Ich bastele nach einigen Jahren Unterbrechung (

) mal wieder an meinem Hard-SF Setting
Redshift herum. Ganz grob gesagt geht es darin um Raumschiffe

und die
Solare Expansion im 23. Jahrhundert. So ein bisschen wie The Expanse, nur mit realistischerer Tech und ohne Alien-Phlebotinum. Beizeiten werde ich das Ganze auch noch in einem separaten Thread vorstellen, aber heute wollte ich mir eigentlich nur zu einem Thema ein paar Meinungen abholen.
Bei den Überlegungen zur Weltbevölkerung habe mich mir aktuelle Entwicklungen angesehen und dabei bemerkt: die allermeisten Länder auf der Welt wachsen eigentlich nicht mehr, jedenfalls nicht ohne Immigration; selbst Indien hat offenbar jetzt den Peak so ziemlich erreicht. Außerhalb Afrikas gibt es nur noch wenige Länder mit nennenswertem Bevölkerungszuwachs. Bisherige Modelle, die von 10-12 Milliarden Menschen ausgehen, erscheinen mir damit überholt. Inzwischen ist nicht mehr Überbevölkerung, sondern Bevölkerungskollaps die Sorge der Makroökonomen. Wenn wir wie gesagt Afrika einmal ausklammern, könnte der Rest der Weltbevölkerung sich in den nächsten 100 Jahren gut halbieren (und mE ist es nur eine Frage der Zeit bis Afrika ebenfalls nachzieht).
Für mein Setting bedeutet das, dass es zum einen entsprechende Mechanismen geben muss, um den Bevölkerungsrückgang auszugleichen: von Automatisierung bis Migration im großen Stil. Details stehen da noch aus, aber letzten Endes sollte sich die Bevölkerung _irgendwann_ auch wieder stabilisieren.
Eigentlich hatte ich bislang gesetzt, dass man einiges an medizinischen Fortschritten gemacht hat, dergestalt dass heute noch tödliche Krankheiten heilbar oder verhinderbar sind, die durchschnittliche Lebenserwartung ca 120 Jahre beträgt und man bis ins hohe Alter körperlich und geistig fit bleiben kann, aber irgendwann ist halt doch der Ofen aus. Der typische Lebenslauf sieht so aus, dass man sich zuerst um seine Bildung, Karriere und Selbstverwirklichung kümmert, und dann irgendwann so um das 60. Lebensjahr mal ans Kinderkriegen geht - mit bereits in jungen Jahren entnommenen Keimzellen und Ex Utero ausgetragen (quasi "entkorkt"). Also quasi "60 ist das neue 30". Den Nachwuchs zieht man dann ca 20 Jahre groß und hat dann nochmal 40 Jahre vor sich, in denen man was auch immer tun kann.
Gesellschaftlich hat sich auch einiges getan, sodass in der Welt von Redshift Kinder kein Armutsrisiko mehr sind und man auch nicht aus Zukunftsangst lieber darauf verzichtet, neues Leben in die Welt zu setzen. Es soll ein insgesamt optimistisches Setting werden, da wir für meinen Geschmack derzeit schon genug dystopische Shitshow IRL haben.
Mit dieser Prämisse sieht es quasi so aus, dass nur ein relativ kleiner Teil der Menschheit seinen Lebensmittelpunkt ins All verlagert hat. Also so ganz grob geschossen: um 1 Promille der Weltbevölkerung. Das typische Habitatsformat sind ringförmige orbitale Städte von ca 1,8km Durchmesser und vielleicht je 20-40.000 Einwohnern, und davon gibt es dann ein paar Dutzend übers Sonnensystem verteilt.
Jetzt ist mir aber heute die Idee gekommen: was wäre, wenn die biologische Situation ganz anders aussähe?
Wenn Alterungsprozesse und der natürliche Tod komplett ausgehebelt wären? Und zwar nicht nur für eine Handvoll Superreicher [die es in meinem Kommu-- äh Setting nicht mehr gibt], sondern für jeden der das will? Und dann kann man so lange leben wie man will, und wenn man dann irgendwann satt ist und keine Lust mehr hat --

