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Charaktererschaffung ohne Balancing

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Fredi der Elch:
Und deswegen muss für "echtes" Balancing (d.h. damit alle Spieler wirklich möglichst gleich viel Zeit im "Spotlight" haben) ein System her, dass sich nicht mir der Simulation einer fiktiven Spielwelt befasst (wei es alle klassischenpunktbasierten Systeme im Sinne von GURPS tun), sondern eines, das die Erzählrechte regelt.

Primetime Adventures macht das gut. Ein Charakter hat das 5 Eigenschaften und die kann er einsetzen. Er kann sicher mehr, aber die sind für die Geschichte gerade nicht wichtig. Außerdem sind alle Eigenschaften mechanisch gleich stark, d.h. in einem Kampf ist Gandalf genauso stark wie Sam (solange beide je eine Eigenschaft einsetzen). Es kommt also nicht auf die simulierten Werte in eine fiktiven Welt an, sondern darauf, wo die Story hinsoll.

So (und nur so) kann man echtes Balancing machen.

Gast:
@ M.i.t.p.: Es gibr reihenweise Spieler, denen die Effizienz eines Charakters enorm wichtig ist- wenn ich meine Charaktere mal so vor meinem inneren Auge passieren lasse, finde ich da kaum einen, der nicht in dem was er können sollte kompetent war. Für mich und die meisten Leute, mit denen ich so zusammen spiele oder gespielt habe, kommt zwar das "Gefühl" eines Charakters an erster Stelle, aber recht dicht danach die Effizienz.
Klar, wirkliche Gleichberechtigung ist eine Illusion, da spielt der Zufall (in Form eines oder mehrerer Würfel) einfach eine zu große Rolle. Aber ich glaube, es fühlt sich einfach besser an, wenn ale "gleich stark" sind. Ich habe schon geschrieben, dass ich mich als Spielleiter nicht in der Lage sehe, alle Spieler oder Charaktere gleich zu behandeln- dazu sind die meisten Spieler auch einfach zu ungleich. Manche machen aus jeder Hurzszene ein großes Spektakel, andere reissen lieber kurz und knapp ihre Handlung ab. Wie will ich einteilen, dass alle gleich viel Bühnenraum abbekommen? Gehe ich nach Zeit, ist das nicht fair, weil nicht alle Leute gleich spielen. Gehe ich nach erreichten Zielen oder gelösten Aufgaben ist das nicht fair, weil manche Leute sich sehr hohe oder sehr niedrige Ziele stecken und nicht alle Aufgaben gleich wichtig für das Fortkommen der Geschichte sind. Ich habe mal in einer Shadowrunrunde mitgespielt, in der folgende Situation auftauchte:
SL: Also, wie wollt ihr vorgehen?
Spieler 1 (Rigger): Also, ich rufe meinen Kumpel Hank an, ob der was über die Sache weiss.
Spieler 2 (Schamane): Ich beschwöre einen Herdgeist, der einen Schutzzauber über die Wohnung legen soll. Dan beginne ich mit den Vorbereitungen für ein Ritual, um eine Verbindung mit der Zielperson aufzubauen.
Spieler 3 (Strassensam): Ich wende mich mal an Crazy Pete, ob der irgendwelche kostengünstigen aber subtilen Waffen hat, ich fühle mich gerade so nackt.
Spieler 4 (ich): Ich gehe in die Küche und mache einen großen Topf Nudeln mit Tomatensauce. Leerer Bauch arbeitet nicht gerne.

Meine Aktion war viel unwichtiger als die der anderen. Sie paßte zum Charakter, sie war sicher nicht dumm und sie hatte stil, aber wenn sie mit der gleichen Wichtigkeit behandelt worden wäre wie die storyvorantreibenden Elemente der anderen, dann hätte mich das eher iritiert.

