete Verband nicht sonderlich gut im Training steht.


- mitgeführte Munition unterscheidet sich stark, AFAIK kriegt der deutsche Soldat auf Patrouille normal 4 Ersatzmagazine mit, ich kenne eine Quelle wo die Rede davon ist dass US Marines 7 Magazine kriegen, es aber zulässig ist privat mehr zu erwerben, und mancher Marine auch mal 14 Magazine mitführt

Privat Munition erwerben ist nicht, aber privat Magazine erwerben geht - das war vor Allem vor einiger Zeit interessant, als die US-Streitkräfte keine modernen Magazine im Bestand hatten, es aber auf dem Zivilmarkt für kleines Geld sehr gute Alternativen gab. Hat sich mittlerweile erledigt, weil diese Magazine nun auch dienstlich beschafft werden.

Prägend für alle Streitkräfte mit mehr oder weniger regelmäßigem Feindkontakt dürfte sein, dass sich die Soldaten recht schnell über verschiedene Methoden Schwarzbestände aufbauen, um eine Menge an Munition zur Verfügung zu haben, die ihnen angemessen erscheint.

Wenn Verbände über längere Zeiträume im Gefecht stehen, folgt das oft ungefähr einer Gauß-Kurve:
Anfangs nimmt man das mit, was man bekommt und findet es zu wenig. Dann fängt man an, zu fuggern und zu hamstern und schleppt teils enorme Mengen mit, bis man feststellt, dass man sich damit anderweitig einschränkt/selbst behindert und diese Munition nicht sinnvoll verbrauchen kann. Und am Ende nimmt man wieder relativ wenig mit, weiß diese Menge aber im Gegensatz zu früher ordentlich zu nutzen.


- das Nachladen eines anständig gedrillten Soldaten geht schneller als man das vielleicht aus gängigen Computerspielen a la Call of Duty kennt

Kommt drauf an ;)
Es gibt viele Aufnahmen aus der Schlammzone, wo Leute teils erschreckend lang für ein normales Sturmgewehr brauchen, weil sie es im Stress einfach nicht mehr auf die Reihe kriegen.

Und grad bei Call of Duty (MW3) sind die Avatare ziemlich fix und laden immer sinnvoll nach (z.B. wird da nur durchgeladen, wenn es nötig ist).
Da gibt es andere Spiele, wo man sich eher denkt "Junge, schlaf nicht ein...".

- die Quellen für die effektive Reichweite sind sich nicht einig, aber die Tendenz scheint zu sein, dass man bis etwa 500 Meter halbwegs ein Sturmgewehr nutzen kann (auch wenn man auf die Distanz vielleicht nicht direkt den ersten Schuss trifft...); das variiert aber sicherlich auch mit der Bauform der Waffe, der verwendeten Patrone, verfügbaren Zielhilfen usw.

Ein echter Dauerbrenner ;D

Als Minimalaussage dazu kann man festhalten, dass die Gewehre Treffer auf 500 Meter rein technisch durchaus hergeben.
Der Rest hängt zum Großteil am Schützen und den Umständen: Erst mal muss man in einer Umgebung sein, in der man überhaupt 500 Meter weit auf den Gegner gucken kann, dann muss man das Ziel finden und erst dann stellt sich die Frage überhaupt, ob das Gesamtpaket Schütze, Waffe (+Optik) und Munition sinnvolle Trefferchancen zustande bringen.

Da obendrauf jede Armee bzw. Erprobungsstelle ihre eigene Definition von effektiver Reichweite hat, kann man die Angabe meistens komplett vergessen, auch wenn sie in manchen Tabellen mit Gegenüberstellung mehrerer Waffen neben eindeutig messbaren Sachen wie Gewicht, V0 etc. steht.

der typische infanteristische Raketenwerfer dient eigentlich zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge und Bunker, aber es ist nicht unbekannt, dass damit z.B. auch Scharfschützen bekämpft werden, etwa wenn man deren Position nicht genau aufklären kann und daher ein ganzes Gebäude bekämpft

Es gibt für verschiedene Mehrzweckwerfer (z.B. RPG-7, Carl-Gustav M4) auch Gefechtsköpfe, die als Flächenwaffe gegen Infanterie ausgelegt sind.


dazu kommen dann noch sog. Crew Served Weapons; diese schweren Infanteriewaffen brauchen mehrere Leute zur Bedienung und müssen meist aufgebaut werden, bevor sie Einsatzbereit sind; Beispiele wären Lenkraketen (etwa zur Panzerabwehr oder Luftabwehr), schwere Maschinengewehre, Granatmaschinengewehre, Mörser, usw.

Das ist neben der Organisation und der Einbindung in einen größeren Zusammenhang der große Unterschied von Infanterie zu irgendwelchen Leuten mit Gewehren:
Die Bewaffnung geht weit über das Sturmgewehr hinaus und je nach Kontext sind die Sturmgewehre nur dazu da, die Truppe vor Gegenangriffen zu schützen, während die eigentliche Gefechtstätigkeit von anderen Waffen übernommen wird.


"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
- Pyromancer