Autor Thema: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit  (Gelesen 1085 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Feuersänger

  • Orcjäger
  • Moderator
  • Titan
  • *****
  • Deadly and Absurdly Handsome
  • Beiträge: 34.595
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Feuersänger
[Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« am: 20.06.2025 | 23:21 »
Ich bastele nach einigen Jahren Unterbrechung (  ::) ) mal wieder an meinem Hard-SF Setting Redshift herum. Ganz grob gesagt geht es darin um Raumschiffe ;D und die Solare Expansion im 23. Jahrhundert. So ein bisschen wie The Expanse, nur mit realistischerer Tech und ohne Alien-Phlebotinum. Beizeiten werde ich das Ganze auch noch in einem separaten Thread vorstellen, aber heute wollte ich mir eigentlich nur zu einem Thema ein paar Meinungen abholen.

Bei den Überlegungen zur Weltbevölkerung habe mich mir aktuelle Entwicklungen angesehen und dabei bemerkt: die allermeisten Länder auf der Welt wachsen eigentlich nicht mehr, jedenfalls nicht ohne Immigration; selbst Indien hat offenbar jetzt den Peak so ziemlich erreicht. Außerhalb Afrikas gibt es nur noch wenige Länder mit nennenswertem Bevölkerungszuwachs. Bisherige Modelle, die von 10-12 Milliarden Menschen ausgehen, erscheinen mir damit überholt. Inzwischen ist nicht mehr Überbevölkerung, sondern Bevölkerungskollaps die Sorge der Makroökonomen. Wenn wir wie gesagt Afrika einmal ausklammern, könnte der Rest der Weltbevölkerung sich in den nächsten 100 Jahren gut halbieren (und mE ist es nur eine Frage der Zeit bis Afrika ebenfalls nachzieht).

Für mein Setting bedeutet das, dass es zum einen entsprechende Mechanismen geben muss, um den Bevölkerungsrückgang auszugleichen: von Automatisierung bis Migration im großen Stil. Details stehen da noch aus, aber letzten Endes sollte sich die Bevölkerung _irgendwann_ auch wieder stabilisieren.

Eigentlich hatte ich bislang gesetzt, dass man einiges an medizinischen Fortschritten gemacht hat, dergestalt dass heute noch tödliche Krankheiten heilbar oder verhinderbar sind, die durchschnittliche Lebenserwartung ca 120 Jahre beträgt und man bis ins hohe Alter körperlich und geistig fit bleiben kann, aber irgendwann ist halt doch der Ofen aus. Der typische Lebenslauf sieht so aus, dass man sich zuerst um seine Bildung, Karriere und Selbstverwirklichung kümmert, und dann irgendwann so um das 60. Lebensjahr mal ans Kinderkriegen geht - mit bereits in jungen Jahren entnommenen Keimzellen und Ex Utero ausgetragen (quasi "entkorkt"). Also quasi "60 ist das neue 30". Den Nachwuchs zieht man dann ca 20 Jahre groß und hat dann nochmal 40 Jahre vor sich, in denen man was auch immer tun kann.
Gesellschaftlich hat sich auch einiges getan, sodass in der Welt von Redshift Kinder kein Armutsrisiko mehr sind und man auch nicht aus Zukunftsangst lieber darauf verzichtet, neues Leben in die Welt zu setzen. Es soll ein insgesamt optimistisches Setting werden, da wir für meinen Geschmack derzeit schon genug dystopische Shitshow IRL haben.

Mit dieser Prämisse sieht es quasi so aus, dass nur ein relativ kleiner Teil der Menschheit seinen Lebensmittelpunkt ins All verlagert hat. Also so ganz grob geschossen: um 1 Promille der Weltbevölkerung. Das typische Habitatsformat sind ringförmige orbitale Städte von ca 1,8km Durchmesser und vielleicht je 20-40.000 Einwohnern, und davon gibt es dann ein paar Dutzend übers Sonnensystem verteilt.

Jetzt ist mir aber heute die Idee gekommen: was wäre, wenn die biologische Situation ganz anders aussähe?
Wenn Alterungsprozesse und der natürliche Tod komplett ausgehebelt wären? Und zwar nicht nur für eine Handvoll Superreicher [die es in meinem Kommu-- äh Setting nicht mehr gibt], sondern für jeden der das will? Und dann kann man so lange leben wie man will, und wenn man dann irgendwann satt ist und keine Lust mehr hat --


Wie "Hard" das im SF-Sinne ist? Keine Ahnung. Es gibt genug Leute, die heute schon überzeugt sind, dass sie das noch selber miterleben werden.

Ich hatte da vor ca 6 Jahren schonmal einen ähnlichen Thread losgetreten, (We Have Time Now), allerdings nicht mit Fokus auf Weltraum-SF. Diesen Aspekt möchte ich jetzt nachholen.
Die Idee ist also: Unsterblichkeit und ewige Jugend für Jedermann, aber gleichzeitig _ohne_ strikte Geburtenkontrolle. Wie gesagt: optimistisches Setting, keine autoritäre Dystopie, kein menschenverachtendes "für jede Geburt muss sich einer einschläfern lassen, sonst wird halt das Neugeborene eingeschläfert" (siehe Vonnegut "2BR02B"). Bedeutet freilich dann wieder: exponentielles Bevölkerungswachstum.

Dies hätte natürlich massive Auswirkungen auf das Setting, weshalb ich mir die Entscheidung nicht leicht mache. Vielleicht wäre es genau das richtige, weil es einen echten _Druck_ aufbaut, einen Teil der Menschheit ins All zu verlagern. Und nicht nur so poplige Raumstationen zu bauen, sondern richtige Megahabitate, etwa Bishop Rings die etwa die Landfläche Indiens bieten.

Allerdings hatte ich die Konstruktion solcher Megahabitate auch schonmal durchgerechnet, und aus dem Grunde wieder verworfen, dass deren Konstruktion _Jahrhunderte_ dauern würde, schlicht aufgrund der benötigten Materialmassen im Gigatonnenbereich. Sie eignen sich also nicht, um akuten Bevölkerungsdruck zu lindern, und wenn der Bau zB 200 Jahre dauert, woher weiß man dann ob man sie am Ende überhaupt noch braucht.
Aber wenn absehbar ist, dass die Weltbevölkerung ab jetzt immer nur noch steigt, weil jede einzelne Geburt ein Netto-Plus ist, weil keine Todesfälle mehr abzuziehen sind? Und wenn anders als beim Kathedralenbau die Beteiligten wissen, dass sie dort selber einziehen können, auch wenn es erst in hundert Jahren ist? Dann werden Megahabitate doch attraktiv.

Diese Punkte fände ich also fürs Setting sehr verlockend.

Aber es bringt halt auch an allen Ecken und Enden gewaltige Ripple Effects mit sich. Ich muss mir bei jedem Aspekt überlegen, wie sich die Unsterblichkeit auswirkt. Mal als ganz banales Beispiel: wenn es kein Höchstalter mehr gibt, gibt es auch keine Rente. Oder vielleicht ist es auch so, dass eine Behandlung - nennen wir sie in Shadowrun-Tradition ruhig Léonisation - jeweils 10 Jahre vorhält, und mit jeder Behandlung schiebt sich das Rentenalter entsprechend 10 Jahre nach hinten, bis man irgendwann sagt man hat genug.
Dafür haben die Menschen vielleicht viele verschiedene Laufbahnen hintereinander. Und da es ja auch keine Alterserscheinungen mehr gibt [denn siehe Gullivers Reisen; was bringt es wenn man ewig lebt aber dabei immer weiter altert], sieht man niemandem an, ob der jetzt gerade (erstmalig) frisch von der Uni kommt oder schon seit hundert Jahren durchs All turnt und zwischendurch sieben Doktorgrade angesammelt hat.

Und, selbst wenn ich sage okay, das durchzudeklinieren ist die Mühe wert -- dann sehe ich die sehr konkrete Gefahr, dass dieser Aspekt zum zentralen und bestimmenden Settingelement wird. Und das möchte ich wiederum vermeiden. Diese Problematik stellt sich halt bei meinem ursprünglichen Konzept nicht -- 50% längeres Leben ist schon auch ein Fortschritt, kann man sich aber gut vorstellen ohne dass es alles umschmeisst.

Tja, soweit meine Gedanken dazu, jetzt täten mich eure interessieren. ^^
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

Zitat von: ErikErikson
Thor lootet nicht.