Ich glaube, beides ist wichtig- sowohl die Beachtung des Charakters als auch seine Efizienz. Aber das erstere ist mehr Aufgabe der Spielrunde als des Regelsystems.
Obwohl... mal schauen, vielleicht kann man mal probeweise mit folgender Hausregel spielen:
Die "ich! ich! Token"
Ein Charakter, der unbedingt jetzt handeln will oder sich gerade vernachlässigt fühlt, darf jederzeit einen CP als "ich!-ich!-Münze" spielen und wird damit zum Fokus der Aufmerksamkeit.

@Fredi: Funktioniert der Ansatz denn nicht mehr oder minder ausschliesslich mit "narativistischen" Spielrunden?
 

Fredi der Elch:

--- Zitat von: Satyr am 16.09.2004 | 13:47 ---@Fredi: Funktioniert der Ansatz denn nicht mehr oder minder ausschliesslich mit "narativistischen" Spielrunden?
 
--- Ende Zitat ---
Wie definierst du "narrativistisch"? ;D

Aber Du hast recht: es funktioniert nur bei storyorientierten Spielrunden. Ist man zu sehr auf Simulation einer Realität eingestellt, muss man damit leben, dass nicht alle gleich viel Spotlight bekommen. Dann sollte man aber auch damit leben, dass nicht alle gleichstark sind, denn das ist nun mal im echten Leben nicht so! Da halte ich Balancing überhaupt für unnütz.

Will man gegen die anderen gewinnen, nutzt das natürlich auch nichts, denn da ist ja gerade das Ziel, das nicht alle gleichviel Spotlight abkriegen.

Aber was ich immer so höre bezeichnen sich die meisten Leute hier im Forum als "storyorientiert" (du etwa nicht?), deswegen sollte das also kein Problem geben.

Monkey McPants:

--- Zitat von: Satyr am 16.09.2004 | 13:47 ---@ M.i.t.p.: Es gibr reihenweise Spieler, denen die Effizienz eines Charakters enorm wichtig ist- wenn ich meine Charaktere mal so vor meinem inneren Auge passieren lasse, finde ich da kaum einen, der nicht in dem was er können sollte kompetent war. Für mich und die meisten Leute, mit denen ich so zusammen spiele oder gespielt habe, kommt zwar das "Gefühl" eines Charakters an erster Stelle, aber recht dicht danach die Effizienz.
--- Ende Zitat ---

Aber wie misst man Effizienz? Durch die Charakterwerte nicht zwangsweise, denn die bringen einem 1. nur was, wenn sie überhaupt ins Spiel kommen und 2. nur, wenn die jeweilige Opposition nicht stärker ist. Wie giebt man einem Spieler also das Gefühl, das er etwas "kann"? Indem man ihm die Möglichkeit gibt etwas zu schaffen und ihn dort auch glänzen läßt. Ein Spieler kann den stärksten Kämpfer im Universum spielen, wenn es keinen Kampf gibt "kann" er trotzdem nichts, weil sein "Ding" nicht ins Spiel kommt.

Es geht hier also nicht wirklich um "objektives Können" (die Werte), sondern um das Gefühl etwas zu erreichen, bzw. die Möglichkeit zu glänzen. (Tada, Spotlight.) ;D


--- Zitat ---Klar, wirkliche Gleichberechtigung ist eine Illusion, da spielt der Zufall (in Form eines oder mehrerer Würfel) einfach eine zu große Rolle.
--- Ende Zitat ---

Ich würde eher sagen, da spielt der Aufbau der Handlung, sprich der Spieleleiter, eine viel größere Rolle. Denn auch wenn man etwas nicht schafft kann es sein, das man es auf interessante, coole Art und Weise verliert. Wenn man aber nie "drankommt", sprich nie im Ranpenlicht steht, dann ist es egal ob man es schafft oder nicht, es ist so oder so langweilig.


