Ich will mich da kurz auch noch einmal zu Wort melden, weil ich das Thema „Wieso bemängeln Leute, dass Showrunden keine echte Spielrunden widerspiegeln?“ in einem anderen Thread angestoßen hatte und das hier tangiert:
https://www.tanelorn.net/index.php/topic,123447.msg135286462.html#msg135286462Ich bin der SL von den Dice Actors und befinde mich in gewissem Maße in ähnlichen Schuhen wie Matt Mercer. Die Definition von "geskriptet" ist mir bei den Vorwürfen immer ganz wichtig. Nehmen wir an, mein Barbar-Spieler sagt mir vier Wochen vor seiner OP, dass er für 12 Wochen ausfällt, aber die anderen sollen trotzdem weiterspielen können und wir überlegen uns dann gemeinsam, was der Charakter in der Zeit macht oder was er sich für seinen Charakter vorstellt. Das ist dann ein OT-Grund für eine IT-Handlung. Sowas kommt vor und ist doch umso mehr ein Beispiel vom Einfluss der "realen" Welt auf die Geschichte, also etwas total authentisches. Wenn es da Absprachen wegen Fresh Cut Grass gab, dann zeigt mir das eher, wie wichtig den Leuten die Integrität der Geschichte ist und dass die Handlung stimmig sein soll. In meinen Heimrunden mache ich das nicht anders. Genauso überlegt man sich doch auch gemeinsam, wie ein Charakter in die Geschichte eingeführt wird, wenn eine neue Person dem Spiel beitritt. Ist das dadurch schon "geskriptet"?
Bei "geplanten Story-Punkten" ist das eine Sache des Spielstils. Wenn sich alle vorher darauf geeinigt haben, ist das ja nicht weniger echtes Rollenspiel. Kaufabenteuer sind dahingehend auch geskriptet aber nicht weniger echtes Rollenspiel als eine komplette Sandbox. Bei mir (und da vermute ich Mercer ebenfalls) habe ich bestimmte Orte und Ereignisse im Sinn, die ich gerne anspielen möchte, und so einen losen roten Faden geplant, der aber durch die Entscheidungen der Spielis dann in verschiedene Richtungen gebeugt wird. Dabei achte ich darauf, Situationen zu schaffen, aber nicht, wie diese Situationen enden, und dass ein bestimmtes Ende einer Situation nicht die unbedingte Voraussetzung für die nächste geplante Situation ist. Gerade haben wir eine Storyline um einen magischen Ort, der zur Backstory eines Charakters gehört, und eine feindliche Armee, die diesen magischen Ort zerstören will. Ich habe nicht geplant, ob die Feinde es schaffen oder ob der Ort bewahrt wird. Das ergibt sich dann im Spiel. Ich hatte aber lange geplant, dass dieser Ort besucht werden wird und dementsprechend schon vorher Hintergründe zu dem Ort eingestreut. Dazu habe ich mich mit der Spielerin abseits der Spielrunde zusammengesetzt, um den magischen Ort ihrer Hintergrundgeschichte auszuarbeiten. Auch da die Frage: Ist das jetzt "geskriptet"?
Ich denke, dass das "Gefühl für Drama" oder eine "Intuition für Storytelling" bei Schauspielern am Spieltisch da manchmal unterschätzt wird. Spannende und dramatische Ideen, die in der Geschichte durch die Charaktere umgesetzt werden, entstehen durchaus spontan und bedürfen da keiner vorherigen Absprache. Da ist es ein wachsamer, guter Blick auf die Geschehnisse und was der eigene Charakter tun kann, um der Geschichte zu dienen. Weil eben von allen das Ziel ist, dass eine schlüssige und spannende Geschichte entsteht. Dazu gehört dann auch schon, nicht die optimale Kampfrunde zu spielen sondern von sich aus auch mal zu sagen, dass der eigene Charakter eventuell gerade unter Schock steht und eine Runde aussetzt (kleiner Rant am Rande für die, die Ratschläge für optimale Züge in unsere Kommentare schreiben).
Ich glaube, solche Momente entstehen auch öfter und schlüssiger, je besser man sich kennt. Meine Spielis spielen ihre Motivationen aus. Wenn ich diese Motivationen anspiele, dann handeln sie so, wie ich es erwartet habe. Zufällig habe ich dann also eine dieser Handlung entsprechenden Antwort parat. Das wirkt wie abgesprochen, liegt aber eher daran, dass ich sie gut einschätzen kann und mich gut vorbereite. Das muss nicht heissen, dass das in Heimrunden nicht auch passiert, aber ein Tisch, bei den ausnahmslos alle so eingespielt sind, ist für Heimrunden dann auch wieder selten, weil da auch oft unterschiedliche Spielitypen zusammentreffen. Ich werde da trotzdem oft genug überrascht und muss dann spontan improvisieren. Bei CR gibt es das auch, ich denke da an eine Szene in Mighty Nein, als Caleb den geheim gehaltenen MacGuffin herausholt und einfach den Feinden übergibt. Da hat Mercer auch nicht mit gerechnet, was man ihm mMn deutlich ansieht.