"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat

Offline Alexandro

  • Famous Hero
  • ******
  • Beiträge: 3.574
  • Username: Alexandro
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #1 am: 20.06.2025 | 23:58 »
Naja, wenn man die Technologie hat, um den Zellverfall in diesem Grad aufzuhalten... warum muss man sich da auf Menschen beschränken?
Die Möglichkeiten von "unsterblichen" Nutztieren oder -pflanzen, die praktisch unter allen Bedingungen überleben können, und zu 100% in Nährstoffe umgewandelt werden können, ist mit dieser Technologie dann in greifbarer Reichweite. Eine Nahrungsknappheit wäre also durch die Bevölkerungsexplosion nicht zu erwarten, Platz wäre der einzige limitierende Faktor (entsprechend wäre das ein Schritt in Richtung von "Luxury Space Communism"  ;D ).
Ohne Dramaturgie gibt es kein Drama.

Wer beim Rollenspiel eine Excel-Tabelle verwendet, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Online nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.820
  • Username: nobody@home
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #2 am: 21.06.2025 | 00:30 »
Ein klassischer hypothetischer Nachteil von Quasi-Unsterblichkeit im Sinne von "altert nicht mehr, kann aber immer noch zu Tode kommen" wäre wohl, daß solche Leute dazu neigen, weniger Risiken einzugehen als "Normalsterbliche". Schließlich kann man sich, wenn man alle Zeit der Welt hat, auch entsprechend mehr Geduld leisten, und man hat im Zweifel durch einen "dummen" Todesfall auch so viel mehr zu verlieren...natürlich hat diesen Effekt bis heute niemand in der Praxis verifizieren können, aber es klingt andererseits auch nicht unbedingt besonders unglaubwürdig. Und je nachdem, wie fortgeschritten die Medizin anderweitig ist, kann es ja neben dem reinen Tod auch noch andere Probleme geben, die einem den Spaß am langen Leben gründlich vergällen würden. (Einige davon könnten sogar direkte Nebenwirkungen der Superlanglebigkeit sein, immerhin betritt auch die Medizin mit der Behandlung von Leuten, die älter werden und potentiell genau dadurch andere Symptomatiken entwickeln können als alle vor ihnen, erst einmal Neuland...)

Mit anderen Worten, die einfache Festlegung, daß die Menschen jetzt potentiell ewig leben können, wenn sie das denn auf Dauer durchhalten und möglichst allen Gefahren aus dem Weg gehen, dürfte auf die Gesellschaft noch so einige andere Auswirkungen haben als einfach nur "Die Bevölkerung schrumpft jetzt nicht mehr" (was allein dadurch ohnehin noch gar nicht garantiert ist). Daß sich beispielsweise die bemannte Raumfahrt auf ein Hobby einiger weniger quasi-lebensmüder Verrückter reduziert und die ganzen großen Habitate vermutlich erst angegangen würden, wenn es erstens unvermeidlich wird und man sie zweitens am besten gleich vollautomatisch ohne Gefahr für menschliche Arbeiter produzieren und ins All bringen lassen kann, wäre eine zwar nicht zwingende, aber immerhin nachvollziehbare Folge.

Offline Galatea

  • Hero
  • *****
  • Beiträge: 1.121
  • Username: Galatea
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #3 am: 21.06.2025 | 00:44 »
Worauf das ebenfalls einen gewaltigen Einfluss haben wird, sind Dinge wie Qualitätsstandards (ein unsterblicher Mensch hat keine Lust sich alle 5 Jahre neue Schuhe zu kaufen - die müssen mindestens für 50 Jahre halten, 500 wären besser) und Arbeitssicherheit - wenn nur alle 20 Jahre ein Mensch in einer Fabrik bei einem Arbeitsunfall umkommt, dann ist das immer noch zu viel.
Unfalltode allgemein - egal ob Arbeitsunfall, Verkehrsunfall oder Freizeitunfall - werden zu viel größeren Tragödien, als sie das heute sind. Ein Raumschiff mit 50 Insassen explodiert? Das dürfte globale Schlagzeilen machen. Oder noch viel schlimmer: Mord - die absichtliche Auslöschung eines unsterblichen Bewusstseins.

Großangelegte Infrastrukturprojekte würden für die Allgemeinheit viel interessanter und wären wahrscheinlich auch viel leichter durchzusetzen - selbst wenn der Bau von etwas Jahrhunderte braucht, vom Endprodukt hat trotzdem jeder noch etwas.


Das ganze birgt aber auch die Gefahr des Stillstands - es kommen zwar noch neue Generationen nach, aber irgendwann wird es eine große Mehrheit von Leute geben, die Dinge so machen "weil sie das schon immer so gemacht haben". Radikale neue Ideen könnten es zunehmend schwerer haben sich durchzusetzen.


Migration dürfte sich auch vor dem Hintergrund "etwas erreichen zu wollen" abspielen - wenn alle Führungspositionen mit kompetenten Leuten besetzt sind, die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte an Erfahrung haben, warum sollte man die ersetzen? Wirklicher Aufstieg wird eigentlich nur noch möglich, wenn man eine Kolonie, abseits der etablierten Strukturen, gründet.

Möglich wäre auch, dass Menschen ein paar Jahrzehnte mit einer Arbeit verbringen und dann eine Art Selbstfindungs-/Neuerfindungsreise machen, an deren Ende sie (möglicherweise in einer neu gegründeten Kolonie) entweder in ein neues Arbeitsfeld einsteigen oder zu ihrer ursprünglichen Beschäftigung zurückkehren und grotesk hyperqualifizierte Superspezialisten werden.


Eine letzte Sache - wenn man die Unsterblichkeit hat, dann wird der Hitzetod des Universums plötzlich sehr relevant.
Die Suche nach einem neuen Universum oder die Möglichkeit ein ewiges Taschenuniversum zu schaffen wird früher oder später eine existentielle Fragestellung werden.
We should respect all forms of consciousness. The body is just a vessel, a mere hull.

Offline Ainor

  • Famous Hero
  • ******
  • Beiträge: 2.778
  • Username: Ainor
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #4 am: 21.06.2025 | 01:23 »
Eigentlich hatte ich bislang gesetzt, dass man einiges an medizinischen Fortschritten gemacht hat, dergestalt dass heute noch tödliche Krankheiten heilbar oder verhinderbar sind, die durchschnittliche Lebenserwartung ca 120 Jahre beträgt und man bis ins hohe Alter körperlich und geistig fit bleiben kann, aber irgendwann ist halt doch der Ofen aus. Der typische Lebenslauf sieht so aus, dass man sich zuerst um seine Bildung, Karriere und Selbstverwirklichung kümmert, und dann irgendwann so um das 60. Lebensjahr mal ans Kinderkriegen geht - mit bereits in jungen Jahren entnommenen Keimzellen und Ex Utero ausgetragen (quasi "entkorkt"). Also quasi "60 ist das neue 30". Den Nachwuchs zieht man dann ca 20 Jahre groß und hat dann nochmal 40 Jahre vor sich, in denen man was auch immer tun kann.

Das geht schon in die richtige Richtung. Und im grobem sehen wir das ja momentan: mit steigender Lebenserwartung steigt auch das Elternalter bei der Geburt. Wenn man die Kinder also in der Mitte des Lebens (30 von 60, 40 von 80, oder 60 von 120) bekommt sind zwei Generationen gleichzeitig am Leben. Bekommt man sie nach dem ersten Drittel sind es drei.

Wenn jetzt die Lebenserwartung steigt und das relative Elternalter gleich bleibt dann ändert das nichts an der Bevölkerung. Und da wir alle wissen dass ohne Deadlines garnichts passiert könnten sich Unsterbliche quasi beliebig viel Zeit lassen. Alles natürlich unter der Annahme dass sich an den stabilen 2,1 Kindern pro Frau nichts ändert.

Dies hätte natürlich massive Auswirkungen auf das Setting, weshalb ich mir die Entscheidung nicht leicht mache. Vielleicht wäre es genau das richtige, weil es einen echten _Druck_ aufbaut, einen Teil der Menschheit ins All zu verlagern. Und nicht nur so poplige Raumstationen zu bauen, sondern richtige Megahabitate, etwa Bishop Rings die etwa die Landfläche Indiens bieten.