Wie "Hard" das im SF-Sinne ist? Keine Ahnung. Es gibt genug Leute, die heute schon überzeugt sind, dass sie das noch selber miterleben werden.
Ich hatte da vor ca 6 Jahren schonmal einen ähnlichen Thread losgetreten, (
We Have Time Now), allerdings nicht mit Fokus auf Weltraum-SF. Diesen Aspekt möchte ich jetzt nachholen.
Die Idee ist also: Unsterblichkeit und ewige Jugend für Jedermann, aber gleichzeitig _ohne_ strikte Geburtenkontrolle. Wie gesagt: optimistisches Setting, keine autoritäre Dystopie, kein menschenverachtendes "für jede Geburt muss sich einer einschläfern lassen, sonst wird halt das Neugeborene eingeschläfert" (siehe Vonnegut "2BR02B"). Bedeutet freilich dann wieder: exponentielles Bevölkerungswachstum.
Dies hätte natürlich massive Auswirkungen auf das Setting, weshalb ich mir die Entscheidung nicht leicht mache. Vielleicht wäre es genau das richtige, weil es einen echten _Druck_ aufbaut, einen Teil der Menschheit ins All zu verlagern. Und nicht nur so poplige Raumstationen zu bauen, sondern richtige Megahabitate, etwa Bishop Rings die etwa die Landfläche Indiens bieten.
Allerdings hatte ich die Konstruktion solcher Megahabitate auch schonmal durchgerechnet, und aus dem Grunde wieder verworfen, dass deren Konstruktion _Jahrhunderte_ dauern würde, schlicht aufgrund der benötigten Materialmassen im Gigatonnenbereich. Sie eignen sich also nicht, um akuten Bevölkerungsdruck zu lindern, und wenn der Bau zB 200 Jahre dauert, woher weiß man dann ob man sie am Ende überhaupt noch braucht.
Aber wenn absehbar ist, dass die Weltbevölkerung ab jetzt immer nur noch steigt, weil jede einzelne Geburt ein Netto-Plus ist, weil keine Todesfälle mehr abzuziehen sind? Und wenn anders als beim Kathedralenbau die Beteiligten wissen, dass sie dort selber einziehen können, auch wenn es erst in hundert Jahren ist? Dann werden Megahabitate doch attraktiv.
Diese Punkte fände ich also fürs Setting sehr verlockend.
Aber es bringt halt auch an allen Ecken und Enden gewaltige Ripple Effects mit sich. Ich muss mir bei jedem Aspekt überlegen, wie sich die Unsterblichkeit auswirkt. Mal als ganz banales Beispiel: wenn es kein Höchstalter mehr gibt, gibt es auch keine Rente. Oder vielleicht ist es auch so, dass eine Behandlung - nennen wir sie in Shadowrun-Tradition ruhig Léonisation - jeweils 10 Jahre vorhält, und mit jeder Behandlung schiebt sich das Rentenalter entsprechend 10 Jahre nach hinten, bis man irgendwann sagt man hat genug.
Dafür haben die Menschen vielleicht viele verschiedene Laufbahnen hintereinander. Und da es ja auch keine Alterserscheinungen mehr gibt [denn siehe Gullivers Reisen; was bringt es wenn man ewig lebt aber dabei immer weiter altert], sieht man niemandem an, ob der jetzt gerade (erstmalig) frisch von der Uni kommt oder schon seit hundert Jahren durchs All turnt und zwischendurch sieben Doktorgrade angesammelt hat.
Und, selbst wenn ich sage okay, das durchzudeklinieren ist die Mühe wert -- dann sehe ich die sehr konkrete Gefahr, dass dieser Aspekt zum zentralen und bestimmenden Settingelement wird. Und das möchte ich wiederum vermeiden. Diese Problematik stellt sich halt bei meinem ursprünglichen Konzept nicht -- 50% längeres Leben ist schon auch ein Fortschritt, kann man sich aber gut vorstellen ohne dass es alles umschmeisst.
Tja, soweit meine Gedanken dazu, jetzt täten mich eure interessieren. ^^