Ich muss aber auch sagen, dass ich in Kampagne 3 von CR (aus dem, was ich so mitbekommen hatte - ich habe nicht alles selbst gesehen) tatsächlich das Gefühl hatte, dass Matt da bestimmte Story-Punkte durchdrücken möchte. Das sehe ich aber weniger als "Das muss aus einem Business-Grund passieren" sondern eher als "Matt möchte die drei Kampagnen zu einem bestimmten Abschluss bringen". Da wäre es vielleicht sogar eleganter gewesen, wenn er mit den Spielis im Hintergrund bestimmte Entscheidungen vorher besprochen hätte (was ihnen ja oft vorgeworfen wird). Ist aber (meiner Ansicht nach) eben nicht passiert.
Es gibt halt so einige Punkte, wo es Unterschiede zwischen CR und Heimrunden gibt. Das lässt mich aber nicht an der Authentizität des Spiels zweifeln.
- Alle sind (Synchron-)Schauspielis und haben deshalb einen ähnlichen Spielstil
vs.
- Eine Freundesgruppe trifft sich, wo einer nur Monster kloppen will, einer Rätsel lösen liebt und einer dramatisch schauspielt
- Viele Stunden Vorbereitungszeit von der SL
vs.
- Zwischen Job und Familie noch strugglen, den Spielabend vorzubereiten
- Keine Störungen während des Spiels
vs.
- Pizzabote klingelt, Freund ruft an, während des Kampfes Tiktok scrollen
- Technische Einschränkungen führen zu fokussiertem Spiel (bspw. kein durcheinander reden, weil die Mikros das später nicht abbilden können)
vs.
- Es entstehen Gespräche mehrerer Leute untereinander am Tisch und man schweift auch mal eine Weile ab, wenn man auf die anderen wartet
Dadurch ergibt sich eben eine andere, zielgerichtetere Art, zu spielen. Ich persönlich finde es gut, dass wir einen gemeinsamen Spielstil gefunden haben. Ich finde es super, dass wir keine Störungen während des Spiels erlauben und dass alle sich in der Verantwortung sehen, aufzupassen, mitzumachen und nicht am Handy zu sein. Das ist aber subjektiv. Ich mag fokussierte Runden, andere mögen vielleicht lieber lockere Runden. Finde aber nicht, dass die eine mehr und die andere weniger abbildet, was "echtes" Rollenspiel ist.
Anekdotische Evidenz: Ich lese bei uns öfter Kommentare von Leuten, die uns gefunden haben, nie etwas mit P&P zu tun hatten und nun froh sind, über ihren Schatten gesprungen zu sein, es einmal selbst auszuprobieren. Das ist für mich große Motivation, denn ich finde es gut, wenn mehr Leute Tischrollenspiele spielen. Ich glaube auch, dass neue Leute klug genug sind, zu erkennen, dass das Hobby vielschichtig ist und dass es unterschiedliche Spielstile und vor allem Können und Erfahrung gibt. Erwartungshaltung und Ansprüche und dass deshalb viele Leute dem Hobby den Rücken kehren, wird da mMn überbewertet. Etwas weiter oben gab es das "Fußball"-Argument, das bringe ich auch immer gerne. Ich geh ja auf den Bolzplatz um Spaß mit meinen Freunden beim Kicken zu haben, gucke aber trotzdem die WM und erwarte dabei aber nicht, dass mein Torwart nun so hält wie Matt Mercer.
Prisma erwähnte das Problem, dass Leute auf Cons kamen und dort nicht so gespielt wurde, wie sie es (von den Rocket Beans) erwartet haben. Ich kann dem lockeren Bier & Brezel Spielstil auch nichts abgewinnen, kann die Tatsache aber aus anderer Seite persönlich so unterschreiben: Ich war zweimal in meinen Leben rein zum selbst Spielen auf Cons, hatte dort selten Spaß und hab mich immer unwohl gefühlt, weil dort nie so gespielt wurde, wie ich das mochte. Es kam mir immer vor wie eine eingeschworene Gesellschaft und dass ich mit dem Ausspielen meines Charakters und dem Versuch von Rollenspiel eher komisch angeschaut werde. Ich habe eher Runden erlebt, in denen indirekte Rede verwendet wird und in denen es um den Plot und/oder die Kämpfe ging. Das ist nur meine eigene Erfahrung und sicherlich gibt es auf Cons eine große Vielfalt aller Spielstile. Dieses Unwohlsein habe ich aber immernoch auf reinen Rollenspiel-Cons, dass ich eben nicht zur typischen Szene dazugehöre. Ich bin deshalb sehr froh, dass mein Spielstil durch Actual Plays mehr in den Vordergrund gerückt ist, weil sich dadurch mehr Gleichgesinnte zusammenfinden können, die sich sonst vielleicht nicht auf Cons trauen oder sich dort ebenso fehl am Platz fühlen.