Allerdings hatte ich die Konstruktion solcher Megahabitate auch schonmal durchgerechnet, und aus dem Grunde wieder verworfen, dass deren Konstruktion _Jahrhunderte_ dauern würde, schlicht aufgrund der benötigten Materialmassen im Gigatonnenbereich. Sie eignen sich also nicht, um akuten Bevölkerungsdruck zu lindern, und wenn der Bau zB 200 Jahre dauert, woher weiß man dann ob man sie am Ende überhaupt noch braucht.
Aber wenn absehbar ist, dass die Weltbevölkerung ab jetzt immer nur noch steigt, weil jede einzelne Geburt ein Netto-Plus ist, weil keine Todesfälle mehr abzuziehen sind? Und wenn anders als beim Kathedralenbau die Beteiligten wissen, dass sie dort selber einziehen können, auch wenn es erst in hundert Jahren ist? Dann werden Megahabitate doch attraktiv.

Warum Habitate (ausser dass sie cool sind)?
Würde man nicht erstmal die Erdkruste besiedeln, und die Ozeane? Wenn man keine Bevölkerungsexplosion annimmt sondern ein Wachtum durch wachsende Lebenserwartung ohne Kompensation durch steigendes Elternalter dann dauert das Bevölkerungswachstum echt lange. Was bedeutet dass die Technik vermutlich schneller Lösungen finden kann als die Probleme auftauchen.

Und auch wenn die Erde wirklich komplett voll ist: danach wäre der Mars dran und dann (wo schon Expanse genannt wurde) der Asteroidengürtel. Und wenn man fast unsterblich ist kann man auch in andere Systeme fliegen.
« Letzte Änderung: 21.06.2025 | 08:25 von Ainor »
Es wird zu viel darüber geredet wie gewürfelt werden soll, und zu wenig darüber wie oft.
Im Rollenspiel ist auch hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie zu unterscheiden.
Meine 5E Birthright Kampagne: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,122998.0.html

Offline Feuersänger

  • Orcjäger
  • Moderator
  • Titan
  • *****
  • Deadly and Absurdly Handsome
  • Beiträge: 34.595
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Feuersänger
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #5 am: 21.06.2025 | 02:02 »
Ihr demonstriert hier sehr schön, wie enorm die Ripple Effects sein könnten.

Gut, teilweise würde ich das nicht so kritisch sehen -- extreme Risikoaversion wäre freilich eine _denkbare_ Konsequenz, aber mE nicht zwingend. Ich sag mal so: auch heute hat zB ein 18jähriger potentiell ca 7 Jahrzehnte vor sich, trotzdem gibt es genügend Deppen die sich auf der Stelle mit krasse BMW an der nächsten Platane zerlegen. Das macht er nicht, weil er sich denkt "Och, ob ich heute sterbe oder in 70 Jahren, was macht das schon für einen Unterschied", sondern weil er einfach rein gar nichts denkt.

Dass aber bei dieser Art der Unsterblichkeit begehrte Posten selten bis nie geräumt werden, der Gedanke kam mir auch schon. Das wäre eben auch noch ein Motivator für die Expansion - nicht schlimm wenn Posten XY auf der Erde seit 100 Jahren von dem gleichen Typen besetzt wird, die gleiche Position gibt es draußen auf den Orbitalen noch zehnmal. Andererseits wäre natürlich auch denkbar, dass man alle soundsoviel Jahrzehnte seine Karriere wechseln _muss_.

Ein artverwandter Gedanke wäre, wie sich das mit Machtpositionen verhält. Schon bei den heutigen Autokratien halten sich ja die Machthaber über Jahrzehnte im Amt, und bei vielen bleibt nur die Hoffnung, dass sie ja irgendwann schon das zeitliche segnen werden. Aber wenn dann das auch noch wegfällt? Dann besteht die Gefahr, dass sich über die Zeit auf der ganzen Welt mit der Zeit Autokraten ansammeln wie Fussel in einem Sieb, denn wer sich einmal erfolgreich festgesetzt hat, bleibt dann wo er ist. Es sei denn, mit Gewalt - es kann also sein, dass sich dann eine Mentalität durchsetzt, bei der man nicht mehr passiv abwartet bis der Diktator von alleine das Zeitliche segnet, sondern viel früher auf die Barrikaden geht und nachhilft.

Aber so oder so: wie gesagt möchte ich mich so ungefähr auf das 23.Jh einschießen, und da wäre dann die Frage seit wann die Leonisation überhaupt zur Verfügung steht. Sagen wir mal, seit 2100. Das limitiert natürlich dann das maximale Alter in der Settinggegenwart. Wenn man zB definiert, dass die Behandlung spätestens mit 40 durchgeführt werden muss um was zu bringen, kann im Jahr 2250 niemand älter sein als 190. Die Perspektive ist freilich trotzdem eine andere, aber um den Hitzetod des Universums muss man sich erstmal noch keine Sorgen machen. Da wird lange lange vorher relevant, erstmal die Lebensspanne der lieben Sonne zu verlängern, indem man sie per Starlifting um ein paar % Masse erleichtert. Aber auch das würde erst in ein paar 100.000.000 Jahren akut (5 Milliarden Jahre kann man damit wiederum nicht warten).

Auch Expansion zu anderen Sternen wäre dann natürlich eine Möglichkeit - man braucht dann nichtmal mehr unbedingt Cryostasis oder Generationenschiffe, einfach nur Leute mit sehr, sehr viel Geduld.

Das alles ist aber zum fraglichen Zeitpunkt immer noch Zukunftsmusik. Ebenso wie 2250 vermutlich noch kein Megahabitat fertig sein kann - aber eine entsprechend imposante Baustelle könnte es geben.

Oder vielleicht ist die Leonisationsmethode ja zwar vorhanden, aber noch frischer als oben angesetzt, und die jetzt jungen Erwachsenen sind die ersten, die sie überhaupt bekommen können. Dann würden die ganzen Umwälzungen im Setting erst noch kommen. Das wäre natürlich bissl "easy way out".

Grundsätzlich und von etwaiger Unsterblichkeit unabhängig ist nämlich eh die Prämisse dieses Settings, dass sich ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Denken durchgesetzt hat. Politiker, die weiter denken als bis zum nächsten Wahltermin. Unternehmen/r, die einen weiteren Horizont haben als den nächsten Quartalsbericht. Langfristige Fahrpläne, die auch konkret so gemeint sind und nicht nur als "Bleib mir weg damit, da kann sich ein anderer Depp damit rumschlagen wenn ich meine Schäfchen im Trockenen habe". Also eine Gesellschaft, die - wieder, möchte ich sagen - willens und fähig ist, in Jahrzehnten und Jahrhunderten zu denken.

Und wenn ich so drüber nachdenke, ist dieser Paradigmenwechsel eigentlich gerade dann umso beeindruckender, wenn er nicht aus rein egoistischen Motiven stattgefunden hat ("Ich baue am Habitat mit, weil ich in 300 Jahren selber darin leben will"), sondern aus der Erkenntnis heraus, dass es das Richtige ist für die Generationen, die nach einem kommen. Ziemlich Kantianisch, quasi.

(Zu Ainors Beitrag schreibe ich gesondert was)
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

Zitat von: ErikErikson
Thor lootet nicht.

"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat

Offline Feuersänger

  • Orcjäger
  • Moderator
  • Titan
  • *****
  • Deadly and Absurdly Handsome
  • Beiträge: 34.595
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Feuersänger
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #6 am: 21.06.2025 | 02:39 »
Warum Habitate (ausser dass sie cool sind)?
Würde man nicht erstmal die Erdkruste besiedeln, und die Ozeane?
[...]
Und auch wenn die Erde wirklich komplett voll ist: danach wäre der Mars dran und dann (wo schon Expanse genannt wurde) der Asteroidengürtel. Und wenn man fst unsterblich ist kann man auch in andere Systeme fliegen.

Ich habe da für das Setting einen grob 10-Stufen-Plan entworfen, und zur Stunde (ca 2250) befindet man sich da ungefähr auf dem Weg zu Stufe 6: Energieversorgung mit Helium-3 sicherstellen. Dieses bekommt man vom Saturn, aber um bis dahin zu kommen, muss man erstmal eine Menge Infrastruktur etablieren: erst der Mond als Sprungbrett, dann Venus, dann Hauptgürtel und evtl Mars, dann endlich Saturn. Und überall dort braucht man eben Habitate (wenn auch kleinere) um die Leute unterzubringen.

Die Erde ist zwar nicht völlig durch, aber durch den Klimawandel und Raubbau einigermaßen hart gefickt. Der unmittelbaren Erwärmung begegnet man mit einem Sunshade in Form einer Streulinse am L1, aber die bis dahin bereits angerichteten Schäden (Abschmelzen der Gletscher, Übersäuerung der Ozeane etc) sind halt schon da und werden vermutlich Jahrhunderte benötigen um zu heilen.

