Mein Problem mit gezielten Treffern ist das „Kopfschuss-Phänomen“. Mit einem Langbogen oder einem Gewehr töte ich quasi jeden Gegner mit einem Kopfschuss, egal wie gut er kämpfen könnte und wie erfahren er ist. Somit spielt es keine Rolle, ob dieser Gegner 5 LP oder 100 LP hat.
Ein Schuss und tot - aber das nimmt mir auf Dauer den Spaß am Kämpfen.
Die Möglichkeit so eines "one shot kill" sollte natürlich nicht dazu führen, dass das der absolute Normalfall wird.
Damit sich das brauchbar in das restliche Kampfsystem einfügt, muss man in klassischen Regelwerken dafür sorgen, dass man sich so einen Treffer erst "erlaufen", sprich taktisch vorbereiten muss. Dann ist die zentrale Ressource eben nicht mehr der Berg Lebenspunkte, sondern die Position/Situation, um so einen Treffer mit brauchbaren Erfolgsaussichten anpeilen zu können.
Das strahlt dann auch auf den Rest der Kampfregeln aus - ich wüsste jetzt kein System, das große taktische Einflüsse
und Berge von HP hat. Wenn man das nämlich beides parallel hat, fällt im Spieltest auf, dass ein zäher Gegner in taktisch guter Position sehr nervig ist...dann fliegt i.d.R. eine der beiden Ressourcen weitestgehend raus.
Interessant fände ich taktisches Kämpfen, also inwieweit wird in RPGs eine Überzahl von Gegnern adäquat berücksichtigt, was ist, wenn sich zwei Kämpfer gut kennen und taktisch vorgehen, bspw. durch Finten und Ablenkungen ...?
Vieles davon ergibt sich einfach aus den normalen Regeln - mehr Gegner greifen öfter an und haben mehr Gesamt-HP, da muss man oft genug gar nicht mit Sonderregeln kommen.
Und anderes muss eigentlich auf Spielerebene abgedeckt werden; wenn die Spieler sauber zusammenarbeiten, tun das auch die Charaktere. Andersrum ist ein abstrakter spielmechanischer Bonus für diese Aspekte in meinen Augen etwas farblos und langweilig. Da bin ich klar dafür, dass die Spieler sich eben ein bisschen damit befassen müssen und nicht von der Spielmechanik alles geliefert bekommen.
Wenn ein System wie oben angedacht nicht HP als zentrale Ressource hat und die Spieler im Thema sind, können Kämpfe sehr kurz sein und zugleich hat das System auch die Fähigkeit, Kämpfe lang und unergiebig zu machen. Solange das Ergebnis von beeinflussbaren oder zumindest klar bewertbaren Umständen ist, finde ich das ziemlich elegant und allemal "schöner" als sich gegenseitig die HP runterzuschmirgeln.
Shadowrun macht es ja mit dem Schadensmonitor ähnlich (dass da die Kämpfe lange dauern, liegt ja nicht an dem hier beschriebenen "Punkte runterkloppen"). Bei beiden Systemen hast du also im Kampf schon eine Abwärtsspirale, die es mit fortschreitendem Kampf immer leichter oder schwieriger macht, den Kampf für sich zu entscheiden und so die Kampfdauer tendenziell verkürzt.
Speziell in der 2. und 3. Edition sind die Abzüge so hart, dass es auch rein spielmechanisch gesehen Sinn ergibt, dass viele Gegner nach sog. mittleren Verletzungen (3 von 10 "HP") versuchen, den Kampf abzubrechen.
Das funktioniert i.d.R. nicht, weil sie unter den Rahmenbedingungen "üblicher" SR-Kämpfe (hohe Feuerkraft, kurze Entfernungen, sehr gute Schützen) vorher endgültig geplättet werden, aber der Grundgedanke passt schon.
Ich finde einen guten Kampf einfach genial, daher würde mich ein Ein-Würfel-System abschrecken.
(Die Betonung liegt auf mich, daher ist das nicht (ab-)wertend gemeint - ist ja eine Diskussion hier, nicht die Findung der einzigen Wahrheit).
Quasi als Zwischenschritt und obendrauf als weiteren Weg, Kämpfe nicht sinnlos lang werden zu lassen:
Einige Systeme kennen keine "Nullrunde", d.h. mindestens einer der Beteiligten bekommt in einer Kampfrunde immer auf die Nuss. Das kann manchmal stören, wenn man sehr kleinteilig simulieren will, aber im Normalfall ist das ein sehr guter Ansatz, ein Kampfsystem aufzuziehen.
Wenn dann noch eher geringe HP-Vorräte und signifikante taktische Einflüsse dazu kommen (und so die Vorkampfphase wichtig(er) wird), trifft das ziemlich genau meinen Geschmack.
Gibt es Systeme, die diesen LP-Verlust mit Folgen gut abbilden, ohne dass es in zu viel Verwaltung von Werten endet (völlig Ironiefrei gefragt)?
Oder können das die erwähnten?
Ja, das können ziemlich viele Systeme; da ist der Knackpunkt wohl am Ehesten, was man unter zu viel Verwaltung versteht.
Deadlands Classic, Savage Worlds, Cyberpunk 2020 und Cyberpunk Red und Shadowrun 1-3 haben z.B. spielmechanisch kompakte Wundabzüge mit großer Wirkung.
Eher umfangreich wird es etwa bei GURPS, da ist das eine Wissenschaft für sich.
Vielleicht kann man auch feststellen, dass die Zeit des LP-Runterkloppens vorbei ist?
Jein.
Wirklich steil ansteigende HP-Zahlen und nicht passend steigenden Schaden haben ja sowieso nur einige wenige Systeme - da ist dann leider auch mal der eine oder andere Platzhirsch dabei, deswegen ist der Eindruck stärker.
Aber Systeme mit - je nach Situation - sehr kurzen und tödlichen Kämpfen gab es quasi von Anfang an, beginnend mit Traveller (1977).
Umgekehrt sind klassische Hitpoints für Spielstile, in denen man nicht immer auf Messers Schneide agieren will/soll, nach wie vor nicht verkehrt, solange man ein paar Schnitzer vermeidet.
Das Negativbeispiel dürfte DSA in der 2. und 3. Edition sein: Da gab es einen recht ansehnlichen HP-Anstieg und obendrauf nicht nur einen Paradewurf, sondern auch noch schadensreduzierende Rüstung.
Das ist aber auch eher ein Problem der Einstellung oder Herangehensweise der Spielergruppe. Klar kann ein Regelwerk sowas fördern. Aber es ist da höchstens ein Einflussfaktor.
Da sehe ich sowohl die Spieler als auch die Regelwerke in der "Verantwortung" - und letztere sogar ein bisschen stärker.
Ich habe es oft genug erlebt, dass die Spieler Gegner einigermaßen schonend besiegen wollten und das System schlicht keine brauchbare Möglichkeit geboten hat.