--- Zitat ---Aber ich glaube, es fühlt sich einfach besser an, wenn ale "gleich stark" sind. Ich habe schon geschrieben, dass ich mich als Spielleiter nicht in der Lage sehe, alle Spieler oder Charaktere gleich zu behandeln- dazu sind die meisten Spieler auch einfach zu ungleich. Manche machen aus jeder Hurzszene ein großes Spektakel, andere reissen lieber kurz und knapp ihre Handlung ab. Wie will ich einteilen, dass alle gleich viel Bühnenraum abbekommen?
[snip]
Meine Aktion war viel unwichtiger als die der anderen. Sie paßte zum Charakter, sie war sicher nicht dumm und sie hatte stil, aber wenn sie mit der gleichen Wichtigkeit behandelt worden wäre wie die storyvorantreibenden Elemente der anderen, dann hätte mich das eher iritiert.
--- Ende Zitat ---

Es geht nicht darum, in jeder einzelnen Szenen jedem einzelnen Spieler gleich viel Spotlight zu geben, denn das geht meistens nicht. Aber im "Laufe des Spiels", was für eine Zeitraum auch immer das jetzt beschreibt, sollten alle Spieler mal die Möglichkeit haben zu glänzen. (Eine Session ist wahrscheinlich ein guter Zeitraum.) Der Charakter muß es, abhängig vom Spieler, nicht mal schaffen, aber der SPIELER muß das Gefühl haben, etwas "erreicht" zu haben. Er hatte seinen Moment im Rampenlicht,und das ist das wichtige. Wie dieser Moment dann tatsächlich aussieht hängt vom Spieler und seinen Vorlieben ab, für manche ist es vielleicht ein kampf, ind em sie beweißen konnten wie cool sie sind, für manche ist es auch eine soziele Szene, in der sie gut den Zwiespalt spielen konnten, in dem der Charakter gerade steckte, und für andere ist es wieder ganz was anderes. Aber sie alle brauchen ihre Szenen, ind enen sie"scheinen" können.


--- Zitat ---Ich glaube, beides ist wichtig- sowohl die Beachtung des Charakters als auch seine Efizienz. Aber das erstere ist mehr Aufgabe der Spielrunde als des Regelsystems.
--- Ende Zitat ---

Ich glaube nicht, das es da einen Unterschied gibt. Das Gefühl "effektiv" zu sein kommt daher, weil man die Möglichkeit hatte, im Rampenlicht zu stehen und "sein Ding" zu machen, wie oben bereits beschrieben.

Nehmen wir deinen Shadowrun Charakter als Beispiel her: Tun wir mal so, als ob es dir wichtig gewesen wäre, das dein Charakter es immer wieder schafft die Gruppe mit seinem Essen aufzubauen, zu stärken und ihre Moral zu heben. Wenn du kochst, dann wird das ekligste Loch zur warmen, sicheren Zuflucht und der Schrecklichste, gerade erlebte Horror verblasst langsam zu einer weiteren ertragbaren Erinnerung. Wenn die Gruppe gerade von einem furchtbaren Run kommt, ihr habt einen Kumpel verloren und seit alle nervös, wütend, niedergeschlagen oder einfach fertig. Dann kochst du ihnen etwas, und der SL und die anderen Spieler gehen alle darauf ein, sie erzählen, wie sich ihre Charaktere beruhigen, wie der Horror langsam verblasst und das Essen wird zu einer Andacht fr euren Kumpel. Ihr sitzt um den Tisch herum, erzählt euch geschichten über euren "late chummer" und fühlt euch dadurch besser.

Wenn diese Szene so ausgespielt wird, dann kriegst du wahrscheinlich schon das Gefühl, das dein Charakter etwas erreicht hat. War er effektiv? Nicht zwangsläufig, und er hat auch keinen wichtigen Würfelwurf geschafft oder ein Lebensziel erreicht. Aber in diesem Moment stehst du im Rampenlicht und spielst "dein Ding" aus. Du hast etwas "gemacht", und fühlst dich damit als Spieler gut. Und wenn die Gruppe das mit allen schafft, dann ist das wahre Balance.
 