Das war allerdings auch ein Grund, warum ich in meiner Planung von diesen Mega-Habs wieder weg bin: bis die fertig sind, dürfte sich auch die Erde wieder ganz gut erholt haben, sodass man die Habitate dann gar nicht mehr braucht. Jedenfalls nicht, solange die Bevölkerung nicht explodiert.

Mars ist in meinem Setting eher eine Randzone, eher so wie Australien zu Zeiten des British Empire, inklusive Sträflingskolonie. Mars hat als Wohnort viele Probleme, die man mit einem Orbital nicht hat oder zumindest viel einfacher in den Griff bekommen kann. Primärer Zweck der marsianischen Kolonie ist es, in Gewächshäusern Nahrung anzubauen, mit der die Kolonien im Hauptgürtel versorgt werden können. (Da es viel billiger ist, Lasten vom Marsboden aus ins All zu hieven als vom Erdboden.) Stahl und Glas kann man billig vor Ort herstellen, aber viel mehr halt auch nicht. Anderswo baut man Agri-Habs im All, die viel höheren Ertrag pro Anbaufläche versprechen als der ungemütliche Mars. Das sind dann noch alles so Feinheiten, die auch mit den unterschiedlichen Machtblöcken zu tun haben.
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

Zitat von: ErikErikson
Thor lootet nicht.

"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat

Offline Aedin Madasohn

  • Andergast´sche Salzarelenangel
  • Hero
  • *****
  • Beiträge: 1.682
  • Username: Aedin Madasohn
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #7 am: 21.06.2025 | 08:03 »
was für eine Art Abenteuer willst du dann da spielen?

der Zusammenhang, dass durch Leonisation "genügend" fähige/qualifizierte "unterbeförderte" Menschen zur Verfügung stehen, um "da draußen" was "eigenes" aufzubauen, wurde ja schon genannt.

wer als Tausendsassa Elektriker aufgrund von Verrentungsstau nur die Planstelle Hausmeister-Untergehilfe ergattern kann, jetzt aber Facility-Senior-Tech-Chief-Master in der Saturn 3001 Station werden könnte (und dafür erstmal 20 Jahre Aufbauzeit investiert - schau dir an, wie groß die Pötte der Meyerwerft sind und die hauen so etwas im Jahrestakt raus, was könnte da nicht zuletzt auch durch Automatisierung, an Strukturen geschaffen werden) - der würde doch zugreifen?

zu Bevölkerungswachstum: ist sehr komplex und die Gründe, wo überall irgendwo/irgendwie die Geburtenrate einbrechen/brachen und was jemand darüber schreibt, was der Grund sein sollte... ;D

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
kleiner realsatirischer Einschub

Offline Ainor

  • Famous Hero
  • ******
  • Beiträge: 2.778
  • Username: Ainor
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #8 am: 21.06.2025 | 09:07 »
Gut, teilweise würde ich das nicht so kritisch sehen -- extreme Risikoaversion wäre freilich eine _denkbare_ Konsequenz, aber mE nicht zwingend. Ich sag mal so: auch heute hat zB ein 18jähriger potentiell ca 7 Jahrzehnte vor sich, trotzdem gibt es genügend Deppen die sich auf der Stelle mit krasse BMW an der nächsten Platane zerlegen. Das macht er nicht, weil er sich denkt "Och, ob ich heute sterbe oder in 70 Jahren, was macht das schon für einen Unterschied", sondern weil er einfach rein gar nichts denkt.

Tjo. Momentan sind etwas 7,5% aller Tode nicht medizinisch. Das gäbe dann eine Lebenswerwartung von 1000 Jahren. Die extreme Risikoaversion kommt dann vielleicht nicht beim Einzelnen, aber bei der Gesselschaft: "Du willst Autofahren? Viel zu gefährlich!"

Dass aber bei dieser Art der Unsterblichkeit begehrte Posten selten bis nie geräumt werden, der Gedanke kam mir auch schon.

Da gibt es einfache Lösungen. Präsidenten bekommen normalerweise nur 2 Amtszeiten. Und auch andere Organisationen haben Beschränkungen für ihr Führungspersonal.

es kann also sein, dass sich dann eine Mentalität durchsetzt, bei der man nicht mehr passiv abwartet bis der Diktator von alleine das Zeitliche segnet, sondern viel früher auf die Barrikaden geht und nachhilft.

Auch diese "Problem" haben die Ägypter mit ihren Dynastien vor 5000 Jahren gelöst. Und Nordkorea zeigt dass es immernoch funktioniert. Ändert sich also nicht so viel. 

Grundsätzlich und von etwaiger Unsterblichkeit unabhängig ist nämlich eh die Prämisse dieses Settings, dass sich ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Denken durchgesetzt hat. Politiker, die weiter denken als bis zum nächsten Wahltermin. Unternehmen/r, die einen weiteren Horizont haben als den nächsten Quartalsbericht. Langfristige Fahrpläne, die auch konkret so gemeint sind und nicht nur als "Bleib mir weg damit, da kann sich ein anderer Depp damit rumschlagen wenn ich meine Schäfchen im Trockenen habe". Also eine Gesellschaft, die - wieder, möchte ich sagen - willens und fähig ist, in Jahrzehnten und Jahrhunderten zu denken.

Tja, da ist die grosse Frage auf wann sich das "wieder" bezieht...

Und überall dort braucht man eben Habitate (wenn auch kleinere) um die Leute unterzubringen.

Ich glaube es gibt einen grossen Unterschied zwischen Habitaten auf/in einem Planeten/Asteroiden und einfach nur im Weltraum.

Die Erde ist zwar nicht völlig durch, aber durch den Klimawandel und Raubbau einigermaßen hart gefickt. Der unmittelbaren Erwärmung begegnet man mit einem Sunshade in Form einer Streulinse am L1, aber die bis dahin bereits angerichteten Schäden (Abschmelzen der Gletscher, Übersäuerung der Ozeane etc) sind halt schon da und werden vermutlich Jahrhunderte benötigen um zu heilen.

Und ins Weltall umzuziehen soll einfacher sein als sich damit zu arrangieren? Schiffe sind irgendwie einfacher zu bauen als Raumstationen. Die ISS kostet 100 Milliarden und hat 500 qm. Einen Keller dieser Grösse bekommt  kostet vielleicht eine Million, und das Fenster aufmachen kann man auf der ISS auch nicht. Ein Schiff mit 500000 qm kostet etwa 2 Milliarden.

Mars ist in meinem Setting eher eine Randzone, eher so wie Australien zu Zeiten des British Empire, inklusive Sträflingskolonie. Mars hat als Wohnort viele Probleme, die man mit einem Orbital nicht hat oder zumindest viel einfacher in den Griff bekommen kann.

Ich bezweifele dass die so gross sind dass es einfacher ist jedes einzelne Gramm ins All zu bringen.
Aber gut, Entfernung mag ein Problem sein. Die ISS ist ja auch nicht auf dem Mond.

Anderswo baut man Agri-Habs im All, die viel höheren Ertrag pro Anbaufläche versprechen als der ungemütliche Mars.

Warum haben sie viel höheren Ertrag wenn ich dasselbe Hab auf dem Mars aufstellen kann?

zu Bevölkerungswachstum: ist sehr komplex und die Gründe, wo überall irgendwo/irgendwie die Geburtenrate einbrechen/brachen und was jemand darüber schreibt, was der Grund sein sollte... ;D

Klar gibt es die Möglichkeit dass Gruppen mit niedrigen Geburtenraten verschwinden und Gruppen mit hohen Geburtenraten sich ausbreiten. Aber es soll ja keine Dystopie sein.
« Letzte Änderung: 21.06.2025 | 09:18 von Ainor »
Es wird zu viel darüber geredet wie gewürfelt werden soll, und zu wenig darüber wie oft.
Im Rollenspiel ist auch hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie zu unterscheiden.
Meine 5E Birthright Kampagne: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,122998.0.html

Online Chaos

  • Legend
  • *******
  • Demokrator auf Lebenszeit
  • Beiträge: 4.423
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Chaos
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #9 am: 21.06.2025 | 10:24 »
Ein weiterer Aspekt zum Thema Bevölkerungswachstum... man ist sich mittlerweile in der Psychologie ja bewusst, wieviel Schaden Vernachlässigung oder gar Missbrauch im Kindealter bei den Kindern anrichten kann, und wie groß das Risiko ist, dass diese Kinder im Erwachsenenalter das alles an die nächste Generation weitergeben. Dieses Wissen dürfte zur Zeit des Settings eher umfassender sein.

