Interessant - just gestern habe ich mich im
Bücherthread der Drachenzwinge darüber geärgert, dass fantastische Literatur gern pauschal aufgrund des Genres in die Jugendbuchabteilung gesteckt wird.
Ich denke übrigens nicht, dass deutsche Fantasy/Phantastik schlechter ist als die von anderswo. Die Tintentrilogie und die neuere Reckless-Reihe von Cornelia Funke sind großartig. Die Ulldart-Reihe von Markus Heitz und auch der erste Zwerge-Band war toll. Der erste Elfen-Band von Bernhard Hennen war auch gut. Und auch wenn Wolfgang Hohlbein sicher seine Schwächen hat, sind auch einige Bücher von ihm lesenswert. Und der von dir schon genannte Moers hat zwar nach der "Stadt der Träumenden Bücher" schwer nachgelassen, kann aber wohl immer noch als Standardautor im besagten Genre gelten. Überraschend und angenehm fand ich im Übrigen die Entwicklung von Kerstin Gier hin zur Fantasy-Autorin. Ich hab die vorher eher in der Ecke fürchterlicher Frauenbücher verordnet gehabt - aber ihre Zeitreisetrilogie war wirklich schön.
Warum werden all diese Bücher pauschal als "Jugendbücher" bezeichnet, obwohl sie längst nicht nur von dieser Altersgruppe gelesen werden?
Liegts an den oftmals jugendlichen Hauptcharakteren? Wohl nur auf den ersten Blick. Die Geschichten sind auf eine Art und Weise geschrieben, dass durchaus auch Erwachsene daran Freude haben können. Gerade Cornelia Funke beschreibt neben dem Coming-of-Age Maggies in der Tintentrilogie auch wahnsinnig viele "erwachsene" Thematiken - etwa das Scheitern langjähriger Beziehungen, das Alt-Werden und Alt-Sein. Nichts, womit ich als 15-Jährige Lust gehabt hätte, mich auseinanderzusetzen. Die Ulldart-Reihe von Markus Heitz beschäftigt sich mit dem gesamten Leben des Hauptcharakters Lodrik - und das auf eine Art und Weise, dass ich das Buch als Jugendliche irgendwann aus der Hand gelegt und mir für einige Jahre später aufgehoben habe. Das war kein Jugendbuch und hat mich als als Jugendliche auch nicht angesprochen. Neil Gaiman (um auch ein nicht-deutschen Beispiel zu bringen) hat sich als Protagonisten für "The Ocean at the End of the Lane" für einen Siebenjährigen entschieden. Ist das deswegen ein Kinderbuch? Eher nicht - das Buch richtet sich sehr deutlich nicht an Kinder dieser Altergruppe - dazu ist der Inhalt zu assoziativ beschrieben, zu brutal und explizit.
In Verbindung mit der Eskapismus-Debatte ist mir aufgefallen, dass fantastische Geschichten oft nur dann eine Chance haben, aus der "Schundecke" rauszukommen, wenn sie glaubhaft machen, dass die Fantastik hier nur eine Metapher oder ein Bild für realweltliche Probleme darstellt - sie also zugeben, Eskapismus darzustellen. Beispiel dafür sind dann eben so Bücher wie die erwähnte unendliche Geschichte oder auch "Der mechanische Prinz" von Steinhöffel. Da geht es letztendlich - und du hast Endes Aussage in dem Zusammenhang ja auch verlinkt - um Kinder, die ganz reale Probleme mit ihrer ganz realen Umwelt haben und diese Probleme nur vermittels dieser fantastischen Metaebene verstehen und angehen können, weil sie im realen Leben einen zu beschränkten Handlungsspielraum haben. Eskapismus vom Feinsten. Ich hab mich auch selbst schon dabei erwischt, alle möglichen Geschichten so zu interpretieren. Ist Shadow aus "American Gods" nicht auch einfach nur ein völlig kaputter Typ, der seine Umgebung verändert wahrnimmt? Und Maggie aus "Tintenherz" - einfach nur ein Mädchen, dass sich ihrer realen Umgebung durch zu viel Fantasie entzieht? Alles Eskapismus? Warum dürfen die Geschichten nicht für sich stehen? Warum fällt es so schwer, alternative Realitäten in den Geschichten vollwertig als solche zu akzeptieren? Warum wird dieses Recht, die Geschichte als lebendig zu betrachten, Kindern und Jugendlichen vorbehalten, während Erwachsene sich davon zu lösen und unbedingt die "wirkliche Ebene" hinter dem Offensichtlichen zu erkennen haben?
Ich glaube, diese pauschale Einordnung von fantastischer Literatur als Jugendliteratur hängt maßgeblich damit zusammen, dass es heute "in" ist, vernünftig und abgeklärt zu sein, sich und seine Umgebung unter Kontrolle zu haben. Da passen solche "Eskapismen" nicht rein und werden als Zeichen von Schwäche gewertet. Daraus wiederum resultiert eben, dass Autor_innen gerne Kinder und Jugendliche als Medien für ihre Geschichte nehmen - es wirkt einfach glaubwürdiger, dass junge Menschen sich diesem "Realitätsdogma" nicht nicht hingegeben haben und auch andere Realitäten einfach als real hinnehmen. Das wiederum bestärkt dann Leute, die sich nicht mit dem Genre befassen, in ihrer Auffassung, dass das Jugendliteratur sei und die Schlange beisst sich in den Schwanz.
Ich hoffe, der Text war jetzt nicht zu konfus...
Richtig gut im Bereich der fantastischen Literatur und auch kompetent und in der Forschung engagiert ist übrigens die
Phantastische Bibliothek in Wetzlar. Die haben übrigens auch ein Gästezimmer.... wer von euch träumt nicht davon, nachts alleine eine ganze Bibliothek zur Verfügung zu haben?