M

PS: Die "Ich, Ich, Ich"-Token Idee ist wahrscheinlich auch nicht schlecht. Alternativ könnte man am Ende einer Session festlegen, wer in der nächsten Session im Mittelpunkt steht. (Obwohl man auch in diesem Fall darauf achten muß, die anderen Spieler ein paar mal glänzen zu lassen.)

Bitpicker:

--- Zitat von: Fredi der Elch am 16.09.2004 | 14:01 ---
--- Zitat von: Satyr am 16.09.2004 | 13:47 ---@Fredi: Funktioniert der Ansatz denn nicht mehr oder minder ausschliesslich mit "narativistischen" Spielrunden?
 
--- Ende Zitat ---
Wie definierst du "narrativistisch"? ;D

Aber Du hast recht: es funktioniert nur bei storyorientierten Spielrunden. Ist man zu sehr auf Simulation einer Realität eingestellt, muss man damit leben, dass nicht alle gleich viel Spotlight bekommen. Dann sollte man aber auch damit leben, dass nicht alle gleichstark sind, denn das ist nun mal im echten Leben nicht so! Da halte ich Balancing überhaupt für unnütz.

(...)

Aber was ich immer so höre bezeichnen sich die meisten Leute hier im Forum als "storyorientiert" (du etwa nicht?), deswegen sollte das also kein Problem geben.

--- Ende Zitat ---

Ich persönlich habe lange Zeit vonmeinem Spielstil behauptet, dass er story-orientiert sei, habe das aber aufgegeben, weil der Begriff anscheinend nur einseitig verstanden wird: nämlich so, dass von allen Spielern gemeinsam gleichberechtigt und zu gleichen Teilen eine künstlich gestaltete Geschichte kreiert wird. Mit künstlich meine ich hier, dass mehr Wert auf Ausgewogenheit und Drama gelegt wird als auf Glaubwürdigkeit und Realismus.

Wenn ich meinen eigenen Stil als story-orientiert beschreibe, dann aus einem ganz anderen Blickwinkel: ich sehe die Erzählung der Handlung als so wichtig an, dass ich mglichst wenig Regeln im Weg haben will, die von der Erzählung ablenken. Dies tun sie bei den meisten Spielen dadurch, dass sie Möglichkeiten limitieren (z. B. Limitierung durch Charakterklassen, Fertigkeitslisten, bei denen irgendwas nicht möglich ist, Ergebnislisten für Würfe, die glaubwürdige Ergebnisse auslassen, weil sie beim Erstellen vergessen wurden usw.). Die daraus entstehende Erzählung ist, ebenso wie beim Märchenerzählen, etwas, was von allen Beteiligten zu unterschiedlichen Teilen konsumiert wird, und ebenso auch zu unterschiedlichen Teilen erschaffen wird (denn was ich selbst erschaffe, konsumiere ich nicht auf die gleiche Weise wie die anderen). Deshalb wird Balancing hier völlig überflüssig - nicht jeder Spieler hat automatisch den Wunsch, ebenso oft 'dran' zu sein wie alle anderen, sondern es gibt durchaus Spielabende, bei denen ein Charakter vielleicht nicht das geringste tut, aber die Geschichte, die die anderen durch ihre Charaktere (und im Falle des SLs durch alles übrige) spinnen, den zugehörigen Spieler trotzdem unterhält.

'Story-orientiert' hat für mich nicht die Bedeutung, dass das Spiel dazu dient, eine Erzählung als Ergebnis zu haben, sondern die, dass die Regelelemente des Spiels so reduziert werden, dass die Erzählung (und nicht die Regeln) als Vehikel für den Spielspaß im Vordergrund steht, ebenso, wie ich einen Film schaue oder ein Buch lese, nicht jedoch mit irgendwem ein Drehbuch oder einen Roman schreibe.

Robin

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