Könnte es also eine Art "Elternführerschein" geben, den man machen muss, und/oder einen "Eltern-TÜV", den man bestehen muss, bevor man eigene Nachkommen in die Welt setzt? Zum Einen zum Wohle der Kinder, zum Anderen zum Wohle der Gesellschaft, die ja auf die eine oder andere den Fallout von unfähigen oder unwilligen Eltern abbekommt. Da böte sich dann im Graubereich an, Strenge des TÜV und Schwierigkeitsgrad des Führerscheins als Stellschraube zu nutzen, um durch erlaubte oder verweigerte Fortpflanzung das Bevölkerungswachstum zu regulieren - natürlich vorgeblich alles streng nach objektiv wissenschaftlichen Kriterien.  Verschiedene Habitate könnten - vielleicht auch nur unter der Hand - damit werben, dass es bei ihnen leichter ist, TÜV und Führerschein zu bekommen, und so Fachkräfte anlocken, die Kinder haben wollen.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass bis dahin das Kinderkriegen schlicht nicht mehr das ist, was man als Erwachsene halt irgendwann mal macht. Es ist ja schon heute so, dass Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, nicht mehr so schräg angeguckt werden wie noch vor 1-2 Generationen, und zur Zeit des Settings sollte sich diese Einstellung noch ein ganzes Stück weiter verschoben haben - vielleicht bis zu dem Punkt, an dem man ein bisschen schräg angeguckt wird, wenn man überhaupt Kinder hat?
Unordnung = Datenschutz
Was ich nicht finde, das findet auch kein Anderer!

Offline Ávila

  • Experienced
  • ***
  • Beiträge: 313
  • Username: Ávila
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #10 am: 21.06.2025 | 10:52 »
Klar gibt es die Möglichkeit dass Gruppen mit niedrigen Geburtenraten verschwinden und Gruppen mit hohen Geburtenraten sich ausbreiten.

Verschwinden nur im Extremfall, aber kulturell und politisch zunehmend irrelevant werden, klar, das wird passieren, das ist simple Exponentialrechnung.

Könnte es also eine Art "Elternführerschein" geben, den man machen muss, und/oder einen "Eltern-TÜV", den man bestehen muss, bevor man eigene Nachkommen in die Welt setzt? Zum Einen zum Wohle der Kinder, zum Anderen zum Wohle der Gesellschaft, die ja auf die eine oder andere den Fallout von unfähigen oder unwilligen Eltern abbekommt. Da böte sich dann im Graubereich an, Strenge des TÜV und Schwierigkeitsgrad des Führerscheins als Stellschraube zu nutzen, um durch erlaubte oder verweigerte Fortpflanzung das Bevölkerungswachstum zu regulieren - natürlich vorgeblich alles streng nach objektiv wissenschaftlichen Kriterien.  Verschiedene Habitate könnten - vielleicht auch nur unter der Hand - damit werben, dass es bei ihnen leichter ist, TÜV und Führerschein zu bekommen, und so Fachkräfte anlocken, die Kinder haben wollen.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass bis dahin das Kinderkriegen schlicht nicht mehr das ist, was man als Erwachsene halt irgendwann mal macht. Es ist ja schon heute so, dass Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, nicht mehr so schräg angeguckt werden wie noch vor 1-2 Generationen, und zur Zeit des Settings sollte sich diese Einstellung noch ein ganzes Stück weiter verschoben haben - vielleicht bis zu dem Punkt, an dem man ein bisschen schräg angeguckt wird, wenn man überhaupt Kinder hat?

Und was macht man mit Leuten, die sich nicht ans Kinderverbot halten? Da ist man dann sofort wieder in der Dystopie.

Online nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.820
  • Username: nobody@home
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #11 am: 21.06.2025 | 10:55 »
Grundsätzlich und von etwaiger Unsterblichkeit unabhängig ist nämlich eh die Prämisse dieses Settings, dass sich ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Denken durchgesetzt hat. Politiker, die weiter denken als bis zum nächsten Wahltermin. Unternehmen/r, die einen weiteren Horizont haben als den nächsten Quartalsbericht. Langfristige Fahrpläne, die auch konkret so gemeint sind und nicht nur als "Bleib mir weg damit, da kann sich ein anderer Depp damit rumschlagen wenn ich meine Schäfchen im Trockenen habe". Also eine Gesellschaft, die - wieder, möchte ich sagen - willens und fähig ist, in Jahrzehnten und Jahrhunderten zu denken.

Ich denke, das hat weniger mit der individuellen Lebenserwartung zu tun (auch jemand, der fünfhundert Jahre alt werden kann, muß ja seine Lebenserfahrungen erst mal sammeln und wird nicht gleich mit der Weisheit eines Hundertjährigen abgenabelt) und mehr mit schlichter Bildung und Erziehung. Der Mensch ist von Natur aus mehr auf den Umgang mit unmittelbaren Problemen ("Wo kriege ich heute mein Essen her?") gepolt als auf langfristige Planung ("Welche Probleme wird wohl die noch gar nicht geborene übernächste Generation mal haben und wie kann ich da helfen?"), also muß er das Denken in längeren Zeiträumen erst mal lernen, und das geht mit Hilfe natürlich besser als ohne.

Um da hinzukommen, bräuchte es aber vermutlich unter anderem schlicht weltweit Politiker, die bereit und fähig wären, in die Bildung ihrer jeweiligen "Untertanen" auch tatsächlich zu investieren, statt sie einfach nur so dumm und manipulierbar zu lassen, wie man damit gerade noch durchkommt, und dabei auch noch Geld zu sparen, das sich in der eigenen Tasche oder denen von Lobbyisten doch viel besser macht...und so eine utopische Entwicklung ist aus meiner Sicht eher schwieriger herbeihandzuwedeln als nur ein paar medizinische Durchbrüche. ;)

Offline Quaint

  • Legend
  • *******
  • Beiträge: 4.101
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Quaint
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #12 am: 21.06.2025 | 11:23 »
Das droht ja etwas politisch zu werden hier. Ich denke, so ein langfristiges und sinnvolles denken ist schon möglich. Bei Star Trek Next Generation haben ja auch nicht alle geschrien "geht doch garnicht". Allerdings muss man da finde ich, nicht nur die richtige Bildung haben, sondern auch von wirtschaftlich-politischen System her die richtigen Anreize schaffen. Wir haben heute halt den Kapitalismus, da ist Geld verdienen für die meisten Leute ein sehr großer Anreiz. Und wir haben eine politische Demokratie mit Parteien, wo es den Politikern und Parteien zunächst mal darum geht, gewählt zu werden. Und es gibt aber keine Koppellung zwischen Wahlversprechen und dem was sie im Wahlfall tatsächlich tun. Die können also sagen sie senken die Steuern, werden gewählt, Krise xy, Schade Schade Schokolade, höhere Steuern. Und da kannst du halt auch nicht sagen: ich klag mir meine niedrigen Steuern ein. Sondern ist halt so.
Daher bin ich der Meinung, dass im jetzigen System die Leute geldgeil gemacht werden und Politiker mit Lügen und Manipulation schon sehr gut fahren. Natürlich kommt die Strafe dann bei der nächsten Wahl, aber das scheint mir nicht 100% wirksam.
Ich weiß aber auch nicht, wie man ein wirtschaftlich-politisches System entwerfen müsste, um solche sinnvolle Langfristigkeit zu fördern. Aber vielleicht kann man da mal dran rumdenken, wenn man schon SciFi machen will.
Besucht meine Spielkiste - Allerlei buntes RPG Material, eigene Systeme (Q-Sys, FAF) und vieles mehr
,___,
[o.o]
/)__)
-"--"-

Offline Feuersänger

  • Orcjäger
  • Moderator
  • Titan
  • *****
  • Deadly and Absurdly Handsome
  • Beiträge: 34.595
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Feuersänger
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #13 am: 21.06.2025 | 11:55 »
was für eine Art Abenteuer willst du dann da spielen?

Was mit Raumschiffen. xD
Es könnte zB auch um Politik gehen, etwa die Unabhängigkeitsbestrebungen einer Kolonie unterstützen (oder unterdrücken), oder eine neue Förderanlage auf dem Saturn aufbauen, oder eine wertvolle Fracht vor Spaaaaaace Pirates beschützen, oder selber Space Pirate sein, solche Sachen.

Da gibt es einfache Lösungen. Präsidenten bekommen normalerweise nur 2 Amtszeiten. Und auch andere Organisationen haben Beschränkungen für ihr Führungspersonal.

Diese einfachen Lösungen benötigen aber eben auch Konsequenzen, wenn jemand versucht sie zu unterlaufen. Vergleiche das Matrjoshka-Spiel, das Putin seit ~2000 abzieht, oder den quasi komplett fehlenden Aufschrei in den USA, wenn Trump direkt nach der Amtseinführung darüber sinniert, dass er ja auch eine dritte Amtszeit absolvieren könnte.

Zitat
Ich glaube es gibt einen grossen Unterschied zwischen Habitaten auf/in einem Planeten/Asteroiden und einfach nur im Weltraum.

Stimmt, da war ich auch unpräzise. Generell denke ich da an orbitale Rotationshabitate, die u.a. den Vorteil haben, dass man dort eine Schwerkraft nach Wahl erzeugen kann und nicht an die ~0,16G auf dem Mond oder 0,4G auf dem Mars festgenagelt ist.

Zitat
Und ins Weltall umzuziehen soll einfacher sein als sich damit zu arrangieren?

Kommt jetzt darauf an von welchem Szenario du gerade sprichst. Bei "maßvolle Lebensverlängerung", dazu habe ich weiter oben bereits was geschrieben. Bei "Unsterblichkeit" wird einem auf der Erde irgendwann der Platz ausgehen.

Zitat
Ich bezweifele dass die so gross sind dass es einfacher ist jedes einzelne Gramm ins All zu bringen.
Aber gut, Entfernung mag ein Problem sein. Die ISS ist ja auch nicht auf dem Mond.

Verstehe ich jetzt nicht was du meinst bzw was dein Argument ist. Allgemein: die Schwerkraftsenke namens Erde ist so ungefähr das größte Problem bei der ganzen Raumfahrt. Man sehe sich das Tamtam an, das man für jedes Kilo Nutzlast veranstalten muss, um es in den Orbit zu bringen. Wie heisst es so schön, "once you've made it to orbit, you're halfway to anywhere".
Es ging ja hier um die Nahrungsversorgung der All-Kolonien: da macht es schon einen riesigen Unterschied, ob ich eine Ladung Futter von der Erdoberfläche ins All wuchten muss, oder nur von der Marsoberfläche (viel geringere Schwerkraft und dünnere Atmosphäre = viel weniger delta-V benötigt).

Entfernung ist dagegen (innerhalb des Sonnensystems) eigentlich Pipifax; kostet halt Zeit wenn es billig sein soll. Mit der gleichen Energie, die 1kg Nutzlast vom Erdboden zum LEO braucht, kann man dasselbe kg auch vom LEO bis zum Saturn schicken, nur um da mal Relationen zu bieten.

Zitat
Warum haben sie viel höheren Ertrag wenn ich dasselbe Hab auf dem Mars aufstellen kann?

Sehr gute Frage! Da gibt es eine Reihe von Gründen.
- Ein Agri-Hab kann ich auf einem wesentlich günstigeren Orbit als Mars aufhängen, Stichwort Solarkonstante. Auf dem Mars kommt nur ca halb soviel Sonnenlicht an wie auf der Erde (genauer 43%). In der Venus-Umlaufbahn wäre es entsprechend mehr.
- ein Agri-Hab kann ich so designen, dass es 24/7 Sonnenlicht bekommt, und bin auch nicht an Jahreszeiten gebunden. (Mars hat aufgrund seiner hohen Exzentrizität ziemlich extreme Jahreszeiten). Dadurch kann ich pro Erdjahr mindestens 3 Ernten einfahren, womöglich mehr.
- beim Transport der Erzeugnisse muss ich beim Agri-Hab keine Schwerkraftsenke überwinden und spare so mehrere km/s.

--> in Kombination bedeutet das, dass zB ein Agri-Hub auf der Venusbahn pro Tag ca die neunfache Sonneneinstrahlung bekommt wie ein Gewächshaus auf dem Mars. Entsprechend schneller dürften die Wachstumszyklen sein und am Ende auch grob den neunfachen Ertrag pro Hektar versprechen.

Allerdings ist auch der Rohstoffbedarf mit zu berücksichtigen. In erster Linie Kohlenstoff und Wasser. Für jede exportierte Tonne Nahrung muss logischerweise auch etwa eine Tonne Rohmaterial investiert werden. Auf dem Mars kann ich dafür erstmal das CO2 der Atmosphäre ins Gewächshaus pumpen, beim Venusorbital schaffe ich es eben, nunja, von der Venus ran. Wasser ist eine andere Frage; da gibt es auch auf dem Mars nicht unbegrenzte Mengen, und für die Venus sieht es noch schlechter aus. --> in beiden Fällen wird man es von woanders ranschaffen, zB aus den Saturnringen oder aus dem Hauptgürtel.

Es ist eben ein Tradeoff: das Agrarorbital verlangt ein größeres Anfangsinvestment aber levelt dann im laufenden Betrieb davon; damit Mars dagegen rentabel bleibt müssen die Plantagen dort ziemlich ausbeuterisch betrieben werden --> Konfliktpotential fürs Setting

Ein weiterer Aspekt zum Thema Bevölkerungswachstum... man ist sich mittlerweile in der Psychologie ja bewusst, wieviel Schaden Vernachlässigung oder gar Missbrauch im Kindealter bei den Kindern anrichten kann, und wie groß das Risiko ist, dass diese Kinder im Erwachsenenalter das alles an die nächste Generation weitergeben. Dieses Wissen dürfte zur Zeit des Settings eher umfassender sein.

Richtig, daher gehe ich auch davon aus, dass Kinder dann nicht (mehr) möglichst fabrikmäßig verwahrt und weitgehend getrennt von den Eltern aufgezogen werden. Sondern das die Menschen sich eben dann Kinder anschaffen, wenn sie Zeit für sie und Bock drauf haben. Dies wird eben dadurch ermöglicht, dass man die biologische Uhr aus der Gleichung herausnimmt.
Wer weiß, vielleicht ermöglicht die Medizin dann sogar, dass Unfall-Schwangerschaften tatsächlich _unter_brochen werden können statt komplett abgebrochen. [Ich bin weißgott kein Abtreibungsgegner, aber ich fand es immer schon scheinheilig wenn man da von "Schwangerschaftsunterbrechung" spricht.] Man entnimmt den Embryo, friert ihn ein, und lässt ihn dann reifen wenn die Zeit reif dafür ist. Damit dürften dann doch auch Abtreibungsgegner zufrieden sein.

Zitat
Könnte es also eine Art "Elternführerschein" geben, den man machen muss, und/oder einen "Eltern-TÜV", den man bestehen muss, bevor man eigene Nachkommen in die Welt setzt?

Prinzipiell denkbar, aber siehe oben: das kann man eigentlich ethisch nur durchsetzen, wenn es diesen Pause-Knopf für laufende Schwangerschaften gibt. Denn was willst du sonst machen wenn jemand ohne Lizenz schwanger wird? Zwangsabtreibung? Zwangsadoption? Alles ethisch untragbar und hochgradig dystopisch. Aber zu sagen "Okay, wir packen den Embryo jetzt erstmal in den Kühlschrank, und wenn du deinen Elternführerschein hast kannst du wiederkommen" - das könnte gehen.

Zitat
Ich könnte mir auch vorstellen, dass bis dahin das Kinderkriegen schlicht nicht mehr das ist, was man als Erwachsene halt irgendwann mal macht. Es ist ja schon heute so, dass Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, nicht mehr so schräg angeguckt werden wie noch vor 1-2 Generationen, und zur Zeit des Settings sollte sich diese Einstellung noch ein ganzes Stück weiter verschoben haben - vielleicht bis zu dem Punkt, an dem man ein bisschen schräg angeguckt wird, wenn man überhaupt Kinder hat?

In diese Richtung schwingt das Pendel derzeit, ja. Wenn ich mir zB meinen Freundeskreis aus Uni-Zeiten ansehe, hat von denen sich nur eine sehr kleine Minderheit für Kinder entschieden. Aus verschiedenen Gründen, von "finanziell nicht tragbar" bis "diese Shitshow tue ich keinem an". Aber das muss ja nicht heissen, dass das 200 Jahre lang so weitergeht. Wie gesagt, wenn wir weiterhin von einer TFR um 1,5 ausgehen, würde die Bevölkerung der entsprechenden Weltregionen in den nächsten 200 Jahren auf ca 1/4 von heute schrumpfen. Wie sich das gesellschaftlich auswirkt, werden wir schon vorher im Zeitraffer an Südkorea beobachten können, wo die TFR nur rund 0,7 beträgt (heisst also grob: zwei von drei Frauen bekommen _ein_ Kind). Da gab es übrigens grad neulich ein sehr lehrreiches Kurzgesagt Video dazu.
Also kurz, da kann ich mir gut vorstellen, dass es in einigen Jahrzehnten auch wieder einen Paradigmenwechsel gibt, durch den sich die Bevölkerung stabilisiert. Eigentlich muss ich für das Setting schon fast zwingend davon ausgehen, da sonst bei kollabierter Bevölkerung das ganze Raumfahrtthema in sehr weite Ferne rücken könnte.

edit: Formatierung
« Letzte Änderung: 21.06.2025 | 12:03 von Feuersänger »
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

Zitat von: ErikErikson
Thor lootet nicht.

"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat

Online Chaos

  • Legend
  • *******
  • Demokrator auf Lebenszeit
  • Beiträge: 4.423
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Chaos
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #14 am: 21.06.2025 | 12:19 »
Prinzipiell denkbar, aber siehe oben: das kann man eigentlich ethisch nur durchsetzen, wenn es diesen Pause-Knopf für laufende Schwangerschaften gibt. Denn was willst du sonst machen wenn jemand ohne Lizenz schwanger wird? Zwangsabtreibung? Zwangsadoption? Alles ethisch untragbar und hochgradig dystopisch. Aber zu sagen "Okay, wir packen den Embryo jetzt erstmal in den Kühlschrank, und wenn du deinen Elternführerschein hast kannst du wiederkommen" - das könnte gehen.

Jeder bekommt im Alter von X ein lang anhaltendes Verhütungsimplantat eingesetzt, beziehungsweise Einwanderer werden nur reingelassen, wenn sie so eins haben. Bei erfolgreich absolvierter Prüfung wird es deaktiviert/entfernt, bis der Kinderwunsch ausreichend umgesetzt ist.

Oder aber, natürliche Schwangerschaften sind längst veraltet, zu anstrengend und gefährlich, macht keiner mehr, und wer den Elternführerschein besteht, darf in der Fortpflanzungsklinik einen oder mehrere wie auch immer "extern" ausgetragene Babies bestellen.

Zitat
In diese Richtung schwingt das Pendel derzeit, ja. Wenn ich mir zB meinen Freundeskreis aus Uni-Zeiten ansehe, hat von denen sich nur eine sehr kleine Minderheit für Kinder entschieden. Aus verschiedenen Gründen, von "finanziell nicht tragbar" bis "diese Shitshow tue ich keinem an". Aber das muss ja nicht heissen, dass das 200 Jahre lang so weitergeht. Wie gesagt, wenn wir weiterhin von einer TFR um 1,5 ausgehen, würde die Bevölkerung der entsprechenden Weltregionen in den nächsten 200 Jahren auf ca 1/4 von heute schrumpfen. Wie sich das gesellschaftlich auswirkt, werden wir schon vorher im Zeitraffer an Südkorea beobachten können, wo die TFR nur rund 0,7 beträgt (heisst also grob: zwei von drei Frauen bekommen _ein_ Kind). Da gab es übrigens grad neulich ein sehr lehrreiches Kurzgesagt Video dazu.

Nach allem, was ich dazu gelesen habe, sind gerade in Südkorea is Rahmenbedingungen fürs Kinderkriegen relativ mies und die Gesellschaft auch noch furchtbar patriarchalisch. Wenn Kinderkriegen erstmal kein Armutsrisiko mehr ist, Schwangerschaft und Geburt keine Ochsentour mit Todesrisiko, sich um die Kinder zu kümmern als echte Arbeit anstatt nur als faules zuhause sitzen anerkannt ist, und ein Kind großzuziehen nur noch ein Zwanzigstel statt ein Viertel der eigenen Lebenserwartung dauert, kann ich mir vorstellen, dass die Geburtenrate sich auf deutlich höherem Niveau als 1,5 oder gar 0,7 einpendelt.

Zitat
Also kurz, da kann ich mir gut vorstellen, dass es in einigen Jahrzehnten auch wieder einen Paradigmenwechsel gibt, durch den sich die Bevölkerung stabilisiert. Eigentlich muss ich für das Setting schon fast zwingend davon ausgehen, da sonst bei kollabierter Bevölkerung das ganze Raumfahrtthema in sehr weite Ferne rücken könnte.

Ja. Ohne stabile Bevölkerung wäre Raumfahrt langfristig nur dann noch ein Thema, wenn die Erde in absehbarer Zeit unbewohnbar würde und man sich bis dahin anderswo etabliert haben müsste.

Und was macht man mit Leuten, die sich nicht ans Kinderverbot halten? Da ist man dann sofort wieder in der Dystopie.

Mit denen macht man dasselbe, was man mit Leuten macht, die gegen andere Gesetze verstoßen.

Unter den Voraussetzungen des Settings brauchen wir nicht mehr massenhaft Kinder, weil die ältere Generation nicht mehr massenhaft wegstirbt beziehungsweise zu alt zum Arbeiten wird. Kinder sind dann im Grunde ein Luxus, und Kinderkriegen muss kein Grundrecht mehr sein.
Unordnung = Datenschutz
Was ich nicht finde, das findet auch kein Anderer!

Offline Ávila

  • Experienced
  • ***
  • Beiträge: 313
  • Username: Ávila
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #15 am: 21.06.2025 | 13:11 »
Also, die Leute durch staatliche Zwangsmaßnahmen vom Kinderkriegen abhalten? Wie soll das keine Dystopie sein?

Online Chaos

  • Legend
  • *******
  • Demokrator auf Lebenszeit
  • Beiträge: 4.423
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Chaos
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #16 am: 21.06.2025 | 13:50 »
Also, die Leute durch staatliche Zwangsmaßnahmen vom Kinderkriegen abhalten? Wie soll das keine Dystopie sein?

Warum soll Kinderkriegen ein Grundrecht sein? Warum soll Kinderkriegen ohne willens und in der Lage zu sein, diese Kinder trauma-frei großzuziehen ein Grundrecht sein?

Was soll keine Dystopie daran sein, dass Jeder eine beliebige Anzahl Kinder haben und ihnen dann, entweder weil sie ihm dann doch letztendlich wurscht sind, oder weil er generationales Trauma mit sich rumschleppt, oder weil seine Weltanschauung durch und durch Scheiße ist, einen derartigen Knacks in der Birne verpasst, dass sie ihren eigenen Kindern das Leben genauso zur Hölle machen?

Für die meisten hochqualifizierten Berufe brauchst du eine ganz bestimmte Ausbildung, wenn nicht gar ein Studium. Für eine Knarre brauchst du einen Waffenschein. Um Auto zu fahren, brauchst du einen Führerschein. Aber an die Kindererziehung, die schwierigste und wichtigste Aufgabe unserer Gesellschaft, sollen wir jeden noch so Unfähigen oder Unwilligen heranlassen?
Unordnung = Datenschutz
Was ich nicht finde, das findet auch kein Anderer!

Online nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.820
  • Username: nobody@home
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #17 am: 21.06.2025 | 13:52 »
Also, die Leute durch staatliche Zwangsmaßnahmen vom Kinderkriegen abhalten? Wie soll das keine Dystopie sein?

Wenn ich mir zum Vergleich mal das Setting von Mindjammer zu Gemüte führe (was einerseits wesentlich weiter in die Zukunft projiziert ist, andererseits aber auch Quasi-Unsterblichkeit hat), dann ist insbesondere das alte Sonnensystem mit den benachbarten "Kernwelten" drumherum für unsere Verhältnisse dort ausgesprochen dystopisch. Ich zitier' mal einen Absatz:

Zitat von: Mindjammer -- The Roleplaying Game, S. 285, "The Internal Security Instrumentality (ISI)"
Many aspects of Commonality life would seem bizarre and oppressive to our 21st century eyes. The Fringe Worlds are more free-thinking, their customs often shocking to Commonality sensibilities, but the Core Worlds are a web of byzantine customs and prohibitions. Trade and money are social taboos in the Core, religion and democracy are illegal, and the uncontrolled dissemination of news is banned.

Daß eine Gesellschaft von zunehmend langlebigen bis unsterblichen Menschen zunehmend stockkonservativ und weniger "freiheitlich" orientiert ausfallen könnte, ist ja leider nicht so ganz von der Hand zu weisen und hier also quasi konsequent zu Ende gedacht...was auch dazu paßt, daß Mindjammer ja ohnehin einen Settingschwerpunkt gerade bei Kulturen und den Konflikten zwischen diesen setzt. Natürlich kann die Welt bei Feuersänger aus naheliegenden Gründen noch nicht so extrem und exotisch ausfallen wie im Jahr 10639 nach Beginn des Ersten Raumfahrtzeitalters, aber ein paar Trends in diese generelle Richtung (mit denen es dann auch Spielercharaktere wieder zu tun bekommen könnten) ließen sich allemal einbauen.

Offline Galatea

  • Hero
  • *****
  • Beiträge: 1.121
  • Username: Galatea
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #18 am: 21.06.2025 | 14:04 »
Tatsächlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass Eltern ohne Zeitdruck VIIIIIEL mehr Aufwand in ein einzelnes Kind stecken, um ihm die besten Chancen zu geben - zumal die traditionelle Großelternrolle wegfällt ("zu alt selbst Kinder zu bekommen" gibt es bei quasi-unsterblichen Menschen ja nicht mehr).
Möglich auch, dass die "Volljährigkeit" auf 30 oder 40 Jahre ansteigt, weil die Welt einfach viel komplexer ist und man viel mehr wissen muss, um sich selbstständig durchschlagen zu können.
Sieht man ja jetzt schon - je technisierter die Gesellschaft, desto weniger Kinder. Da besteht garantiert auch ein Zusammenhang.

Das bedeutet nicht nur, dass junge Menschen längere Bildung durchlaufen (und möglicherweise länger bei ihren Eltern bleiben bzw. länger intensiver Kontakt selbst bei ausgezogenen Kindern besteht oder sich ein Komplett neuer "selbstständig aber noch in Schulbildung"-Lebensabschnitt von 10-20 Jahren etabliert, quasi Studentenleben auf Steroiden für jeden einzelnen Aufwachsenden), sondern auch dass traditionelle Geschlechterrollen sich zunehmend auflösen werden - wenn eine Mutter sich alle paar Jahrzehnte für ein paar Jahre um ein Kleinkind kümmern muss, dann ist das keine Lebensrolle mehr, sondern ein Lebensabschnitt.


Nach allem, was ich dazu gelesen habe, sind gerade in Südkorea is Rahmenbedingungen fürs Kinderkriegen relativ mies und die Gesellschaft auch noch furchtbar patriarchalisch. Wenn Kinderkriegen erstmal kein Armutsrisiko mehr ist, Schwangerschaft und Geburt keine Ochsentour mit Todesrisiko, sich um die Kinder zu kümmern als echte Arbeit anstatt nur als faules zuhause sitzen anerkannt ist, und ein Kind großzuziehen nur noch ein Zwanzigstel statt ein Viertel der eigenen Lebenserwartung dauert, kann ich mir vorstellen, dass die Geburtenrate sich auf deutlich höherem Niveau als 1,5 oder gar 0,7 einpendelt.
Südkorea ist auch in groteskem Maße nach (Erb-)Reichtum stratifiziert und nur auf dem Papier eine Demokratie - wer nicht in die Oberschicht (bzw. in eine der 5-6 reichsten Familien) hineingeboren wird, hat praktisch überhaupt keine Chance, jemals in irgendeine Form von höherem politischen Amt gewählt zu werden. Ein ernsthaftes Angehen der Probleme ist ein einer solchen de-facto-Oligarchie nicht zu erwarten, die werden eher wie in Russland einfach weg-ignoriert bis alles zusammenfällt.
« Letzte Änderung: 21.06.2025 | 14:23 von Galatea »
We should respect all forms of consciousness. The body is just a vessel, a mere hull.

Offline Ávila

  • Experienced
  • ***
  • Beiträge: 313
  • Username: Ávila
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #19 am: 21.06.2025 | 14:34 »
@chaos
Von was für einem Menschenbild gehst du denn aus? Fast alle Eltern misshandeln ihre Kinder oder wie?

Wer soll denn die Erlaubnis zur Elternschaft erteilen? Politiker? Religiöse Führer? Konzerne? Der Machtmissbrauch ist vorprogrammiert. Technokratischer Kontrollwahn führt zwangsläufig zur Dystopie.

Und eine Dystopie ist ja vom Themenersteller explizipt nicht gewünscht.

Online Chaos

  • Legend
  • *******
  • Demokrator auf Lebenszeit
  • Beiträge: 4.423
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Chaos
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #20 am: 21.06.2025 | 14:56 »
@chaos
Von was für einem Menschenbild gehst du denn aus? Fast alle Eltern misshandeln ihre Kinder oder wie?

Habe ich nicht behauptet, und ich wäre dir dankbar, wenn du mir dergleichen nicht in den Mund legst.

Aber fragen wir mal umgekehrt: Wieviel Kindesmisshandlung oder Kindesvernachlässigung wäre denn nach deinem Dafürhalten noch in Ordnung?

[quote}Wer soll denn die Erlaubnis zur Elternschaft erteilen? Politiker? Religiöse Führer? Konzerne?[/quote]

Wer erteilt den heute Führerscheine? Oder Waffenscheine? Oder stellt Diplome und dergleichen aus?

Zitat
Der Machtmissbrauch ist vorprogrammiert. Technokratischer Kontrollwahn führt zwangsläufig zur Dystopie.

So wie wir das beim Führerschein und Waffenschein und den Berufsvoraussetzungen für Ärzte und dergleichen ja schon gesehen haben, richtig?

Zitat
Und eine Dystopie ist ja vom Themenersteller explizipt nicht gewünscht.

Alles kann missbraucht werden. So gesehen dürfte Feuersänger eigentlich gar kein Setting erstellen.
Unordnung = Datenschutz
Was ich nicht finde, das findet auch kein Anderer!

Offline Feuersänger

  • Orcjäger
  • Moderator
  • Titan
  • *****
  • Deadly and Absurdly Handsome
  • Beiträge: 34.595
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Feuersänger
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #21 am: 21.06.2025 | 15:16 »
Zitat
Ich weiß aber auch nicht, wie man ein wirtschaftlich-politisches System entwerfen müsste, um solche sinnvolle Langfristigkeit zu fördern. Aber vielleicht kann man da mal dran rumdenken, wenn man schon SciFi machen will.

Ich habe mir da durchaus schon ein paar Gedanken gemacht; dazu würde ich dann aber einen neuen Thread aufmachen. Ganz grob geht die Tendenz in Richtung "Kleinkapitalismus" mit direkter Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg.
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

Zitat von: ErikErikson
Thor lootet nicht.

"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat

Offline Ávila

  • Experienced
  • ***
  • Beiträge: 313
  • Username: Ávila
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #22 am: 21.06.2025 | 17:00 »
Nochmal zu chaos (im Spoiler, weil zunehmend Offtopic):

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

Da Feuersänger aber eh ein Bevölkerungswachstum als Motivation für die Weltraumbesiedelung möchte, sehe ich überhaupt nicht, warum das Setting eine Geburtenregulierung benötigt. Eine Alternative wäre, einfach bei der Langlebigkeitsbehandlung anzusetzen und ihre Wirksamkeit so festzulegen, das die für das Setting gewünschte Bevölkerungsdichte erzeugt wird. Dann spart man sich den ganzen ethischen Rattenschwanz.

Online Kurna

  • Famous Hero
  • ******
  • Beiträge: 3.210
  • Username: Kurna
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #23 am: 21.06.2025 | 17:13 »
Ich überlege gerade, ob es eine Zwischenlösung geben könnte zwischen "die Menschen werden jetzt im Schnitt 120 Jahre alt" und "die Menschen sind unsterblich". Also z.B. eine Prozedur, die z.B. für 10 oder 20 Jahre das Altern stoppt, aber dann immer wieder durchgeführt werden muss.
"Only the good die young. The bad prefer it that way." (Goblin proverb)

Offline Feuersänger

  • Orcjäger
  • Moderator
  • Titan
  • *****
  • Deadly and Absurdly Handsome
  • Beiträge: 34.595
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Feuersänger
Re: [Hard SF] Langlebigkeit vs Unsterblichkeit
« Antwort #24 am: 21.06.2025 | 19:23 »
Ich habe jetzt mal einen allgemeinen Vorstellungsthread für Redshift erstellt:
https://www.tanelorn.net/index.php?topic=130789.new#new
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

Zitat von: ErikErikson
Thor lootet nicht.

"I blame WotC for brainwashing us into thinking that +2 damage per attack is acceptable for a fighter, while wizards can get away with stopping time and gating in solars."

Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat